Travemünde

  • Mir ist es viel zu undifferenziert, Architektur und ihre Bauten pauschal in "vor 1945" und "nach 1945" aufzuteilen und danach den Wert zu bemessen. Welche gestalterischen oder baukulturellen Qualitäten dieser Bau aus den 1920er haben soll, erschließt sich mir nicht. Ich finde sogar, dass er durch die Sanierung aufgewertet wird (ich würde mir allerdings wünschen, die Fensterläden würden wieder angebracht). Welche konkrete Alternative der Bauherr bei dieser Sanierung hat, beantwortest du aber nicht so richtig.

    Es ist eine Faustregel, welche in den meisten Fällen Hand und Fuß hat. Natürlich war das Gebäude in seinem Zustand vor der Sanierung weiß Gott keine Schönheit mehr, dies heißt allerdings nicht das dies nicht zur Erbaungszeit anders war (andere Fenster, keine unpassenden Anbauten). Die konkrete Alternative ist folgende: Die Fassade des Hauses nicht zu dämmen und dies stattdessen mehr im Inneren zu tun. Erhalten würde dadurch die für das Stadtviertel so typische und wichtige Ziegelsteinfassade.

    Lübeck, mein Lübeck, an der Waterkant
    Königin der Hanse, Perle am Ostseestrand.

  • Einen Innendämmung ist nicht so effizient und hat auch andere Nachteile: https://www.haus.de/modernisieren/…nachteile-27036

    Ich kann nachvollziehen, dass der Eigentümer, der in diesem Haus auch leben will und muss, sich für eine andere Lösung entschieden hat. Bevor wir immer nur fordern, sollten wir uns auch darüber im Klaren sein, ob wir in dieser Situation bereit wären, die Nachteile in Kauf zu nehmen, um den Passanten, die die Ziegelfassade bevorzugen, ein Gefallen zu tun. Ich finde nicht, dass in diesem Fall das Stadtbild wirklich leidet. Aber man kann da natürlich anderer Ansicht sein, nur sollten man dem Eigentümer des Eigenheims die Sanierung seines Hauses selbst überlassen. Bei öffentlichen Gebäuden mag die Situation anders liegen.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Ich denke wir haben unsere Standpunkte beide jeweils gut dargelegt. Eine weitere Diskussion würde zu nichts führen. Heute Nachmittag teile ich hier noch einige Neuigkeiten aus Travemünde in Bezug auf das 2020 eingestürzte Haus. Und dies sind erfreuliche Nachrichten.

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  • Im folgenden möchte ich hier nun über das Haus Boelckestraße 14 aus den 30er Jahren berichten, welches bekanntlich im Oktober 2020 bei Baumaßnahmen zum Teil eingestürzt war.

    Zur Erinnerung: https://www.hl-live.de/text.php?id=140952

    So präsentierte sich das Haus im Oktober 2020 (Rückseite)


    Wenige Tage später wurde das nicht unter Denkmalschutz stehende Gebäude dann schließlich gänzlich abgerissen. Bis Mitte 2021 tat sich dann erstmal nicht viel und es verblieb nur eine Baugrube. Dann begann jedoch der rasche Wiederaufbau. Wiederaufgebaut wurde das Gebäude auf moderne Art und Weise mit einer Grundstruktur aus Beton, auf welcher eine Dämmung aufgebracht ist. Vor diese Dämmung wurde dann schließlich eine Schicht Klinker gesetzt. Vom Wiederaufbau hatte ich auch Bilder gemacht, diese kann ich allerdings momentan nicht auffinden.

    Nochmal zur Erinnerung: So präsentierte sich das abgerissene Haus vor seiner Zerstörung (am Beispiel des Nachbargebäudes).


    Und so sieht schließlich der Neubau/Wiederaufbau aus.


    Die Dachlandschaft der Straße gibt sich aus der Ferne wieder geschlossen.

    Das wiederaufgebaute Gebäude gleicht dem Vorgänger in nahezu allen Details nahezu 1 zu 1.

    So hat das neue Gebäude:

    1. Einen gleichen Grundriss

    2. Gleiche Fensteranordnungen/Größen

    3. Einen ähnlichen Backstein

    4. Einen identischen Dachüberstand

    5. Eine gleiche Dachgaube

    6. Eine gleiche Dacheindeckung

    Unterscheiden tut sich der Neubau zu seinem Vorgänger lediglich in drei größeren Details.

    Beim Neubau wurden:

    1. Aluminium statt Holzfensterläden gewählt

    2. Ein wohl Richtlinien geschuldetes hässliches Fluchtfenster eingebaut

    3. Die Ziegel nicht mehr nach dem historischen Muster gemauert, sondern ohne größere Anordnung.

    Insgesamt wurde in der Boelckestraße 14 meiner Meinung nach großes vollbracht, wenn man bedenkt, dass das Ensemble nicht geschützt war und hier jeder beliebige Neubau hätte entstehen können. Die Verantwortlichen haben sich für Tradition und Vernunft entschieden und das alte Gebäude wiederaufgebaut und somit eine Narbe im Stadtbild angemessen geheilt.

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  • Die Verantwortlichen haben sich für Tradition und Vernunft entschieden und das alte Gebäude wiederaufgebaut und somit eine Narbe im Stadtbild angemessen geheilt.

    Das ist auf jeden Fall anzuerkennen.

    Trotzdem eine Frage dazu: Könnte es vielleicht auch etwas mit der Gebäudeversicherung zu tun haben? Versicherungen zahlen nach Schäden Reparaturen ja nur, wenn der vorherige Zustand wiederhergestellt wird. Etwaige Veränderungen, Modernisierungen muss der Eigentümer selbst tragen. Hat das vielleicht hier auch eine Rolle gespielt?

  • Recht lange gab es hier keine neuen Informationen über Sanierungen in Travemünde, was ich nun einmal ändern möchte:

    So präsentierte sich das Gebäude im Mai 2022


    Im September 2022 ließ sich dann bereits Erahnen, welche "Art von Sanierung" hier vollzogen wird.


    Alsooo ..

    Ehrlich gesagt finde ich, dass die Dämmung hier gar nicht das große Problem ist. Die weiße Putzfassade ist, bezogen auf dieses spezielle 20er Jahre-Haus zwar ahistorisch, für Travemünde IMHO aber nicht unpassend. Bis zum ersten Weltkrieg überwogen dort, soweit ich weiß, helle Putzfassaden.

    Der unbefriedigende Gesamteindruck entsteht meinem Empfinden nach vor allem durch die ortsuntypischen schwarzen Dachpfannen, hier auch noch in der besonders auffälligen stark profilierten Hochglanzvariante. Mit roten Dachpfannen analog zum Zustand vor der "Sanierung" wäre ein zwar einfaches, aber ansehnliches Häuschen dabei herausgekommen. Die neuen Fenster scheinen immerhin zweigeteilt zu sein - eine Verbesserung gegenüber dem Vorzustand. Das halbrunde, geteilte Fenster im Giebel ist offenbar sogar eine Sonderanfertigung. Positiv anzumerken wäre auch, dass der unpassende Vorbau vorm Eingang ersatzlos entfernt wurde.

    Wenn der Bauherr sich noch zu echten Sprossenfenstern, evtl. farblich abgesetzt und einer passenden Haustür durchgerungen hätte, wäre hier trotz der Fassendendämmung ein kleines Schmuckstück entstanden.

    Leider ist sieht man oft, dass Altbauten sozugen in die - das meine ich jetzt nicht böse - "falschen Hände" geraten. Das sind Leute, die eigentlich von einem "traditionellen" Haus von der Stange im Neubaugebiet träumen. Häufig dürften diese Menschen unserem Anliegen hier nahestehen, aber eben selber kein wirkliches Gespür für historisch passende Gestaltung haben. Wie auch in einer Zeit, in der dies selbst den meisten Architekten abhanden gekommen ist.

    Last but not least: Die Lösung, die hier mit großem Aufwand entstanden ist, ist dabei wohl noch nicht einmal zukunfsträchtig. Geheizt wird offenbar auch im renovierten Zustand nach wie vor mit Gas (s. das Abgasrohr im Schornstein auf beiden Bildern), Solarmodule gibt es keine. Sprich, das Ergebnis ist nicht nur gestalterisch, sondern auch energetisch ein unbefriedigender Kompromiss.

  • Das ist auf jeden Fall anzuerkennen.

    Trotzdem eine Frage dazu: Könnte es vielleicht auch etwas mit der Gebäudeversicherung zu tun haben? Versicherungen zahlen nach Schäden Reparaturen ja nur, wenn der vorherige Zustand wiederhergestellt wird. Etwaige Veränderungen, Modernisierungen muss der Eigentümer selbst tragen. Hat das vielleicht hier auch eine Rolle gespielt?

    Nehmen Versicherungen auf die Gestaltung Einfluss?

    Der Punkt ist meines Wissens, dass der Schadensersatz nach dem Grundsatz kalkuliert wird, was es kosten würde, das Gebäude in gleicher Form wieder aufzubauen. Ob dies dann auch geschieht, oder ob gestalterisch etwas ganz anderes dabei herauskommt, ist der Versicherung egal.

  • Nehmen Versicherungen auf die Gestaltung Einfluss?

    Wenn ich es richtig im Kopf habe, dann steht in unseren Versicherungsverträgen in den allgemeinen Versicherungsbedingungen, dass die Versicherung nur zahlt, wenn eine Wiederherstellung in gleicher Art und mit gleichem Nutzungszweck erfolgt.

  • Das finale Vorher-Nachher der Fehlingstraße 70

    Vorher:

    Nachher:

    Lübeck, mein Lübeck, an der Waterkant
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  • Viel schlimmer als die Fenster sind das schwarze Dach und das Verschwinden des Ziegelmauerwerks mit dem wechselnden Band in Traufhöhe, den hochformatigen Fensterstürzen und dem Rundbogen über dem obersten Fenster im First. Wirklich schade.

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

  • Sehe ich auch so. Schwarze Dächer sind ortsuntypisch. Einfach nur rote Pfannen statt schwarzer, schon wäre das Ergebnis ganz OK. Das Sichtmauerwerk vermisse ich hier jetzt nicht soo sehr, es gehört eigentlich auch nicht nach Travemünde.

    Sprossen wären hier evtl. schon "too much". Vielleicht Zweiteilungen.

  • Die Fassade des denkmalgeschützten Hauses "Vorderreihe 2" aus der Zeit um 1800 in Travemünde wurde nahezu in ihren Ursprungszustand zurückversetzt.

    Vorher:

    Nachher:

    Die plumpen Fensterlöcher wichen wunderschönen Holzfenstern.

    Unterschiedlich zum Zustand von 1900 sind nur die Tür und die nicht vorhandenen Fensterläden.

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  • So einfach geht das - schön! Einfach mit dem Nachbarhaus weitermachen! Obwohl es langsam (sehr langsam) vorangeht, gibt es gerade bei Mehrfamilienhäuser aus der Gründerzeit noch massenweisse sprossenlose Plastikfenster. Etwa 90 Prozent in Flensburg, Kiel und Lübeck. Ein Trauerspiel vor allem in Schleswig-Holstein.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Auf dem Priwall soll vielleicht der fast letzte Rest der Militärgeschichte der Halbinsel fallen. An der Mecklenburger Landstraße haben zwei Kasernen (nicht denkmalgeschützt) aus den 1920er Jahren die Abrisswellen der letzten Jahre auf dem Priwall überstanden, diese sollen nun aber vielleicht abgerissen werden. Die Stadt Lübeck bestand darauf, dass die Gebäude mit einer Mietpreisbindung an Arbeitnehmer vom Priwall vermietet werden sollten. Jede touristische Nutzung wurde ausgeschlossen. Ein Interessent für das Gebäude fand sich unter diesen Anforderungen nicht. Nun können die Gebäude offiziell auch abgerissen und der historische Baumbestand gerodet werden. Ein Neubau soll mindestens 40% geförderten Wohnungsbau beeinhalten, obwohl sich die Kasernen in einer der teuersten Wohnlagen der Hansestadt befinden. Böse Zungen würden munkeln, dass die regierende SPD ihre Wählerschaft in der CDU-Hochburg Travemünde ansiedeln will, ist der Stadtteil doch der EINZIGE der Hansestadt, den die SPD nie zu gewinnen vermag. Aber naja, Fakt ist, dass die vormals peniblen Vorstellungen der Stadt höchstwahrscheinlich zu einem zukünftigen Abriss der historischen Bauwerke führen werden.

    Quelle (hinter Bezahlsperre): https://www.ln-online.de/lokales/luebec…IJZRD2RM4I.html

    Lübeck, mein Lübeck, an der Waterkant
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  • Ich finde jetzt ehrlich gesagt nicht, dass ein Abriss in diesem Fall einen Verlust darstellen würde. Es handelt sich hier IMHO um 2 Zweckbauten einfachster Art ohne architektonischen Wert, die zudem von ihren Dimensionen her überhaupt nicht in die kleinteilige Struktur des Priwalls passen.

    Die entscheidende Frage wäre, was stattdessen käme.

  • Die kleinteilige Struktur auf dem Priwall ist in der jetzigen Form erst nach dem zweiten Weltkrieg aufgekommen. Natürlich sind die Kasernen keine gotischen Kathedralen, trotzdem sollten sie meiner Meinung nach erhalten bleiben, da so die militärische Geschichte des Priwalls ablesbar bleibt. Es geht hier nicht um einen städtebaulichen oder kulturellen Wert, sondern um einen geschichtlichen.

    Im übrigen würden auf die jetzigen historischen Zeilenbauten sowie wieder Zeilen folgen. Eine kleinteilige Bebauung ist nicht vorgesehen.

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  • Mein Vertrauen in die Fähigkeit und den Willen von Politik, Stadtplanung und Architektenschaft hier eine schöne Lösung zu finden, geht - ohne die Lübecker Verältnisse zu kennen- gegen Null.

    Insofern wäre es wahrscheinlich wirklich besser, wenn die Gebäude bestehen blieben. Sind sind zwar äußerst schlicht und wurden offensichtlich ohne besonderen Gestaltungsanspruch errichtet. Aber eine zeittypische 0815-Klotzbebauung mit Flachdach und bodentiefen Fenstern wäre nochmals eine Verschlechterung.

    Mit dem Verschwinden der Bauten als Zeugen der Militärgeschichte des Priwalls hätte ich hingegen kein Problem. Es sei denn, dort wäre tatsächlich in besonderen Maße Geschichte geschrieben worden (- z.B. durch Hinrichtung von Widerstandskämpfern) - was mir aber nicht bekannt ist.