Kassel - Zentrum Documenta 2017

  • Ich war eigentlich anlässlich der Documenta 2017 in Kassel und muss nach dem Besuch der Stadt festhalten, dass ich die Totalverrisse auf Kassel nach meinen Besuch in keinster Weise bestätigen kann. Sicher ist Kassel nicht Potsdam oder Erfurt, aber eine Ausgeburt der Hölle ist diese Stadt beileibe nicht. Was stimmt ist die Tatsache, dass es im Zentrum sehr wenige erhaltene Altstadthäuser gibt, was ich aber in den Stunden meines Besuchs festellen konnte, ist, dass doch sehr viele Großbauten den Krieg überstanden haben. Einige will ich heute zeigen, inklusive der Documenta-Bauten.

    Documenta-Halle

    Staatstheater

    Westseite


    Friedrichsplatz mit Fridericianum

    APH - am Puls der Zeit

  • Ottoneum - Naturkundemuseum

    Parthenon of books ( bei allem Schrott der auf der Documenta zu sehen war von der Idde und der Umsetzung durchaus imposant - als temporäres Gebäude hatte es eine gute Wirkung und regte zum Denken an)

    Neubau mit integriertem alten Portal

    Alt und temporär Neu

    Man sieht einfach, wie wichtig die klassischen Proportionen eben sind, das funktioniert dann auch in moderner Interpretation, verstehe nicht, warum heutige Architekten das nicht mehr sehen!!!

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  • Es geht zum Palais Bellevue und der Neuen Galerie. Die Gartenpflege, über die ich sonst so schimpfe, ist in Kassel als extrem positiv hervorzuheben, insgesamt ist die landschaftliche Einbettung von Kassel in die Natur einfach fantastisch.

    Blick zur Orangerie


    Palais Bellevue

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  • Zitat von Wissen.de

    (...) dass ich die Totalverrisse auf Kassel nach meinen Besuch in keinster Weise bestätigen kann. (...)


    Was mich persönlich in Kassel extrem gestört hat und nachhaltig im Gedächtnis blieb, sind die überdimensionierten Straßen, die alles zerschneiden. Aber das geht mit in vielen Städten so. Braunschweig, Hannover, ... Man fühlt sich als Fußgänger wie ein Fremdkörper. Der Autoverkehr ist viel zu laut, dominant und omnipräsent. Die Straßen müssen in vielen deutschen Städten unbedingt zurückgebaut, und viel mehr autofreie Fußgängerbereiche geschaffen werden. Dann würde ich mich im Innenstadtbereich schon viel wohler fühlen.


    Zitat von Wissen.de

    Dann das Rathaus von Kassel, ein echter APH-Knaller


    Leider aber recht vereinfacht. Bei dem Gebäude käme eine Annäherung an den Vorkriegszustand auch ziemlich gut.

  • "Wissen.de", es geht nicht um einen Totalverriss, denn natürlich sind noch einige Solitäre erhalten, sondern um den negativen Geist, der diese Stadt beherrscht. Dieser zeigt sich in dem Ruinenkult der Stadt bzw. dem bewusst liderlichen Umgang mit vielen der erhaltenen Kriegsruinen.

    Das fängt mit den Straßenschneisen an. Diese führen ja nicht nur irgendwie durch die Stadt, wie in anderen Städten, sondern die Autoschneise wurde über den den Platz des ehemaligen Altmarktes gelegt, wodurch eine Rekonstruktion der alten Stadtmitte verunmöglicht wurde. Das alte Stadtzentrum wurde also zum Verkehrsknoten umgebaut. Für mich ein Akt der Pietätlosigkeit, wenn nicht der Bosartigkeit. Allenfalls könnte man heute diese Straße unter die Erde legen, um hier den alten Marktplatz wieder herzustellen.

    Dann geht es weiter mit dem Umgang mit der historischen Substanz. Das in den Grundmauern erhaltene Zeughaus wurde erst für einen Schulbau zu 2/3 abgerissen und noch zusätzlich verstümmelt, bis ein Verein wenigstens die Ruine als Hof nutzbar machte. (vor dem Krieg - nach dem Krieg - nach den späteren Abrissen). Das Karlshospital war einer der wenigen in den Grundmauern erhaltenen Barockbauten der Altstadt. Eine Rekonstruktion wäre möglich gewesen. Stattdessen lies man ausgerechnet dort ein hippes Architekturbüro sich austoben und den Bau mit einem modernen Dachaufbau verschandeln. Als hätte man nicht an jeder anderen Stelle der Stadt einen weiteren Flachdachblock errichten können. (ursprünglicher Zustand und mögliche Rekonstruktion - Zustand bis vor wenigen Jahren - Verunstaltung vor wenigen Jahren). Die ehemalige Garnisonkirche lässt man ebenso bewusst als Ruine herumstehen. Sie beherbergt heute einen Restaurantbetrieb. (Zustand einst - Zustand heute)

    Das Rote Palais am Friedrichsplatz (einst) brannte im zweiten Weltkrieg aus.

    Regiowiki schreibt zur Geschichte:

    Zitat

    Die Notdächer über den Sälen wurden teilweise zerstört, aber das Erdgeschoss des Roten Palais einschließlich des großen Vestibüls hinter dem Portikus blieb so weit intakt, dass Regierungsbaurat Schwarzer eine provisorische Vermietung für Geschäftszwecke vorschlug. Eine solche Nutzung hätte den weiteren Erhalt begünstigt, stieß aber beim Landeskonservator auf Ablehnung.

    Die Außenmauern des Weißen Palais wurden bis 1948 schrittweise beseitigt. Verschiedene Initiativen zum Erhalt des Roten Palais blieben erfolglos, und das Land Hessen investierte kein Geld in notwendige Erhaltungsmaßnahmen, solange keine Verwendung feststand; als schließlich mehrere Verwendungsmöglichkeiten, etwa als Amerikahaus oder Haus der freien Berufe, öffentlich diskutiert wurden, drängte das Kasseler Bauaufsichtsamt zunehmend auf Abbruchmaßnahmen. Der Leiter des Staatsbauamtes gab bereitwillig nach, zumal mit den großen Raumhöhen ja doch nichts anzufangen sei. Anfang 1955, wenige Monate vor der Bundesgartenschau, setzte sich in der Kasseler Stadtverordnetenversammlung die FDP nochmals für einen Wiederaufbau ein, während die SPD für den Abbruch plädierte.
    Als das städtische Bauaufsichtsamt demonstrativ einen Bauzaun um die Ruine aufstellen ließ und zudem Abbruchpläne zugunsten eines Justizgebäudes bekannt wurden, unternahmen Kasseler Bürger um den Apotheker Cybulla einen letzten Versuch, nochmals eine Verwendung als Haus der freien Berufe zu erreichen. Auf eine Anfrage der FDP-Fraktion im hessischen Landtag sicherte der Finanzminister zwar den Erhalt zu, doch kurz darauf erreichte das Kasseler Bauaufsichtsamt wegen angeblicher Einsturzgefahr einen weitgehenden Abbruch.
    Das Abtragen des äußerst soliden Mauerwerks gestaltete sich dabei als außergewöhnlich aufwändig.


    Nur noch ein Säulenportikus wurde dem Neubau vorgeblendet. (Heutiges Aussehen)

    Vom dahinter liegenden Palais Reichenbach (Bildmitte, die Fassade zur Straße) wurden nach dem Krieg erhaltene Seitenflügel und das Treppenhaus immerhin in einen Neubau integriert. 2006 erfolgte... die Rekonstruktion?... I wo, wir sind in Kassel. Die Reste wurde für ein neues Geschäftshaus abgerissen.

    Oder die gegenüber liegende Kommandantur aus dem Spätbarock. (Heutiges Aussehen)

    Ich zitiere mal aus Wikipedia den für Kassel typischen Umgang mit dem eigenen Bauerbe:

    Zitat

    Obere Königsstraße/Ecke Opernplatz: Das Haus Nr. 37 der Königsstraße wurde 1770 erbaut. Architekt war Simon Louis du Ry. Der Kasseler Kaufmann Roux wird als Bauherr genannt. Das spätbarocke Gebäude wurde 1837 vom Staat angekauft und diente lange Zeit als Kommandantur und wird heute noch so im Volksmund genannt. Das Gebäude überstand den Zweiten Weltkrieg fast unbeschadet. Später sollte es wegen angeblicher Baufälligkeit entkernt werden, wohl um eine wirtschaftlichere Nutzung zu ermöglichen. Nachdem der Fachwerkkern entfernt war, gaben Teile der Fassade nach und machten einen (gewollten) Abriss möglich. Die Fassade des heutigen Modehauses an dieser Stelle ist im weitesten Sinne ein Betonnachguss (Rekonstruktion 1969) des historischen Vorbildes unter Verwendung einiger weniger historischer Elemente.


    Für mich ist der Geist dieser Stadt negativ. Das hat für mich etwas mit der dort seit Jahrzehnten dominierenden SPD zu tun. Das mag natürlich manch anderer anders sehen. Ich hoffe natürlich auf Umkehr, auf Rekonstruktionen, auf Stadtreparatur. Potenzial hätte Kassel allemal. Aber dazu müsste erst einmal ein enormer geistiger Ruck durch diese Stadt gehen.

  • @Heimdall

    ich gebe dir in deiner Einschätzung völlig recht. Es gibt faktisch keine Altsadt mehr, die Stadtautobahn, denn genau das ist sie, zerschneidet den ganzen Stadtkörper, das ist alles völlig korrekt. Über den Geist in der Stadt aktuell kann ich nichts sagen, dafür habe ich zu wenig Ahnung von der Stadt.

    Mir ging es einfach darum, meine persönlichen Eindrücke zu schildern. Ich bin nach Kassel gefahren und habe so etwas wie Wolgograd oder so erwartet, also städtebauliches Niemandsland. Und da muss ich sagen dass dem so einfach nicht war. Mir hat besonders die Anlage der Parks extrem gut gefallen, wie ich generell schön fand, wie toll Kassel in die Topographie eingebette ist. Man hatte schon manchmal, besonders bei den gestrigen Temperaturen , ein leichtes Italiengefühl, wenn man an der Neuen Galerie stand und zur Orangerie blickt.
    Dies soll die Misstände aber in keiner Weise relativieren. Vieles in der ehemaligen Kerninnenstadt ist absoluter Müll, zumindest aus APH-Sicht, die Dominaz des Verkehrs an einigen Ecken ist wirklich sehr kontraproduktiv, trotzdem darf man nicht vergessen, dass Kassel eigentlich eine sehr kleine Stadt ist. Wenn man sich von der Stadtautobahn lösen würde und in Kassel, bei einem anderen Stadtklima in der Politik, ein kleines Neumarkt- oder Dom-Römer-Projekt iniziiert bekommt und an wenigen markanten Ecken vielleicht 5 bis 10 weitere Bauten rekonstruiert, dann wäre Kassel vom Potenzial her eine wirklich akzeptable Stadt für deustche Verhältnisse.

    Ich war eben früher auch immer sehr negativ, aber seien wir ehrlich, es bringt ja nichts. Wer hätte vor 10 Jahren gedacht, dass in Frankfurt mal dieses große Areal rekonstruiert wird? Niemand. Und wenn das in Frankfurt geht, geht sowas auch in Kassel. Es braucht vielleicht noch etwas Zeit, aber auch für Kassel bin ich nicht ohne Hoffnung. Ich bin in den letzten Jahren so oft überrascht worden. Ich habe daher auf Missmut gar keine Lust mehr :lachentuerkis:

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