Architektur des Historismus - differenziert betrachtet

  • Königsbau: "Für mich ist z.B. das Hotel Adlon ein Gebäude des Historismus, genauer gesagt eines Neohistorismus (dies ist keine Erfindung von mir, den Begriff gibt es)".

    Nein, mein Bester, gerade das Hotel Adlon ist ein Musterbeispiel für ein scheinbar historistisches Gebäude, das sich bei genauerem Hinsehen als ein moderner abstrahierender Bau mit historisierender Fassadengliederung erweist. Damals zur Zeit seiner Fertigstellung hat sich der Kritiker Falk Jäger in eben diesem Widerspruch zwischen oberflächlicher und genauer Betrachtung verheddert, indem er einerseits polemisierte, kein Detail dieses Baus weise auf seine Entstehung am Ende des 20 Jh's hin und dann doch monierte, die Plastizität der Architekturglieder lasse gegenüber seinen historistischen Vorbildern zu wünschen übrig. Eben die flächige, nur noch angedeutete Gliederung durch Gesimse, Balkone, Fensterverdachungen, die ganz deutlich vereinfachten und abstrahierten Fassadenapplikationen - abgesehen von den reditebedingten heutigen Stockwerkshöhen - deuten auf eine zeitgenössische Architekturauffassung hin und könnten niemals in der Hochphase des Historismus so gestaltet worden sein. Aber gerade diese an die Historie erinnernde Fassadenstruktur und die gut gemeisterten Proportionen bei heutigen Stockwerkshöhen machen den Bau in meinen Augen zu einerm Meisterwerk historisierenden Bauens in Deutschland.

  • Ich hoffe, ich habe jetzt bewiesen, dass ich nichts gegen Baukunst des Historismus habe.

    Ich hoffe, dass du damit bei vielen hier wieder rehabilitiert bist. :D


    Eben nicht einfach nur prachtvoll und überladen, sondern genial, durchdacht und überlegt gestaltet.

    "Prachtvoll" und "überladen", das ist hier offensichtlich. Bei den drei andern Adverben bin ich nicht so sicher.

    Also erstens mal, wenn ich Dresden endlich mal besuchen werde, und dieser Theaterbau stünde noch, würde ich wohl auch lange und mehrmals davor stehen. Und genau weil es ein Theaterbau ist, übt er eine Faszination auf mich aus. Dazu kommt noch die Parallele zum Zwinger. Man findet auch Parallelen zur Frauenkirche. Deshalb kann dieser Bau nur in Dresden stehen.

    Ist aber die Fassade wirklich genial und durchdacht gestaltet? Gehört zu dieser Frage nicht auch ein gesundes Mass an Dekoration? Wenn ich die Fassade immer wieder von neuem betrachte, weiss ich fast nie, wo ich hinschauen soll.

    Ich beginne mal beim Balkon über den drei mittleren Portalen. Er ist wie eine Ehrenloge, wie man sie in allen Kirchen und Theaterbauten findet, wo Adel residiert. Ist es aber wirklich ein Balkon? Statt auf auskragenden Konsolen sitzt er auf einem undefinierbaren Wulst, und dieser Unterbau erinnert mich eher an einen solchen einer gotischen Schwalbennest-Orgel in einer gotischen Kirche.
    Der Baldachin - sollte er nicht einen Bezug zur Ehrenloge haben? Für das sitzt er viel zu weit oben.
    Die beiden (Halb-)Säulen über den Endpunkten des Balkons - vom orientalischen Dekor am unteren Schaftbereich her schon fremd. Und auf was stehen sie? Mal stehen sie auf zwei Konsolen mit irgendwelchem Pflanzenwerk, mal auf zwei viereckigen Sockeln, je nachdem, was mein Auge gerade fixiert. Beides kann aber nicht stimmen, denn in der dritten Dimension steht alles in der Flucht des Fassadensockels.
    Die Fenstertüren im 1. Obergeschoss - auch dort müssen die Sprossen verzogen sein...
    Das Giebelfeld - es ist unbeschreiblich oder unbeschreibbar (das wäre doch eine Prüfungsaufgabe für angehende Kunsthistoriker bei ihrem Schlussexamen zum Universitätsabschluss). Es quillt und quillt und quillt (fast wie eine Erdbeermarmelade beim Überkochen über den Pfannenrand). Verunklärt wird die Giebelpartie noch durch die beiden stichbogigen Atelierverglasungen.

    Kommen wir zu den beiden Seitenrisaliten - ins Auge stechen die beiden merkwürdig verzogenen Fenster. Dahinter vermute ich Treppenläufe. Aber weshalb darunter noch zwei Portale? Ist es angenehm, ein Gebäude zu betreten, wo die Decke aus Treppenläufen besteht? Hätten die fünf mittleren Portale nicht genügt? Die Fenstersimsen ruhen auf undefinierbaren Tüchern oder Schriftrollen, an denen zwei Puten herumkrabbeln. Über den Fenstern folgen zwei Okuli-Fenster, und nochmals darüber zwei Kartuschen. Die beiden Kartuschen scheinen einen Giebelbereich eines Erkers zu zieren, denn seitlich der Kartuschen bestehen merkwürdig geschwungene Flächen, die an ein Erkerdach erinnern. Aber wo ist der Erker in der dritten Dimension?? Die beiden Seitenrisalite werden durch Giebel bekrönt, welche dieselbe Breite wie die Erker aufweisen... Die beiden Seitengiebel stehen aber in einem guten Verhältnis zum Hauptgiebel (um mal was architektonisch Positives zu erwähnen). Ein letztes Detail ( ;) ) : das Dreier-Fenster im 2. Obergeschoss der Seitenrisalite - die senkrechte Sprosse des mittleren Oberlichts musste auch noch verzweigt und geschwungen werden...

    Hätten die planenden Architekten nicht irgendwann mit der Errichtung beginnen müssen, hätten sie wohl noch weiteren Zierrat über die Fassade fliessen lassen. Ich weiss nicht, wo ich diesen Satz unterbringen soll, aber das Zentraltheater war für mich nicht ein Bau im Zuckerbäckerstil, sondern eher ein Schaumbad. Der Bau ist wohl nicht stellvertretend für den Historismus, sondern steht in seiner Pracht und Überladenheit allein da. Er gehört eher in die Kategorie der Gaudi-Bauten in Barcelona und der Otto Wagner-Bauten in Wien. Für die Architekturtheorie darf das Zentraltheater nicht herangezogen werden. Es ist und bleibt und war ein Sonderling unter den Historismus-Bauten. Eben ein Theaterbau.

    Die Art und Weise, wie ich die Fassade zu beschreiben versucht habe, ist für mich typisch für den Wilhelministischen Historismus. Bei früheren und späteren Stilen kann ich die Logik einer Fassade viel leichter beschreiben. Ob jetzt das Zentraltheater unter Wilhelministischen Historismus fällt oder eher unter Neubarock, ist eine weitere Frage.

  • Worum geht es hier eigentlich noch? Fuer mich grotesk, dass ueberhaupt jemand das Centraltheater grauenhaft findet?! Wenn heute wirklich etwas grauenhaft ist, dann ist das das heutige Dresden Altstadt gesamt abgesehen von dem wunderbaren kleinen Neumarkt und/aber minus von ein paar grauenhaften Fuellbauten.

    Streit um des Kaisers Bart. Ich hoffe einmal auf die Rekonstruktion des Centraltheaters irgendwann. Dieses Gebaeude war wirklich klasse!

  • Das Zentraltheater in der Waisenhausstraße (...)

    Der Bau hatte einfach Qualität, weil er aus einem Guß, "sichselbstähnlich" war und in einfach genialer Weise mit den "theatralischen" Stilelementen - vor allem des Dresdner Zwingers - hier verrückterweise eben an einem Theaterbau verwandte.

    Exakt das habe ich auch gleich gedacht. Ich wollte es aber nicht posten, da ich dachte, dass Du mir völlig auf den Deckel steigst, wenn ich dieses Gebäude in irgendeiner Weise mit dem Dresdner Zwinger vergleiche. Aber diese Wulstigkeit des Giebels hat mich sofort daran erinnert. Wie gesagt, mein Ding ist das nicht so recht. Das mag aber daran liegen, dass Barock und Rokoko nicht zu meinen bevorzugten Stilen gehören. Dennoch ist das alles natürlich 100mal besser als 99,9% der gegenwärtigen Neubauten. Und unbedingt erhaltenswert bzw. rekonstruktionswert.

    Weiter möchte ich mich aber nicht an dieser Diskussion beteiligen. Da tritt man nur in Fettnäpfchen und schafft am Ende böses Blut, wo es doch in meinen Augen kontraproduktiv ist, sich "untereinander" zu zerstreiten. So jedenfalls mein Denken.

  • Das Giebelfeld - es ist unbeschreiblich oder unbeschreibbar (das wäre doch eine Prüfungsaufgabe für angehende Kunsthistoriker bei ihrem Schlussexamen zum Universitätsabschluss). Es quillt und quillt und quillt (fast wie eine Erdbeermarmelade beim Überkochen über den Pfannenrand). Verunklärt wird die Giebelpartie noch durch die beiden stichbogigen Atelierverglasungen.

    ablachen:)cclap:) ... aber lecker duftet es und davon zu naschen ist auch nicht ohne... !

  • Neben dem Kaiserpalast in Dresden könnten wir auch das Zentraltheater in Dresden mal diskutieren

    Für mich der weit bessere Bau im Vergleich zum Kaiserpalast. Das Centraltheater treibt den Neobarock so vulgär auf die Spitze daß es zwar schon etwas wehtut, aber in sich ist er irgendwie noch schlüssig und vorallem höchst originell. Der Kaiserpalast zB.ist hingegen weit schlechter proportioniert und viel beliebiger in seiner Gestaltung.
    Und wenn man die barock-grotesk verzerrten Fenster des Centraltheaters als Jugendstil-Barock interpretiert, kann man glatt noch einen kunsthistorischen Wert herzaubern.

  • Ja. Die Groteske des Centraltheaters wirkt gewollt, jene des Kaiserpalastes unfreiwillig (und auch nicht so ausgeprägt). Dass man dem Bau so etwas wie künstlerische Folgerichtigkeit zuerkennen muss, heißt aber noch lange nicht, dass man ihn mögen muss. Ich bin mir diesbezüglich selbst nicht sicher.Diese Giebelbekrönung liegt doch sehr schwer im Magen oder sonst wo.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Ich möchte nun Vergleichsmaterial für weitere Betrachtungen anbieten, aber Spezielles aus eigenen Beständen. Es sind scans von Architekturdrucken aus Büchern, die ich vor vielen Jahren mal im Antiquariat erworben hatte. Müßten in irgendwelchen Mappen noch da sein. Wer von den Sammlern daran interessiert ist, bitte PN an mich.
    Wegen Zeitmangels nur kurze Bemerkungen.

    Teil 1


    Nr 1: Rudolstadt in Thüringen, Rudolsbad

    Nr 2: Villa Wrchovszky in Grinzing bei Wien, Architekten: Herzog und Marmorek


    Ersteres hat offensichtlich Renaissancefachwerk niedersächsischer Prägung zum Vorbild!?

    Das zweite Beispiel tendiert zum Schweizer Stil.

    Beide schön proportioniert. Die Villa noch besser. Beim Rudolbad begeistert die Bemalung.

  • Teil 2

    Nr. 1: Häusergruppe am Josephs-Quai in Wien, Architekt: Ludwig Tischler

    Wieder ein Beispiel für eine üppige, aber noch mäßige Ausstattung. Die Proportionierung etwas unsicher, insbesondere im Sockelgeschoß, der Hang zum additiven übereinanderstapeln fällt auf. Vorbild Hochbarock französischer Prägung, Louvre!? ...

    Nr. 2: Grand Hotel Continental, Bukarest, Architekt: Emil Ritter von Förster

    Insgesamt eine klare horizontale Dreigliederung , die stimmig erscheint. Besonders das Türmchen am Eck harmoniert mit seinem Helm zum Gesamtbau. Vorbilder, eine Mischung aus Renaissance und Hochbarock ...

  • Teil 3

    Nr.1: Amtsgebäude für die Gemeinde Feldsberg in Niederösterreich, architekt: Joseph Drexler

    Ein schlichtes Bauwerk, der Funktion gerecht werdend. Alles baut sich dreifach über eine schlichter werdende Rustizierung auf. Lebt von der wunderbaren Dachlandschaft mit dem Dachreiter. Sehr sparsam verwendetes Zierwerk. Wirkt nordisch, niederländisch, verhehlt aber nicht die Fassadenstruktur und Fensterformen florentinischer Palazzi!?

  • Besonders das Türmchen am Eck harmoniert mit seinem Helm zum Gesamtbau. Vorbilder, eine Mischung aus Renaissance und Hochbarock ...

    Na das aber nun doch gerade nicht. Wie ein miniaturhaft verkleinerter Hausmannsturm, der in Dresden das gesamte Ensemble am Schloss majestätisch beherrscht, hier aber nur so an den sehr großen Baukörper mit dem riesigen Dach wie drangeklatscht erscheint.
    Nein - nicht gut das Ganze - m. M. nach.

  • Jetzt beteilige ich doch mal...

    Das Grand-Hotel in Bukarest, das "Schortschibähr" lobt und "Oktavian" kritisiert, steht übrigens noch. Also nichts mit "zerstört":
    http://www.bucharestdailyphoto.com/photos/2010/04/IMG_8884.JPG
    https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gran…_-_20110903.jpg

    Auch das Amtsgebäude in Feldsberg/Valtice steht noch:
    https://en.wikipedia.org/wiki/Valtice#/…ce_townhall.jpg

    Mir persönlich gefällt das Haus am Wiener Franz-Josefs-Kai am besten. Ich habe nicht gegen den "Hang zum additiven Übereinanderstapeln".

  • Mich fasziniert der Neobarock des Historismus mehr als echter Barock. Ich liebe diese Gründerzeitpaläste, die so pompös daherkommen und einen beim Anblick fast umhauen. Und ich will nicht, dass mich irgendjemand von dieser Meinung zu "heilen" versucht. Geschmäcker sind einfach verschieden.

    Ehemaliges Landesgewerbemuseum in Stuttgart, neobarock von 1896. Eigenes Foto (Wikpedia)

    In dubio pro reko

    5 Mal editiert, zuletzt von reklov2708 (13. Januar 2017 um 13:25)

  • Das Stuttgarter Landesgewebemuseum ist - im Gegensatz zum Bukarester Hotel (typische Disproportionierung dieser Epoche) in der Tat ein recht guter Bau. Nur mit dem "neobarock" dh mit dieser Etikettierung tu ich mir schwer. Ich würde Neoklassizistisch ev auch Neorenaissance vorschlagen. Überhaupt ist dieser Bau von klassischer Eleganz, das eklektizistische Element tritt zurück.
    Ich würde die Diskussion hier belassen. Das Grundsätzliche, um das es hier geht, betrifft das Strangthema wahrlich sehr. Und es wird schon Berlinerische kommen.
    Beim Feldsberger Beispiel bin ich sehr zwiegespalten. zweifellos ist wertvoller Vorsubstanz geopfert werden. Allerdings passt dieser leichte Protzbau als Gegengewicht zur anderen Platzseite mit Schlosseingang und Kirche recht gut ins Platzgefüge. Besondere Qualität kann ich keine ausmachen - typische provinzielle Schul- bzw Verwaltungsarchitektur dieser Zeit. Da ham wir Besseres.

    https://www.google.at/search?q=grand…jUiDy8TVQSeM%3A

    Das Laaer Rathaus ist wirklich städtebaulich wichtig, ja notwendig. Ohne ihn wäre dieser weite, leere, provinzielle Platz die reinste Wüstenei.
    Was anderes aus der Gegend:
    https://www.google.at/search?q=grand…SI1wctg5evOM%3A

    Man muss natürlich dem Feldsbeger Beispiel eine bessere Anpassung an sein Umfeld zugute halten. Aber die war in diesem feudalen Barockensemble doch eher geboten als in den anderen weinviertler Grenzkaffs. Feldsberg gehört heute übrigens nicht mehr zu Ö.

    Starobjekt in NÖ ist natürlich dieses:

    https://www.google.at/search?q=grand…_rDLvb6qwD1M%3A

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

    2 Mal editiert, zuletzt von ursus carpaticus (13. Januar 2017 um 09:40)

  • Domplatz Münster:

    Münster hat teils durch den Krieg, teils durch Nachkriegsabrisse sein prächtigstes historistisches Ensemble verloren, die Randbebeauung des Domplatzes. Was muß das für ein herrschaftlicher Platz gewesen sein: Der (natürlich nicht historistische) gewaltige St. Paulus Dom, (die barocken) zwei Palais: das Bischhofspalais und die Kettlersche Kurie und dann kommen wir zu den historistischen Prachtbauten: die Universität, die Hauptpost, das Regierungsgebäude, das Landesmuseum, die Reichsbank, das Kollegium Ludgerianium und das Diözesanmuseum.
    Was für ein sammesurium an Pracht und Reichtum. So einen Platz muß und mußte man in Deutschland lange woanders suchen:
    https://farm2.staticflickr.com/1544/26635706192_a708433a2c_c.jpg
    http://www.halternerzeitung.de/storage/pic/md…sion=1387232931
    http://static2.akpool.de/images/cards/1011/10117944.jpg
    http://www.lwl.org/westfaelische-…rmal/med798.jpg
    http://www.muenster.de/stadt/kriegsch…s/41_10_054.jpg
    https://farm2.staticflickr.com/1655/26436646430_fffa4c7537_z.jpg
    https://www.lwl.org/aufbruch-downl…078517201_0.jpg
    Abriss des (wieder aufgebauten) Regierungsgebäudes in den 1960ern:
    http://www.stadt-muenster.de/fileadmin/user…_-_Foto_1_G.jpg
    Das Diözesanmuseum (der streng neoronanische Bau auf den Bildern) war mit samt Innenausstattung ebenfalls erhalten und wurde auch in den 1960ern, ganz ohne Not abgerissen. Die Stelle ist bis heute Grünfläche.

    Was Münster noch an historistischen Großbauten hat:
    In Münster hat sich in der Spätphase des Historismus, also ab 1900, ein sehr eigenständiger, qualitätvoller Neobarock mit Jugendstilanklängen und Anlehnung an Bauten J. C. Schlauns entwickelt:

    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm…endorff0183.jpg
    http://www.schule-der-zukunft.nrw.de/sdz/steckbrief…le%5Bid%5D=1300
    http://static.panoramio.com/photos/original/2087786.jpg
    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm…11-11_CN-02.jpg

    https://www.reiseberichte-bilder.de/muenster/fotos…-verwaltung.jpg

    http://djv-bildportal.de/s/image/Landes…-1003504277.jpg
    Das ist wahrlich großartige (spät)historistische Architektur!


    Die Tradition wurde auch (wenn auch abgeschwächt) im Neoklassizismus der 30er Jahre sowie der Wiederaufbauzeit fortgeführt.

  • upload.wikimedia.org/wikipedia…loss%2C_2011-11_CN-02.jpg


    Der Münsterplatz war ja dann vom Gedanken eines romanisch-gotischen Forums inspiriert, wie in Berlin um die KW-Gedächtniskirche!? Schade, schade drum!
    Der Münsteraner Neo-Backstein/Sandsteinbarock ist schon sehr gelungen und bei obigen Beispiel muß der damit nicht so Kundige schon genau hinsehen, ob es Barock oder Historismus ist.

  • Moderationshinweis:
    Ich habe jetzt den Strangtitel in Übereinstimmung mit Kralle umbenannt (ursprünglicher Strangtitel ist im ersten Beitrag noch festgehalten). Nun habe ich noch eine Bitte:

    In den letzten 24 Stunden sind sehr viele Beispiele präsentiert worden. Aber als ich dann ursus carpaticus' Beitrag genauer lesen wollte, musst ich unheimlich oft noch oben und wieder nach unten scrollen, um mir auch ein Bild von den angesprochenen Beispielen machen zu können. Denn vor seinem Beitrag sind innert kurzer Zeit gleich sechs Beispiele vorgestellt worden. Ist das anderen nicht auch so ergangen? Deshalb bitte nicht einfach zuviele Beispiele präsentieren, sondern auch mal wieder Luft lassen, damit diese auch diskutiert werden können.

  • Es ist ja schön, wenn sich hier echte, fast echte, gerne seiende und andere Kunstgelehrte beim Blick aus ihrem bodentiefen Fenster im Betonbau-Arbeitszimmer über echte und nicht so echte Kunst streiten, belehren und lobhudeln, (und trotzdem die Stile manchmal nur ungenau bestimmen können :-)), wenn draussen mindestens zwei Drittel der Handwerker mit den Vokabeln der Texte gar nichts und mit der historischen Formensprache noch weniger zu tun haben. Die hier aufgewendete Energie gehört in die Innungen, Meisterschulen Baumaterialhandlungen. Dort wird auch heute noch die Alttagsarchtektur gemacht. Ein Stuckgesims ist für eine Wärmedämmfassade in einer halben Stunde weggestemmt, eins draufzuziehen dauert... Ich habe ein bisschen den Eindruck das alles führt in eine Betonlandschaft in der zwei drei Altbauten einen Bleibedispens haben aber ansonsten alles platt gemacht wird, eigentlich genau wie der alte Westen aussieht. Einige haben es hier schon gebracht, das halte auch ich für tödlich in Bezug auf die Intention dieses Forums.

  • Ich würde gerne einige der hier abgebildeten Beispiele kommentieren und hoffe, dass ich niemanden der sehr geschätzten Mitstreiter vor den Kopf stoße, indem ich scheinbar für die eine oder andere Seite Partei ergreife.
    Sehr interessant fand ich den Vergleich zwischen dem Großen Musikvereinssaal in Wien und der Alten Philharmonie in Berlin.
    Beide Säle haben viele Gemeinsamkeiten: u.a. die flache Holzdecke und den umlaufenden Balkon. Sehr wahrscheinlich folgt der Berliner Saal dem Wiener Vorbild. Dennoch gibt es Unterschiede:
    Der Wiener Saal wirkt homogener, da er konsequent im spätklassizistischen Stil gehalten ist. Die Philharmonie dagegen vereint dagegen Elemente des Neobarock (Genien mit Porträtmedaillons), der Renaissance (Decke, Säulen) und des Klassizismus (Bühnenarchitektur). Das wirkt sehr eklektisch.
    Vor allem aber sind in Berlin die Wände m. E. nicht wirklich durchkomponiert. Die Reliefs mit den Genien wirken ein bisschen wie eine Verlegenheitslösung - als habe man nicht gewusst, wie man mit den leeren Flächen umgehen solle. In Wien ist dagegen ist die gesamte Wandgliederung Teil einer kohärenten architektonischen Gliederung.
    In Berlin gibt es einige unschöne Details: Die Logen im Erdgeschoss wirken sehr gedrückt, die Balkone darüber haben zu viel Luft. Die Türen der Balkone sind im Verhältnis zum plastischen Schmuck darüber zu kleine. Ferner laufen in Berlin die geraden Balkonbrüstungen und die orthogonalen Deckenpaneele gegen konkave Wandsegmente, In Wien ist alles konsequent rechteckig.
    Sehr schön in Wien ist der große Fensterkranz, er macht mehr her als die Öffnungen in den Stichkappen der Philharmonie.
    Auch wirkt der Wiener Raum insgesamt besser proportioniert, die Ornamente sind klassischer. Selbst die Leuchtkörper gefallen mir in Wien besser, in Berlin erinnern sie an die Wartehalle in einem Bahnhof.
    Nichtsdestoweniger bedeutet die Zerstörung der Alten Philharmonie einen großen Verlust. Und um den Berlinern ein Trostpflaster zu geben: Weit besser noch als Wien war Schinkels Konzertsaal im königlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt.


    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.