Stuttgart - Das alte Stuttgart - und Vergleiche

  • Danke für die wunderschönen Bilder samt Vergleich :)

    Zitat von "Antiquitus"

    "Allerdings habt ihr mir Stuttgart trotz allem schon seit längerem schmackhaft gemacht ."

    also ganz ehrlich: wirklich lohnen tut es sich eher nicht. die schönen seiten an stuttgart gibt es zwar, aber man muss sie suchen. insbesondere das zentrum, das areal königstraße, ist kaum zu ertragen. da flucht man an jeder ecken.

    So schlimm ist es auch nicht. Kommt ja nicht von ungefähr, daß die Stuttgarter sich in ihrer Stadt so wohl wie keine Anderen fühlen, wie erst jetzt wieder eine große Studie ergeben hat.

    Während Stuttgart im Krieg zu knapp 60% zerstört wurde, soll das Zentrum mit ca. 90% am stärksten gelitten haben. Da ist es klar, daß kein originalgetreues Stadtbild wiederauferstehen konnte.

    Betrachtet man die Innenstadt, so stößt man in S-Süd, S-West und S-Ost in jedem Straßenzug auf prächtige Bauten, meist gründerzeitliche Bürgerhäuser, oft reichlich verziert. Von "Suchen müssen" kann dort keine Rede sein.

    Das Zerntrumist aufgrund der enormen Verluste eine andere Geschichte. Dort sind tatsächlich die meisten Bauten Neubauten, mit dem unvermeidlichen Anteil 60er/70er-Jahre Zweckbauten. Leider nicht nur unvermeidlich - das sei zugestanden - weil sich dazu noch einige Nachkriegssünden gesellten. Mit am bekanntesten das ehemalige Kronprinzenpalais.

    Und trotzdem kann man selbst durch das heutige Zentrum einen ganz ansehnlichen (Rund)Weg vom Hauptbahnhof über die Untere Königstraße (war vor dem Krieg weniger ansehnlich), den grandiosen Schloßplatz, das Renaissanceensemble Schillerplatz, über die Markthalle zum Marktplatz :( bis zum gut erhaltenen Gebiet Geißstraße gehen. Von dort geht der Suchende die Tübingerstraße weiter oder wechselt gleich die Straßenseite hinüber ins Bohnen-/Heusteigviertel, von wo aus man den Rückweg via diesseits oder jenseits der Kulturmeile antritt.

    Natürlich bietet dieser Weg kein geschlossenes historisches Stadtbild. Aber wer nicht permanent daran denkt, was hier und dort dermaleinst gestanden hat, sondern die Anblicke genießt und etwas ins Verhältnis zum jämmerlichen Nachkriegszustand stellt, dürfte an diesem Stadtspaziergang seine Freude haben.


    Zitat von "Antiquitus"

    "Hmm. soo schlimm scheint'S Stuttgart ja doch nicht getroffen zu haben."

    wie kommst du denn darauf? also ich finde, stuttgart hat es ziemlich schlimm getroffen. vielleicht hätte ich noch härtere vergleiche wählen sollen.
    aber wie gesagt, ich habe im sommer vor, die zahl der vergleich zu verdoppeln, dann suche ich noch ein paar besonders grausige raus, was nicht schwer wird.

    Wenn Du das Buch "Die 60er Jahre - Ein Stuttgarter Jahrzehnt in Bildern" anschauen kannst: Da hat sich inzwischen schon einiges zum Besseren gewandelt. Gehört vielleicht auch zu einem Vorher-Nachher-Vergleich.

    Nicht zu vergessen, daß zwar einzelne Bauten wie Wilhelmsbau und Marquardt schön und gut sind, aber eine Klasse darüber stehen schon noch die Stuttgarter Schlösser. Und die wurden trotz starker Kriegszerstörungen wiederaufgebaut, speziell das Alte und das Neue Schloß. Übrigens gerade in den Jahren, die andererseits für so manche Sünde gescholten werden.

    Vielleicht nimmt man das, was (wieder) steht, als selbstverständlich. ich tue das nicht und finde Stuttgart hat mit seinem ganzen Kranz an Schlössern (zu Altem und Neuem kommen als größere noch Rosenstein, Solitude und Hohenheim) eine Sonderstellung in Deutschland inne. Wenn man dann noch das eigentlich Prächtigste - das Residenzschloß im nahen Ludwigsburg - hinzunimmt...

    Kurzum, ich bin mehr bei der Meinung, daß es Stuttgart nicht so schlimm getroffen hat.


    Zitat von "Antiquitus"

    ja, am marktplatz ließe sich relativ einfach viel verbessern. man könnte ihn wieder zu einer perle machen. altes rathaus und fachwerk auf zwei weiteren seiten. das wär schon was!

    Das wäre wirklich der ideale Platz für Verschönerung. Auch im Sinne des oben angedachten Stadtspaziergangs: Eine Tour durch Stuttgarts Zentrum, die einen Zerstörung und häßliche Moderne vergessen ließe.


    Zitat von "Antiquitus"

    "Ecke Reinsburgstraße/Hasenbergsteige heute"

    danke fürs bild. was stellen wir fest? im prinzip gut erhalten, aber: straßen zu breit, autos zu viel, leuchten weg - das übliche halt.

    Wir stelen auch fest: Wunderschöne Ecke. Übrigens gut erhaltene Bauten in jeder der 5 ausgehenden Sraßenarme.


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    Wissmut

    Zitat

    Aber dennoch muß man mal ganz klar sagen: Stuttgart hat den wohl abscheulichsten Marktplatz des deutschsprachigen Raums.

    Ja und Besserung ist nicht in Sicht, obwohl derzeit ein Wettbewerb gestartet wurde. Mehr als allenfalls Detailverbesserungen stehen nicht zu erwarten. Leider. Die letzten zwei Jahre wurden alleine über 27 Mio € in die Rathausrenovierung gesteckt. Zum Glück einiges davon auch in die 3 alten Fassaden und Technik, aber das naheliegendste, nämlich eine Reko der Marktplatzseite wurde ausgelassen.


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    Booni

    Zitat

    Hast du eigentlich beim Alten Schloß eine andere Seite fotografiert oder wurde es abgestockt?

    Das neue Foto ist allerdings auch sehr unvorteilhaft: Bewölkt, Winter,...


    Zitat

    Naja... Basar und Liederhalle müssen ja wohl sowieso zurück, oder?

    Sehr dafür. Nur wird es in diesem Leben wohl nichts mehr :(


    Zitat

    Wie ist eigentlich die Oper von Innen erhalten? Original oder modern?

    Dazu habe findet sich:
    Das Kleine Haus des Littmann-Baus wurde 1944 völlig zerstört und erst 1961 wieder aufgebaut.

    Das "Große Haus" überstand den Krieg unbeschadet, wurde aber 1956 und 1970 technisch modernisiert und dem Zeitgeschmack entsprechend „renoviert“, dabei verschwanden Stuck und Innendekoration weitgehend.
    1983/84 wurde es vollständig nach den 1982 wiederentdeckten Littmann’schen Plänen restauriert.

    Quelle: http://www.staatstheater.stuttgart.de/oper_neu/info/fakten.php\r
    http://www.staatstheater.stuttgart.de/o ... fakten.php


    Das Wilhelma-Theater in Cannstatt übrigens ist auch wieder was es einmal war:

    Es wurde in 1985 in seinem pompejianischen Baustil renoviert.


    Zitat

    Und selbst vor dem historischen Königsbau macht der Einkaufscenterwahn nicht halt, dahinter entsteht eine große Passage, doppelt so hoch wie der Köningsbau....

    Die Königsbau-Passagen werden allem Anschein nach sehr gelingen. Daß der Neubau den Königsbau überragt, ist kein ungerechtes Schickal für ein gerade einmal etwa 12 m hohes Gebäude im Zentrum. Wie es geschieht, finde ich hier ideal.

  • Zitat

    So schlimm ist es auch nicht. Kommt ja nicht von ungefähr, daß die Stuttgarter sich in ihrer Stadt so wohl wie keine Anderen fühlen, wie erst jetzt wieder eine große Studie ergeben hat.

    als ich vor einiger zeit mehrere jahre in stuttgart mitte eine wohnung hatte, habe ich mich dort auch sehr wohlgefühlt (viel wohler als in berlin). das war aber nicht wegen der acrhitektur im zentrum, sondern trotz dieser. die lebensqualität in stuttgart ist hoch und viel höher als jemand denkt, der nur kurz z.b. als tourist in der stadt ist. trotzdem habe ich bisher nur ganz ganz selten jemanden getroffen, dem z.b. die bebauung in der schlosstraße gefallen hat.

    Zitat

    Während Stuttgart im Krieg zu knapp 60% zerstört wurde, soll das Zentrum mit ca. 90% am stärksten gelitten haben. Da ist es klar, daß kein originalgetreues Stadtbild wiederauferstehen konnte.

    die 90% können hinhauen, da gebe ich dir recht, aber der zweite satz ist in keinster weise ein schluss aus dem ersteren. nur so nebenbei: es gab andere städte, die trotz hoher zerstörung in großen teilen rekonstruiert wurden (z.b. rothenburg odt); auch in stuttgart mitte stand noch einiges, aber selbst dieses wenige wurde oft noch abgetragen (z.b. kronprinzenpalais); regierende verstümmelten die stadt gegen den willen der bürger (z.b. neues rathaus) oder gaben nur noch allergrößtem protest nach (z.b. neues schloss), usw.

    Zitat

    so stößt man in S-Süd, S-West und S-Ost in jedem Straßenzug auf prächtige Bauten

    das ist aber nicht wirklich innnstadt und nicht da, wo der gemeine tourist sich aufhält.

    Zitat

    selbst durch das heutige Zentrum einen ganz ansehnlichen (Rund)Weg

    ich finde den rundweg nicht sonderlich ansehlich. man muss sich die städtebaulichen rosinen mit allergrößter mühe herauspicken. das überzeugt mich nicht. andere städten bieten hier viel mehr.
    und auszublenden, dass es mal welten schöner war, ist für den wissenden schon schwer - darunter dürften aber die meisten touris zug. nicht fallen.

    Zitat

    Da hat sich inzwischen schon einiges zum Besseren gewandelt. Gehört vielleicht auch zu einem Vorher-Nachher-Vergleich.

    gut, manches hat sich von ganz arg schlecht zu schlecht verbessert. das sei zugestanden. mein vorher/nachher hatte aber per voraussetzung den krieg als grenze.
    zufrieden bin ich erst, wenn das, was jetzt an einer stelle steht, gleich schön oder schöner ist als das, was vor dem krieg dort stand - und davon sind wir noch weit entfernt.

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Zitat von "Antiquitus"

    nur so nebenbei: es gab andere städte, die trotz hoher zerstörung in großen teilen rekonstruiert wurden (z.b. rothenburg odt)

    Stimmt. Ich behaupte aber, dass bei diesen Städten i.d.R. ein paar Dinge zusammenkamen:

    Erstens ein Stadtbildbewusstsein. Während heute jedes Kaff und Industriestadt Tourismus, Ortskernverschönerung usw. auf der Agenda hat, dürfte früher das Aussehen der eigenen Stadt eher eine unterbewusste Rolle gespielt haben. Mir ist schon klar, dass auch früher schon die Schönheit von Stadt und Land besungen und beschrieben wurde. Nur diese allgegenwärtige Aufgabe der Stadtverschönerung und das Kümmern des Normalbürgers um das Stadtbild dürfte in den normalen Städten kaum ausgeprägt gewesen sein. Schönes Bauen war eher Statussymbol der Reichen oder der jeweilige Fürst kümmerte sich darum.

    Zweitens ein genialer Kopf, der selbst in der Nachkriegsnot das Ästhetische berücksichtigen konnte und wahrscheinlich gegen manchen Widerstand durchsetzte. Das Gegenteil dürfte der Normalfall gewesen sein. Genialität ist eben selten. Wer selbst nicht genial ist, sollte bei der Verurteilung anderer Ungenialer zurückhaltend sein ;)


    Weitere begünstigende Faktoren:

    - Kriegszerstörungsgrad, der ein Aufleben des alten Stadtbildes noch in absehbarer Zeit realistisch erscheinen lässt und durch die noch sichtbare Substanz motiviert.

    - Kein zu starker Aufbaudruck, also Wohnungsnot. In Stuttgart waren einerseits ca. 60% des Wohnraums zerstört, andererseits strömten viele Vertriebene in die Stadt. Allierte werden ihren Teil durch eigene Belegung intakter Gebäude beigetragen haben.


    Sind Rothenburg und Nürnberg dadurch erklärbar?


    Zitat

    auch in stuttgart mitte stand noch einiges, aber selbst dieses wenige wurde oft noch abgetragen (z.b. kronprinzenpalais); regierende verstümmelten die stadt gegen den willen der bürger (z.b. neues rathaus) oder gaben nur noch allergrößtem protest nach (z.b. neues schloss), usw.

    Es ist nicht mein Interesse, die Politiker und Stadtplaner zu verteidigen, sondern eher auf die trotz allem vorhandenen schönen Seiten Stutgarts hinzuweisen. Insofern ist mir egal, WIE es zur Erhaltung des Neuen Schlosses kam, Hauptsache es ist heute erhalten. Auch das Alte Schloss wurde gerettet. Verglichen mit den politisch zerstörten historischen Gebäuden, sind immerhin die allergrößten Schätze erhalten bzw. aufgebaut worden: Die Schlösser, Parks und das Schillerplatzensemble mit unter anderem Stiftskirche (äußerlich) und Fruchtkasten.


    Zitat

    das ist aber nicht wirklich innnstadt und nicht da, wo der gemeine tourist sich aufhält.

    Genaugenommen ist es Innenstadt, ich weiß aber schon was Du meinst: Es ist nicht Zentrum/Mitte/City.


    Zitat

    ich finde den rundweg nicht sonderlich ansehlich. man muss sich die städtebaulichen rosinen mit allergrößter mühe herauspicken. das überzeugt mich nicht. andere städten bieten hier viel mehr.
    und auszublenden, dass es mal welten schöner war, ist für den wissenden schon schwer - darunter dürften aber die meisten touris zug. nicht fallen.

    Die Untere Königstraße war m.E. nie schöner (zumindest beurteile ich so Vorkriegsbilder vom Dach des Hbf-Turms aus), der Schloßplatz ist bis auf Kronprinzenpalais komplett. Es sollen noch vor der WM Wegweiser installiert werden, so dass Touri und unwissende Einheimische sogar die Kurve zum Schillerplatz kriegen dürften...

    Du hast schon recht, ohne Ortskenntnisse oder Stadtplan findet man den optimalen Weg zur Eberhardstraße nicht.

    Welche (vergleichbaren) anderen Städte bieten mehr?
    Wenn ich mich an Köln, Hannover, Saarbrücken, Bremen, Frankfurt, [lexicon='Leipzig'][/lexicon],... erinnere, dann ist es eher so, dass dort der Bürgerstolz (Rathaus) die fehlende Residenz (Schloß/Schlösser) nicht ausgleichen kann und man ebenso Rosinenpicken gehen muß.


    Zitat

    zufrieden bin ich erst, wenn das, was jetzt an einer stelle steht, gleich schön oder schöner ist als das, was vor dem krieg dort stand - und davon sind wir noch weit entfernt.

    Hast Du schon das Stadtmodell der Stuttgarter Altstadt, welches im Alten Schloss ausgestellt ist, gesehen?
    Das wäre natürlich traumhaft, wenn dies rekonstruierbar wäre. Der Marktplatz war ja nur ein kleiner Teil davon. Doch leider kommt man selbst hier nicht voran. Noch nicht einmal beim jüngst aufwendig renovierten Rathaus.

    Und wenn ich an die fast Jahrzehnte Schonzeit für die nun abgerissenen Gebäude an der Willy-Brandt-Straße denke, in der nichts passiert ist, dann verliert man die Hoffnung was Rekonstruktionen jenseits der Prestigebauklasse angeht. Erst als der Abriß konkret wurde und die Bagger quasi schon anrollten, wurde eiligst ein "Plan" aus der Tasche gezogen. Es zeigt, dass offenbar kein Investor und keine Interessengruppe ernsthaft bereit sind, dafür eigenes Geld in die Hand zu nehmen. Und die öffentliche Hand hat das Geld zu vollständigen Rekonstruktionen schlicht nicht.

    Kurzum: Lebenslange Unzufriedenheit oder kontinuierliche Verbesserung mit Denkmalerhaltung und neuen Qualitätsbauten scheint die Wahl.

    Max

  • Das Neue Schloß auf einer sehr frühen Fotografie um 1855(!).
    Interessant vor allem die unbebaute Hanglage im Hintergrund und die wenig herrschaftliche Hütte im Vordergrund. Ob sie im Zusammenhang mit der Jubiläumssäule (links im Bild) zu sehen ist, die 1841 nach J. M. Knapp errichtet wurde und mit einer Bronzeallegorie der Eintracht erst 1860 bekrönt wurde, läßt sich wohl nicht sagen.

    Stuttgart, Neues Schloß, um 1855


    heutige Ansicht mit bebauter Hanglage im Hintergrund

  • Danke, Stefan für diesen Vergleich ! Den Historismus-Landschaftsarchitekten
    haben wir schon einiges zu verdanken. Sie haben mit nur wenigen Mitteln
    wunderschöne Ensembles kreiert. :D

  • Danke für dieses uralte Foto. Unvorstellbar, die Hänge scheinen allesamt Weinberge zu sein.

    Im Mittelalter soll Stuttgart Deutschlands drittgrößte Weinbaugemeinde nach Wien und Würzburg gewesen sein, wenn ich recht erinnere.
    Wobei ich nicht sicher bin, ob das auf heutigem Stadtgebiet gemeint ist, denn die meisten rebenlastigen Neckarvororte dürften damals noch selbständig gewesen sein. Andrerseits gibt dieses Foto eine Erklärung, wie schon das damalige Stuttgart zu dieser Ehre kommen konnte.

    Liegen unter http://www.stuttgart.de">http://www.stuttgart.de noch mehr dieser Bilder bzw. wie findet man diese?

  • Zitat von "Max"


    Im Mittelalter soll Stuttgart Deutschlands drittgrößte Weinbaugemeinde nach Wien und Würzburg gewesen sein

    Lag Wien im Mittelalter in "Deutschland", also einem deutschen Gebiet? Wieso kam es dann zu Österreich und Deutschland anstatt einem gemeinsamen Staat?

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Wien war seit dem späten Mittelalter als Sitz des Kaisers des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation sogar fast 500 Jahre lang quasi die Hauptstadt Deutschlands. Wien war sozusagen das deutsche Paris und Österreich die politische und kulturelle Kernregion Deutschlands.

    Was die Geschichte anbetrifft, so sieht die sehr vereinfacht so aus: Nach dem Aufstieg Preußens als Großmacht im 18. Jahrhundert kam es zu einer mehr als hundertjährigen innerdeutschen Rivalität zwischen den deutschen Staaten Preußen und Österreich, die sich um die Jahrhundertmitte des 19. Jahrunderts zur Frage zuspitzte, unter wessen Herrschaft das zersplitterte Deutschland geeinigt werden sollte. Diese hat Preußen 1866 im "Deutschen Krieg" zu seinen Gunsten entschieden. Da Preußen ein Deutschland unter preußischer Hegemonie wollte, "warf" es nach diesem Sinn Österreich quasi aus Deutschland "hinaus".

    Das bot sich auch insofern an, als Österreich zu dieser Zeit noch Ungarn, Nordostitalien und den halben Balkan beherrschte. Damit hätte bei einer deutschen Einigung unclusive Österreich entweder Österreich aufgelöst werden müssen (was nicht machbar war, aber im Hinblick auf die spätere Entwicklung Richtung 1. Weltkrieg sicher das beste gewesen wäre) oder mit seinen ganzen nichtdeutschen Gebieten in einen deutschen Staat eingegliedert werden müssen (was nicht im Sinn der Begründung eines Nationalstaats war).

    Nach der Zerschlagung Österreich-Ungarns durch die Niederlage im 1. Weltkrieg gab es in allen verbliebenen österreichischen Regionen (= das heutige Österreich) Volksabstimmungen, in denen die Bevölkerung sich je zu über 97% für einen Anschluß an das Deutsche Reich aussprach. Diese Volksabstimmungen wurden aber nie umgesetzt, da die Siegermächte des 1. Weltkriegs den Anschluß an Deutschland verboten. nach dem 2. Weltkrieg wurde Österreich dann sogar von den Alliierten und der Sowjetuniongezwungen, ein Verbot der Vereinigung mit Deutschland in seine Verfassung zu schreiben, soweit ich weiß.
    In historischer Hinsicht ist die Rede von einer "österreichischen Nation" mithin eigentlich Unsinn. Die gibt es im Grunde sowenig wie es eine hessische oder eine sächsische Nation gibt. Österreich ist historisch betrachtet ein Staat deutscher Nationalität wie Hessen oder Sachsen, nur mit anderem völkerrechtlichem Status (Golo Mann redet z.B. in seiner "Deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts" immer von den "drei deutschen Staaten BRD, Österreich und DDR").

  • Max

    ich fand nur dieses eine relativ alte foto zum neuen schloss auf den seiten des stadtarchivs. bildmaterial gibt es vom alten stuttgart aber v.a. auch in zahlreichen veröffentlichungen. ich schreibe momentan an einer seminararbeit über die theodor-heuss-strasse in stuttgart und deren geschichtliche entwicklung. bei meiner recherche bin ich auf zahlreiche fotografien, pläne, zeichnungen etc. gestoßen. wenn man heute durch stuttgart läuft, kann man von dieser ursprünglichen urbanität der mittelalterlichen und gründerzeitlich geprägten stadt nur noch wenig bis gar nichts mehr spüren. zu sehr ist stuttgart von den vorstellungen der "aufgelockerten stadt" der nachkriegsjahre geprägt, wenn man von der dichte mancher gründerzeitviertel außerhalb des eigentlichen zentrums absieht.

  • Zum Thema Österreich -- wenn auch off-topic -- empfehle ich von Herzen die hervorragende "Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts" von Golo Mann. Dort schreibt er auch, Österreich heute sei eigentlich kein Österreich, denn das sei immer ein Staatenverbund gewesen. Das heutige Österreich ist nur der kleine Teil, den man früher (bis nach dem 1. Weltkrieg) "Deutschösterreich" nannte. Dass die Österreicher sich als solche betrachten und nicht als Deutsche, ist eine Entwicklung der letzten 60 Jahre.

    Im Grunde traurig, aber nunmal nicht mehr zu ändern. Wir haben es ja selbst verbockt.

    --
    Aenos

  • Auch off topic, aber die Tatsache, daß viele Österreicher sich heute als "Österreicher" statt als Deutsche betrachten bleibt dennoch historisch gesehen so absurd als wenn z.B. Sachsen oder Schwaben behaupten würde, sie seien nicht Deutsche, sondern Sachsen/ Schwaben.

    Und "wir" haben da eigentlich gar nichts verbockt. Sich als eigene Nationalität gegen Deutschland zu definieren ist den Österreichern nach dem Krieg von den Alliierten und den Sowjets "anerzogen" worden. Sie (ich meine damit immer nur die damals Lebenden) haben das auch dankend angenommen, weil sie sich so ganz bequem aus der Mitverantwortung für die NS-Verbrechen stehlen konnten.

  • Auch wenn's weh tut - der wohl schmerzlichste Vergleich:

    Rathaus & Marktplatz Stuttgart


    Heute:


    Quelle: flickr.com


    Quelle: flickr


    Quelle: flickr


    Quelle: flickr

    Richtig gemütlich, nicht?

    Quelle: flickr


    Augen zu und durch - Früher:


    Quelle: Wikipedia - habe ich für dort von ZENO.org hochgeladen


    Quelle: ZENO.org

    Von der malerischen Turmstraße aus

    Quelle: ZENO.org

    Vogelperspektive - Nachtaufnahme Neues Rathaus Stuttgart
    (anscheinend an Weihnachten 1936 entstanden)

    Quelle: flickr.com

    Kleine Ansichtskarte vom Marktplatz

    Quelle: deutsche-schutzgebiete.de

    Marktplatz: Ansicht um 1910

    Quelle: chroniknet.de

    Und noch eine ähnliche Marktplatzimpression vom deutschen Bildindex

    Früher oder später als das Foto zuvor aufgenommen?


    ----------
    Das soll für's erste reichen. Was meint ihr: Braucht Stuggi sein Rathaus wieder? 8)

  • Eigentlich wollte ich den Schock ja nicht noch intensivieren,
    aber diese Aufnahmen möchte ich euch nicht vorenthalten...

    Das Rathaus nach den schweren alliierten Bombardements im 2. Weltkrieg -
    es war nahezu unbeschädigt!


    Quelle: stuttgart-blog.net

    So sah der Rathausturm noch anno 1955 aus:

    Quelle: Bildindex.de

    Das ach so 'moderne' Rathaus wurde bis zum Jahre 1956 einfach um Teile der stehengebliebenen Gemäuer herumgebaut.
    Unter der unansehnlichen Nachkriegs-Betonfassade befindet sich tatsächlich noch gründerzeitliche Bausubstanz!


    Der Rest des Marktplatzes kam weniger glimpflich davon - aber das hat ja qualitätsmäßig letztlich keinen Unterschied gemacht.. Marktplatz 1945 in Schutt und Asche:

    Quelle: Universität Stuttgart

  • Diese Bilder sind wirklich entsetzlich. Ich wusste gar nicht, dass am Stuttgarter Markt soviele mittelalterliche bzw. frühneuzeitliche Bauten standen. Den hohen Anteil der Fachwerkbauten kann man schon am Zerstörungsgrad sehen. Am Übelsten ist das Weihnachtsmarktbild von 1936, es wirkt so real und modern, als wäre all das erst gestern gewesen - ein schöner Traum.

    Der Jetzt-Zustand ist so unfassbar erbärmlich, dass man keine Worte dafür findet.

  • Nun, es soll nicht darüber hinweg trösten; aber es hätte auch schlimmer sein können. Den Fotos nach handelt es sich um eine geschlossene 50er Jahre Bebauung höherer Qualität. Zwar wären an so einer markanten Stelle natürlich Fachwerkhäuser schöner - jedoch: was ständen hier für Bauten, wenn sie aus den 70ern gewesen wären?

    Dem historischen Foto nach sieht der Zerstörungsgrad in Stuttgart nach dem Krieg eher kleiner aus als gedacht. Gab es auch hier die sogenannte zweite Zerstörung?

  • Versuch eines direkten Vergleichs:

    Irgendwie erinnert mich die 50er Jahre Fassade des Rathauses in Stuttgart an die innovative, moderne Umsetzung der Lochfassade des Hotelneubaus an der Rampischen Straße in Dresden...^^

    Leine1977

    Begriffe wie "autogerechte Stadt" sind in der Stadt des Automobils auf fruchtbaren Boden gefallen - Stichwort "City-Ring"(geplant bereits unter den Nationalsozialisten wurde diese Idee nach dem 2.Weltkrieg bei der Neuplanung aufgegriffen) - infolge und unter Regie von Arnulf Klett mitsamt Konsorten wurde danach alles weggeräumt, was den Planer so im Wege stand...gängige Praxis in Stuttgart bis heute... :augenrollen:

  • Zitat von "Leine1977"

    was ständen hier für Bauten, wenn sie aus den 70ern gewesen wären?

    Das wäre wesentlich besser!!! Die würden nämlich heute genau wie das Kröpcke-Center in Deiner Heimatstadt viel eher abgerissen werden. Diese "annehmbare" Nachkriegsbebauung ist eigentlich der schlimmste anzunehmende Fall, weil sie uns wohl noch ewig erhalten bleibt. Sie verhindert eine Annhäherung ans alte Stadtbild im Grunde völlig.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Zitat von "youngwoerth"

    Das wäre wesentlich besser!!! Die würden nämlich heute genau wie das Kröpcke-Center in Deiner Heimatstadt viel eher abgerissen werden. Diese "annehmbare" Nachkriegsbebauung ist eigentlich der schlimmste anzunehmende Fall, weil sie uns wohl noch ewig erhalten bleibt. Sie verhindert eine Annhäherung ans alte Stadtbild im Grunde völlig.

    youngwoerth: Irrtum. Das Kröpcke-Center wird nicht abgerissen (hat statische Gründe), sondern noch vergrößert. Weitere 70er Sünden bei uns können gar nicht abgerissen werden, da sie einfach zu groß sind.


    Interessant: in Stuttgart heißt es auch City-Ring, wurde von den Nationalsoz. geplant und danach konsequent ausgeführt. Verblüffend diese Parallelen.

  • Zitat von "Leine1977"

    Irrtum.

    Ja, ich weiß. Verfolge die Umbauplanungen schon lange. Sorry für die falschen Worte. Aber ändert das etwas an meiner Kernaussage?

    Zitat

    Weitere 70er Sünden bei uns können gar nicht abgerissen werden, da sie einfach zu groß sind.

    Naja, am Raschplatz und beim Ihme-Zentrum sind die 70er momentan ja auch nicht so von Bestand. ;) Und ansonsten bitte nicht alles so engstirnig sehen. Jedenfalls werden sie eher abgerissen als die annehmbaren 50er. Am Kröpcke wird ja schließlich auch der Waschbeton-70er umgebaut, und nicht die weniger störenden (aber trotzdem hässlichen) 50er gegenüber. Die wirst Du in Hannover noch lange sehen. Und nicht mehr wollte ich sagen.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!