Neubau des Hauptgebäudes der Uni Leipzig

  • Und das ist ausgerechnet bei der historistischen Architektur der Augustusplatz-Front der Universität der Fall gewesen, einer Architektur, wie sie zwischen Tokyo und New York sowie zwischen London und Kapstadt en masse existiert?


    Das kann ja jetzt wohl kaum ernst gemeint sein. Ausgerechnet die Paulinerkirche sollte also nicht zu dem gehört haben sollte, was Wesen, Bild und Seele Leipzigs ausmachte?! Dann gehört St. Sebald wahrscheinlich auch nicht zu dem, was Wesen und Seele Nürnbergs und die Frauenkirche nicht zu dem, was Wesen und Seele Münchens ausmacht.



    Das, mit Verlaub, ist lediglich die verbohrte Ansicht einer kleinen Minderheit aus Kreisen der Traditionalisten und Modernisten. Ja, ja, die in diesem Forum so geschätzten Ultra-Modernisten lehnen den Neubau mit den gleichen (Schein-)Argumenten ab. Irgendetwas muss der Neubau also genau richtig gemacht haben. Ist der Neubau nun eigentlich eine "postmoderne Albernheit" oder ein "albernes Ungetüm"?


    Ja und, dann gehöre ich halt zu einer Minderheit. Mit dem Strom schwimmen in diesem Land eh schon seit jeher genug. "Verbohrt" sind allerdings eher die dogmatischen, philosophisch nicht aufrecht zu erhaltenden Ansichten der Rekonstruktionsgegner.
    Ich habe übrigens überhaupt nichts gegen qualitätvolles modernes Bauen (wozu ich die "neue Paulinerkirche" aus den von Kapitell detailliert angeführten Gründen freilich nicht halte). Allerdings ist die Bau-Aufgabe in den kriegs- und nachkriegsversehrten deutschen Innenstädten einfach eine andere.
    Ich kann weder verstehen, noch akzeptieren, dass angesichts des unfassbaren Ausmaßes der Vernichtung der steingewordenen Geschichte eines ganzen Landes, angesichts der größten Kulturzerstörung, die die Menschheit je gesehen hat, immer noch um jede einzelne Rekonstruktion in einer deutschen Stadt jahrelang mit größtem Einsatz gerungen werden muss. Gerungen gegen bornierte und verdummte Architekten und banausische Lokalpolitiker.
    Mit "Traditionalismus" hat das übrigens nicht das mindeste zu tun. Es geht schlicht um die Wiedergewinnung unserer verlorenen kulturellen Identität. Wo es darum nicht geht, also außerhalb der ehemaligen Altstädte, soll gerne so modern wie möglich gebaut werden. Warum sehen das aber die Architekten nicht ein und warum die Lokalpolitiker? Warum müssen sie sich immer einmischen und jedes Rekonstruktionsprojekt verwässern oder gleich ganz zu Fall bringen?! Warum?

  • Antithesen zu Philon.
    ausgehend von dieser Stellungnahme:


    Zitat

    Allerdings ist die Bau-Aufgabe in den kriegs- und nachkriegsversehrten deutschen Innenstädten einfach eine andere.
    Ich kann weder verstehen, noch akzeptieren, dass angesichts des unfassbaren Ausmaßes der Vernichtung der steingewordenen Geschichte eines ganzen Landes, angesichts der größten Kulturzerstörung, die die Menschheit je gesehen hat, immer noch um jede einzelne Rekonstruktion in einer deutschen Stadt jahrelang mit größtem Einsatz gerungen werden muss. Gerungen gegen bornierte und verdummte Architekten und banausische Lokalpolitiker.
    Mit "Traditionalismus" hat das übrigens nicht das mindeste zu tun. Es geht schlicht um die Wiedergewinnung unserer verlorenen kulturellen Identität. Wo es darum nicht geht, also außerhalb der ehemaligen Altstädte, soll gerne so modern wie möglich gebaut werden.

    mit der ich völlig übereinstimme, und von diesem Satz:

    Zitat

    Ausgerechnet die Paulinerkirche sollte also nicht zu dem gehört haben sollte, was Wesen, Bild und Seele Leipzigs ausmachte?!


    mit dem ich nicht ganz übereinstimme.
    Beginnen wir mit Letzterem:
    Natürlich hat ein Bau wie die Paulinerkirche das Gesamtbild von L bis zu einem gewissen Grad mitgeprägt. Aber doch nicht so wie die drei Hauptkirchen Nürnberg, wie die FK DD, wie ein Dom eine Stadt. Ich behaupte sogar, dass der Verlust dieses Baus verschmerzbar war, dass das, was die Seelen der Menschen wirklich aufregte, die skandalöse Art und Weise des Verlustes war, die völlige Sinnlosigkeit. Natürlich hätte man diese Kirche nie und nimmer beseitigen dürfen, darüber sind wir uns alle einig.
    Aber was nun "Wesen, Bild und Seele Leipzigs" heute ausmacht, und zwar nicht bei wertfreier Betrachtung, sondern unter Postulierung eines gewissen Maßes an Qualität, so wird all dies in hohem Maße von der überkommenen Bebauung des Augustusplatzes mitbestimmt. Uni-Riese, Gewandhaus, Oper, Krochhochhaus, all dies steht heute da, bildet ein gewisses kraftvolles Ensemble, das zudem bereits eine gewisse Historizität aufweist (und eigentlich immer schon aufgewiesen hat). Denken wir uns jetzt das alte Paulinum und die Paulinerkirche dazu, bin ich mir nicht sicher, ob dies eine sehr überzeugende Mischung ergäbe. ich halte ernstlich für möglich, dass das heutige Ensemble kraftvoller und stimmiger wirkt. Man muss hiebei berücksichtigen, dass der Kichenfassade wahrlich keine überragende Qualität zuzusprechen war. Was für sowohl architektonisch als auch erinnerungsgeschichtlich von größerer Bedeutung war, ist das Innere, das ja wiederkommt.

    Aus diesem Grunde würde ich diesen Fall nicht unter die im ersten Zitat zurecht konstatierte bornierte Rekoverhinderung um jeden Preis subsumieren. Es gab Gründe, die für diese Lösung gesprochen haben, und sie waren gewichtig, wie es natürlich auch Gegengründe gibt. Wer jetzt recht hat oder nicht, braucht von uns nicht gelöst zu werden. Masn kann pro oder contra sein, beides mit guten Gründen, aber für die üblichen und üblicherweise auch berechtigten Vorwürfe der Rekofeindlichkeit, des Geschichtshasses, der stumpfsinnigen Reflexionslosigkeit besteht hier mE kein Raum. Durchaus möglich, dass die Entscheidung letztlich falsch war. Aber sie war es auf hohem Niveau, was man respektieren sollte.

    Die ästhetische Würdigung des Neubaus ist eine eigene SAche. Wenn ich sage, mir gefällt s halt, wirft man mir primitive Argumentation vor. ABer letztlich laufen alle ästhetischen Wertungen darauf hinaus. mE hat der Bau eine gewisse Originalität, Komplexität, gute Standort- und auch Geschichtsbezogenheit. Ich freue mich darauf, in mir in Natura anzuschauen.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

    Einmal editiert, zuletzt von ursus carpaticus (21. Juli 2012 um 12:21)


  • Ich habe übrigens überhaupt nichts gegen qualitätvolles modernes Bauen (wozu ich die "neue Paulinerkirche" aus den von Kapitell detailliert angeführten Gründen freilich nicht halte).

    Ja, nur dann soll man es da tun wo es ned stört, bzw. eh die Gegend verschandelt ist. In München, Messestadt Riem, wo sich jegliche Architekten ihrer modernistischen Kreativität entfalten, hätte diese Art von sakral angedeuteten Technotempel sicherlich ned so sonderlich gestört. Hier aber in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] wurden die Fehler der DDR nicht revidiert, sondern schlichtweg nur geändert!

    Viele Grüße

    Styx

  • Zitat

    Strandfliese

    Nee, aber moderne Sakralbauten braucht sicherlich kein Mensch, für mich persönlich geht es hier aber in erster Linie um ein Kulturdenkmal - eine vertane Chance eine inzwischen fast 800 Jahre alte Kirche wieder originalgetreu zu rekonstruieren. Abgesehen da von daß ich davon überzeugt bin daß auch genug gläubige Christen das Gebäude wieder genutzt hätten, wäre es für [lexicon='Leipzig'][/lexicon] ein absoluter touristischer Anziehungspunkt geworden, wenn nicht sogar ein Wahrzeichen.


    Die Zahlen sprechen da leider eine andere Sprache.


    Ein Vergleich der Leipziger Paulinerkiche mit der Dresdner Frauenkirche ist mehr als problematisch, wenn nicht gar vermessen. Während die Frauenkirche noch überwiegend so belassen war, wie sie George Bähr errichtet hat, war man mit der Erscheinung der Paulinerkirche irgendwie immer unzufrieden. Oder wie sind sonst die wiederholten Umbauten erklärbar? An der Ostseite wurden gar Fassaden angebracht, die mit der Nutzung im Inneren nicht verbunden waren.


    Die Frauenkirche in Dresden hat bis heute keine eigene Gemeinde. WIKIPEDIA beschreibt sie als „City-Kirche“ für die Touristen und die Dresdner, betreut von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens.


    Dagegen hat das Paulinum in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] als Nachfolgerbau der Universitätskirche St.Pauli sehr wohl einen richtigen Eigentümer und Nutzer: die Universität [lexicon='Leipzig'][/lexicon]. Die Universität [lexicon='Leipzig'][/lexicon] benötigte ein Gebäude für die Lehre; mit einer Aula, in der Veranstaltungen stattfinden können. Eine touristische Nutzung war und ist zwar nicht ausgeschlossen aber doch nicht Sinn eines Universitätsgebäudes.


    Dies hätte -aus meiner Sicht- auch bei einer Rekonstruktion gegolten.

    Ob allerdings eine – wie auch immer geartete- Rekonstruktion der Paulinerkirche auf Dauer Touristenscharen angelockt hätte, kann bezweifelt werden. Einen Automatismus: rekonstruiertes Gebäude = viele Touristen gibt es nicht. Dresden ist da eher die Ausnahme denn die Regel. Welche –neuere- Rekonstruktion in Deutschland hat zur Zunahme der Touristenzahlen geführt?


    .

  • Ob allerdings eine – wie auch immer geartete- Rekonstruktion der Paulinerkirche auf Dauer Touristenscharen angelockt hätte, kann bezweifelt werden. Einen Automatismus: rekonstruiertes Gebäude = viele Touristen gibt es nicht. Dresden ist da eher die Ausnahme denn die Regel. Welche –neuere- Rekonstruktion in Deutschland hat zur Zunahme der Touristenzahlen geführt?

    Das Problem ist doch, es gibt in Deutschland viel zu wenig rekonstruierte Ensembles als das Zahlen hier für sich sprechen könnten. Der Neumarkt und die Frauenkirche in Dresden sind hier eine beispielhafte Ausnahme und diese zeigt zumindest wie die Touristen pilgern...

  • Das Problem ist doch, es gibt in Deutschland viel zu wenig rekonstruierte Ensembles als das Zahlen hier für sich sprechen könnten. Der Neumarkt und die Frauenkirche in Dresden sind hier eine beispielhafte Ausnahme und diese zeigt zumindest wie die Touristen pilgern...

    Die Anzahl der Touristen ist also das Kriterium zu entscheiden ob ein Gebäude schön, nutzbar oder interessant ist? Die Anforderungen der Nutzer sind untergeordnet?

    Im (West-) Harz soll es schon Gemeinden geben, die alles dafür tun, dass der Touristenstrom abebbt.


    Zitat

    Strandfliese


    Ich sehe es ja am Beispiel von Dresden, diese Stadt ist seit dem Wiederaufbau der Frauenkirche und dem historisch angelehnten Stadtkern wieder zu einem großen Besuchermagnet geworden, Dresden hat sich inzwischen (wieder) zur Weltkulturstadt gemausert

    - [lexicon='Leipzig'][/lexicon] hingegen scheint sich trotz sehr lobenswerter Rekonstruktionen … immer noch als touristisch unattraktive Industriestadt zu sehen


    Bleibt die Frage, wie das mit der Weltkulturstadt in Paris, Rom, New York, Florenz, Wien oder Prag gesehen wird.


    Aktuelle Zahlen können sicher Statistikfans aus Sachsen liefern.
    Laut diesem BLOGGER hatte Dresden 2011 1,8 Millionen Besucher. [lexicon='Leipzig'][/lexicon] soll 1,2 Millionen Besucher gehabt haben.

    Im Statischen Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik von 1984 werden die Tourismuszahlen leider nur bezirksweise ausgewiesen. Für den Bezirk [lexicon='Leipzig'][/lexicon] gibt in der Rubrik „Ferienheime,… Erholungsaufenthalte des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes“ für [lexicon='Leipzig'][/lexicon] gar keine Zahlen. Laut Erläuterung sind die –offensichtlich vernachlässigbaren Zahlen- Leipzigs Karl-Marx-Stadt und Dresden zugeordnet worden. Gab es im Osten überhaupt Städtetourismus?


    Für eine Stadt, die noch vor zwanzig Jahren touristisch uninteressant war, hat [lexicon='Leipzig'][/lexicon] erstaunlich ZUGELEGT.


    .

  • Also Stahlbauer...erst mal - glaub keiner Statistik die Du nicht selbst gefälscht hast :biggrin:
    Und ja, es gab Städtetourismus in der DDR - der Dresdner Zwinger beispielsweise wurde recht häufig von Bürgern des NSW (nicht sozialistisches Währungsytem) heimgesucht, ebenso wie die Berliner Museumsinsel. [lexicon='Leipzig'][/lexicon] blieb in der Tat in der DDR vom Tourismus weitesgehends verschont...warum auch - das Gewandhaus war so noch das einzige was Touristen in diese Stadt locken konnte.

    Ich bin nach wie vor der Ansicht, mit dem Erhalt von Kulturdenkmälern, wäre auch [lexicon='Leipzig'][/lexicon] für Touristen interessant gewesen.

    Das sich Städte dem Tourismus zu entledigen versuchen, ist mir unverständlich, da dies doch recht beträchtlich das Stadtsäckerl auffüllt.


    Viele Grüße

    Strandfliese

  • Das sich Städte dem Tourismus zu entledigen versuchen, ist mir unverständlich, da dies doch recht beträchtlich das Stadtsäckerl auffüllt.


    Grundsätzlich ja. Wenn aber ein Ort übermäßig von Touristen "heimgesucht" wird, will man als Einheimischer auch mal wieder unter sich sein.

  • Ich glaube diesbezüglich sind Touristen das geringere Problem.... abgesehen da von werden sich gewisse "Touristenstämme", welche sich so beispielsweise mit etlich verhüllten Damen umgeben, wohl schwerlich für eine christliche Kirche interessieren, da sind dann schon Konsumtempel interessanter.

    Gut, es gibt ja verschiedene Art von Touristen, so zum Beispiel Deutsche welche aus einen mir nicht so ganz ersichtlichen Grund nach Holland fahren, obwohl sie die dortige kulturelle Landschaft herzlich wenig interessiert.

    Ich muß da vielleicht etwas eingrenzen - was ich speziell meinte, ist der kulturell interessierte Tourismus.

    Wäre dieser Pseudoersatzbau der Paulinerkirche zum Beispiel ein Haschischgroßhandel, würde man damit wohl einen gewissen Handelstourismus heranziehen :biggrin::biggrin:

    Viele Grüße

    Strandfliese

    2 Mal editiert, zuletzt von Strandfliese (21. Juli 2012 um 17:48)

  • Ich kann mir in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten kaum vorstellen, dass Städte und Regionen in Deutschland ein generelles Problem damit haben, dass zu viele Touristen zu ihnen kommen. Allenfalls ein bestimmtes Gebahren oder bestimmte Hinterlassenschaften einiger Touristengruppen dürften zu notwendigen Gegenmaßnahmen führen. Aber derartigen Partytourismus, unter dem z.B. manche Mittelmeerinseln zu leiden haben, gibt es doch in Deutschland kaum.

    Etwas anderes, hier einmal an "Strandfliese" gerichtet (es richtet sich aber auch allgemein an einige andere Schreiber). Ich nehme mal an, dass Du Deutscher bzw. der deutschen Sprache mächtig bist. (Wenn Du Ausländer sein solltest, wie z.B. "Klassiker", wäre das eine andere Sache. Dann nehme ich diese konkrete Kritik zurück.) Könntest Du dann bitte etwas mehr auf Kommasetzung oder die Konstruktion sinnhafter Sätze achten? Also das Geschriebene zum Beispiel nach dem Posten noch einmal durchlesen? Das ist nicht böse gemeint, zumal auch ich oft in der Eile Rechtschreibfehler fabriziere. Ich verstehe nur bestimmte Sätze/Aussagen schlicht nicht. Hier konkret:

    Zitat

    abgesehen da von werden sich gewisse "Touristenstämme" welche so beispielsweise mit um die etlich verhüllten Damen umgeben, wohl schwerlich für eine christliche Kirche interessieren, da sind dann schon Konsumtempel interessanter.

    Tut mir leid, ich verstehe nur Bahnhof... huh:)

  • Könntest Du dann bitte etwas mehr auf Kommasetzung oder die Konstruktion sinnhafter Sätze achten? Also das Geschriebene zum Beispiel nach dem Posten noch einmal durchlesen?


    :michanschließ: (Das war jetzt freilich kein ganzer, sinnhafter Satz, sondern nur ein Erikativ.)

    In der Tat macht die Kommasetzung sehr viel aus, wenn es darum geht, das Geschriebene leicht zu verstehen, scheint aber kaum mehr beherrscht zu werden. Offenbar, weil die deutschen Kommaregeln durch das später gelernte Englisch zugunsten der englischen Kommaregeln aufgegeben werden. Aber englische Zeichensetzung in deutschen Sätzen wirkt unseriös und erschwert das Verstehen, weil man vieles zweimal lesen muss.

    Kommaregeln – Wikipedia (insbes. das Thema Relativsätze)

  • Mir ging es bei meinen Einlassungen darum anzumerken, dass man Gebäude nicht in der Hoffnung auf die Gunst potentieller Touristen errichten kann. Zumindest sollte man die Interessen der Nutzer nicht geringschätzen.

    Im Harz waren es nach meiner Erinnerung auch nur kleinere Orte, allerdings typische Erholungsorte, die genug von den Touristen haben. Erwähnt wurde das im Zusammenhang mit diesem BEITRAG von DRadio. Das Problem wird in der Anmoderation als "touristische Verwahrlosung" bezeichnet.

  • Aber was nun "Wesen, Bild und Seele Leipzigs" heute ausmacht, und zwar nicht bei wertfreier Betrachtung, sondern unter Postulierung eines gewissen Maßes an Qualität, so wird all dies in hohem Maße von der überkommenen Bebauung des Augustusplatzes mitbestimmt. Uni-Riese, Gewandhaus, Oper, Krochhochhaus, all dies steht heute da, bildet ein gewisses kraftvolles Ensemble, das zudem bereits eine gewisse Historizität aufweist (und eigentlich immer schon aufgewiesen hat). Denken wir uns jetzt das alte Paulinum und die Paulinerkirche dazu, bin ich mir nicht sicher, ob dies eine sehr überzeugende Mischung ergäbe. ich halte ernstlich für möglich, dass das heutige Ensemble kraftvoller und stimmiger wirkt. Man muss hiebei berücksichtigen, dass der Kichenfassade wahrlich keine überragende Qualität zuzusprechen war. Was für sowohl architektonisch als auch erinnerungsgeschichtlich von größerer Bedeutung war, ist das Innere, das ja wiederkommt.

    Natürlich sind wir uns alle einig, dass die Vernichtung von Paulinerkirche und Universitätsgebäude eine frevelhafte Verstümmelung des Leipziger Stadtbilds bedeutete und wir alle für eine konsequente Rekonstruktion des Ensembles votiert hätten. Dennoch halte ich die Überlegungen von Ursus für nachvollziehbar. Und noch etwas gebe ich zu bedenken: Wir sollten Van Egeraats Architektur nicht zusammen mit dem deutschen Alltags-Architekturmüll in einen Geringschätzungstopf werfen. Wer die Entstehungsgeschichte der neuen Universitätsbauten mitbekommen hat, weiß, warum dem Van-Egeraat-Bau rückwärtig Bauteile eines Münsteraner Architekturbüros angefügt wurden, die durch und durch dem Standard neudeutscher Kisten-"Architektur" entsprechen. Welches Neubauensemble in Deutschland könnte uns so drastisch den Kontrast zwischen Architektur, die diese Bezeichnung verdient, und dem, was der Berliner Architekt Jan Kleihues kürzlich als "Hochbau" klassifiziert hat, vor Augen führen! Ich rate Euch allen, bei einem [lexicon='Leipzig'][/lexicon]-Besuch diesen Kontrast auf Euch wirken zu lassen und die außerordentliche Gestaltungsbemühung Van Egeraats mit positiv gestimmter Empfänglichkeit auf Euch wirken zu lassen.

  • Rekonstruktion aus touristischen Motiven ist auch so ein schwaches Argument, am Beispiel der Paulinerkirche zudem reichlich unpassend. Wo wir wieder beim Thema wären:

    In meiner Kritik ging es nicht darum, das Uni-Gebäude in den 7. Himmel zu loben. Der Neubau mag seine Schwächen haben, für manche gar zu futuristisch oder kitschig wirken. Aber die Begründung, eine Rekonstruktion sei angebracht, weil die Paulinerkirche architektonisch das Wesen der Stadt ausmachte, einzigartig, die gute Seele etc. oder gar als Wiedergutmachung für die Sprengung '68, finde ich reichlich vermessen und - letzteres betreffend - verbohrt und rachsüchtig. Der kulturhistorische Wert ist unbestritten (was ist dagegen schon die Dresdner Frauenkirche?), aber dieser wird nicht äußerlich mit der bloßen Rekonstruktion der historistischen Augustusplatz-Front wiederhergestellt. Wer die bauliche Geschichte der Universität kennt, der weiß, dass die Paulinerkirche sich im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte ständig veränderte und sich dem aktuellen Zeitgeschmack anpasste. So auch dieser Neubau, der sich darüberhinaus qualitativ und in seiner Höhe, Material- und Farbwahl hervorragend am Augustusplatz einfügt, ihn bereichert und würdig ergänzt. Das kann sich m.E. van Egeraat wirklich als Verdienst auf die Fahne schreiben.

  • Rekonstruktion aus touristischen Motiven ist auch so ein schwaches Argument, am Beispiel der Paulinerkirche zudem reichlich unpassend.

    Mag sein daß es ein schwaches Argument ist, jedoch auf alle Fälle ein Argument welches wirtschaftlich interessant scheinen könnte. Wenn wir uns für Rekonstruktionen einsetzen wollen, ist es auch wichtig wirtschaftliche Vorzüge auf zu zeigen, denn nur daran ist ein Großteil der "Bauherren" interessiert. Ästhetische und geschichtliche Gründe interessiert keine "gewinnorientierten Unternehmer. Und Du glaubst doch nicht im ernst, daß dieses Ding an Neubau aus purer Nächstenliebe gebaut wurde?

    Viele Grüße

    Strandfliese

  • Aber die Begründung, eine Rekonstruktion sei angebracht, weil die Paulinerkirche architektonisch das Wesen der Stadt ausmachte, einzigartig, die gute Seele etc. oder gar als Wiedergutmachung für die Sprengung '68, finde ich reichlich vermessen und - letzteres betreffend - verbohrt und rachsüchtig. Der kulturhistorische Wert ist unbestritten (was ist dagegen schon die Dresdner Frauenkirche?), aber dieser wird nicht äußerlich mit der bloßen Rekonstruktion der historistischen Augustusplatz-Front wiederhergestellt.

    Also zunächst einmal widersprechen sich die Aussagen "Aber die Begründung, eine Rekonstruktion sei angebracht, weil die Paulinerkirche das Wesen der Stadt ausmachte, einzigartig, die gute Seele etc. [...] finde ich reichlich vermessen [...]" und die direkt folgende Aussage "Der kulturhistorische Wert [der Paulinerkirche] ist unbestritten" ja offenkundig. Um was geht es denn bei der Aussage, dass ein Gebäude zu dem gehöre, was Wesen und Seele einer Stadt ausmacht, anderes als um dasjenige, was du etwas prosaischer den "kulturhistorischen Wert" nennst? Und der ist im Fall des ältesten sakralen Universitätsbaus Deutschlands ja wohl kaum bestreitbar.

    Ich habe zudem nicht gesagt, dass die Paulinerkirche das Wesen der Stadt [lexicon='Leipzig'][/lexicon] ausmacht, sondern dass sie zu dem gehört, was das Wesen und die Seele der Stadt ausmacht: so wie die Thomaskirche, die Nikolaikirche, das Alte Rathaus, die Handelshöfe der Renaissance, die Bürgerhäuser des Barock etc.
    Wenn man mich etwa fragen würde, was zu Wesen, Bild und Seele Nürnbergs gehört, so würde ich antworten: jedes einzelne Haus des 13.-17. Jahrhunderts, welche Häuser bis zum 2. Januar 1945 die Altstadt Nürnbergs als einzigartiges spätmittelalterlich-frühneuzeitliches Ganzes bildeten - und nicht eines weniger.

    Und was die Aussage angeht, es sei "verbohrt und rachsüchtig", die Wiedergutmachung eines Verbrechens zu fordern: dazu fällt mir wirklich nichts mehr ein. Deiner Auffassung nach soll also das Verbrechen das letzte Wort haben. Also dann, mögen das Verbrechen und die Verbrecher dieser Welt das letzte Wort haben und mögen diejenigen als "rachsüchtig" abgestempelt werden, die das anders sehen! Hitler, Stalin, Mao und wie sie alle heißen, würden dieser Forderung sicher mit Freuden zustimmen.

  • Eine Reko ausschließlich zur Befriedigung der Bedürfnisse der Tagestouristen hat in allen bisherigen Fällen niemals zur Debatte gestanden - dies gilt für [lexicon='Leipzig'][/lexicon], Dresden, und alle Städte, bei denen ebenso der Anlaß bestünde. Es geht vielmehr um die Wiedergewinnung einer Facette einer Identität, die in den zwei Zeitströmen der Ideologien des letzten Jahrhunderts verlorengegangen ist; und wir werden bei der Beschäftigung mit den Verlusten sehr vieles finden, was sich als Bild eines Bauwerks oder Ensembles in Erinnerung ruft. Denn gerade das ist es, was eine Stadt ausmacht: die geschichtliche Tiefe, die durch Personen, Ereignisse, besondere gesellschaftliche oder geschichtliche Bedeutung und vieles mehr an einen speziellen Ort gebunden wird. Eine Äußerung in der Hinsicht zu treffen, die Paulinerkirche lediglich den Bedürfnissen der Touris darzubieten, sollte die Frage erlauben, ob es gerechtfertigt ist, daß jemand, der sich nicht einer bestimmten Stadt zugehörig fühlt, für sich selbst den Anspruch erheben will, besser zu wissen als die Leipziger selbst (oder die Dresdner, oder Potsdamer, oder Magdeburger), was für die entsprechende Stadt gut oder schlecht ist. Es geht auch um den Aspekt, sich der Menschen zu erinnern, die oftmals alles verloren haben und auch ohne die Vernichtung der Ankerpunkte ihres Lebens schon vor dem garnichts gestanden haben - ich kann die Zahl der Leipziger nicht benennen, für die die Paulinerkirche eine auf immer bestehende Wunde sein wird, aber sie sind da. Überdies sollte uns bewußt sein, daß es leider eine ganze Reihe von Bauwerken (und auch Raumbildern) gibt, die aus ideologischen Gründen regelrecht abgeschlachtet wurden, um an eben diese Stelle das Zeugnis der Ideologie der Täter zu setzten. Mord bleibt Mord - das gilt für die Paulinerkirche, die Ulrichskirche, die Sophienkirche, die Wismarer Marienkirche, das Berliner Stadtschloß, das Potsdamer Stadtschloß, Jakobi bzw. Katharinen zu Magdeburg, Dresdens Neustädter Rathaus und leider viel zu vieles mehr. Für diese Morde ein Stück Wiedergutmachung zu fordern, hat seine Richtigkeit. In jedem andern Land würde man weniger diskutieren und mehr handeln und die Kirche würde ohne Diskussionen schon längst wieder stehen.

  • @ Philon,

    bitte richtig lesen und vor allem richtig zitieren. Ich habe klar und unmissverständlich zwischen dem architektonischen Wert und dem kulturhistorischen Wert der Paulinerkirche unterschieden. Ersteres ist nicht gegeben, weshalb eine Rekonstruktion des historistischen Umbaus von Arwed Rossbach viel zu kurz greift. Die kulturhistorische Bedeutung wird mit dem Neubau hingegen - so weit und gut es eben geht - zurückerlangt.

    Deinen letzten Absatz verstehe ich nicht. Vor allem verstehe ich nicht, was dieser mit meiner Aussage zu tun haben soll. Eine gebührende Wiedergutmachung findet doch inhaltlich statt. Aber hier geht es um rein architektonische Prämissen, wenn ich das richtig verstehe. Und da verweise ich gern auf den oberen Absatz. Der Neubau am Augustusplatz steht zudem völlig losgelöst von seiner sozialistischen Vorgängerbebauung, nichts erinnert mehr an ihn, und knüpft mit seiner Dreiteilung an die ursprüngliche Bebauung von Augusteum, Paulinerkirche und Café Fälsche an. Wenn man so will, ist das Gesamtwerk eine einzige Wiedergutmachung.

  • Ich glaube wir gelangen hier langsam an den Punkt einer gewissen Verklärung. Es ist völlig absurd einfach in den Raum zu werfen, "in jedem anderen Land" würde die Kirche schon wieder stehen. Schaut man sich Städte mit ähnlichen Zerstörungsgrad im Ausland an sieht man, dass das keineswegs so pauschal gesagt werden kann.
    Die Paulinerkirche war vorallem bauhistorisch für [lexicon='Leipzig'][/lexicon] sehr wertvoll. Stilistisch betrachtet war sie kein Husarenstück, keinesfalls schlecht aber auch nicht ungewöhnlich. Will damit sagen, aus städtebaulicher Sicht halte ich es für absolut vermessen die Paulinerkirche mit der Frauenkirche zu vergleichen. Ein Problem der bauhistorischen Komplexität ist auch, dass es enorm kompliziert bis gar nicht möglich ist, diese angemessen zu rekonstruieren. Denn man übergeht hier Jahrhunderte von Veränderungen an der Bausubstanz, selbst wenn man das Gebäude mit klassischen Materialien erbaut. Nichtsdestotrotz hätte ich mich auch über eine Reko gefreut, aber der Neubau ist für mich ein Adäquater, der die alte Kirche nicht völlig negiert, wie es das alte Uni Gebäude getan hat. Das ist am wichtigsten.

    Ich persönlich halte sogar die ehemalige Johanniskirche vor dem Grassimuseum für rekonstruktionswürdiger. Eine wichtige Landmarke die dort fehlt.

  • Ein Problem der bauhistorischen Komplexität ist auch, dass es enorm kompliziert bis gar nicht möglich ist, diese angemessen zu rekonstruieren.

    Doch, es wäre durchaus möglich gewesen - mittels entsprechender Programme kann der Aufbau der Kirche innerhalb weniger Minuten erstellt werden. Ebenso ließe sich die Statik nicht nur berechnen sondern optimieren. Der Bauplan wäre also innerhalb kürzester Zeit fertig gewesen, der Rest ist dann nur noch bauhandwerkliches Geschick.

    Viele Grüße

    Strandfliese