Architekten, die "Altbauten" und "Neubauten" gebaut haben

  • Das berühmteste Beispiel dürfte in diesem Fall sogar Le Corbusier sein, der sich im frühen 20. Jahrhundert noch der klassischen Architektursprache bediente (siehe Villa Fallet, Villa Jeanneret-Perret), bevor er vollends dem Brutalismus verfiel.

  • Peter Behrens kann man wohl als "Chamäleon der Architektur" bezeichnen:

    1900-01: Haus Behrens

    1908-09: AEG Turbinenhalle

    1911: Mannesmann-Haus

    1912: Kaiserlich Deutsche Botschaft St. Petersburg

    1921-15: Hoechst-Werke (Außen & Innen )

    1927: Haus in der Weißenhofsiedlung (Jedoch das einzige mit Gesimsen und Sprossenfenstern)

    1929-30: Mietswohnungen Bolivarallee, Berlin

    1929-31: Villa Gans

    1930-32: Berolinahaus

    Die Werkspalette Behrens', von denen selbst dieser Ausschnitt kaum Ausführlichkeit beanspruchen kann (Recherche lohnt sich!), zeigt das Können dieses unterschätzten Architekten in jeder erdenklichen Form: Jugendstil, Expressionismus, Moderne, Neoklassizismus in den unterschiedlichsten Formen. Kein Versuch, dem Bauwerk einen typischen "Behrens-Stempel" aufzudrücken, sondern Unterordnung ggü der Aufgabe. Beim Haus Behrens ist alles durchkomponiert und individuell, von der Kubatur bis zur Brosche der Gattin (kein Witz). Dagegen steht die AEG-Turbinenhalle wie kaum ein zweites Gebäude für moderne Industriearchitektur in Deutschland (gut, von Fagus mal abgesehen). Die Petersburger Botschaft ist monumental, die Bolivarallee leicht und heiter. Das Berolinahaus kühl und urban, die Hoechstwerke eine fantasievolle Farbexplosion. Dazu unzählige Spielarten und Nuancen. Ich glaub, ich brauche nicht zu erwähnen, dass er zu meinen Lieblingsarchitekten des 20. Jhdts zählt.

    Soviel zu Behrens als Bindeglied zw "modernisierter Tradition" und "traditionsbewusster Moderne", um es so frei zu formulieren. Das Wissen um eventuelle Nachkriegstendenzen jedoch, wie du sie ansprichst, bleibt uns durch seinen Tod 1940 verwehrt.

    Form is Function.

    "Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Veränderungen der alten Bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim Alten. Denn die Wahrheit, und sei sie hunderte von Jahren alt, hat mit uns mehr Zusammenhang als die Lüge, die neben uns schreitet."

    Adolf Loos (Ja, genau der.)

  • Ähnlich wie Le Corbusier erging es vielen der typischen Bauhausarchitekten, u.a. Max Taut, Walter Gropius (wobei dieser direkt mit der Moderne einstieg, das Fagus-Werk wurde aber bereits 1911 erbaut) und Ludwig Mies van der Rohe


    Auch Dominikus Böhm hat diese Entwicklung mitgemacht und dabei einige interessante Bauwerke, vor allem Kirchenbauten, hervorgebracht. Sein Sohn ist übrigens der Architekt Gottfried Böhm.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Danke für den Hinweis auf Peter Behrens - war mir unbekannt.

    Auch wenn die Stile wechseln, zieht sich durch die gezeigten Werke von vorne bis hinten eine hohe gestalterische Qualität durch.

  • Das Bemerkenswerte an Behrens ist vor allem, dass er eigentlich gar kein Architekt war. Er hat Malerei studiert und wandte sich dann dem Kunsthandwerk zu, bevor er 1899 von Großherzog Ernst Ludwig in die Darmstädter Künstlerkolonie berufen wurde, wo er neben Joseph Maria Olbrich zum führenden Kopf und damit zu einem führenden Vertreter des Jungendstils in Deutschland wurde. Erst dort hat er sich im Zuge der Philosophie einer ganzheitlichen Betrachtung von Kunst erstmals auch mit Architektur auseinandergesetzt. Alles weitere hat er sich autodidaktisch angeeignet. Angesichts dessen ist es vielleicht gar nicht so verwunderlich, dass er auch bei seinen späteren Arbeiten den künstlerischen Anspruch immer hoch hielt und es immer verstand, sich mittels "learning by doing" weiter zu entwickeln.
    Sein Schaffen war auch sehr vielseitig. Neben Malerei, Kunsthandwerk und Architektur hat er sich auch mit Buchdruckkunst, Typographie (u. a. Schriftart "Behrens Antiqua") und Städtebau (insbes. für den Alexanderplatz in Berlin) beschäftigt. So ist sein vielleicht bekanntestes Werk auch gar kein Gebäude, sondern eine Inschift: Die Worte "DEM DEUTSCHEN VOLKE" am Berliner Reichstag stammen von ihm. Auch das bekannte Firmenlogo der AEG hat er entworfen.

    Einmal editiert, zuletzt von Querido (6. Januar 2016 um 09:52)

  • Er fing mit Neoklassizismus und Reformstil an, schuf auf der Höhe seiner Karriere wahre Expressionismusperlen und hatte auch eine Phase der ansehnlichen Sachlichkeit: Fritz Höger, der Vater des herrlichen Chile-Hauses! https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_H%C3%B6ger

    Hier im Titel fänd ichs irgendwie professioneller/passender, von "Architekten, die klassisch und post-klassisch/modernistisch gebaut haben" zu sprechen. Denn als Altbau wird ja im Grunde alles bezeichnet, was vor dem 2. WK und teils bis Anfang der 60er entstand, eher stilunabhängig (kann genauso eine Villa im Stil der Sachlichkeit von 1928 sein wie ein stalinistischer Zeilenbau von 1955).

  • Es ist echt erstaunlich wie spontan, schnell und kritiklos die Architektenschaft die Moderne übernahm. Dabei gab es meines erachtens wenn überhaupt nur in den 30er Jahren eine Art Streit zwischen Modernisten und Traditionalisten, was sich wohl am besten in den Gartenstädten manifestiert hat. Hier stehen die Weißenhofsiedlung und die Kochenhofsiedlung (beide in Stuttgart) im direkten Kontrast zu einander.
    Ein weiterer Architekt, der ein ziemlich krassen Übergang von traditionellen Stilen zur Moderne gemacht hat ist wohl Theodor Dierksmaier, der im Dritten Reich noch mit Speer in der Neugestaltung Berlins kollaborierte und das Haus des deutschen Fremdenverkehrs 1938 zu bauen begann (wobei wegen des Krieges nur der Rohbau fertiggestellt wurde, und welches dann 1965 nach diversen Nutzungen abgetragen wurde) und dann nach dem Krieg für die deutsche Bundesbahn arbeitete und das Münsterer Bahnhofsgebäude errichtete, das ein absolut modernistisches Gebäude war, denn es wurde inzwischen auch schon abgerissen.
    Ich möchte auch auf den englischen Raum verweisen, wo vor allem Charles Herbert Reilly (wiki leider nur auf englisch) eine solche Wende erfuhr, während prominentere Architekten wie Giles Gilbert Scott, Henry Vaughan Lanchester und Charles Holden größtenteils treu blieben und auch noch bis in die 60er Jahre traditionelle Gebäude bauten.
    Eine besondere Figur der Architekturgeschichte war wohl Richard Paulick (wiki) , der vor dem Krieg ein eindeutiger Modernist war und dann nach dem Krieg unter der SED-Führung eindeutiger Eklektiker war, so baute er teilweise traditionell historistisch aber eben auch modernistisch (und zwar ganz schlimm [Halle-Neustadt]).