• Da streiten sich die Leute mal wieder, ob der Wiederaufbau in Würzburg, Bamberg oder Mannheim besser abgelaufen ist, aber hier könnte eine neue Welle herannahen. Mir ist schon vor zwei Jahren aufgefallen, dass sich der Betonbrutalismus in der kreativen Szene langsam neuer Beliebtheit zu erfreuen scheint. Der Retro-Hype könnte sich verbinden mit den derzeiten Bemühungen der Politik, rasch Massenwohnraum für die hereinströmenden Einwanderer zu schaffen. Diese Entwicklung sollte man aufmerksamer beobachten, statt sich über den nicht ausreichenden Putzfassaden-Anteil mancher 50er-Jahre-Straßenzüge zu streiten.

  • Das ist die übliche Wellenbewegung, die man bei historischen Bauten immer wieder beobachten kann: Erst ist es aktuell und wird gebaut und genutzt, dann wird es unmodern und als häßlich empfunden und massenhaft abgerissen (wobei gerade Beton dem Abbruch mitunter einigen Widerstand entgegensetzt), und dann entdeckt die nächste Generation diese Bauten für sich und schaut, was erhalten bleiben kann. Im 19. Jh. fanden viele Barock entsetzlich und überladen, und so wurde etliches abgerissen...
    Nun kann man Barock und Brutalismus natürlich nicht gleichsetzen, aber die gesellschaftliche Entwicklung ist die gleiche.
    Brutalismus kommt übriges von frz. beton brut (roher Beton), was Sichtbeton meint. Die Wurzel ist natürlich die gleiche wie bei unserem Wort "brutal".

  • Zitat

    Schönheiten aus Beton


    Brutalismus - allein der Name des Baustils klingt unfreundlich. Er stammt von dem französischen Ausdruck "béton brut" - Sichtbeton. Eine Architektur, die unter anderem in Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg entstand: Hochhaus-Siedlungen aus Beton für möglichst viele Menschen. Eine Ausstellung in Weil am Rhein widmet sich derzeit der Bauweise.



    Bitte NICHT!

    Zitat

    Sinnvoll auch für die Gegenwart

    Renommierte Architekten wie die kürzlich verstorbene Zaha Hadid rühmen die bizarre Schönheit brutalistischer Bauten, die man für die Gegenwart herrichten könne. Mit Immigration und Flüchtlingskrise scheint das auch sinnvoll. Allerdings, sagt Janna Lipsky: Wenn nur Sozialfälle in einer Siedlung wohnen, wird auch die Architektur als Sozialfall wahrgenommen.

    Wenn diese Siedlungen aber sozial durchmischt und verkehrstechnisch gut angebunden sind und in das städtische Leben integriert werden, dann könne man mit den heute oft renovierungsbedürftigen Bauten des Brutalismus durchaus etwas anfangen.

    Quelle: http://www.deutschlandfunk.de/brutalistische…ticle_id=376553

  • Beton-Bauten vom Abriss bedroh
    Frankfurt - Im Deutschen Architekturmuseum dreht es sich in diesem Jahr um vermeintlich hässliche 70er-Jahre-Bauten und um Offenbach als Ankunftsstadt: Unter dem Titel „Making Heimat – Germany, Arrival Country“ hatte das Museum im vergangenen Jahr den deutschen Beitrag für die Architektur-Biennale in Venedig kuratiert.
    https://www.op-online.de/region/frankfu…er-7351526.html


    Zur Vertiefung:

    https://www.goethe.de/de/kul/arc/20908470.html

    http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/45528/

    Es wird kräftig die Werbetrommel für den Betonbrutalismus gerührt. Mich würde nicht überraschen, wenn demnächst die ersten Retro-Brutalismus-Bauten als neuester Schrei in unseren Städten errichtet werden.

  • Mich würde nicht überraschen, wenn demnächst die ersten Retro-Brutalismus-Bauten als neuester Schrei in unseren Städten errichtet werden.

    Ist das dann auch eine Art vom ach so bösen Historismus?

    Herzliche Grüße

    Bilder von mir finden sich auch bei Wikimedia.

  • Massenhaft Bilder von Bauten des Brutalismus:

    http://fuckyeahbrutalism.tumblr.com/archive
    u.a. http://fuckyeahbrutalism.tumblr.com/post/125774929…-bronx-new-york

    https://www.instagram.com/explore/tags/brutalism/

    https://www.instagram.com/brutal_architecture/

    Wenn auch immer wieder Bauten dabei sind, die beeindrucken und einen gewissen Reiz haben, so muss man doch nach kurzer Zeit feststellen, dass die Faszination des ersten Moments schon bald einer tiefen Abneigung weicht. Wenn man diese Bauwerke nicht nur als Anschauungsobjekte zur Unterhaltung betrachtet, sondern sich vorstellt, in und mit diesen Bauwerken zu leben, dann zeigen sie ihr wahres Gesicht, ihre rauhe Fratze.

    https://www.instagram.com/p/BQBdAptDvgB/

  • Es ist nicht verwunderlich, dass nun das DAF dem Brutalismus huldigt. Museumsdirekter Peter Cachola Schmal war ja bereits kein Freund des Abrisses des Frankfurter Technischen Rathauses und des damit verbundenen Wiederaufbaus des Dom Römer-Areals...

    Brutalismus wird in kreativen Kreisen zunehmend als "hip" deklariert. Da kommt etwas auf uns zu, wage ich zu prognostizieren. :zwinkern:

    Bedrohte Hässlichkeit
    Deutsches Architekturmuseum feiert Brutalismus
    https://www.op-online.de/region/frankfu…it-9197867.html

    "SOS Brutalismus" im Deutschen Architekturmuseum
    Vom Aussterben bedroht: Betonmonster in 10 Bilder
    https://www.journal-frankfurt.de/journal_news/K…dern-30724.html

    Ausstellung setzt weltweiter Beton-Ästhetik ein Denkmal
    http://www.fnp.de/rhein-main/Aus…art1491,2818364

  • Nur ein weiterer Beleg dafür, wie sich der Architekturbetrieb immer weiter von der Bevölkerung entfernt. Je weniger man ihre "Errungenschaften" goutiert, desto verbissener werden diese verteidigt.

    In dubio pro reko

  • Brutalismus pur bietet die Regensburger Uni, an der ich vor 30 Jahren ja mal 3 Semester studiert habe. Kann sein, daß es dort nach der Totalsanierung aufgrund der vielen undichten Dächer inzwischen freundlicher aussieht, aber damals war das eine einzige Betonorgie - unverkleideter Beton außen wie innen.

    Ob Cafeteria, Bibliothek oder Hörsäle, überall grauer Beton. Audimax: ein unterirdischer Betonbunker. So etwas schlägt aufs Gemüt und ist menschenfeindlich.

    Aber man hat zumindest ein wenig dazugelernt: die neue FH gleich daneben präsentiert sich deutlich freundlicher mit einer Art von Parklandschaft drumherum.

  • Mir scheint diese Beton-Brutalismus-Zeit noch nicht vorüber zu sein und die oben verlinkte Ausstellung zeigt es ja auch auf, ...
    Gestern war ich erstmals anläßlich einer Ausstellung in der Maria-Magdalena-Kirche im Freiburger Rieselfeld.
    Der Name verhieß doch eigentlich sinnlich, weiche-weibliche Formen.
    Nix da, Spätbrutalismus pur. Alles nackter Beton innen, wie außen, Boden, wie Wände. Was ist das? Dekonstruktivismus oder Brutalismus oder eine Mischung? Anfang des Jahrtausends gebaut.
    Die Formen sind ja okay, wenn sie verputzt und in hellen Tönen gestrichen wären, könnte ich dem noch was abgewinnen.
    Aber so, eine Betonhöhle!

    https://www.google.de/search?client=…1.0.4-GG9sn5P9c

  • Wie soll man in einem solchen Betonbunker zu Gott finden?

    Na Menschen finde ja oft gerade dann zu Gott´, wenn es Ihnen schlecht geht.

    Aber ich denke nicht, dass es Intention der Verantwortlichen war, bei den Gottesdienstbesuchern Unbehagen hervorzurufen, damit sie Gott finden.

    die hässlichste Kirche die ich jemals gesehen habe


    Auch aus meiner Sicht zumindest eine der hässlichsten und zwar nicht in erster Linie wegen der (auch übertriebenen)Betonsichtigkeit, sondern wegen der fehlenden Struktur, die eher an eine mehrfach veränderte Lagerhalle erinnert, als an eine Kirche.

    Solche dem Zweck der Nutzung widersprechende Architektur ist übrigens etwas, für dass auch ich kein Verständnis aufbringe. ;)

  • Vielleicht war die Intention, dass sich die Gottesdienstbesucher wie in einem Luftschutzbunker fühlen? Oder am Atlantik-Wall, was die Sichtschlitze erklären könnte? So oder so, Cachola Schmal dürfte begeistert sein, und möglichenfalls taucht auch dieser Bau in der Ausstellung auf. huh:)

  • Ich weiß es auch nicht. Vielleicht, um das Gefühl einer Art "Notgemeinschaft" zu erzeugen? Es ist ja auch nur eine Assoziation von mir, wenn ich die Räume sehe.

  • Gottesdiensträume sollten dazu dienen, einen Rahmen zu schaffen in dem die Gemeinde ihren Gottesdienst feiern kann.

    Da in Verlauf der Jahrhunderte sich die Form in der dies geschieht mal mehr mal weniger verändert haben, ist auch die Bauaufgabe an die jeweilige Architekten im verlauf der Zeiten Veränderungen unterzogen. Deshalb sind auch mittelalterliche Kirchen anders gestaltet, als solche der der Nachreformationszeit und wiederum anders als nach dem II vatikanischen Ziel errichtete.

    Unabhängig von allen Zeitläufen ist es aber immer Ziel gewesen, die versammelten Gläubigen zu Einkehr und zu bringen und die Gedanken auf Gott hin zu lenken. Dies gelang auch unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Sehgewohnheiten über die Jahrhunderte meist (obwohl es natürlich in allen Jahrhunderten auch Kirchen von schlechter Architektur und insbesondere Ausstattung gab).

    Bei dem hier vorgestellten Beispiel ist dies jedoch nicht der Fall, weil einem alle möglichen Assoziationen kommen, nur keine die eigentlich gewollt sind. Abseits der Kategorien schön oder hässlich ist die Kirche daher für den vorgesehenen Zweck von vorne herein(nicht etwas durch die Änderung von Liturgie oä.) ungeeignet.

  • Andreas, stimme Dir in allem weitgehend zu, DOCH meine Erfahrung in dieser dem optischen Auge hässlichen "Kirche" (die im übrigen eine ökumenische ist) war doch erstaunlich die, daß ich mich nicht unwohl gefühlt habe und ich meine ein feines Gespür für Räumlichkeiten zu haben. Das erstaunte mich doch einigermaßen. Freilich suchte mein Auge und mein Geist ständig Abhilfe zu schaffen und mir die Wände, Decken und Boden in andere Oberflächenerscheinungen vorzustellen. So wäre mein Geist in solchen Kirchen ständig abgelenkt, da er andauernd weitergestalten, verbessern würde.
    Aber darum ging es gestern nicht. Die Ausstellung war durchaus spirituell gesinnt und bezog sich auf schriftliche Äußerungen zu "Was ist Mystik?" und dazu umgesetzte bildnerische Gestaltungen, die sehr schön waren und ein stimmiges Gesamtbild gegeben haben. Es kommt halt auch darauf an, mit was man einen Raum füllt... !

  • Solche Bauten und Innenräume zeigen mir eigentlich die Angst vor schöner Gestaltung, die die Sinne in positiver Art ansprechen könnten. Angst vor dem zu Schönen, dem allzu Schönen ... weil die Genese von schönen Räumen nicht mehr beherrscht wird. Dann lieber Verweigerung vor der schönen Form, keine Farben, keine anheimelnden Materialien, nur Formen irgendwie "kreativ" modellieren, zusammensetzen, stapeln, arrangieren. Im Asketischen können nicht so viele Fehler gemacht werden und der Vorwurf des Geschmäcklerischen und gar Kitschigen scheint weit entfernt zu sein.
    Doch muß einfach und schlicht ohne Schönheit sein? Und Schönheit entsteht aus den der Natur abgeschauten Proportionsverhältnissen!

  • Andreas hat wie immer den differenzierten Zugang, und wir anderen lassen uns halt wie immer von emotionalen Vorurteilen leiten.
    Same procedure as every thread.

    In dubio pro reko

    Einmal editiert, zuletzt von reklov2708 (10. November 2017 um 15:02)