Neubrandenburg (Galerie)

  • Das Hochhaus ("Kulturfinger", oder wie ich zu sagen pflege, "Kulturmittelfinger") wurde gerade erst 2014 fertig saniert. Die nächsten 15-20 Jahre wird sich dahingehend wohl nichts tun. Ihr müsst auch bedenken, dass NB ein Kind der Nachkriegszeit ist, zu bald 80% eine DDR-Geburt. Da hängen etliche Biografien an den Großbauten dieser Zeit, solange sie leben und Einfluss haben, wird es verdammt schwer, die einfach abzuräumen. Ist verhältnismäßig durch die Größe der Stadt eher noch verschärfter als in Potsdam, wobei ich Neubrandenburg insgesamt für pragmatischer, liberaler und sachorientierter halte. Hier gibts kaum ideologische Grabenkämpfe, erstaunlicherweise (CDU und Linke beide recht stark). Das Bewusstsein für die Vorkriegsgeschichte Neubrandenburgs muss unbedingt gestärkt werden, auch weil es so wenige hier wirklich (über mehr als 2-3 Generationen) Verwurzelte gibt, so wenige wie wahrscheinlich sonst nur in der DDR-Planstadt Eisenhüttenstadt. NB wuchs von 16'000 Einwohnern '45 auf rund 90'000 anno '90 an.

    Das Alte Rathaus könnte man rekonstruieren, es würde in dem heutigen städtebaulichen Zusammenhang aber grotesk wirken. Und man müsste dann auch den recht neuen Springbrunnen wieder wegnehmen und auf einer Tiefgarage bauen. Als ich den Wiederaufbau 2008 vorschlug (völlig falsche Perspektive, klar), war ein Abriss des "Hauses der Kultur und Bildung" (HKB) zumindest noch im Gespräch und die endgültige Fassung der Marktplatzneugestaltung wurde hier und dort noch angepasst. Es ist natürlich auch keine ganz leicht zu vermittelnde Rekonstruktion, es war zwar ein barockes Rathaus, für eine ~65'000-Einwohner-Stadt und mit der baulichen Umgebung passt da nicht mehr viel zusammen. Eher würde man wohl das herzögliche Palais vermittelt bekommen, da es auch nur den Rande des Marktes einnehmen würde, was auch angesichts der vielen Veranstaltungen auf dem Platz besser angenommen würde. Stellt sich die Nutzungsfrage. Sicher könnte man wieder die Kunstsammlung dort unterbringen, die an der Gr. Wollweberstraße etwas zu weit ab vom Schuss ist, das dortige Fachwerkhaus wurde aber in den 2000ern aufwändig saniert. In einer Stadt mit nicht unerheblichem Schuldenberg auch schwer zu vermitteln - das Palais am Markt bräuchte wohl einen Privatinvestor. Und dann ist da noch das Problem, dass der HKB-Turm zu weit hineinragt und man das Palais wohl zunächst nur bis zum Mittelrisaliten wiederaufbauen könnte. Das kann ich mir zwar vorstellen, aber einfach ist das nicht. Akuter ist momentan die geplante Sanierung des neuen Rathauses am Ring, da muss eine deutliche Verbesserung her - Hans Kollhoff hatte in den 90ern eine Art Umbauung/kleinteiligen Vorbau geplant, diesen Gedanken müsste man wieder aufnehmen und ihn wieder einladen.

    Was man heute auf jeden Fall machen könnte, und dafür setze ich mich ein, ist eine Markierung der Grundrisse der ehemaligen Sehenswürdigkeiten auf dem Marktplatz. Wenig Aufwand, große Wirkung. Dazu jeweils eine Schautafel zum Palais und zum Rathaus und ggf. das aktuelle Stadtmodell (von 2009) ergänzt um das historische gleich daneben, damit man den Direktvergleich hat.

    Stadtmodell auf dem Marktplatz, von der Sparkasse gestiftet:

    https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Neub…stadtmodell.JPG

  • Vielen Dank für einen Einblick in eine Stadt/ein Städtchen, von dem man hier im entfernten Westen eigentlich nie was hört. Wow, hier steht ja wunderschön und pittoresk ganz nahe bei hässlich und trist. Die Stadtmauer ist ja vorbildlich erhalten und restauriert, sicher eine der schönsten Deutschlands, aber der Großteil der Innenstadt... :/ Den Satz beende ich mal nicht, um den Fotografen und vor allem Erbse nicht zu kränken.

  • Iwoo, ich bin da schmerzresistent. ;) "Der Großteil der Innenstadt" in Wiederaufbauarchitektur der 50er ist eigentlich sehr ansehnlich, verglichen mit fast allen in diesem Maße zerstörten Städte, das ist ja der Witz. Solltest es dir einfach mal vor Ort anschauen - ein Exkurs in verschiedenste Zeitschichten, die in dieser Kombination ihresgleichen suchen. Ich sehe viel Verbesserungsportal vor allem am Markt und in der Turmstraße (Einkaufsstraße), aber die Grundsituation ist durchaus erfreulich. Auch Neubauten sind meist altstädtisch-kleinteilig strukturiert und teils sogar historisierend in der Formensprache.

    Das Thema Wiederaufbau/mögliche Rekonstruktionen beleuchten wir dort am besten nochmal näher, hier im Album solls ja vor allem um die Bilder gehen. Dort habe ich mal die mögliche Wiederaufbausituation am Marktplatz mit einer Karte simuliert: Neubrandenburg - Historische Fotos

  • Lieber Saxonia, ich habe die ersten 20 Jahre meines Lebens in NB gelebt. Wenn Du so schlichtweg sagst nicht rekowürdig, trifft mich das doch etwas, weil das Leben in einer alten Stadt ohne alten Stadtkern schon sehr eigentümlich ist und einen mehr zum Nachdenken über Städtebau bringt als jemanden, der in überbordender Pracht gross wurde. Es war eben einfach ein schlichter Barockbau. Es gibt aber Fotos aus der Zeit um 1860, als auch alle Häuser um den Markt Mansrddächer hatten. Das war keine Perle aber ein sehr schönes klares Ensemble seiner Zeit, das zusammen mit anderen in ähnlicher Art vielfach Vorbild für den neobarock geprägten Siedlungsbau bis in die 20iger Jahre hätte werden können. Bereits um 1900 waren diese Häuser durch Bauten im Jugendstil grossteils ersetzt.

  • Natürlich ist es rekonstruktionswürdig keine Frage, am besten natürlich zusammen mit dem Palais, das würde ein wunderschönes Ensemble ergeben, NB hätte sein schönes Herz zurück!
    Bitte auch mit der Situation in Demmin vergleichen wo man das Alte Rathaus 1997 in nur einem knappen Jahr rekonstruiert hat.
    Man muß nur wollen, das ist alles.

    Plus Outre

  • Es schmerzt einfach, wenn einer Stadt das Herz entrissen ist. Das ist nie ganz zu verwinden.
    Neubrandenburg hatte mal ein gotisches und später renaissancezeitliches Rathaus, das wohl ähnlich dem von Gadebusch gewesen sein dürfte. Leider wurde die Stadt in ihrer Geschichte arg gebeutelt, durch mehrere Stadtbrände und Belagerungen. Besonders schlimm natürlich durch das revanchistische Anzünden der Sowjets '45.

    Das barocke Rathaus Neubrandenburgs von 1747 war einfach gebauter Ausdruck dieser Geschichte und einer schlichten barocken Wiederaufbauarchitektur; dennoch kündete es von neuem Stolz, von Zuversicht, von unbedingtem Wille zum Weitermachen der "sturen" Mecklenburger, egal wie oft sie niedergebrannt und attackiert werden. Das hat eine starke Symbolkraft und hätte es insbesondere nach 1945 gehabt. Es war ein Frevel, es nicht wiederaufzubauen.

    Und eigentlich finde ich, auch als großer Freund von überschwänglichem Historismus (besonders von Neogotik und -renaissance) und Jugendstil, war das ein pittoresker, angenehmer Bau. Er würde sich sehr gut in die allgemeine an den Barock angelehnte 50er-Jahre-Wiederaufbauarchitektur von NB fügen.

    Nahansicht mit Mudder-Schulten-Brunnen, der heute gegenüber vom Bahnhof und dem Reuter-Brunnen aufgestellt ist. Er stellt eine Szene aus Reuters Werk "Dörchläuchting" nach, bei der auf einer wahren Begebenheit beruhend, die Bäckersfrau "Mudder Schulten" auf einer Neubrandenburger Straße vom mecklenburgischen Herzog das Bezahlen offener Brötchenrechnungen einfordert. Jaja, diese Politiker... biggrin:)

    Postkarten von Breslau06 hier eingestellt

    Ich sehe die recht schlichte Architektur eher als Vorteil, vereinfacht sie einen Wiederaufbau doch um einiges.
    In Demmin hat man sogar das weitgehend neobarocke Rathaus aus der Gründerzeit wiederaufgebaut, und das im Jahre 1997 (siehe Lupi).

    Und es ist wie Naumburg sagt, das Aufwachsen in Neubrandenburg, in diesem eigentümlichen Mix aus historischen Fragmenten, gelungener wie auch arg verfehlter Wiederaufbauarchitektur, das schärft alle Sinne. Es ist sicherlich ein Hauptgrund für meine Sensibilität im Bereich Architektur und Städtebau.

  • Das alte Rathaus und der Palais waren gelungene Bauten und zeugten von der hiesigen Geschichte, dazu würden sie auch Heute zum Großteil der Stadt passen. Gründe genug, die zu rekonstruieren, auch wenn sie keinen Bauschmuck aufwiesen. Nur zum HKB und zur Finger würden sie nicht passen, aber etwas längerfristig wird sich dieses Problem wahrscheinlich von selbst lösen.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Ne ist noch da, ist in der Reko-Diskussion von NB im MV-Faden. Aber langsam wird's echt bisserl verwirrend mit den 3 NB Diskussionen.

    Plus Outre

  • Achso, und ich suchte verzweifelt im Historische-Bilder-Faden... ;) Da is der Beitrag: Neubrandenburg

    Diese Dreifaltigkeit gibts ja hier eigentlich bei den meisten einigermaßen wichtigen Städten (einen für Projekte und aktuelles Geschehen, ein Album für jüngere Bilder und eines für historische), finde ich auch in Ordnung so. Nur bei der Aufteilung der Diskussionen müssen wir vielleicht etwas disziplinierter sein. Wiederum aber auch nicht so einfach, wenn es um eine derart zwischen Zerstörung und Wiederaufbau hangelnde Stadt wie Uns-Neubrandenburg geht.