Streifzug durch Landstraße

  • youngi schrieb: "Ich habe Deine polemischen Randbemerkungen beinahe mehr genossen als die Bilder."

    Das spricht ausnahmsweise für deinen Geschmack (wenn man den Begriff Bilder wohl richtigerweise weniger auf diese selbst, denn sie sind gestalterisch zweifellos hervorragend*, als auf die gezeigten Objekte bezieht).
    Vielleicht ist diese sich großbürgerlich gerierende, in Wahrheit jedoch bloß großspurige Überladenheit (der dargestellten Objekte, nicht etwa meines Schreibstiles) sogar dir zuviel.
    *Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr; Bescheidenheit schmückt den Mann, doch ein richtiger Mann ist nicht eitel und braucht keinen Schmuck
    @dt Freunde
    zur Erklärung: Der Spittelberg ist das größte erhaltene Altstadtviertel der Vorstädte (zum Unterschied gegenüber den weiter draussen gelegenen VorORTEN, wo es tatsächtlich erhaltene ma Ortskerne gibt, zB Heiligenstadt und vor allem Nussdorf).

    Meine Ankündigung, mich intensiver mit dem sozialistischen Wohnbau Wiens zu befassen, hat wider Erwarten keine Begeisterungsstürme hervorgerufen, das könnte hier und jetzt von einem höflicheren Teil des Publikums noch relativ spontan und ohne störenden Überschwang nachgeholt werden.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat von "Exilwiener"

    @Ursus & Kleist

    Oh ja, der Spittelberg ist wahrlich wunderbar. Etwas in Vergessenheit geraten ist auch, dass es gerade einem Immobileinspekulanten zu verdanken ist, dem mehrere Grundstücke der Spittelbergs aufgekauft hat, dass dieses Viertel gerettet wurde: Günther Kerbler, seines Zeichens ehemaliger Vorstand und nunmehriger Aufsichtsrat der CONWERT (den Leipzigern bekannt, als der größte ausländische Zinshausinvestor in Ostdeutschland, der dort auch für die starken Preisanstieg am Zinshausmarkt seit 1999 verantwortlich ist).

    Bezüglich Comwerts: Diese Immobilienfirma versucht gerade, ein nettes und für die Kreuzung wichtiges Gründerzeitgebäude zu opfern für einen Rießenkäse, in der Boltzmanngasse, dort, wo das Vinzibett weilt!

    @ursus: Ich bin schon lange sehr interessiert an einem Streifzug durch das Rote Wien der 20er JAhre! Ich wäre begeistert von einem Bilderstrang!

    lg

    "Ich denke an Wien, so wie Sie an Brüder, an Freunde denken, die jetzt an der Front sind. Nun sind sie fern von Ihnen und Sie wissen sie in Gefahr, ohne ihnen beistehen, ohne diese Gefahr teilen zu können" - Stefan Zweig 1940

  • Kleist

    Ja, von dieser Conwert-schande im Alsergrund weiß ich Bescheid. Nur nicht, wie die Sache weitergeht? Angeblich setzt sich der Bezirksvorsteher für das Eckgebäude ein. Gut so, denn dieses Gründerzeithaus bildet mit seinen Nachbarn ein Ensemble. Ich bin generell kein Freund der Immobilien AGs. Alles Augenauswischerei: siehe Immofinanz, MEL und nur bei Conwert ist noch nicht wirklich herausgekommen, dass die iher Bestandsimmobilien nicht im Griff haben und in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] und anderswo in der ehemaligen Zone auch Massenhaft Schrott gekauft haben. Kleines Schmankerl: Auf der HP haben die doch tatsächlich ein unbewohntes, einsturzgefährdetes Haus in Zittau, in der Böhmischen Straße eingestellt! Tja, welch Chaos herrscht dort, wenn man sich dieser nicht einmal € 5.000 Immobilie rühmt, die schon nach drei Monaten den Aktionär mehr kostet als er damit verdient...Ich habe in dieser Straße einige Zeit gewohnt und konnte mir ein schallendes Lächeln nicht verkneiffen. Hände weg davon, wer von dieser Abzockegang noch Klopapier haben sollte :lachen:

    @ursus

    Ja, her mit den Sozibunkern, die für ihre Zeit wirklich ganz toll waren.

    Nur um eins klarzustellen. Ich bin kein Freund von Mietskasernen, auch wenn diese saniert besser sind als jeder Neubau. Ich bin aber überzeugter Gründerzeitfan bürgerlicher Wohnbauten, die auch im Gegensatz zu den MKs tatsächlich mehr Aufenthaltsqualität besitzen als das Gros der Barockhäuser Wiens.

  • Zitat von "ursus carpaticus"


    Meine Ankündigung, mich intensiver mit dem sozialistischen Wohnbau Wiens zu befassen, hat wider Erwarten keine Begeisterungsstürme hervorgerufen, das könnte hier und jetzt von einem höflicheren Teil des Publikums noch relativ spontan und ohne störenden Überschwang nachgeholt werden.


    Bilder reinstellen sofort

    Nein, die werden gedünstet

  • Weiter geht s: Wir haben noch dieses Bild im Kopf:

    http://farm4.static.flickr.com/3217/3156552454_8978291584_b.jpg

    Es handelt sich hiebei um die Da ponte Gasse (Carla Da Ponte war bekanntlich Milos Scharfrichterin, einige werden darob möglicherweise empört aufjaulen, werden wir sehen, wer der erste ist), ein völlig perfektes Gründerzeitensemble, eine Straße aus einem Guss, zu vollendet, um wahr zu sein.
    Beschäftigen wir uns mal mit dem auffälligsten Bau:

    http://farm4.static.flickr.com/3324/3185783454_015cf97ed4_b.jpg

    Ein imposantes Monstrum! Es füllt den gesamten Block zwischen zwei Quergassen. Stilistisch eine dreiste Mischung aus Neobarock und Jugendstil.
    Hier, im Blick in die Engelsberggasse ist es ganz rechts zu sehen, gefolgt von einem Gemeindebau aus den 20ern, der sich tadellos ins Ensemble einfügt (eine gar nicht so häufig anzutreffende Konstellation):

    http://farm4.static.flickr.com/3124/3185791126_cc6647ae4f_b.jpg

    but the good has never been perfect. There always was som flaw in it, some defect, some imperfection in the divine image, some fault in the angelic song, some stammer in the divine speech. So that the Devil still has something to do with every human consignement to this planet of earth.
    (Prolog zu Billy Budd, H.Melville)
    und erst recht to this City of Vienna. Was historistische Abbrisswut und der 2.WK verschont haben, wird ganz sicher durch eine Errungenschaft der verfehlten Wiener Baupolitik verschandelt oder zumindest beeinträchtigt. Hier ist es jedoch der 2. WK.

    http://farm4.static.flickr.com/3132/3184943009_b64db0f730_b.jpg

    Die Abendsonne zeigt noch ein viel größeres Monstrum als das links zu sehende in viel zu mildem Licht.
    Dieses Monster steht mit einem noch größeren Bruder im Arenbergpark, der den Dannebergplatz ausfüllt, zu dem wir vorübergehend zurückkehren. Im Schatten dieser Flaktürme befinden sich u.a. auch folgende Häuser:
    http://farm4.static.flickr.com/3303/3184919607_98996d5c06_b.jpg
    http://farm4.static.flickr.com/3095/3184912309_1d30e0155a_b.jpg

    Auch die auf den Platz zulaufende Barmherzigen Brüder Gasse wird mehr oder weniger erdrückt:
    http://farm4.static.flickr.com/3445/3184900819_ee40bd1ea4_b.jpg

    Für den Rest muss ich mir eine andere Downloadmethode anlernen, denn mein flickr Kontingent für diesen Monat ist erschöpft.

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    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat von "ursus carpaticus"

    eine dreiste Mischung aus Neobarock und Jugendstil


    Nicht, dass mir diese Fassade besonders gut gefallen würde, aber: Was ist daran dreist?

    Auch hier wieder: Mir ist diese Wiener Ausprägung des Historismus zu wenig filigran: Die tendenziell grobe Strukturierung und monotonen Erdgeschoßzonen mißfallen mir ebenso wie die in meinen Augen etwas leblose, triste und konforme Farbgebung / Materialität. Danke für die interessanten Eindrücke. Die Da Ponte Gasse ist dennoch sehr sehenswert!

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • "dreist" also dieses Wort hab ich nicht genauer überlegt, es handelt sich wohl um die Stilmischung und die Inbesitznahme von grundsätzlich 'feindlichen' Jugenstilelementen.
    Ja, für mich haftet dem Wr Historismus etwas prinzipiell Minderwertiges an, wie ich schon immer betont habe.
    Das einzelne Gebäude gilt überhaupt nichts, was zählt, sind blockhafte Ensemblewirkungen. Die Dapontegasse als solche kann man als gründerzeitliches Denkmal stehen lassen, eine nähere Betrachtung hingegen lohnt sich kaum.

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  • Zitat von "ursus carpaticus"


    Das einzelne Gebäude gilt überhaupt nichts, was zählt, sind blockhafte Ensemblewirkungen. Die Dapontegasse als solche kann man als gründerzeitliches Denkmal stehen lassen, eine nähere Betrachtung hingegen lohnt sich kaum.

    Das trifft vielleicht für die Außenbezirke zu, aber auch da fallen mir genügend Gegenbeispiele ein. Es ist eben nicht alles so wie man es gerne darstellen oder haben möchte.

    Es gibt in Wien gute als auch schlechte Architektur aus der Zeit als Wien noch Märchenstadt war (Otto Friedländer :) ).

    Für mich einzigartige sowie originelle Historismushäuser sind Robertgasse 1, Margaretenplatz 4, Wiedner Hauptstraße 17...und noch viele mehr, deren Adresse mir nicht sofort geläufig ist. Sicher, in Budapest stehen großteils noch schönere Häuser als in Wien und auch in Prag kenne ich Straßenzüge, die schöner und besser durchdacht sind als in Wien, aber keine Stadt ist perfekt. Am Ehesten war es noch das alte Dresden gelungen, aber das ist ja leider eine andere Geschichte.

  • ursus carpaticus
    auch von mir vielen Dank für die Bildchen und deine flockigen Erläuterungen dazu.

    Ansonsten: Mag jedes der gezeigten Häuschen (oder Monstrum) in der Masse wie ein Einheitsbrei erscheinen. Erst wenn der Brei mit allzuvielen fremden Partikeln+Zahnlücken durchsetzt ist, wird man sich den alten Brei zurück wünschen. So ging des jedenfalls Berlin und anderen städtebaulichen Ansammlungen von Gründerzeit-Monstern.

    Spätestens seit meinem Wien-Besuch im Sommer weiß ich, was Wien für eine Gründerzeit-Schatzkiste ohne Boden ist. Da kann keine Deutsche Stadt mit halten. Bei der Masse an Bauten habe ich natürlich hauptsächlich die Vor-Gründerzeitlichen Dinge angesehen. Insgesamt war mir die Stadt allerdings etwas hektisch-laut und angesichts der vielen Leute+Autos.... zu eng. Mein subjetkives Platzgefühl stieg jedenfalls dramtisch, als ich wieder zurück in der Stadt mit den vielen Baulücken war.

  • Das gezeigte Viertel ist in seiner Geschlossenheit und (wenn auch natürlich fragwürdigen) Noblesse natürlich keineswegs symptomatisch für die Wiener Vorstädte, sondern bewusst ausgewählt.

    Leipziger schrieb:
    "Spätestens seit meinem Wien-Besuch im Sommer weiß ich, was Wien für eine Gründerzeit-Schatzkiste ohne Boden ist. Da kann keine Deutsche Stadt mit halten"

    Wahrscheinlich. Ob DAS aber so erstrebenswert ist...

    "Bei der Masse an Bauten habe ich natürlich hauptsächlich die Vor-Gründerzeitlichen Dinge angesehen."

    Das war zweifellos klug gehandelt.

    Insgesamt war mir die Stadt allerdings etwas hektisch-laut und angesichts der vielen Leute+Autos....

    Leute, nun ja. Kommt auch drauf an, was für Leute.
    "Ich wünsch mir ein Wien ohne Wiener" ist ein typisch aus der Wiener Volksseele entspringender Wunsch, der leider auf andere als gemeinte Weise in Erfüllung gehen kann...
    Dieses Problem jedenfalls hat [lexicon='Leipzig'][/lexicon] nicht, wie es mir scheint. Zu anderen Passagen antworte ich im Leipzigfaden, wo es hingehört.
    ...Autos...
    zweifellos eine arge Beeinträchtigung, wobei aber mE zu berücksichtigen ist, dass dieses Problem ein höchst Temporäres ist.

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    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Naja, ursus carpaticus, was ist erstrebenswert? Gerade die Vorstädte aller europäischen Großstädte bestanden doch bis tief ins 19. Jahrhundert entweder aus bäuerlichen Dörfern oder sogar komplett grünen Wiesen. Es ist entweder utopisch oder schlicht blödsinnig, dass es besser wäre, die wären so geblieben, wie sie waren. Daher stellt sich die Frage, was hätte man dort besseres hinstellen können als eben die zu sehende eklektische Architektur? Vielleicht noch hochwertige klassizistische Viertel, aber sonst? Gerade diese riesigen Gründerzeitviertel in Mitteleuropa sind doch gerade in den stark zerstörten Städten gerade das bisschen an städtischer Identität, was überhaupt noch vorhanden ist. Trotz aller Schwülstig- und Uneigenständigkeit vieler Bauten.

  • He carpaticus,

    danke für die herrlichen Bilder, schade, dass dein Volumen erschöpft ist, vor allem, da wir erstAnfang/Mitte Jänner haben !

    Ich liebe diese Gründerzeitarchitektur, vergleiche zu anderen Städten möchte ich nicht ziehen, da ich vl. das Ganze etwas verkläre. Die einzigen Städte, die meiner Meinung nach in dieser Hinsicht mit Wien mithalten können, sind St. Petersburg und das Haussmann´sche Paris, auch wenn jetzt Einsprüche vom Exilanten, Youngwoerth und Sonstigen kommen werden. Wer Wien kennt, weiß um die unglaubliche Heterogenität der Gründerzeitbauten, aber speziell der Wiener Secessionismus in seiner Eleganz übertrifft den Gaudischen Jugendstil für mich bei weitem, diese slawische Verformung (wie in Prag oder Budapest) sagt mir gar nicht zu (wieder Einsprüche vom Exilanten ;) )! Ursus, du darfst nicht vergessen, dass die Vorstädte Dörfer vor 1848 waren großteils, mit klassizistischen Ensembles, aber Dörfer!

    lg

    "Ich denke an Wien, so wie Sie an Brüder, an Freunde denken, die jetzt an der Front sind. Nun sind sie fern von Ihnen und Sie wissen sie in Gefahr, ohne ihnen beistehen, ohne diese Gefahr teilen zu können" - Stefan Zweig 1940

  • RMA
    "Gerade die Vorstädte aller europäischen Großstädte bestanden doch bis tief ins 19. Jahrhundert entweder aus bäuerlichen Dörfern oder sogar komplett grünen Wiesen. "

    Jetzt sind wir natürlich in einem extrem kontrafaktischen Bereich.
    "Also wenn ich mir s aussuchen könnte..."
    Für den Wiener Vorstadtbereich trifft deine Aussage nur teilweise zu.
    Natürlich gab es keine ma Bebauung mehr, die wurde angesichts der Türkengefahr beseitigt, um ein freies Vorfeld zu haben. Dennoch gab es barocke und biedermeierliche Kleinstadtarchitektur, die in Rudimenten sogar auf uns gekommen ist. Daneben jedoch, vor allem in den Bezirken 3 bis 6, eine großartige Palais- und Gartenlandschaft, von der außer dem Belvedere und dem benachbarten Schwarzenbergpalais wenig übrig ist (vgl Canalettogemälde bez Bezirke 4 und 5).
    Sohin halte ich die Wiener Gründerzeitbebauung für keinen Segen, weder in der Innenstadt (dort schon gar nicht!), noch in der Vorstadt.
    Wenn ich s mir aussuchen könnte...
    hätte ich die Vorstädte unversehrt gelassen mit ihren kleinen Zentren und den großen Gärten und die Ringstraßenbebauung an den Gürtel, der die Vorstädte von den Vororten trennt, verlegt, wo dann das gründerzeitliche Wien entstanden wäre. Das hätte der Innenstadt viel wirtschaftlichen Druck erspart und außen ein wirtschaftliches und kulturelles, den Anforderungen der Zeit entsprechendes Zentrum geschaffen.
    natürlich utopisch.
    Aber in Italien, etwa Rom hat man immer so gehandelt, Bestehendes bestehen lassen und daneben weiter gewurstelt.
    Wie schön ist der Belvederegarten. Wer hätte an dieser Stelle gründerzeitliche Rasterbebauung...
    Ich glaube niemand.

    Bedauerlich übrigens, dass die neben der Ringstraße zweite bedeutende gründerzeitlche Monumentalachse, nämlich die Bebauung am Rande des Wienflusses, also die Strecke Hofburg- Schönbrunn als Prachtstraße, mangels Interesse des Hofes, nicht zustande gekommen ist. Nur am Naschmarkt künden noch Teile von diesem Vorhaben, welches die üblichen 08-15 Bebauung weit in den Schatten stellt.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
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    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Kleist hat natürlich Recht, wenn er Wien nur mit den Großen im europäischen Format (Paris....) vergleichen möchte, wenn überhaupt. Dresden usw., die auch alle nicht schlecht sind, spielen in einer anderen Liega und das ist auch richtig so. Jede Stadt ist etwas besonderes. Wien ist die Stadt des Barock, hier gibt es ohne Ende Barockbauten der europäischen Spitzenklasse. Wenn ich mal für das heutige Deutschland sprechen darf: Da konnte keine Stadt mit Wien mit halten, selbst wenn man alle Kriegverluste und Vorkriegs-Abrisse ignoriert. Anders sieht es mit Bauten aus der Renaissance aus. Sieht man von der mächtigen, beinahe "italienischen" Stallburg (Teil der Hofburg) ab, ist mir nichts wirklich beachtenswertes bekannt.

    ursus spricht ein ganz interessantes Thema an. Man braucht sich nur alte Stadtansichten anschauen, und stellt fest, dass durch die konsequente Bebauung der Wiener Vorstädte/bzw. Ringstraßenzone durchaus Qualitäten verloren gegangen sind. Wie anders muss es ausgesehen haben, als die großen Palästen wie das Belvedere/Palais Schwarzenberg mit Karlskirche oder Palais Trautson sozusagen vor der Sadt lagen? Ich denke allerdings nicht, dass Lösungen wie in Rom (die durchaus anzuerkennen und sehr beachtenswert sind - denn sonst wüssten wir ja viel weniger vom antiken Rom) hätten auf Wien übertragen lassen, irgendwann wäre der Druck auf die Freiflächen zu groß geworden. Seien wir einfach zufrieden mit der ausgeführten Lösung der Ringstraße, denn mit Recht gilt die Wiener Ringstraße als eines der wichtigsten städtebaulichen Ensembles, das die Gründerzeit im deutschen Sprachraum hervor gebracht hat. Und dieses Ensemble existiert bis heute, ohne nennenswerte Brüche.

  • Zitat von "Kleist"

    Ich liebe diese Gründerzeitarchitektur, vergleiche zu anderen Städten möchte ich nicht ziehen, da ich vl. das Ganze etwas verkläre. Die einzigen Städte, die meiner Meinung nach in dieser Hinsicht mit Wien mithalten können, sind St. Petersburg und das Haussmann´sche Paris, auch wenn jetzt Einsprüche vom Exilanten, Youngwoerth und Sonstigen kommen werden. Wer Wien kennt, weiß um die unglaubliche Heterogenität der Gründerzeitbauten, aber speziell der Wiener Secessionismus in seiner Eleganz übertrifft den Gaudischen Jugendstil für mich bei weitem, diese slawische Verformung (wie in Prag oder Budapest) sagt mir gar nicht zu (wieder Einsprüche vom Exilanten ;)

    lg

    Nein, da ist mein Geschmack ein ganz anderer.
    Vieles sehe ich gegenteilig.
    Den Wr Historismus schätze ich (über meine ggst negative Einstellung hinaus) ganz besonders gering, sofern es ihn als Massenphänomen betrifft. Daher gehen die aus Beispielsnennungen bestehenden Einwendungen des Exilanten ins Leere.
    Ich meine eben, als Massenarchitektur hat er sehr versagt, viel Wertvolles verdrängt und aufgrund ökonomischer Bedingungen
    uns bessere Leistungen, zu denen er sehrwohl fähig war, vorenthalten.
    So ist diese uniforme, viel zu enge Vorstadt- und ganz besonders bedauerlicherweise auch Innenstadtbebauung entstanden, die so uninspiriert und ermüdend wirkt. Keine Prachtstraßen (von Ring und Wienzeilenfragment sowie wenigem anderen natürlich abgesehen), keine Fröhlichkeit aufgelockerter Villenviertel, keine bizarren Exotizismen, nur diese ewigen Raster mit elenden schablonenhaften Verzierungen.
    Ein paar hübsche Kirchen vielleicht, hier ist auch die erwähnte Heterogenität feststellbar.
    Der Secessionismus ist ein eigenes Kapitel, über den nicht in diesem Kontext zu urteilen ist, schließlich entstand er gerade aus Ablehnung dieses Phänomens. Natürlich ist er von erlesenem Geschmack, sozusagen als Wiederherstellung der Wiener Verhältnisse nach der ekletizistischen Katastrophe.
    Ich mag aber auch die exotischen Abwandlungen, und insbesondere Gaudì, von dem man in Sachen Wiederaufbau sehr viel hätte lernen können. Gotisierende Gaudìbauten in Nürnberg neben St Sebald oder dem Rathaus, monumental wie dieser Bischofpalast in Astorga oder so ähnlich, das wäre was gewesen...

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.


  • Im Prinzip bin ich sehr froh, dass die Stadt Wien so kompakt gehalten wurde, denn sonst hätten wir heute komplett verbaute Wienerwaldviertel im Süden und Westen, womit viel Reiz verloren gegangen wäre, speziell die oft mittelalterlichen Ortskerne wie Perchtoldsdorf gäbe es wohl nicht mehr. Natürlich ist die Demolierung der Freiflächen eine Tragödie, da hätte man behutsamer umgehen müssen.
    Jeder sieht die Dinge anders, aber deine Einschätzung des Historismus kann ich einfach nicht teilen. Wo befinden sich diese uniformistischen Ensembles, wenn man von ganz wenigen Ensembles wie der von dir gezeigten Straße absieht? Da gibts einfach viel mehr Heterogenität, viele viele Straßenzüge sind durchsetzt von frühhistoristischen, secessionistischen, secessionistisch-historistischen und klassizistischen Bauten des Biedermeier, dazwischen immer wieder barocke Kirchen, Häuser und kleine Ortskerne. Nimm gerade den Alsergrund als Beispiel, die Währingerstraße besteht aus einem sehr gemischten Bestand, auch die Liechtensteinstraße genau wie die Porzellangasse, in der Wasagasse gibt es viel klassizistisches, das einzige wirkliche Historismusensemble aus einem Guß ist das untere Ende der Thurngasse. Genauso sieht es in den Bezirken Josefstadt, Neubau und Mariahilf aus. In Bezug auf die innere Stadt gebe ich dir allerdings zum wiederholten Male recht, dort stört mich der Historismus ein wenig bis stark. Bei den Vorstädten bin ich anderer Meinung.

    Leipziger: Ich würde gar nicht sagen, dass der Dresdner Historismus oder der Leizipger in irgendeiner Form schlechter waren oder weniger pompös oder elegant oder was auch immer. Das soll jeder nach seinem Geschmack beurteilen, dem einen gefällt dies, dem anderen das besser. Auf gar keinen Fall will ich Wien auf einen Thron heben und über andere Städte stellen, das maße ich mir nicht an, dazu hab ich auch zu wenig gesehen!

    lg

    "Ich denke an Wien, so wie Sie an Brüder, an Freunde denken, die jetzt an der Front sind. Nun sind sie fern von Ihnen und Sie wissen sie in Gefahr, ohne ihnen beistehen, ohne diese Gefahr teilen zu können" - Stefan Zweig 1940

  • Kleist:
    Wer sagt, dass sich die Stadt in den Wienerwald hätte fressen müssen - nach Süden hin ist genug Platz.
    Und Bedasduaf hätte im Stadtorganismus genauso wie Nussdorf überlebt.
    Die Minderwertigkeit unseres Historismus belege ich lieber mit Bildern, denn eines davon sagt mehr als 1000 worde... :zwinkern:

    Begeben wir uns gleich in medias res und setzen in der Engelsberggasse fort, diesmal Blick zurück in die Dapontegasse (mein Schwachsinn bei der Namenserklärung hat offensichtlich niemandem aufgestoßen, eine Schande für dieses Forum!!!):

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    http://www.pic-upload.de/view-1372232/IMGP0122.JPG.html

    Von weiter hinten, mit Gemeindebau:

    http://www.pic-upload.de/view-1372246/IMGP0123.JPG.html" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.pic-upload.de/view-1372246/IMGP0123.JPG.html

    igittigitt...

    Die gegenüberliegende Seite, Gebäude von ganz besonderer Minderwertigkeit:

    http://www.pic-upload.de/view-1372261/IMGP0124.JPG.html" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.pic-upload.de/view-1372261/IMGP0124.JPG.html

    Da hilft nur die Flucht. Fragt sich nur wohin.
    Ecke Neulinggasse - Ungargasse finde sich dies:

    http://www.pic-upload.de/view-1372293/IMGP0114.JPG.html" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.pic-upload.de/view-1372293/IMGP0114.JPG.html
    Beinahe magyarisch anmutend. Sicher eines der wenigen Beispiele mit einem Hauch von Originalität. Ob dies einen genaueren Blick rechtfertigt?

    Zurück auf den Dannebergplatz- Barock im Schatten des 2. WK

    http://www.pic-upload.de/view-1372036/IMGP0139.JPG.html" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.pic-upload.de/view-1372036/IMGP0139.JPG.html

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    http://www.pic-upload.de/view-1372052/IMGP0140.JPG.html

    ganz idyllisch, nicht wahr? Nur den Blick leicht nach links schweifen, oder, schlimmer noch, sich umdrehen sollte man nicht:
    http://www.pic-upload.de/view-1372072/IMGP0141.JPG.html" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.pic-upload.de/view-1372072/IMGP0141.JPG.html

    Nun ja, auch eine Form großstädtischen Bauens.
    Spielplatzidylle:
    http://www.pic-upload.de/view-1372093/IMGP0146.JPG.html" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.pic-upload.de/view-1372093/IMGP0146.JPG.html
    oder: Krieg und Frieden.
    Nochmals die etwas konträre Randbebauung:
    http://www.pic-upload.de/view-1372107/IMGP0148.JPG.html" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.pic-upload.de/view-1372107/IMGP0148.JPG.html

    In der Barmherzigenbrüdergasse mal was rundherum Erfreuliches:
    http://www.pic-upload.de/view-1372122/IMGP0099.JPG.html" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.pic-upload.de/view-1372122/IMGP0099.JPG.html

    auch solche potsdamisch anmutende Relikte aus kultivierterer Zeit gibt es in den Vorstädten, in Landstraße leider selten.

    Nach dieser Stärkung sind wir gewappnet für Deftigeres:

    http://www.pic-upload.de/view-1372136/IMGP0149.JPG.html" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.pic-upload.de/view-1372136/IMGP0149.JPG.html

    Die Landstraßer Hauptstraße. Nun ja, in der BRD gibt es schlimmere Einkaufsstraßen, aber wir beeilen uns trotzdem mit der Überquerung, denn es wartet eine Vorschau auf ein geleistetes Versprechen, Vorschau ist der richtige Ausdruck:

    http://www.pic-upload.de/view-1372158/IMGP0150.JPG.html" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.pic-upload.de/view-1372158/IMGP0150.JPG.html


    Hier sieht man, wenngleich noch etwas aus der Ferne, endlich hehre Architektur! Hier ist es, das soziale Wien, auf wiederholtes eindringliches Verlangen! Und es kommt noch besser:

    http://www.pic-upload.de/view-1372173/IMGP0155.JPG.html" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.pic-upload.de/view-1372173/IMGP0155.JPG.html

    Der Rabenhof, einer der ganz großen Gemeindebauten, benannt nach einem Hauszeichen in der Rabengasse, eine Stadt in der Stadt. Architektur mit großem Pathos, man fühlt sich beinahe wie in einer Burg (der Vergleich hinkt nicht einmal besonders, wie man lesen wird).

    http://www.pic-upload.de/view-1372184/IMGP0158.JPG.html" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.pic-upload.de/view-1372184/IMGP0158.JPG.html

    Große, unregelmäßige Anlage mit diversen Höfen, hier der Kernbereich (vielleicht von einer Briefmarke aus den 70ern bekannt):

    http://www.pic-upload.de/view-1372197/IMGP0166.JPG.html" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.pic-upload.de/view-1372197/IMGP0166.JPG.html


    Wir werden uns mit dieser speziell in Erdberg gehäuft auftretenden Architektur noch wiederholt auseinandersetzen, doch für heute machen wir Schluss, denn es dunkelt und die Bilder verlieren an Schärfe:

    http://www.pic-upload.de/view-1372215/IMGP0164.JPG.html" onclick="window.open(this.href);return false;\r
    http://www.pic-upload.de/view-1372215/IMGP0164.JPG.html


    Bis bald, ich hoffe, ihr seid wieder zahlreich mit dabei!

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • (irrtümlich doppelt gesendet)

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Gut, ich denke wir kommen auf keinen grünen Zweig; zwei Dinge möchte ich allerdings erwähnen.

    1) In meinem vorigen Beitrag ging es mir nicht um die Qualität des Historismus, sondern um die Heterogenität. Deine Antwort und deine Bilder sind somit etwas an meinem Beitrag vorbeigegangen, aber ich werde Bilder bringen, sobald ich kann!

    2) Dir, wie mir, gefällt der Stil des Roten Wiens, danke für die Bilder. Doch bestehen diese Bauten nicht auch aus einem Mischmasch an historisierenden Formen, Stichwort "Arbeiterpalast"? Ist es nicht genau das, was Du am Wiener Historismus kritisierst, die fehlende Originalität? Der Stil des Roten Wiens hat international aus der Bauhausabteilung und den Anhängern Corbusiers massive Ächtung erfahren, aufgrund seiner mangelnden Eigenständigkeit und seiner historisierenden Formen. Der Metzleinstalerhof beispielsweise wurde als "aneinandergereihte, historisierende Mietskasernen" abgestempelt!

    lg

    "Ich denke an Wien, so wie Sie an Brüder, an Freunde denken, die jetzt an der Front sind. Nun sind sie fern von Ihnen und Sie wissen sie in Gefahr, ohne ihnen beistehen, ohne diese Gefahr teilen zu können" - Stefan Zweig 1940