Der Umbau des Mainzer Theaters 1910

  • Das Mainzer Theater hat eine abwechslungsreiche architektonische Geschichte.

    Anstelle des von Napoleon und seinem Architekten St. Far projektierten Theaters am damals neu entstandenen Gutenbergplatz entschied sich der Mainzer Stadtrat nach 1814 für einen abweichenden Theaterbau. Aber erst 1829 einigte man sich auf den Neubau, der von dem Darmstädter Hofbaumeister Georg Moller entworfen wurde. Aus welchen Gründen auch immer: Er verwirklichte den ersten Theaterbau der Neuzeit, der seine innere Anlage (runder Zuschauerraum) auf die Fassade projezierte, so wie in der römischen Antike das Colosseum oder das Marcellus-Theater. Nachdem der Theaterbau also nicht mehr im Schlosskomplex versteckt, sondern "bürgerlich" und öffentlich wurde, war er mit dem Mainzer Haus nun erstmals auch nicht mehr in die antike Tempelform gekleidet. Dieses Theater wurde zum Vorbild für Sempers erste Dresdner Hofoper, die aber 1869 abbrannte.

    Der Wunsch nach einem großzügigen Foyer und die sich aus der "Preußischen Brandschutzverordnung" ergebenden Notwendigkeiten führten 1910 zu einem radikalen Umbau des Theaters: In nur sechs Monaten (!) wurde dem Altbau ein großzügiges Foyer vorangebaut, das seitlich auch die zahlreichen neuen Treppenhäuser umfasste. Den Zuschauerraum veränderte man nicht, überhaupt hat man nur soviel verändert, wie es notwendig war. So blieb beispielsweise das alte Halbkegeldach des Zuschauerraums usw. erhalten. Der Mollersche Teil wurde nun aber verputzt.

    Der Charakter des Gebäudes hat sich so merklich verändert. Die Frontseite zeigt sich nicht mehr bürgerlich-zurückhaltend und auch die funktionalistische Halbrundung verschwand. Dafür erinnert das Haus nun eher an eine Burg. Andere Meinungen bringen diese Fassade des Mainzer Stadtbaumeisters Adolf Gelius in Zusammenhang mit neubarocker Architektur. Wiederum Andere sehen in dem bossierten Sockelgeschoss sofort Anklänge an die Renaissance, wie den Palazzo Medici in Rom. Aber dann sind da noch einerseits die Ecktürme, die an römische (Limes?-) Wehrtürme erinnern und Einflüsse des Jugendstils.

    1942 wurde das Theater bereits beim ersten Bombenangriff auf Mainz schwer beschädigt. Aber schon 1951 erfolgte dann die Neueröffnung nach einem vereinfachenden Wiederaufbau. Leider entfernte man bei diesem die charakteristischen Ecktürme, die Balustrade und die Sprossenfenster.

    1998 wurde das Haus grundsaniert und entkernt. Die Ecktürme und die Balustrade wurden (in rosa gestrichenem Beton...) wiederhergestellt, dafür die alte Dachkonstruktion (des Mollerschen Zuschauerraums) zugunsten eines riesigen Glaszylinders zerstört. In diesem wurde dann u.a. das Restaurant "Mollers" (...) eingerichtet, das es aber auch schon nicht mehr gibt. Hier ist nun eine Tanzprobenbühne untergebracht.

    Ein interessantes Gebäude mit einer spannenden Geschichte. Nun würde ich aber gerne hier im Forum etwas über den Stil der Fassade von 1910 hören. Kann mir jemand genauer erklären, wie die Fassade von Gelius zu interpretieren ist? Und warum sie (bis heute) so verkannt und verhunzt, weil verhasst, ist? Ich finde sie wunderschön, aber ich kann sie nicht recht stilistisch einordnen. Ich bitte um Mithilfe ;)

  • Alexander
    Grundsätzlich finde ich Gebäude mit einer derart bewegten Baugeschichte sehr spannend. Danke für Deinen Einblick!
    Zum Architekturstil kann ich Dir leider auch nicht viel sagen: Der symmetrische Aufbau, die Wölbung im Grundriss und die Fassadengliederungen gehen aber schon eher in Richtung Neobarock. Wenn man will, dann kann man aber sicher auch ein wenig Neorenaissance darin finden (Rustika). Das war damals aber auch kein Widerspruch.
    Auf jeden Fall finde ich leider den glatten, runden Glastopf, den man erst vor doch recht kurzer Zeit auf Euer schönes Theater gepflanzt hat, ganz und gar fürchterlich! Man kann ja m.E. durchaus historische Gebäude mit modernen Bauteilen ergänzen, aber definitiv nicht so!
    Falls Du noch irgendwelche Infos hast, warum man damals meinte, dass Haus derart verunstalten zu müssen, würde ich die sehr gerne wissen. An einer Stelle habe ich jedenfalls gelesen, dass die Rundung des Ursprungsbaus wieder herausgearbeitet werden sollte?!
    Beim Recherchieren im Netz habe ich auf der Seite des Architekten einen stark abweichenden Entwurf gefunden, den ich aber auch nicht besser gefunden hätte: http://www.schoyerer.de/SYRA/01_OPER_4.html
    Die wieder aufgesetzten Türme und die Balustrade sind leider auch nur unwesentlich besser geraten, da sie in der Materialität überhaupt nicht zum roten Sandstein (?) des Bestandes passen wollen und sich nicht mit ihm optisch verbinden. Nach meinem Geschmack hätte ich die Türme auch entbehrlich gefunden, ganz anders als die Sprossengliederungen der Fenster.

  • Auch ich würde von einer Verbindung aus Neorenaissance und Neobarock ausgehen. Die Wiederherstellung der Türme und der Balustrade begrüße ich. Die Materialangleichung zur Fassade ließe sich in Zukunft auch einfach nachrüsten. So sehr stört mich der unterschiedliche Farbeindruck aber nicht.

  • Ich würde bei dem 1910er Umbau fast schon von einem renaissancierenden bzw. barockisierenden Reformstil sprechen, mit einem Hauch von schwerem Jugendstilesprit

  • Danke schon mal für die ersten zwei Reaktionen! Hmm, sollte ich besser noch ein eigenes Thema zum Umbau von 2001 öffnen? Wäre spannend genug ;) Dann kämen wir auch nicht durcheinander, denn hier will ich in erster Linie über die Stilfrage des 1910er Umbaus diskutieren.

    Denn ich finde, dass es außer Neubarock- und Neurenaissance-Elementen auch auf das alte Rom verweist. Sehen die Ecktürme nicht ein wenig aus wie Grenztürme am Limes? Die Saalburg ist ja erst kurz vorher rekonstruiert worden... Und was haltet Ihr von den seitlichen Eingängen? Haben mich immer irgendwie an antike Grabeingänge erinnert, oder was meint Ihr?

    Weitere Frage: Gibt es denn bossierte Sockelgeschosse denn nie auch an neubarocken Gebäuden? Oder ist das dann wirklich ein eklektizistischer Mix?

    @arwed
    Auf Deine Fragen komme ich gerne noch zurück, aber später. Was hältst Du von der Idee eines eigenen Threads?

  • Zunächst einmal ein herzliches Willkommen an unser neues Mitglied. Endlich Verstärkung! Egal, ob aus der Vilzbach, dem Gaddefeld oder aus dem rechtsrheinischen Gazastreifen: Du bist en Meenzer, Meenzer, Meenzer. drink:) Helau.

    Bei dem Theater und seinem Standort gehen einem tausend Sachen auf einmal durch den Kopf, so daß man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Von 1450 an war der Standort eines der zentralen Gebiete der dichtbebauten Stadt gewesen; im Lauf der Jahrzehnte verdichtete sich die Nutzung immer mehr zu einem der Hauptverwaltungsstandorte des Domkapitels und dem Dom zugehörigen Gremien. In der ersten Hälfte des 17. Jhd. wurde dort die frühbarocke Stadion´sche Dompropstei erbaut, die dann im späteren 18. Jhd. nicht mehr repräsentativ genug war. Zwischen 1781-86 wurde dann die neue von der Leyen´sche Dompropstei durch Charles Francois Ignace Mangin erbaut (Stichwort Schloß Monaise in Trier), die als Sensationsbau des Klassizismus in Deutschland galt. Goethe war ganz verrückt nach der neuen Dompropstei und sein erster Gang in die Stadt und sein erster Gedanke nach der Bombardierung 1793 galt ihr.
    Anstelle des bis dahin dichtbebauten mittelalterlichen Kernaltstadtgebiets hatten die französischen Planungen Pariser Vorbilder vor Augen, wobei ein zentraler Punkt war, Johannes Gensfleisch zur Laden - Gutenberg, den die Franzosen als einer der Urväter der Revolution ansahen, mit einem Platz und einem Denkmal zu ehren. Boulevardcharakter sollte schließlich die Grand Rue Napoleon haben, die ursprünglich vom Rhein ausgehen sollte und, in den Dietmarkt/ Schillerplatz mündend, den Bassenheimer Hof als point-de-vue haben sollte.
    Nach dem Abriß der Ruine blieben lediglich die Reste der vier Attikafiguren und einige Kapitelle übrig.
    Die Planungen für das neue Mayence und das von Napoleon 1804 dekretierte Komödienhaus waren umfangreich, aber das liebe Geld... Verwirklicht wurden lediglich die heutige Steinhalle am Schloß (ursprüngliches Zolllager) sowie das "Napoleonhaus" am Gutenbergplatz, das im 19. Jhd. Leitbaucharakter für die drei weiteren Eckgebäude des Gutenbergplatzes hatte.
    Die Nutzung der ehemaligen kurfürstlichen Reithalle als Komödienhaus, heutige Steinhalle des Landesmuseums, nahe am Schloß, hatte von Anfang an einen provisorischen Charakter, so daß das wachsende Selbstbewußtsein der Bürger im 19. Jhd. natürlich auch den Wunsch nach einem richtigen Theater nachvollziehbar macht. Doch erst ein Menschenalter später war das Gebiet zu einem richtigen und erkennbaren Platz gewachsen.
    1829 Grundsteinlegung, 1833 Einweihung. Aus finanziellen Gründen war das Gebäude nicht verputzt, sondern ebenfalls über ein Menschenalter waren die Bruchsteine des Mauerwerks neben den Sandsteingliederungen zu sehen.
    Moller griff mit dem Verzicht auf einen Säulenportikus und der Übertragung des Zuschauerraums auf die Fassade auf ein für die Zeit völlig neues Konzept zurück, wobei sich in der Folge aber als Problem ergab, daß für die Zuschauer keine wirklichen Aufenthaltsräume zur Verfügung standen.
    Die Umbauten durch Gelius zwischen 1908-10 brachten für den Mollerbau tiefgreifendste Veränderungen, wie das Vorblenden eines segmentförmigen Foyers vor das Halbrund des Zuschauerraums, den Umbau des Bühnenhauses, des Zuschauerraums und die Erhöhung um ein Halbgeschoß.
    Nach der Kriegszerstörung 1942 wurde das Theater bis 1953 wiederaufgebaut, wobei allerdings die Ecktürmchen und die Balustrade zum verhaßten Objekt des Wilhelminismus deklariert und abgerissen wurden, um mit der Betonung der Horizontale das Bild der Fassade zu "brechen". Diese Haltung hat sich im Grund genommen bis heute nicht verändert: im Vorfeld der Sanierung, die um 2001-02 abgeschlossen wurde, wurde es letztendlich nur nach erheblichen Verhandlungen möglich, das Erscheinungsbild um 1910 wiederherzustellen, wobei anzumerken ist, daß dies gegen den massiven Widerstand der Architektenschaft geschah und die Planungen zur Wiederherstellung als "Wilhelminische Großmannssucht" torpediert wurden. Die Ausführung in Beton ist einfach nur schlecht. Die zu schluckende Kröte war, daß am Ende die Wiederherstellung der Ecktürmchen und der Balustrade nur dadurch erreicht werden konnte, daß als Zutat bzw. Kontrast die Tortenhaube aufgesetzt wurde.

  • Ich freue mich über die vielen Antworten hier! Ich komme leider nicht immer sofort dazu, zurückzuschreiben.

    Also, erstmal @Arwed:

    Auf jeden Fall finde ich leider den glatten, runden Glastopf, den man erst vor doch recht kurzer Zeit auf Euer schönes Theater gepflanzt hat, ganz und gar fürchterlich! Man kann ja m.E. durchaus historische Gebäude mit modernen Bauteilen ergänzen, aber definitiv nicht so!
    Falls Du noch irgendwelche Infos hast, warum man damals meinte, dass Haus derart verunstalten zu müssen, würde ich die sehr gerne wissen. An einer Stelle habe ich jedenfalls gelesen, dass die Rundung des Ursprungsbaus wieder herausgearbeitet werden sollte?!
    Beim Recherchieren im Netz habe ich auf der Seite des Architekten einen stark abweichenden Entwurf gefunden, den ich aber auch nicht besser gefunden hätte: http://www.schoyerer.de/SYRA/01_OPER_4.html
    Die wieder aufgesetzten Türme und die Balustrade sind leider auch nur unwesentlich besser geraten, da sie in der Materialität überhaupt nicht zum roten Sandstein (?) des Bestandes passen wollen und sich nicht mit ihm optisch verbinden. Nach meinem Geschmack hätte ich die Türme auch entbehrlich gefunden, ganz anders als die Sprossengliederungen der Fenster.

    Oh ja! Da muss ich leider zustimmen... :(

    Wie es dazu kam?
    1) Der Murx ist in das Haus mit ersten entstellenden Renovierungsarbeiten 1939 eingezogen. Da wurden schon das prächtige Foyer von 1910 und der nicht groß veränderte Saal von 1833 ganz kräftig purifiziert und geweißelt... :( Und wie sagt man? Hat der Murx erst einmal Einzug in ein Gebäude genommen, dann breitet er sich immer mehr aus...

    2) Nach dem Krieg sah man - wie Weingeist hier sehr treffend schreibt - die Fassade als Beispiel für "Wilhelminische Großmannssucht" an und versuchte, das Theater im Sinne einer "Demokratischen Architektur" zu verändern. Entfernung der Ecktürme, der Balustrade etc. Umdeutung der Fassade von vertikaler zu horizontaler Gliederung. Und ganz besonders schlimm: Entfernung der Sprossenfenster und der Türstürze der Foyerfenster in Sandstein. Interessant in diesem Zusammenhang ist ebenso, dass man 1951 im Foyer keine Kronleuchter mehr einbaute! Das Foyer wurde von vertikal an den Wänden angebrachten (verblendeten) Neonröhren beleuchtet ;) Und der Saal wurde beim Wiederaufbau massiv verändert, vereinfacht und verkleinert. Der 4. Rang entfiel, die Decke war entsprechend niedriger. Der dritte und zweite Rang wurden zusammengefasst, die Säulenkolonnade vor dem 3. und 4. Rang verschwand. Wegen des geringeren Raumvolumens und der nun glatten Materialien (kein schallbrechender Stuck mehr etc.!) wurde die Akustik schlechter.

    3) Die Renovierung von 1977/78 verfestigte den Zustand von 1951, allerdings stiftete Schott-Glas aus Mainz ein paar Kronleuchter. Auch das Erdgeschoss des Foyers wurde radikal verändert durch Einbau einer zentralen Garderobenanlage, wo sich vorher die Kassenschalter befanden.

    4a) Für die nächste Renovierung kam ca. 1996 der Wunsch nach einem Dachcafé oder-Restaurant auf... Stichwort Eventkultur... Und beinahe wären die Modelle, die man auf der Homepage von Schoyerer sehen kann, verwirklicht worden. Denn genau so war es geplant, als der Umbau 1998 losging. Aber damals war Stand der Dinge, eine elektronische Nachhallanlage im Saal zu installieren, um die schlechte Akustik aufzumöbeln. Der Saal hätte seine niedrige Decke beibehalten. Denn ausschlaggebend für den Umbau waren vor allem Änderungen im Bereich der Bühne, hier unter anderem Einau einer 17 Meter tiefen Versenkung als Anschluss zum erst ein Jahr vorher errichteten "Kleinen Haus", in dessen Keller sich nun das Kulissenlager befindet. Das Vorderhaus sollte nur marginal verändert, vor allem ein Restaurant auf die ehemalige Dachterrasse des 4. Rangs gepflanzt werden.

    4b) 1999, ein gutes Jahr vor der geplanten Eröffnung im September 2000 widmete sich die Stadt erneut dem Problem der schlechten Akustik und beauftragte Prof. Fuchs, einen renomierten Raumakustiker, mit Verbesserungsvorschlägen. Sein Gutachten empfahl dann die Vergrößerung des Raumvolumens des Saals durch Anhebung der Deckenhöhe bei veränderter Form der Ränge und Verwendung zahlreicher Reflektoren im Saal. Die Form der Ränge war vorher halbrund, nun sollten sie zu je drei eckigen Schubladen pro Rang geformt werden. Als geeigneten Partner scheint damals sofort ein Stuttgarter Architekturbüro, KTP, von Fuchs vorgeschlagen worden zu sein. Jedenfalls nahm das Bauamt die Ideen von Fuchs rasch auf und beauftragte Kauffmann, Theilig und Partner für das gesamte Vorderhaus. Schoyerer war damit ab sofort nur noch für das Hinterhaus zuständig, das Theater wurde in zwei Baustellen geteilt... Elf Monate vor der Eröffnung wurde nun also auch noch der Zuschauerraum abgerissen, den man ja eigentlich behalten wollte... Das Bauamt beharrte so lange es ging auf der Möglichkeit des Eröffnungstermins, bis man dann doch bekanntgeben musste, dass er sich um ein Jahr verzögern wird. Und als dieser dann erreicht war, war das nun eröffnete Theater immer noch auf lange Zeit nicht fertig.

    Klar war mit der Umplanung, dass der Saal zwei Meter höher werden wird, als er jemals zuvor gewesen war. Die alte Mollersche Überdachung war deswegen evtl. nicht mehr wiederherstellbar, aber vor allem kam nun die Idee auf, ob man das projektierte Dachcafé nicht noch spektakulärer platzieren könnte - nämlich auf die Decke des Zuschauerraums. So entstand nach einer ersten Idee einer metallverkleideten Filmrolle samt gläsernem Aufbau das Konzept des Glaszylinders, der im Inneren den hohen Saal und das daraufliegende Restaurant umhüllt. Noch keine Rede von bedrucktem Glas, das die Sonneneinstrahlung reduzieren soll. Das Monster wurde genehmigt und gebaut. Das Restaurant, um das sich die Pächter reißen würden, wie es der Baudezernent prophezeite, störte nur die Vorstellungen, bevor es pleite ging. Dann zog dort das Theater mit einer Studiobühne ein, heute ist es in erster Linie ein Tanzprobenraum... Schlimm ist ja, dass ein weiteres Stück originaler Architektur mit dem Moller-Dach verschwunden ist und man das neue Restaurant dann perfiderweise "Mollers" genannt hat... Tatsächlich hat man auch in der Rundung einen Bezug zu Mollers Originalbau sehen wollen, aber das ist Quatsch. Der Glaszylinder hat zwar einen ähnlichen Durchmesser wie der Mollersche Fassadenzylinder, aber er steht weit mehr als exakt ein Halbzylinder der Querfassade vor.

    Die Denkmalpflege war mit dem Glaszylinder insofern einverstanden, als sie damit gleichzeitig die Forderung nach Wiederherstellung der vordersten Fassade verbinden konnte. Leider hat man sich dann aus Kostengründen nur auf den Wiederaufbau von Türmen und Balustrade in Beton entschieden und die Fenster ganz außen vor gelassen. Man hätte es dann auch ganz sein lassen können. Mein Foto zeigt den Zustand von 2009, man kann sich vorstellen, wie der Kontrast zum rotem Mainsandstein nun im Jahr 2015 ausfällt :(

    Soweit meine Erklärung, wie es zu dem Glaszylinder von 2001 kam.

  • Heimdall
    Ich habe mir immer die Wiederherstellung der Türme und der Balustrade gewünscht! Aber anscheinend soll man sich davor hüten, dass die Wünsche in Erfüllung gehen, denn nun ist das Haus im Inneren fast komplett ein antiseptischer Neubau geworden und hat sein Dach genommen bekommen. Und dazu erst kommt auch noch die billige Ausführung von Türmen und Balustrade in Beton. Und ob wir das noch erleben werden, dass das zu Sandstein geändert wird...?

    Zurück zu 1910: Sind denn bossierte Sockelgeschosse so typisch für Renaissance oder woran könnte man den Renaissance-Stil sonst noch festmachen?

    Ich finde auch, Elemente des Monumentalismus und des Reformstils in der Fassade zu sehen. Aber was ist Reformstil genau? Das Buch von Sigrid Hofer (Reformarchitektur 1900-1918) hat mir jedenfalls nicht sehr viel helfen können... :( Ein Mainzer Denkmalpfleger brachte die Theaterarchitektur mal auf den Begriff "Jugendstil mit Pathos"... Das trifft natürlich gut die Zeit vor 1914... Und Jugendstil wurde ja auch gerne mit einer Neuinterpretation des Barock verglichen. Aber ist das nicht sehr spät für Jugendstil? Und überhaupt: Im Ganzen ist das doch keine Jugendstilfassade, sondern enthält nur Elemente von Jugendstil...

    Danke sehr für die Links zur Schauburg in Hannover! Kannte ich noch nicht einmal! Die konvexe Vorwölbung des Foyers war ja wirklich - neben dem Bühnenturm - das Symbol für Theatergebäude und hier kann man auch wieder schön die Treppenhauslösung an den vorderen Ecken sehen, wenn auch keine Türmchen ;)

  • @Kaoru

    Ich würde bei dem 1910er Umbau fast schon von einem renaissancierenden bzw. barockisierenden Reformstil sprechen, mit einem Hauch von schwerem Jugendstilesprit

    Schön ausgedrückt! Das Wort vom "schweren Jugendstilesprit" erinnert mich zusätzlich an das Foyer. Auch wenn es hier nur um die Fassade von 1910 gehen soll, muss man aber auch das Foyer von 1910 mal gesehen haben... Dunkelgrüner Damast, goldene stilisierte Pilaster und Kapitelle, Brauntöne, Jugendstilgeländer, Stuckdecke :)

  • Schön ausgedrückt! Das Wort vom "schweren Jugendstilesprit" erinnert mich zusätzlich an das Foyer. Auch wenn es hier nur um die Fassade von 1910 gehen soll, muss man aber auch das Foyer von 1910 mal gesehen haben... Dunkelgrüner Damast, goldene stilisierte Pilaster und Kapitelle, Brauntöne, Jugendstilgeländer, Stuckdecke :)

    Wobei die Gesamtwirkung schon sehr konservativ historisierend ist, erst in den Details offenbart sich ein neuer Zeitgeist, die Ästhetik der neuen nietzschen Philosophie findet, wenn auch nicht konsequent, in dieser Architektur ihre Umsetzung.
    Schon spannend, wenn in einem Bau Elemente der Vergangenheit (Historismus) mit Elementen der zeitgenössischen Gegenwart (Jugendstil, Fin de Siècle) vereint und sie in Kommunikation, vielleicht auch in Konkurrenz treten läßt.

    Was ich an der Fassade als (Neo-)Rennaisance sehe? Nun, muß ich mal eingestehen (da sollen sich manch selbsternannte Stilexperten nicht mehr vormachen als da ist) da im Historismus die unterschiedlichsten Form- und Ästhetikströmunungen nebeneinander und miteinander vermischt stehen ist eine exakte Stilzuordnung nicht immer möglich.
    Bei den historischen "Originalstilen" hat man (wenn auch nicht immer eindeutige) Zeitepochen als Orientierungshilfe, die fallen bei der histroristischen Reprise zumindest zum Teil weg (oder die Progression ist auf wenige Jahrzehnte zusammengerafft)... ich versuchs mal anders zu erklären, es gibt einige Bauten, die so zeitlos sind (zB Bauten Palladios), daß sie (mit kleinen Unterschieden) fast genauso in der Antike, in der Protorennaisance, in der Rennaisance, im Barock, im Klassizismus, im Historismus, im Neoklassizismus und im Neohistorismus hätten entstanden sein können. Ignoriert man also einige (eher bautechnische als ästhetische) Details, wird man ernüchternd feststellen können, daß man, wenn man den historischen Kontext eines Gebäudes überhaupt nicht kennt, mitunter arge Probleme haben kann, dieses einem konkreten Stil oder einer Zeit klar zuordnen zu können.
    Umso schwieriger wird es dann, wenn diese Stile, wie im Historismus geschehen, zitiert und kopiert werden, da fällt es dann mitunter garnicht leicht zu differenzieren, ob es ein klassizistischer Neobarock ist, eine italienisierende Neorennaissance oder ein etwas verspäteter klassizistischer Bau ist.
    Ich habe mich deswegen unter anderem für die Renaissance als mögliche Co-Intention entschieden, da sich im deutschen Historismus gerade bei bürgerlichen Bauten sich fortwährend auf die (wenn auch tendenziell eher auf die nordisch-deutsche-niederländische) Renaissance bezogen wurde, man wollte auf einen wiederwachten neuen bürgerlichen Stolz verweisen, einen, wie man ihn schon zu Beginn der Neuzeit hat erkennen wollen. Da bietet es sich doch auch für ein Theater an?

    Einmal editiert, zuletzt von Kaoru (14. Januar 2015 um 16:05)

  • Alexander Moritz
    Die Planungs- und Baugeschichte des letzten Umbaus klingt ja nach einem sehr undurchsichtigen Filz! Wenn man das Ergebnis sieht, dann bestätigt sich einmal wieder die gute alte Redewendung von den vielen Köchen und ihrem Brei.
    In Deinen Fotos ist mir noch aufgefallen, dass die Flügel des Gebäudes im Zuge des Wiederaufbaus aufgestockt wurden und dabei wohl auch das Dach des Zuschauerraumes erhöht wurde (sieht man auch gut an der Lage des Firstes gegenüber der Position der Fenster im Bühnenturm). Dies scheint aber kein störender Eingriff gewesen zu sein.

  • So, jetzt endlich Weingeist!

    Lieben Dank für den herzlichen Empfang! Und Prost aus der Neustadt :) Für ein Helau bin ich jetzt noch nicht zu haben, das überkommt mich immer erst, wenn im Theater die Posse gespielt wird ;)

    Danke Dir auch für Deinen interessanten Überblick! Dass die 1793 zerstörte Domprobstei so bedeutend war, wusste ich noch nicht. Ich denke bei 1793 immer wieder nur an die Favorite... :(

    Zu Deinem Überblick hätte ich ein paar Fragen, z.B. ob Du Dir bei einigen Punkten wirklich sicher bist (z.B. der fehlende Verputz 1833 aus Geldmangel anstelle einer künstlerischen Entscheidung, oder ob der Saal 1910 wirklich verändert wurde?). Ein paar kleine Fehler sind mir aufgefallen, wie z.B. die Aufstockung um das Halbgeschoss. Diese ist erst beim Wiederaufbau bis 1951 geschehen, wie man man auf Fotografien sehen kann. Dennoch steht das bedauerlicherweise falsch in der Denkmaltopographie, in der ebenso als Umbau des Theaters der Zeitraum 1910-1912 genannt und von dort immer wieder abgeschrieben wurde.

    Gut, dass Dir auch auffällt, wie schrecklich schlecht die Ausführung der Türmchen und der Balustrade gelungen ist. Mein Foto zeigt ja den Zustand von 2009, heute isses ja noch schlimmer ;) Wird das jemals geändert werden...? Und hoffentlich gehen die immer noch originalen 50er Jahre Foyerfenster mal kaputt und man entscheidet sich für eine Rekonstruktion der Sprossenfenster... :) Aber: Meenz bleibt Meenz, ich kann mir den Murx dann schon vorstellen... Ei, sischer ;)

  • @Kaoru

    Zunächst vielen Dank für das schöne Osnabrücker Beispiel, das ich seltsamerweise noch gar nicht kannte. Was für ein schöner Bau! Und die Gliederung durch Pilaster am Bühnenturm sehen wirklich verwandt aus. Irgendwie typisch für den "Stil um1910", wie meine Freunde und ich auch ihn nennen...

    Ansonsten teile ich ausdrücklich, wie spannend sich im Mainzer Theater konservative und zeitgenössische Einflüsse vermischt haben, in Kontrast und in Konkurrenz zueinander getreten sind!

    Den Nietzsche würde ich mir von Dir gerne ein wenig erklären lassen!

    Neurenaissance in Verbindung mit dem Bürgertum: d'accord, daher ja die vielen Neurenaissance-Rathäuser und Schulen. Aber für Theater war ja gegen Ende des 19. Jhdt. eher Neubarock tonangebend. Könnte die Rustika des Sockelgeschosses aber vielleicht daher für Bürgerstolz, also für das (kulturelle und finanzielle) Fundament des Theaters gestanden haben? Oder hat man Neubarock gerne mal mit Rustikasockeln versehen? Weiß dazu jemand was?

  • Den Nietzsche würde ich mir von Dir gerne ein wenig erklären lassen!

    So nochmal die dir als PN geschickte Antwort fürs Plenum:


    Nietzsche und Freud waren die zwei wesentlichen Impuls- und Ideengeber Anfang des 20. Jahrhundert, so wie diese beiden hat seit Kant die Welt niemand mehr verändert, so sehr wurde die Welt kaum zu vor dekonstruiert. Nahezu jeder Musiker, Architekt, Künstler und jeder der was von sich hielt hat sich von den beiden beeinflußen laßen, entweder kritisch und in extatischer Begeisterung. Als Resultat ist das Fin de Siecle zu verstehen, bedingt auch der Jugendstil in der Kunst und Architetur (wobei die Entstehung des Jugendstils komplexer ist.) Nietzsche und seine Zeitgenossen sahen die alte bürgerliche Welt im Endstadium, der Mensch wird aufgefressen von seinen eigenen Fabriken, Automobilen und Eisenbahnen.. und ist mit seinem dekonstruiertem Geisteswesen nur noch ein kleines Häufchen Elend. Seine Werte als auch seine Ästhetik schienen am Ende, nicht mehr variierbar (Verfallsästhetik..es kann nichts neues mehr kommen, alles ist schon da gewesen). Lediglich der Künstler könne die Welt noch aus ihrem Elend erretten (Dostojewski hat das ja mal, ein bißchen seiner Zeit vorraus, ganz schön formuliert "Schönheit wird die Welt retten") und da erschien der Jugendstil (auch im Hinsicht seiner Idealisierung des Menschenbildes, da war er dann, Nietzsches "Übermensch") wie eine Art Erlösung aus dieser tiefen Sinnkrise, eine neue Form der Kunst, eine Kunst für einen neuen Menschen.

    Einmal editiert, zuletzt von Kaoru (15. Januar 2015 um 01:56)

  • Vielen Dank für den Schnellkurs, Kaoru :)

    Hier noch meine letzte, ganz neue Idee für das bossierte, rustizierte Sockelgeschoss: bisher ist ja der Begriff der Romanik und der staufischen Epoche noch gar nicht gefallen. Und die (Neu-)Romanik war doch bekanntlich des Kaisers liebster Stil - und findet sich in so vielen Denkmälern der Zeit. Ist vielleicht das, was hier schon mal "schlichter Monumentalismus" genannt wurde. Aber die Bezüge zu staufischer Architektur scheinen mir zunehmend plausibler. Oder?

  • Und jetzt wieder meine obligatorische Frage :zwinkern: an Euch Alle: Wie würdet IHR diesen Stil nennen?

    Neurenaissance in Verbindung mit dem Bürgertum: d'accord, daher ja die vielen Neurenaissance-Rathäuser und Schulen. Aber für Theater war ja gegen Ende des 19. Jhdt. eher Neubarock tonangebend. Könnte die Rustika des Sockelgeschosses aber vielleicht daher für Bürgerstolz, also für das (kulturelle und finanzielle) Fundament des Theaters gestanden haben? Oder hat man Neubarock gerne mal mit Rustikasockeln versehen? Weiß dazu jemand was?

    Im frühen Historismus waren mE. Neorenaissancetheater häufier, siehe Semperoper, Wiener Staatsoper, Franfurter Oper, Hannoveraner Oper, Braunschweiger Oper uVA.
    Vielleicht weil der Renaissance das Ideal einer Frühaufklärung, der Reformation und dem starken Bürgertum zugeschrieben wurde? Dem Barock haftete vielleicht noch etwas zu feudalistisches an, und konnte sich als Stil für öffentliche Bauten erst später wieder rehabilitieren? Ist auch nur eine Vermutung von mir.

    Das rustifizierende Sockelgeschoss ist. mE auch wesentlich häufiger in der Neorennaisance denn im Neobarock vorzufinden.
    Man kann sich natürlich vortrefflich drüber streiten, wieviel man in Architektur hineininterpretieren kann. In erster Linie hat so ein massives Sockelgeschoss die extrem wichtige ästhetische Funktion dem Gebäude eine Basis zu geben, ein optisches Gleichgewicht zu erzeugen, etc. Wenn es dann noch mit weitergehenden Interpretation wie der Symbolisierung des Bürgertums als finanzielle wie personelle Stütze, Basis, eines Gebäudes als Intention übereinstimmt, ist das natürlich auch zulässig. Wobei ich mir recht sicher bin, wäre das Haus von einem Königshaus finanziert worden, wäre das Sockelgeschoss nicht allzu anders ausgefallen, es gibt einfach Standards in der Architektur die sich etabliert und bewährt haben. Eine völlig andere aber trotzdem überzeugende Lösung für ein Erdgeschoß zu finden kostet Unsummen an Geld, Planungsenergie und ob es technisch und ästhetisch funktioniert ist auch nicht sicher, da greift man dann lieber auf altbewährtes zurück.

    Einmal editiert, zuletzt von Kaoru (15. Januar 2015 um 20:36)

  • Ok, Theaterarchitektur in Verbindung mit Neubarock zu bringen (überhaupt: das Aufkommen des Neubarock!) geschah erst gegen Ende des 19. Jhdt, vorher benutzte man für Theater andere Stile. Das stimmt.

    Interessant Deine allein ästhetische Begründung des rustizierten Sockelgeschosses, hatte ich nicht mehr so auf dem Schirm. Hatte v.a. immer wieder daran denken müssen, dass das Karlsruher Theater von Weinbrenner (ca. 1820, +/-) dafür kritisiert wurde, dass es ein rustiziertes Sockelgeschoss hatte. Man sagte damals, das gehöre sich nur für ein Gefängnis und sei nicht eines Theatereingangs würdig ;)