"Zersiedelung für Fortgeschrittene"

  • Hier ein interessanter Artikel zu einem vor allem in Österreich großen Problem

    http://derstandard.at/2000004666947/…ortgeschrittene

    Zitat

    Zersiedelung heißt das Schlagwort, das Raumplaner in Österreich schon seit Jahrzehnten begleitet. Es steht für Auswüchse einer verfehlten Raumplanung, wie sie wohl jeder und jede in diesem Land schon wahrgenommen hat: Einfamilienhaus-Teppiche an der Peripherie, mit jeweils riesigen Grünflächen rund um die Häuser; Shoppingcenter im Niemandsland an der Gemeindegrenze kleiner Ortschaften, um die Bewohner des größeren Nachbarorts anzuziehen, bei gleichzeitig verödenden Ortskernen;

    Wie wahr diese Sätze sind! Vor allem in der Nähe zu den größeren Städten entstehen grässliche Mischlandschaften, mit protzigen Einfamilienhäusern vollkommen planlos eingestreut zwischen Feldern und Wäldern, und dazwischen noch hier und dort ein Gewerbegebiet. In den alpinen Regionen werden hier ganze Kulturlandschaften zerstört.

    Die kleineren und größeren Ortschaften sterben häufig zusehends aus, es ist doch kaum mehr ein Geschäft zu machen, wenn sich alles in den Städten und Einkaufszentren abspielt!

    Orte wie Altenberg oder Kitzbühel - der Horror. Das ist die Rache der historischen Siedlungsform der Streusiedlung und einer unfähigen Raumplanung.

    Und, wie aus dem Artikel herauskommt, getan wird dagegen praktisch nichts.

  • Altenberg kenne ich nicht - aber Kitzbühel, der Horror? Da kenne ich aber andere Orte, sei es in Österreich, sei es in Deutschland, die diese Bezeichnung verdienen. Kitzbühel bietet immerhin ein geschlossenes historisches Stadtbild im Zentrum, und dass dieses ausgestorben daläge, kann nun wirklich nicht behauptet werden. Im Gegenteil, eher schon wird das geschäftige Treiben dem Ruhe suchenden Reisenden unangenehm aufstoßen. Wer schlimme Zersiedelung im Nachbarland betrachten mag, der halte sich doch eher ans Inntal - Wörgl zum Beispiel kann ich in dieser Hinsicht wärmstens (oder besser: eiskalt) empfehlen.

  • Kitzbühel war natürlich nur ein Beispiel, es gäbe noch tausende andere derartige Ortschaften und auch noch weit Schlimmere selbst als Wörgl, ich habe aber Kitzbühel genommen, da es sich ja fast synonym mit "verschandelter Touristenort mit Reste eines historischen Zentrums" verwenden lässt. Allgemein meine ich damit Orte (oder anders gesagt der ganze österreichische und süddeutsche alpine Raum), bei denen in den letzten Jahrzehnten unzählige Neubauten entstanden sind, verstreut über die ganze Gemeinde liegend, und alle in diesem fürchterlichen pseudo-historisierenden "angepassten" alpenländischen Stil, der auf schlimmste vergewaltigt und lächerlich gemacht wird. Es entstehen fünfgeschossige Hotelanlagen auf einem Grund mitten in einem Feld, dessen Umwidmung sicher nicht ganz legal geschah, und mit Holzbalkonen und einem Flachsatteldach "passt" sich der Bau dann an. Und dann bauen reiche Leute ihre protzigen Villen im "urigen alpenländischen Stil" auf die besten Aussichtsgrundstücke, alleine stehend an den Hängen. Ganze Kulturlandschaften werden hier zerstört, wenn die Felder verbaut werden und Hotelklötze neben historische Bauernhäuser gestellt werden. Dann wundert es noch Leute, wieso auch genau in den Alpen die hässlichsten modernistischen Kästen entstehen (siehe auch die Diskussion in "Meldungen aus der Schweiz") Und die meisten realisieren dieses Problem nicht einmal.

    Aussterbende Ortszentren in den alpinen Regionen gibt es wenige, das Problem haben die außeralpinen Regionen. Die Problematik ist sowieso in beiden Gebieten ganz unterschiedlich.

  • Orte wie Altenberg oder Kitzbühel - der Horror. Das ist die Rache der historischen Siedlungsform der Streusiedlung und einer unfähigen Raumplanung.


    Ich wohne in der Schweiz, wo die Zersiedelung ebenfalls fröhliche Urständ feiert. Beruflich muss ich ab und zu nach Lienz und auf dem Weg dorthin komme ich dann je nach Route auch durch Kitzbühel und in der Tat, nach und durch Kitzbühel zu fahren, ist eine Schreckensfahrt.

    Daher nehme ich öfter einen kleinen Umweg in Kauf und fahre über das Pustertal nach Innsbruck und in die Schweiz zurück.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

    Einmal editiert, zuletzt von Valjean (29. August 2014 um 15:14)

  • Dann wundert es noch Leute, wieso auch genau in den Alpen die hässlichsten modernistischen Kästen entstehen (siehe auch die Diskussion in "Meldungen aus der Schweiz") Und die meisten realisieren dieses Problem nicht einmal.


    Könntest Du deine 'hässlichsten modernistischen Kästen" bitte etwas näher erläutern?
    Meinst Du damit vornehmlich diese Kisten wie sie vom Vorarlberg aus seit Mitte der 90er Jahre ihren Siegeszug antraten, um die Alpenwelt statt mit 'jodelden Holzbalkonen' auf DIESE Weise zu 'verschönern': https://www.google.com/search?q=Vorar…ficial&tbm=isch

  • Zersiedelung tritt vermutlich automatisch dann auf, wenn eine bestimmte Bevölkerungsdichte überschritten wird, und ist folglich auch hier in der Region Stuttgart zu beobachten - und ist hier aufgrund der Topographie besonders auffällig, weil sich in den Tälern wie Neckartal, Remstal und Filstal alles zusammendrängt.

    Hier kommt dann auf mindestens 50 km Länge ab Stuttgart spätestens alle 500 Meter ein neues Gewerbegebiet oder eine neue Siedlung... aber irgendwo müssen die 3,5 Mio. Menschen im "Verdichtungsraum Stuttgart" ja wohnen und arbeiten.

  • Zitat

    Zersiedelung tritt vermutlich automatisch dann auf, wenn eine bestimmte Bevölkerungsdichte überschritten wird, und ist folglich auch hier in der Region Stuttgart zu beobachten - und ist hier aufgrund der Topographie besonders auffällig, weil sich in den Tälern wie Neckartal, Remstal und Filstal alles zusammendrängt.

    Ja, zweifelsohne! Natürlich liegt das daran, dass es so wenig Siedlungsplatz in den Alpen gibt. Und für die Planer ist eben die Streusiedlung ein enormes Problem! Da Höfe und kleine Siedlungen überall verstreut liegen, werden natürlich dort auch die Einfamilienhäuser gebaut, nicht in einheitlichen Wohnsiedlungen, wie das ja in Deutschland häufig der Fall ist, sondern einfach da, wo es passt. Aber das hätte man eben verhindern müssen, was ja, das gebe ich zu, sehr schwierig gewesen wäre.

    Könntest Du deine 'hässlichsten modernistischen Kästen" bitte etwas näher erläutern?
    Meinst Du damit vornehmlich diese Kisten wie sie vom Vorarlberg aus seit Mitte der 90er Jahre ihren Siegeszug antraten, um die Alpenwelt statt mit 'jodelden Holzbalkonen' auf DIESE Weise zu 'verschönern': https://www.google.com/search?q=Vorarlbe…ficial&tbm=isch

    Ja, genau die (u. a.) meine ich. Grundsätzlich muss ja gesagt werden, dass es von jedem Architekturstil gute und schlechte Beispiele gibt, diese Schuhschachteln sind zum überwiegenden Teil einfach nur brutal, unpassend und schirch. Aber eben eine ganz logische Folge dieser Zersiedelung: Da die meisten jüngeren Häuser relativ exponiert, entweder in Hanglage oder am Siedlungsrand liegen, entwickeln sich nur wenige größere geschlossene Siedlungsräume, und es entstehen fast keine Gebäude in einem angenehmen, angepassten "urbaneren" Stil, alle Häuser werden im kitschigen, pseudohistorisierenden Alpenstil errichtet, der auf den ersten Blick vielleicht ganz angenehm angepasst und "urig" wirkt, aber häufig eigentlich nur eine Parodie der alpinen Bauweise ist. Klar, dass das vielen Menschen auf den Keks geht, überall baut man quasi wie im Märchenland, es entsteht keine angenehme moderne, zeitgerechte Architektur. Die Folge ist, dass vollkommen übertrieben modernistische Schachteln entstehen, die dann aber noch viel weniger passen.

  • Aber das hätte man eben verhindern müssen, was ja, das gebe ich zu, sehr schwierig gewesen wäre.


    In Deutschland wäre es offiziell überhaupt kein Problem, das zu verhindern. Es ist schließlich ein eindeutiges Ziel des Baugesetzbuches. Streusiedlungen sollen sich nicht verfestigen. Und außerhalb bestehender Ortschaften haben neue Wohnhäuser überhaupt nichts zu suchen. Wie gesagt, laut Baugesetzbuch ganz eindeutig. In der Praxis freilich werden die gesetzlichen Vorschriften regelmäßig umgangen. Und dann kommt eben genau das Gegenteil von dem raus, was offiziell propagiert wird.