Künzelsau (Galerie)

  • Diese Beschreibung scheint mir absolut zutreffend. Auch hier würde ich sagen, dass es in Bayern ähnlich ist, aber bei weitem nicht so ausgeprägt. Vor allem diese extreme Ausrichtung auf alles Wirtschaftliche und alles, was mit Geld zu tun hat, ist nicht da. Im Ergebnis ist diese Gleichgültigkeit dem historischen Erbe so nicht gegeben. Aber man merkt es ja deutlich, wenn man über die Grenze kommt: "da drüben" ist gleich eine andere Welt. Ich spreche dabei aber nicht von Oberschwaben, denn dort scheint es, wie Nibelgauer glaubhaft und absolut nachvollziehbar erklärt, anders zu sein, mehr wie bei uns.

    Dieses Forum kümmert sich ja in erster Linie und vorrangig um Großstädte, in zweiter Linie und eindeutig nachrangig um Mittel- und Kleinstädte. Viele, sehr viele forumsrelevante Vorgänge und Information werden in diesem Forum nie erwähnt. Behandelt wird immer nur ein kleiner Teil des Baugeschehens. Lediglich die besonders prominenten Reko-Maßnahmen schaffen es zuverlässig in dieses Forum. Aber was auf dem Land so passiert, wird diesem Forum wohl für immer verborgen bleiben.

  • Was die Dörfer betrifft, werde ich bei Gelegenheit ein paar besonders krasse Beispiele vorstellen. Leider ist in Ba-Wü wirklich das Interesse an Geld groß und das Verständnis für das kulturelle Erbe klein. Natürlich pauschalisiere ich. Ein krasses Beispiel möchte ich aber anführen, daß zeigt, welche Prioritäten unsere Mächtigen setzen: 2011 gab Daimler bekannt, eine Fläche von mehreren Quadratkilometern für eine neue Teststrecke zu suchen. Östlich von Tübingen liegt eine Rodungsinsel im Naturpark Schönbuch namens Einsiedel. Diese ist landschaftlich sehr schön und historisch sehr bedeutsam mit reichen Siedlungsspuren aus keltischer und römischer Zeit. Graf Eberhard im Bart (Gründer der Universität Tübingen!) ließ dort im 15. Jahrhundert ein Schloß und ein Kloster errichten; in letzterem wurde er sogar bestattet (siehe hier.) Das Kloster ist verschwunden, doch das Schloß existiert noch in reduzierter Form. Das ganze Areal gehört bis heute dem Haus Württemberg. Was begab sich nun im Jahre 2011? Das Haus Württemberg fragt bei Daimler an, ob die Firma nicht ihr neues Testzentrum auf dem Einsiedel bauen möchte!!! Die Teststraßen hätte man natürlich um das Schloß herum gebaut, doch ein Ort von hoher Bedeutung für Württemberg wäre vom Haus Württemberg selbst verraten, verkauft und verdorben worden. Glücklicherweise hat Daimler rasch abgewunken und sich für ein ehem. Bundeswehrgelände bei Immendingen entschieden. (Wer das alles nachlesen will, kann es hier tun.)

    Einmal editiert, zuletzt von Tübinger (9. August 2014 um 21:44)

  • Dem gibt es nichts hinzufügen. Danke an Ravensberger für die ernüchternden Links, die aber den vor Ort gewonnenden Eindruck wiedergeben. Selbst hatte ich ja vor dieser Hohenlohe-Tour von Künzelsau überhaupt keine rechte Vorstellung und war besonders gespannt auf dieses Städtchen. In Anbetracht dessen das der Ort im 2. Weltkrieg nichts abbekommen hat und aufgrund der Dichte an historischen Orten in der Gegend war ich von Anfang an von Künzelsau enttäuscht und spätestens in der Hauptstraße ziemlich bedient. Das eigene Stadtbild sukzessive dermaßen unnötig zu ruinieren, das ist schon tragisch...


    Der übliche Gegensatz:


    Ev. Stadtkirche:




    Die barocke Kreuzigungsgruppe von Johann Jakob Sommer

    Einmal editiert, zuletzt von Markus (9. August 2014 um 21:08)


  • sog. Mainzer Haus von 1596/97 (Keltergasse 47), ehem. dem Erzbistum Mainz gehörend
    „Heute ist an dieser Stelle ein etwas versetzter Neubau mit der Fassade des alten Gebäudes, der als Wohn- und Geschäftshaus genutzt wird“
    http://www.kuenzelsau.de/de/entdecken---erleben/Stadtportrait/Sehenswürdigkeiten#faqAnchor_8


    Bildarchiv Foto Marburg


    Die Hauptstraße nördlich vom Rathaus wird derzeit umgebaut,...


    ...dementsprechend und aufgrund der gepflanzten Bäumchen ist die Ansicht mit dem Rathaus nicht mehr so einfach zu fotografieren. Der Vergleich der Gebäude auf der Ostseite mit früher ist ganz besonders schmerzhaft.

    Blick von der Stadtkirche, rechts das Rathaus


    2x Bildarchiv Foto Marburg



    Weiter nach Norden folgen ein paar erhaltene Gebäude, so die Johannesapotheke von 1773.



    Bildarchiv Foto Marburg


    Das wars.

  • Die Fotos aus den 1950er und 60er Jahren belegen, dass Künzelsau zu dieser Zeit noch ein nahezu intaktes Ortsbild aufwies (wie wohl viele Kleinstädte in Baden-Württemberg zu dieser Zeit). Das heutige Erscheinungsbild ist also das Ergebnis einer völlig verfehlten Stadtplanung, die vor allem auf Abriss, statt auf einer behutsamen Einzelobjektsanierung setzte. Auch die Denkmalpflege hat hier meines Erachtens völlig versagt. Vieles scheint hier im Hinterzimmer "ausgekungelt" zu werden. Wie in vielen Orten (vgl. Wertheim) fehlt hier ein ganzheitlicher Ansatz, der auf die Erhaltung eines geschlossenen Gesamtbildes abzielt, was bedeutet, dass nicht nur einige wenige herausragende Objekte geschützt werden, sondern dass man sich darum bemüht, jedes historische Gebäude zu erhalten.

    Selbst das hübsche Schloss ist offenbar ein Fake. Im "Dehio" heißt es: "Die Monotonie der Fassaden ist das Resultat eines weitgehenden Neubaus von 1937 unter Einbeziehung der alten Türme."

    Wann wurde eigentlich das Mainzer Haus abgebrochen? Im Dehio von 1993 ist es noch verzeichnet, von einem Abbruch steht da noch nichts. Vermutlich haben die Bearbeiter das aber auch gar nicht mitbekommen.

    Noch 1970 konnte Cord Meckseper in seinen "Belser Kunstwanderungen durch Württemberg und Hohenzollern" schreiben: "Künzelsau ist unter den kleinen Kocherstädten die behaglichste." Davon kann heute wohl nicht mehr de Rede sein.

    Auf den Seiten der Stadt bekommt man die Haltung der Verantwortlichen Schwarz auf Weiß serviert (Quelle: http://www.kuenzelsau.de/de/leben---ver…rticle&id=158):

    Erhalt oder Abbruch?

    Das Jahr 2009 war unter anderem geprägt durch die große Diskussion
    über das Quartier „Wertwiesen / Parkstraße“ beziehungsweise des
    sogenannten „Honigszipfel“. Ob die Gebäude dort erhalten oder
    abgebrochen werden sollen, wurde sehr kontrovers diskutiert (hier im
    Foto die Neubebauung Quartier "Wertwiesen / Parkstraße") . Den Machern
    der Bürgerinitiative, aber auch der Stadtverwaltung ging es dabei nicht
    nur um die Gebäude am „Honigszipfel“, sondern allgemein um das
    Spannungsfeld Erhalt oder Abbruch von alten Gebäuden.

    Abzuwägen sind der Erhalt unseres historischen Erbes gegenüber
    nachhaltigen Nutzungsmöglichkeiten, den heutigen Ansprüchen und des
    Komforts, der Wirtschaftlichkeit und der energetischen Hinsicht.

    Der Gemeinderat und die Stadtverwaltung vertraten die Meinung, dass die
    Denkmalpflege mit der Kartierung von Kulturdenkmälern einen Maßstab über
    die Erhaltung von Gebäuden an die Hand gibt. Kulturdenkmäler sind zu
    erhalten, dies hat die Stadt in den Fällen der Gebäude Hauptstraße 29
    mit der Parfümerie, Hauptstraße 87 mit der Kunstgalerie und dem
    Stadtmuseum in der Schnurgasse auch betrieben. Alle Gebäude waren
    leerstehend oder nur teilweise genutzt, weil sie in zu schlechtem
    baulichem Zustand waren.

    Ist ein Gebäude nicht als Kulturdenkmal gelistet, so sind die Messlatten
    der Wirtschaftlichkeit, energetischen Optimierung und Komfort höher zu
    bewerten. So ist es zum Abbruch des „Hauses Schöller“, Hauptstraße 65,
    im Rahmen der Neugestaltung des südlichen Marktplatzes gekommen und auch
    die Gebäude im „Quartier Wertwiesen/ Parkstraße“, außer Gerbhausweg 16,
    wurden vom Gemeinderat zum Abbruch freigegeben. Eine Beschreibung dazu
    erfolgt im nächsten Teil der Serie.

    Im Falle des Hauses Schöller (Hauptstraße 65) hat die Denkmalpflege eindeutig geschlafen. Für mich ist nicht nachvollziehbar, weshalb dieses äußerst stattliche und mit knapp 400 Jahren sehr alte (offenbar hat weder eine Bauuntersuchung stattgefunden, noch hat man das unter Verputz liegende Fachwerk begutachtet, das Haus könnte also erheblich älter sein!) nicht auf der Denkmalliste stand. Für das Stadtbild war es jedenfalls unverzichtbar. Vermutlich wurde es von der Denkmalpflege "übersehen", was bei verputzten und etwas heruntergekommenen Objekten ja nicht selten der Fall ist. Oft tauchen in den Listen nur die Objekte auf, die man ohnehin sofort als Baudenkmal erkennen kann. Vielen Inventarisatoren fehlt offenbar der geschulte Blick.

    Hier noch ein älteres Foto aus dem Marburger Bildindex:

    http://www.bildindex.de/dokumente/html/obj20681982#|home

    In diesem Artikel eine Ansicht der Straßenfront:

    http://www.stimme.de/hohenlohe/nach…;art1912,632964

    Der Neubau an gleicher Stelle hat leider gar nichts mit dem Vorgängerbau zu tun. Warum mein hier die völlig ortsfremden Klinker verwendet hat, ist mir ein Rätsel:

    http://www.stimme.de/storage/pic/al…sion=1225237686

    Einfach Schrecklich!

    2 Mal editiert, zuletzt von Ravensberger (10. August 2014 um 10:49)

  • Was Deine weiteren Berichte über die vielen Abbrüche seit den 60er-Jahren betrifft, ist es mir ganz anders geworden. Das ist ja wirklich unfassbar, was sich in der Kleinstadt, die weit und breit wie das Erfolgsmodell der wirtschaftlichen Entwicklung und des daraus resultierenden Wohlstandes präsentiert wird, an Altstadtzerstörung abgespielt hat.

    (...)

    Da graust's ja dem Künzel seiner Sau, wie konsequent man sich hier des historischen Erbes entledigt. Die selbstbeweihräuchernden Erklärungen über die Stadtsanierung und die grandiosen Erfolge, wie man 30 Millionen EUR verbrät, kann man sich dann auch sparen.

    Es hat sich ausgekünzelsaut.

    Das ist eben auch das Problem, dieser schlichten verputzten Fachwerkhäuser. Sie sind in ihrem Alter und ihrem Reiz für den Normalbürger selten wahrnehmbar - anders als beim Sichtfachwerk. Auch ich finde sie nicht selten völlig reizlos. Schnell wirken sie gammelig. Fehlen Sprossenfenster und Fensterläden oder ein markanter Giebel ist jeder Eindruck rasch dahin. Hinzu kommt, dass das ländliche Fachwerk oft nur noch schwierig mit modernen Wohnansprüchen unter einen Hut zu bringen ist. Die niedrigen Decken, die kleinen Fenster usw. Gerade hat mir ein Bekannter erzählt, dass er aus seiner durchaus als schön empfundenen gemieteten Fachwerkwohnung in einen Neubau geflohen ist, weil man der Mäuseplage nicht Herr wurde. Somit liegen Abbrüche einfach nahe, wenn eine Neunutzung schwierig ist und ein baukünstlerischer Wert nicht erkennbar ist. Historie allein macht eben keine funktionierende Gemeinde aus.

  • früher Hauptstraße 65, Haus Schöller, jetzt Kirchgasse 8

    http://www.stimme.de/hohenlohe/nach…;art1912,610181
    http://www.stimme.de/hohenlohe/nach…;art1912,788501
    http://www.stimme.de/hohenlohe/nach…;art1912,824675

    Einige haben es wohl nicht erwarten können:
    http://www.stimme.de/hohenlohe/nach…;art1912,805433

    Man hat zwar noch nicht gewusst, was an der Stelle gebaut werden soll, aber der Abbruch hat ja unbedingt sein müssen. Nach dem Abbruch haben einige dann ganz überrascht bemerkt, dass dann ja so eine Hauswand zum Vorschein kommen kann:
    http://static1.heilbronnerstimme.de/storage/pic/al…sion=1215193872

    Der Bürgermeister hat dann gleich erklärt, die Bank, der das Nachbarhaus gehört, könnte sich vorstellen, es zu verkaufen, damit auch dieses Haus abgebrochen werden könne und ein Neubau hinkommt. Man fasst es nicht, was für eine Ignoranz dem historischen Baubestand gegenüber hier herrscht. Was jeder von uns auf den ersten Blick sieht, war für die Stadträte offenbar nicht klar: dass das Haus Schöller ein Fachwerkhaus war. Dass die Wand des Nachbarhauses dann auch nicht so etepetete war, war für manche wohl auch überraschend. Aber eines ist in Württemberg offenbar immer klar: Alles muss strahlen, möglichst neu sein und vor allem wirtschaftlich.

    Irgendwann hat man sich dann wohl durchgerungen, halt irgendwas hinzubauen:
    http://www.stimme.de/hohenlohe/nach…;art1912,883401
    http://www.stimme.de/hohenlohe/nach…art1912,1134684

    Und so schaut der Neubau jetzt aus:
    http://www.kuenzelsau.de/de/leben---ver…=article&id=165
    Jetzt ist der Marktplatz ist total im Eimer. Die Stadt ist natürlich auch noch stolz darauf, der selbstbeweihräuchernde Kommentar ist das übliche.

    An warnenden Stimmen hat es nicht gemangelt:
    http://www.stimme.de/hohenlohe/nach…;art1912,762351
    http://www.stimme.de/hohenlohe/nach…;art1912,785382
    http://www.stimme.de/hohenlohe/nach…;art1912,797345

    Und mehrfach wurde damit argumentiert, dass es ja nicht unter Denkmalschutz stehen würde bzw. gestanden hätte. Da muss man aber schon fragen, wie der Denkmalschutz auf die Idee kommt, das augenfälligste Altgebäude der Altstadt, das an absolut prominenter Stelle gestanden hat, nicht auf die Denkmalliste zu setzen.


    Am 29. Mai 2006 wurde mit dem Abbruch begonnen. Auf den Tag genau 10 Jahre später ist die Flut über Künzelsau hereingebrochen, das große Hochwasser von vor ein paar Tagen.

  • Der Abbruch des Hauses Schöller war ein echter Skandal! Das Foto, das vor dem Verputzen entstand, beweist, dass es ein absolutes Schmuckstück war. Erschreckend, dass viele Entscheidungsträger nicht gewusst haben wollen, dass es sich um ein Fachwerkhaus handelte. Die Stadt ist wirklich eine Katastrophe.

  • Das ist doch echt zum Ausrasten :kopfwand: . Wie kann man nur so ein wundervolles fränkisches Fachwerkhaus einfach so abreißen? Nur weil es verputzt war? Jeder vernünftige Mensch weiß doch, dass wenn die Stockwerke erheblich rauskragen, dass es ich dann nur um ein Fachwerkhaus handeln kann!!! Und dann dieser 0815 Neubau . Eine Schande für das schon ziemlich mitgenommene Künzelsau :kotz: .