Wiederaufbau Münchens vs. andere Städte

  • Guten Abend zusammen,

    mich beschäftigt folgende Frage, auf die ich bisher noch keine Antwort finden konnte: Warum wurde München nach dem Zweiten Weltkrieg so wiederaufgebaut, wie es vor dem Krieg war, sodass wir es heute als schön empfinden, wohingegen viele andere deutsche Städte, z.B. Köln, Stuttgart, Pforzheim etc., so wiederaufgebaut wurden, dass wir sie heute eher als hässlich empfinden?

    Lag es am Geld? Das kann ich mir schwer vorstellen, da Bayern ja nach dem Krieg noch ein armes Agrarland war, anders als Nordrhein-Westfalen, wo sich im Ruhrgebiet ja auch besonders viele hässliche Städte befinden. Oder wurde München weniger zerstört als andere Städte? Auch das war, soweit ich weiß, nicht der Fall.

    Vielen Dank bereits im voraus für alle Antworten!

  • .. unter diese Überschrift will ich es stellen, Herr/Frau Lanchtner,

    wobei ich zugeben muss, dass ich
    1. weder Münchner, noch
    2., ausgebildeter Architektur oder Städtebauer,

    sondern einfach interessierter Bürger bin.

    In der Realität finden wir nahezu in allen Städten eine Vermischung der Schwerpunkte, doch ich glaube, dass ein Wiederaufbau einer alten Stadt etwas zu tun mit blinden Zukunftsverheißungen, die mit dem Alten nichts zu tun haben oder ebén dem Gedanken, dass alles Neue nur aus dem Alten erwachsen kann. Selbst im Geistigen dessen geistige Überwindung. Auch die Zukunftsverheißenen - "Und der Zukunft zugewandt" - kommen allerdings nicht umhin, aus ihrer Sicht Geschichtsfenster zu schaffen, ein paar Straßen, die dem modernen Bürger einen Einblick in die Vergangenheit gewähren soll. In Berlin die Restaurierung von Unter den Linden, in Hannover ein zusammengewürfeltes Sträßchen, in Hamburg die Peterstraße.

    Musterbeispiele für zukunftsverheißene Städte ist das neue Magdeburg, das neue West-Berlin und Ost-Berlin gleichermaßen, was die Verkehrsplanung angeht, über alle ideologischen Unterschiede hinweg, nur die Bauformen waren etwas anders, punktgenau in die Höhe oder wuchtig in die Breite. Weitere Musterbeispiele sind [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon], Essen, Kiel und Koblenz. Bei den beiden Letztgenannten war es derselbe Stadtarchitekt, der in Kiel weggelobt, dann in Koblenz sein Unheil weiterführte.

    Interessant finde ich als evangelisch-protestantisch geprägter Mensch, dass es vergleichsweise stärker katholisch geprägte Gegenden sind, die zu dieser Art gesundem Wertkonservatismus neigen, während die weltlicher orientierten Evangelischen dann eher Anhänger der durchgeschossenen gerade Linie und des für praktisch Gehaltenen der schnellen Autostraßen waren.

    Vielleicht klingt es etwas gewagt, doch in glaube, die Tendenzen sind so: Was den Städtebau angeht, am Bewahrendsten und Wertschätzendsten katholisch geprägte Gegenden und Menschen, weniger bewahrend evangelisch-protestanisch geprägte, am wenigsten bewahrend und wertschätzend atheistisch geprägte. Übrigens waren es die Bayern, war es das bayerische Kultusministerium, dass Ende der 1970er Jahre eine Broschüre herausgab, "Haus für Haus stirbt dein Zuhause". Die alten Häuser dann fast wie die Terroristen der RAF ausgeixt.

    Wer im Zeitübergreifenden handeln kann, wer um den Bogen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft weiß, anstatt ihn aufzutrennen, hat vielleicht eher ein Blick, was zu Hause ist als jemand, der nicht die menschliche Fußgängersicht, sondern die Vogelperspektive zur Maßgabe seiner Stadtplanung macht. Es ist kein Mangel des Menschen, dass er kein Vogel ist, sondern ein zu ebener Erde Gehender und Schauender.

    Das alles hat weniger direkt mit Parteien zu tun, als vielmehr mit persönlichen Zugängen und Sichtweisen und der Fähigkeit und dem Willen, sich vom Main-Stream ggf. abzukoppeln. München hat sich - wie leider viel zu wenige Städte - vom seinerzeitigen Mainstream des verheißenen Neuen abgekoppelt, nicht aber in seiner Straßenverkehrsplanung, incl. dem jahrzehntelangen eher Verrotten seiner Straßenbahn, mit der mittelfristigen Perspektive ihrer Einstellung, wobei die Perspektiven dieses einzig stadtbezogenen Verkehrsmittels seit 2 Jahrzehnten mittlerweile wieder klar andere sind.

  • Danke für Eure Antworten!

    Eine ganze Region wegen ein, zwei weniger schöneren Stadtteilen als hässlich zu bezeichnen, halte ich für zu Oberflächlich und für zuweit übertrieben.

    Ich habe ja nicht die ganze Region als häßlich bezeichnet sondern gesagt, dass es im Ruhrgebiet besonders viele häßliche Städte gibt, und das ist einfach das Bild, das man bekommt, wenn man durch die Ruhrgebietsstädte fährt. Dabei handelt es sich nicht nur um ein, zwei weniger schöne Stadtteile. Ich hoffe, ich trete damit dem Dortmunder nicht zu nahe. Es mag aber durchaus auch sehr schöne Teile des Ruhrgebiets geben, aber die habe ich dann leider nicht zu Gesicht bekommen oder sie sind bei mir zwischen den anderen Eindrücken verblasst.

    Ihr denkt also, dass es eher am Willen lag, die zerstörten Städte wieder so aufzubauen, wie sie gewesen sind, als an wirtschaftlichen Gegebenheiten, dass etwa moderne und funktionale Bauten schneller und billiger zu errichten waren als historische? Es müsste ja bekannt sein oder in Erfahrung zu bringen sein, was damals diskutiert wurde und wie und warum letztlich die Entscheidungen gefallen sind, die Stadt so oder anders wieder aufzubauen. Gibt es da Erkenntnisse, etwa aus den Protokollen der Stadtratssitzungen damals oder, was vielleicht einfacher zu beschaffen wäre, Zeitungsberichte darüber, wo sich dann auch die öffentliche Diskussion spiegelt? Gibt es vielleicht Literatur darüber, in der diese Fragen von Historikern bearbeitet wurden?

  • Gibt es da Erkenntnisse, etwa aus den Protokollen der Stadtratssitzungen damals oder, was vielleicht einfacher zu beschaffen wäre, Zeitungsberichte darüber, wo sich dann auch die öffentliche Diskussion spiegelt? Gibt es vielleicht Literatur darüber, in der diese Fragen von Historikern bearbeitet wurden?

    Einen sehr aufschlussreichen Zeitungsbericht aus der Stadt Flensburg habe ich mal in die Hände bekommen. Einen Artikel, der von seinem Schreibstil und seiner Lesart ganz offensichtlich von Unumstrittenheit zeugt. Da ging es darum, dass die Stadt Flensburg 1963 jetzt endlich die Europastraße 3 nach Dänemark entsprechend hergerichtet habe. Motto: Schwund ist dabei, wer per sechsspuriger, baumloser Straße Anschluss an die große weite Welt finden will. In diesem Fall war es der städtebauliche Kollateralschaden eines gewachsenen Stadtviertels und die bevorstehende Vernichtung eines weiteren, was dann allerdings glücklicherweise später nicht mehr zur Ausführung kam. Dies deshalb,weil sich der Wind in Richtung Wertschätzung des Alten gewandelt hatte.

    Eine Partei warb auf Plakaten mit der breiten Straßenachse und dem in die Höhe gereckten Rathausturm für die neue Zeit. Das hätte allerdings - wie weiland in Bonn - die gleichfalls auch die andere Partei sein können, die in Bonn als erste damit anfing.

    Wer dies heute liest, bekommt eher ein Frösteln angesichts der seinerzeitigen Naivität. Wut zu bekommen wäre wohl überheblich und würde dem Versuch gleichkommen, den Zeiger rückwärts zu drehen und unser heutiges Denken, unsere heutige Empfindung. wie eine Folie auf die vorherigen Zeiten zu legen. Was München angeht, so dürfte die Restaurierung der Altbausubstanz aus der puren Wertschätzung des Alten gar nicht umstritten gewesen sein, so gewiss, wie ich Milch trinke und Brot esse und aufschlussreich für die heutige Zeit wären Zeitungsartikel und Ratsprotokolle allenfalls dort, wo auch in München die besagten "verkehrlichen Notwendigkeiten" behaupteterweise nichts anderes übrig ließen.

  • Wie Himmelsrichtungen und Zeno schon geschrieben haben, glaube auch ich, dass eine konservative katholisch geprägte Grundhaltung wesentlich zum gelungeneren Wiederaufbau in Städten wie München oder Münster, im Vergleich zu protestantisch geprägten Städten wie Frankfurt oder Stuttgart, beigetragen hat. Allerdings sollte man dabei das individuelle Verdienst zahlreicher den traditionellen Wiederaufbau fördernder Personen nicht vergessen.

    So ganz selbstverständlich war nämlich auch der am historischen Vorbild weitgehend orientierte Wiederaufbau in München nicht erfolgt. Auch hier gab es wohl durchaus ernstzunehmende Verfechter der "Moderne" in Teilen der Stadtplanung und Denkmalpflege, die Tabula Rasa machen und München modern aufbauen wollten und dabei sogar solch historisch bedeutende Gebäude wie die stark zerstörte Residenz komplett beseitigen wollten. Auch das weitgehend intakt gebliebene Neue Rathaus am Marienplatz wäre beseitigt und stattdessen solche moderne Grausamkeiten (ein Plan von 1948) errichtet worden.

    Von daher darf man neben der konservativ-katholischen Grundhaltung nicht das "Glück" vernachlässigen, dass sich in Städten wie München zur richtigen Zeit die richtigen Leute gegen den Trend zur Moderne durchsetzen konnten. In München waren dies wohl Leute wie die ersten Oberbürgermeister Scharnagl und Wimmer, der erste Stadtbaurat Meitinger oder Baureferent Esterer, die dafür gesorgt haben, dass München auch heute noch eine durchaus sehenswerte Altstadt hat, in der die meisten wichtigen Monumentalbauten der Vorkriegszeit auch heute noch bzw. wieder zu bewundern sind.

    Hier ist übrigens eine kurze Einführung zum Münchner Wiederaufbau.

  • Hallo zusammen,

    vielen Dank Euch allen für die interessanten Antworten! Es hat sich mit der konservativen katholischen Haltung in München eine Antwort auf meine Frage herauskristallisiert, die ich nicht erwartet hatte. Ich hatte eher an wirtschaftliche Gründe gedacht. Danke besonders an Frank für den interessanten Link!

    Viele Grüße,
    Ianchtner

  • Kleine Randbemerkung zu Zeno:

    Zitat

    Damit wird verständlich, warum der Wiederaufbau der Altstädte von München, Nürnberg und Augsburg aber doch deutlich hinter dem zurückbleibt, was in kriegszerstörten Kleinstädten wie Schwandorf, Neumarkt i.d. OPf., Gemünden a. Main und Donauwörth als unumstritten gegolten hat: die wirklich am historischen Vorbild orientierte Wiederherstellung des Stadtbildes.

    Die Stadt Donauwörth (hier eine Galerie) ist so gepflegt und wirkt so stimmig, daß ich kaum glauben kann, daß es sich um die am zweitstärksten zerstörte Stadt im Freistaat (nach Würzburg) handeln soll. Da haben erhaltene Städte wie Rain am Lech gleich in der Nähe ein deutlich schlechteres Erscheinungsbild...

  • Zitat

    warum der Wiederaufbau der Altstädte von München, Nürnberg und Augsburg aber doch deutlich hinter dem zurückbleibt...


    Nun ja. Der Wiederaufbau von Nürnberg ist bekanntlich inferior. Augsburg ist grundsätzlich um nichts besser, hat aber das Glück eines geringeren Zerstörungsgrades. Beide sind innerhalb des BRD-Großstadtdurchschnittes mE noch unterdurchschnittlich, was bedeutet, dass man eigentlich nichts schlechter hätte machen können. Wer hier noch Zweifel hat, sehe sich bitte Riegels Gegenüberstellung des Hans Sachs-Platzes im Fachwerkstrang an. Dieser Hans Sachs-Platz ist keine Ausnahme, sondern der Normalzustand im neuen Nürnberg.
    In München ist die Lage Gott sei Dank ein wenig zwiegespaltener. In der eigentlichen Kernstadt ergibt sich ein ähnlich deprimierender Befund, wobei hier sogar über Nürnberg hinausgehend wichtige ganz gut erhaltene Ruinen geopfert wurden, wie die Maxburg, ein innerhalb BRD- Deutschlands einzigartiger Fall. Und die abgerissenen Barockfassaden in der Theatinerstraße sind auch ein Skandal. Wem das nicht genügt, der sei auf die Neuhauser Straße verwiesen - trostlosestes BRD-Fußgängerzonenflair, dem noch viel erhaltene Substanz (Pschorrbräu mit RS-Geburtshaus!) zum Opfer gefallen ist.
    Dem gegenüber stehen gute Aufbauleistungen in allerdings eher unnötigen Stadtteilen wie der Ludwigstraße, und, etwas darüber stehend, Maximillianstraße mit Residenzplatz.
    Was in M. hochzuloben ist: die Wiederherstellung der Kirchen sowie der Residenz. Dies erhellt etwas das hoffnungslose Bild der Innenstadt, das an und für sich ausreicht, um M. als von der Liste der europäischen Kulturstädte gestrichen zu erachten.
    Generell ist die Fragestellung dieser Diskussion unsinnig. Der Wiederaufbau in Bayern ist an Schrecken kaum zu überbieten, hier gibt es kein Münster, Osnabrück, keinen Hildesheimer Markt, kein Bewusstsein für noch so kleine Traditionsinseln wie in Braunschweig oder sogar Hannover, kein Ulm mit einer Neuen Mitte oder auch seinen guten Füllbauten in der erhaltenen Alststad, kein Aachen, keine Potsdamer Wilhelm Staab -Straße, ja überhaupt keine als Ganzes wiederaufgebaute Straße, hier ist alles übersät mit der gemäßigten dt. Wiederaufbaumoderne (die schon einem notorischen Kulturhasser wie Adorno übel aufgestoßen ist) als , die in ihrer Plumpheit die althergebrachten Formen, so diese überhaupt noch erkennbar sind, schlimmere Gewalt antut, als veritable Moderne, dazu das selbstverliebte dumme Bewusstsein, dass man ohnehin alles richtig gemacht hätte, wodurch man immun gegen Sebstererkenntnis wird, und speziell in München ist eben nichts besser gelaufen als anderswo, und für die Leistungen im sakralen Bereich reicht die bayerische Volksfrömmigkeit als Begründung.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

    Einmal editiert, zuletzt von ursus carpaticus (18. Juni 2013 um 14:43)

  • Der zweite Satz ist kein Argument. Natürlich ist sie das, aber eben nur ob des anderswo nicht stattgefundenen Wiederaufbaus.
    Mit unnötig war nicht die historistische Bebauung gemeint, denn diese ist gemessen am Nachkriegsstandard sowieso überirdisch (wie jede andere ältere Architektur auch). Allerdings ist ein derart junges Stadterweiterungsgebiet nun eindeutig schon von anderer Gewichtung als etwa der Marienplatz. Das Stadtzentrum, die Innenstadt, wird von zweiterem gebildet, Chausseen sind eben das, was sie sind: Einfalls- und Ausfallsstraßen. Dadurch leiden sie aber auch am Verkehrslärm, der einen die Schönheit nicht ungetrübt erleben lässt. Deshalb der Ausdruck unnötig.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat

    Beide sind innerhalb des BRD-Großstadtdurchschnittes mE noch
    unterdurchschnittlich, was bedeutet, dass man eigentlich nichts
    schlechter hätte machen können

    Ich denke schon, daß man vieles wesentlich schlechter hätte machen können, wie Köln, Kassel, Frankfurt, Stuttgart, Hannover und Co. doch eindringlich aufzeigen - z.B. flächendeckender Abriß, autogerechte Stadt, Neuaufbau auf der "grünen Wiese" und Rekonstruktion von wenigen Einzelgebäuden.

    Außerdem stelle ich ganz sachlich fest, daß eine ganze Reihe von Städten in der Schweiz, in Belgien oder auch in Dänemark auch ganz ohne Zerstörungen im Zentrum schlechter aussehen als München - vermutlich teilen nicht nur die meisten Stadtplaner, sondern auch viele Bürger schlicht nicht unseren Ansatz, sondern bevorzugen die funktionale und "moderne" Stadt mit ihrer gemischten Bebauung...

  • Man darf aber nicht vergessen, dass Kassel und Frankfurt FWS waren, von deren Bebauung so gut wie nichts übrigblieb.
    Außerdem werden diese Städte - zurecht - NICHT für ihren sorgsamen Wiederaufbau gelobt. Und was FF betrifft - hm, da gibt es ja doch jetzt so etwas, so ein Altstadtprojekt, nicht wahr? Wo wäre etwas Vergleichbares in Nürnberg? Ach ja, dort hat man alles ganz richtig gemacht, weshalb nichts zu reparieren ist.
    Das wirklich fürchterlich heimgesuchte Köln hat immerhin eine kleine Altstadtzelle, die man in Nürnberg oder Würzburg erst entdecken muss. Das durchschnittliche Stadtbild ist um nichts schlechter als das Münchener. Die Verkehrsschneisen sind der Übergröße der Altstadt geschuldet, und wären in einem unzerstörten München mit Sicherheit auch anzutreffen gewesen. Siehe übrigens Augsburg!
    Schweiz, Dänemark? Diese Länder kenn ich wenig. Belgien ist mir diesbezüglich (abseits von Brüssel, dessen Kern jedoch über Vergleiche mit München erhaben ist) nicht aufgefallen.
    Ich denke an meine Welt.- An Wien, Graz, Linz, Budapest, Laibach, Pressburg, Brünn, Prag, Krakau, Mailand, Turin, Udine...
    Dort wirst du keinen dermaßen geschändeten Platz wie den Marienplatz und keine inferioren Straßenzüge wie die Neuhauser Straße finden, sei dir gewiss. Sicher, diese Städte wurden nicht zerstört, aber das kann 70 Jahre danach kein hinreichender Grund sein. Es geht hier nicht um die Zerstörung von so etwas einzigartigem wie Altnürnberg oder der Dresdner Rampischen, es geht um eine ganz normale europäissche Stadt. Die ist zu allen Zeiten Verwüstungen ausgesetzt gewesen, und immer hat man es vermocht, daraus etwas Gefälliges wiedererstehen zu lassen. Ein Kulturland wie das alte Deutschland hätte das spielend vermocht.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Ich denke schon, daß die Zerstörung ein hinreichender Grund ist (schließlich sehen Städte wie Pescara, wo ich vor über 10 Jahren mal war, auch nicht anders aus als die schlechtesten deutschen Wiederaufbauleistungen) - abgesehen davon gibt es in Köln meines Erachtens keine Altstadt, es gibt entlang des Rheins zwei bis drei Häuserzeilen südlich des Doms bis zur Deutzer Brücke, die in einem überwiegend historisierenden Stil aufgebaut wurden und die beim besten Willen nicht mit den riesigen rekonstruierten Ensembles in München mithalten können (wie Odeonsplatz, Residenz, Maximilianstraße).

    Was an der Neuhauser Straße so schlimm sein soll, erschließt sich mir auch nicht - vergleiche die Straße doch mal mit der Königstraße in Stuttgart, der Zeil in Frankfurt oder gar der Hohen Straße in Köln... was in München tatsächlich häßlich ist, das ist die Gegend um den Hauptbahnhof Richtung Innenstadt, die Rekonstruktion erstreckte sich vor allem auf das unmittelbare Zentrum. Und viele Neubauprojekte, die leider auch nur noch aus Glas und Beton bestehen, wie der Stiglmaierplatz.

    Aber die klassische Innenstadt ist definitiv besser als Brüssel mit seinen Flächenabrissen und Brüchen und sicherlich auf dem Niveau von Zürich, wenn man dort mal den relativ schmalen, perfekt erhaltenen Altstadtstreifen entlang der Limmat verläßt.

    Nachtrag: hier noch der Blick auf die Kölner Altstadt (http://binged.it/11WHqud) und Hannoveraner Altstadt (http://binged.it/16dPs24) und im Vergleich dazu die Münchner Innenstadt (http://binged.it/11WHCts)

  • Zitat

    Allerdings ist ein derart junges Stadterweiterungsgebiet nun eindeutig schon von anderer Gewichtung als etwa der Marienplatz.

    Das ist deine ganz subjektive, selektive Wahrnehmung bzw. Wertgewichtung, die keinen Gültigkeitsanspruch besitzt. Für mich sind diese Prachtstraßen für München städtebaulich genauso bedeutend und wertvoll wie der Marienplatz bzw. die Altstadt. Und eine solch komplett erhaltene Prachtstraße wie die Ludwigstraße findest du in ganz Deutschland nicht mehr. Bei meinem München Besuch hat mich dieses Gebiet jedenfalls mit Abstand am meisten beeindruckt.

    In dubio pro reko

  • Auch ich möchte ein paar Bemerkungen zu ursus Kommentaren zu München machen. (...Leider fällt mir mal wieder auf. dass ich nur äußerst wenige Photos von München habe, ansonsten würde ich hier für die anderen, die München nicht so gut kennen, ein paar Vergleichsbilder einstellen; vielleicht hole ich das mal nach...)

    In München ist die Lage Gott sei Dank ein wenig zwiegespaltener. In der eigentlichen Kernstadt ergibt sich ein ähnlich deprimierender Befund, wobei hier sogar über Nürnberg hinausgehend wichtige ganz gut erhaltene Ruinen geopfert wurden, wie die Maxburg, ein innerhalb BRD- Deutschlands einzigartiger Fall. Und die abgerissenen Barockfassaden in der Theatinerstraße sind auch ein Skandal.


    Ich finde die Münchener Altstadt nicht "deprimierend". Selbstverständlich war der Vorkriegszustand der Altstadt um einiges sehenswerter als das heutige Erscheinungsbild und selbstverständlich war der Wiederaufbau nicht rundum gelungen. Wie zuletzt von Zeno hier thematisiert, hat man im von dir stark kritisierten Bayern in Städten wie Donauwörth sicherlich besseres geleistet.

    Die Maxime des Wiederaufbaus von München war (das mögen wir aus heutiger Sicht bedauern) nicht die vollständige Wiederherstellung des Vorkriegszustandes, sondern „nur“ die Bewahrung der Grundstruktur der Stadt und die Wiederherstellung der wesentlichen Monumentalbauten. Und für mich ist dies im wesentlichen (bedauernswerte Ausnahmen wie der Abriss der Maxburg gab es natürlich) gut gelungen. Wenn man sich alte Ansichtskarten der Vorkriegszeit von München anschaut, so kann man in den allermeisten Fällen die damaligen Motive auch heutzutage in wesentlichen Zügen wieder vor Ort bewundern. Für welche größere Stadt der BRD gilt das schon? Allerdings, und da muss ich dir recht geben, wurde gerade die historistische bürgerliche Bebauung, welche die Vorkriegs-Altstadt wesentlich geprägt hatte, zu wenig wiederhergestellt.

    Wem das nicht genügt, der sei auf die Neuhauser Straße verwiesen - trostlosestes BRD-Fußgängerzonenflair, dem noch viel erhaltene Substanz (Pschorrbräu mit RS-Geburtshaus!) zum Opfer gefallen ist.


    Diese Kritik scheint mir auch wieder arg übertrieben und falsch. Kurz zur Erinnerung:Google maps Fast die gesamte Nordseite der Neuhauser Straße hat trotz stärkerer Kriegszerstörungen wieder ihr ursprüngliches historisches Erscheinungsbild erhalten, lediglich ein halbwegs angepasster 50er Jahrebau inmitten einer ansonsten geschlossenen (wiederhergestellten) historischen Bebauung als „trostlosestes BRD-Fußgängerzonenflair“ zu bezeichnen, ist doch arg polemisch, finde ich. Was die gegenüberliegende Südseite der Neuhauser Str. betrifft, so mag hier Kritik schon angebrachter sein, da hier die in der Nachkriegszeit zurückgesetzte Straßenflucht in der Tat mit zahlreichen tristen Neubauten geschmückt ist, aber selbst diese südliche Straßenseite weist noch mehr historische (bzw. historisch wiederhergestellte) Fassaden als z.B. die gesamte vergleichbare Hohe Straße in Köln auf.

    Dem gegenüber stehen gute Aufbauleistungen in allerdings eher unnötigen Stadtteilen wie der Ludwigstraße, und, etwas darüber stehend, Maximillianstraße mit Residenzplatz.


    Vollkommen richtig, wobei ich trotz deiner nachfolgenden Erklärung Ludwigstraße und Maximiliansstraße für alles andere als „unnötig“ erachte.

    Was in M. hochzuloben ist: die Wiederherstellung der Kirchen sowie der Residenz. Dies erhellt etwas das hoffnungslose Bild der Innenstadt, das an und für sich ausreicht, um M. als von der Liste der europäischen Kulturstädte gestrichen zu erachten.


    Generell scheint es mir, dass du den Grad der Zerstörung der Münchner Altstadt etwas unterschätzt. Es waren halt nicht nur die Kirchen, sondern klarerweise auch große Teile drumherum zerstört und der Wiederaufbau gerade auch, aber nicht nur der meisten profanen Monumentalbauten und vieler auch vieler bedeutender bürgerliche Bauten betrachte ich (von unbestreitbaren Ausnahmen abgesehen) als gleichwertig gelungen.
    Vor allem muss man sich die Frage stellen, wie schlimm München heute auch aussehen könnte, wenn sich die Modernisten in der unmittelbaren Nachkriegszeit wie in anderen Städten noch mehr durchgesetzt hätten. Dann wäre der Unterschied zu Stuttgart oder Köln sicherlich sehr viel geringer und München kaum so populär wie es heute ist.

    und speziell in München ist eben nichts besser gelaufen als anderswo, und für die Leistungen im sakralen Bereich reicht die bayerische Volksfrömmigkeit als Begründung.


    Wie gesagt sehe ich das nicht so.

    Von daher ist Kritik am Münchner Wiederaufbau durchaus angebracht, die positiven Aspekte überwiegen meiner Meinung nach aber deutlich.

    Sehr viel problematischer sehe ich eher den fehlenden Willen zur Beseitigung von WIederaufbaufehlern und die weitere Zerstörung des Stadtbildes, die sich in den letzten Jahrzehnten bemerkbar macht. Aber das ist ein anderes Thema.

    Einmal editiert, zuletzt von -Frank- (18. Juni 2013 um 21:51)

  • ...aber im Gegensatz oder im direktem Vergleich Stadt:Stadt mit den Großstädten Mitteldeutschlands ist München jedoch für mich nicht besonders reizvoll. Als ich vor ca 4 Jahren das letzte Mal in München war, habe ich kaum intakte Häuserzeilen im Zentrum gefunden.

    Wäre Wien im Krieg allerdings genauso kaputt gemacht worden wie München, dann würde es in Wien heute auch nicht anders aussehen. Man sieht das an den Teilen der Wiener Innenstadt, die zerstört wurden (durch Krieg oder Nachkrieg in den 50-70er Jahren). Dort sieht es genauso grauslich aus wie in vielen westdeutschen Städten, wenn nicht sogar schlimmer als dort.

  • Man kann wieder herzlich lachen über des Karpatenbären verschobene, aber zur Absolutheit erklärten Meinung über München.

    Nicht umsonst gilt die Stadt vielen als eine der schönsten Metropolen in Europa. Ja, es fehlen diverse Ensembles, es gibt Schundbauten; aber der Gesamteindruck ist ein positiver. Selbst Italianer aus Mailand, Turin und Co. fahren gerne hin und bezeichnen Minga ohne Umschweife einfach als schöne Stadt. Das sollte man auch einfach mal anerkennen.

    Die Beseitigung des Kaufhofs, des Stachus-Würfels oder des Hauptbahnhofes und die Rekonstruktion der Maxburg sowie einiger Ensembles wünsche ich mir ja auch. Viel mehr bräuchte es dann aber auch kaum noch, um der Stadt wieder den Grad an Geschlossenheit zurück zu geben, den sie noch dringend bräuchte.

  • @ erbse
    nana, krieg dich wieder ein.
    ich will euch ja den nationalen Stolz an eurem Wiederaufbauschund nicht nehmen, daher formuliere ich etwas objektiver: solche Straßenzüge wie jene der Münchner Innenstadt sind in Europa einzigartig.
    Vielleicht kommen deshalb die italienischen Massen herbeigeströmt (und nicht wegen Folklore à la Hofbräuhaus).

    Der Exilant tut dem Wiener Aufbau unrecht. Sicher ist das überkommene Bild zwiegespalten. Aber so etwas wie die W-Front des Platzes Am Hof findest du in ganz Deutschland nicht. Und auch die nicht sehr schicke Kärntner Straße unterscheidet sich immer noch wohltuend von "der" BRD- Fußgeherzone.
    Zur Neuhauser: Sicher sind auf der Nordseite viele Bauten erhalten(wiederhergestellt). Aber das macht es ja so schlimm, dass eben KEIN Wille zur Ensemble-, zur Straßenraumbildung bestand. Ein totalzerstörtes Viertel ohne Leitbauten kann man aufgeben, das hat man überall so gemacht. Aber das Herz der Stadt, mit einer wie an einer Kette aufgefädelten Hauptsehenswürdigkeiten so garstig zu umbauen -das blieb der BRD-vorbehalten.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Es gibt doch mit Maximilian-, Prinzregenten- und Ludwigstraße (und mit Abstrichen auch noch Brienner Straße) gleich vier ziemlich große wiederhergestellte Stadträume, dazu kommen noch Plätze wie Odeonsplatz, Max-Joseph-Platz, Wittelsbacherplatz, Königsplatz usw. - andererseits will ich dir mit Fakten auch nicht die Freude an der Polemik nehmen :lehrer:

  • naja, das haben wir aber schon ausführlich :lehrer: diskutiert.Ich sagte ja, der Gesamteindruck ist zwiegespalten und nicht alles ist schlecht.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.