Kirchenabrisse in Frankreich

  • Kirchen sind in der Geschichte schon immer abgerissen worden, früher häufiger als heute. Das ist bedauerlich und meist auch fragwürdig, aber dadurch ist noch kein einziges Land untergegangen. Das sind ja fast schon deterministische Ideen und Ansätze.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • man denke nur mal an die Säkularisation

    Wobei das ja auch ein Ereignis war, das seines Gleichen sucht. Selbst in Zeiten der Glaubenskriege hat man die Kirchen nicht abgebrochen, sondern umgenutzt. Und abseits der Säkularisation, natürlich hat man immer wieder und häufig Kirchen abgebrochen, aber doch um neue wieder zu errichten, oder irre ich mich da? Ich kenne das nur von kleinen Kapellen ohne höheren baukünstlerischen Wert, dass die häufiger aufgegeben wurden, und z.B. profanisiert dann noch Wohnzwecken dienten und dann irgendwann abgerissen wurden.

  • Und natürlich hat man immer wieder und häufig Kirchen abgebrochen, aber doch um neue wieder zu errichten, oder irre ich mich da?

    Sowohl als auch. Mir ging es tatsächlich um die vielen Ordensbauten, die durch Reformation und Säkularisation untergegangen sind. Hinzu treten unzählige Wüstungen, die gerade im Spätmittelalter oder im Dreißigjährigen Krieg gehäuft auftraten. Heute reißt man aus Sicherheitsgründen ab, damals wurden die Bauten entweder der Natur überlassen oder häufiger als Steinbruch genutzt.

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  • natürlich hat man immer wieder und häufig Kirchen abgebrochen, aber doch um neue wieder zu errichten, oder irre ich mich da?

    Eine kleine Skurrilität am Rande:

    Die frühere Wallfahrtskirche und heutige Ruinenkirche Spindeltal - weil man sich nicht einigen konnte, ob die Kirche zum Bistum Eichstätt oder Augsburg gehörte, und vor allem, wer denn die Spenden an sich nehmen durfte, einigte man sich auf Schließung (mit geplantem natürlichem Verfall), schließlich kam es zum Abriß:

    Nachdem die Wellheimer erneut die Opfer an sich genommen hatten, beantragte das Ordinariat Eichstätt beim Ordinariat Augsburg am 26. April 1781 den Abbruch. Man verständigte sich auf eine kleinere Lösung, nämlich die Kirche nicht zu "demolieren", sondern sie zu schließen und dem natürlichen Verfall zu überlassen. Da die Wallfahrten auch zur geschlossenen Kirche nicht nachließen, wurde die Kirche in Ausführung einer Neuburger Regierungsanordnung vom Landrichter von Monheim 1783 zerstört.

    Es ging also auch damals schon ums Geld.

    Easy does it.

  • Im französischen La Baconniere soll die Kirche Saint-Corneille-et-Saint-Cyprien aufgrund von Sturmschäden abgerissen werden.

    In Frankreich verfügen alle Gebäude über eine staatlich garantierte Elementarschadensversicherung.

    Der Sturmschaden mag der Anlass für den Abriss sein - die eigentliche Ursache ist er nicht.

  • Zitat

    natürlich hat man immer wieder und häufig Kirchen abgebrochen, aber doch um neue wieder zu errichten, oder irre ich mich da?

    Aber natürlich irrst du.

    Wie war das doch unter dem zweiten Joseph?

    Abgesehen von der politischen Wertung Josephs und der Auswirkungen seiner Politik muss man aber verschiedene Umstände ins Treffen führen: a) den heutigen Reichtum b) das kulturell-traditionalistische Bewusstsein. Früher hatte man einfach kaum Bedenken, was Altes niederzureißen, heute investiert man irre Summen in dessen Bewahrung.

    Und als c) wäre noch ins Treffen zu führen: wie schaut es mit dem Bedarf an Gottesdiensten im betroffenen Ort aus?

    Ich glaube schon, dass sich aus diesen Fragen ein eher ungesunder Befund ergibt.

    Was mir allein schon überhaupt nicht gefällt: warum gleich Abriss? Warum kann man keine Ruine mehr stehen lassen?

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Aber natürlich irrst du.

    Wie war das doch unter dem zweiten Joseph?

    Ist doch im ähnlichen Zeitraum geschehen, wie die Säkularisierungen unter Napoleon. Solch ein in seiner Drastik einmaliges Event finde ich nicht angemessen da aufzuführen. Hier in Frankreich findet ja auch keine große konzertierte Aktion statt, sondern ein schleichender Prozess ohne systematischen politischen Eingriff in Richtung von Abriss.

  • Wenn das für eine Reparatur für die Gemeinde zu teuer ist, frage ich mich, wie sie das alles in der Nachkriegszeit hinbekommen haben, als so viele Kirche teils weit mehr beschädigt waren.

    Die Gemeinde hat nur etwa 1900 Einwohner...

    l’église de La Baconnière qui sera démolie est en mauvais état depuis des décennies

    Das sieht man schnell, wenn man mit Hilfe von Google maps mal einen Rundgang um die Kirche macht (siehe am Schluss meines Beitrags).

    Die Kirchenabrisse betreffen mE in erster Linie mangelnde Nachfrage, also einen Rückgang der Kirchenbesucher. Dass dies überhaupt in wirtschaftlich schwächeren Vierteln zu Leerstand und Verwahrlosung führt, ist verständlich. Dazu kommt natürlich ein übergroßes Erbe an riesigen mittelalterlichen Kathedralbauten, wodurch eine gewisse Geringschätzung jüngerer Kirchen vielleicht zu erklären ist.

    "...ein riesiges Erbe an mittelalterlichen Kathedralbauten"

    Und nicht nur Kathedralen, sondern auch gewöhnliche Kirchen aus dieser Zeit. Listete man alle dringend sanierungsbedürftigen Kirchen Frankreichs auf, so käme die Kirche von La Baconnière wohl weit hinten in dieser Liste. Aus kunsthistorischer Sicht ist diese Kirche sicher nicht bedeutsam und würde vom Departement oder Staat nur wenige bis gar keine Subventionen erhalten. Die Kirche ist einfach schön und am Äussern wohl komplett noch im Urzustand aus den 1860er Jahren erhalten.

    Es sagt viel über einen Staat und oder eine Gesellschaft aus, wie diese mit einer (durch einen Sturm) beschädigten Kirche umgeht.

    Die Kirche ist eben nicht nur durch einen oder zwei Stürme beschädigt worden, sondern wurde schon seit Jahrzehnten vernachlässigt.

    warum gleich Abriss? Warum kann man keine Ruine mehr stehen lassen?

    Eine Ruine braucht sehr viel Unterhalt, damit die Sicherheit dauernd gewährleistet ist. Und bis man diese Kirche in einen ruinenhaften Zustand bringt, bräuchte es sehr viele Vorarbeiten (in Deutschland bräuchte es sogar ein Besucherzentrum mit Kiosk, drei Toiletten und einem Wickeltisch :biggrin: ). Insbesondere beim Chor müsste wohl einiges Mauerwerk bereits jetzt schon abgetragen werden, das jahrelang durchnässt und von Wurzelwerk zerstört ist und wohl auch keinen neuen Dachstuhl mehr tragen könnte.


    Schaut man sich die Bilder auf Google maps an, stellt man fest, dass die Kirche schon seit Jahrzehnten vernachlässigt worden war. Wohl wurden einzelne Fassaden mal neu verputzt und die Strebepfeiler teilweise mit neuem Werkstein verkleidet. Aber bevor hier ein neuer Dachstuhl hätte aufgesetzt werden können und der bestehende Teil saniert und verstärkt, hätte es sehr grosser Baumeisterarbeiten bedurft, auch wenn nicht alle Zierelemente wiederhergestellt worden wären. Zudem wird diese Kirche offensichtlich im Ort nicht gerade besonders geliebt, wenn man sich die äusserst lieblose Umgebung anschaut: Satellitenaufnahme.

    Überhaupt habe ich den Eindruck erhalten, dass die Kirche oder Teile davon schon im 19. Jahrhundert mit wenig Geldmitteln errichtet worden war, was natürlich der damals noch viel kleineren Einwohnerzahl geschuldet war. Die schlechte Bauqualität kann man nur schon erahnen, wenn man St.Petris verlinktes Video betrachtet: Der Turmhelm wurde von einem Kran in zwei Teilen abgehoben (wohl nicht, weil man diesen irgendwo wieder verwenden wollte, sondern weil ein gewöhnlicher Abbruch Teile von ihm zu weit weg bis auf Nachbarhäuser geschleudert hätte). Die untere Hälfte des Turmhelms zerbröselte einfach, als sie noch in der Luft am Kran hing).

    https://goo.gl/maps/cwcrUGG6agQFyeDW9: Das Westwerk machte baulich gesehen noch den besten Eindruck, obwohl auch hier der Dachort nur notdürftig repariert worden war und an der linken Ecke unterhalb des Turmhelms ein ganzer Gesimsquader fehlte.

    https://goo.gl/maps/fUCN9qzcT6CuvqMv9: Nordfassade mit gravierenden Schäden an der Mauerkrone und an den Werkstücken (Fenstergewände, Strebepfeiler). Das nördliche Querhaus erhielt offenbar mal einen neuen Verputz.

    https://goo.gl/maps/TNPDJurZa8uZ7XCz6: Der Pflanzenbewuchs wäre sicher schnell entfernt, aber erst dann kämen die Schäden am Mauerwerk zum Vorschein: grosse Teile des Mauerwerks müssten wohl neu erstellt werden.

    https://goo.gl/maps/wrHZkUnkPuJ5Gfra8: Hier ist sogar die Verkleidung eines ganzen Strebepfeilers irgendwann mal abgestürzt. Am Rissbild des rechts folgenden Strebepfeiler lese ich heraus, dass sich das Mauerwerk dort gegen aussen pombieren könnte.

    Man erkennt auch, dass der Pfettendachstuhl äusserst sparsam aufgerichtet worden war. Statisch war er sicher von Anfang an unterdimensioniert, auch wenn er jetzt mit Glück etwa 150 Jahre gehalten hat. Ein guter Dachstuhl hält aber mehrere Jahrhunderte!

    https://goo.gl/maps/cJHhhddVmN7MvRFA7: An der Südseite fanden wohl mal Sanierungsarbeiten statt, indem der restliche Verputz noch ganz abgeschlagen wurde und die Strebepfeiler eine neue Verkleidung erhielten. Die Fenstergewände und Gurtsimsen beliess man aber im verwitterten Zustand.


    Hier noch einige Innenansichten mit dem überraschend imposanten Altar.

    Detailansicht des Altars mit herabgestürzten Dachbalken.

  • Es sagt viel über einen Staat und oder eine Gesellschaft aus, wie diese mit einer (durch einen Sturm) beschädigten Kirche umgeht. Reißt man sie ab, zeugt dies von einem enormen Werteverfall in Staat und Volk.

    Aber na klar, es ist sicherlich nur Zufall und eine normale Entwicklung, dass in unserem Nachbarland Frankreich nicht nur wöchentlich Kirchen geschändet oder angezündet werden, sondern auch, dass teilweise beschädigte Kirchen sofort planiert werden.

    Mal sehen, ob du meine Aussage in zehn Jahren immer noch mit dem " :gehtsnoch: " Symbol betiteln wirst. #RemindMeIn10Years

    Diese Kirche hat nichts besonderes, es ist eine klassische Baute des Ende des 19. Jahrhunderts und davon gibt es unglaublich viele in Frankreich, wie in meine Heimatstadt.

    Das Gebaüde war marode, und seit 2014 sogar abgesperrt wegen Einsturtzgefahr. Dieser Sturm von 2019 war der letzte Schlag

    Die Kirche ist nicht denkmalgeschützt, und meines Erachtens nicht mal denkmalwürdig, denn solche Kirchen wurden auf fast industrielle Weise zwischen 1860 und 1895 quer durch Frankreich errichtet. Schnell und schlecht, viele müssen jetzt aufwendig "restauriert" werden da die Konstruktion qualitativ schlecht war (bei uns wuerde 5 Jahre lang an unsere gearbeitet, und dies nur weil unsere Stadt zu den reichsten Frankreichs gehört)

    Die kleine Stadt kann sich solche Kosten nicht leisten, das Diozös und Rom wollen auch nichts rausrücken, und die Einwohner haben auch kein Geld und sind mit den Abriss einverstanden.

    Ich finde halt deine Reaktion irgendwie unpassend : wie gesagt, wenn du die 6 Millionen zu verfügung stellen kannst, nur zu.

    Und bitte, keine Verschwörungstheorien über Kirchenschändigungen usw die auf keine statistische Grundlage beruhen, trotzt aber immer wieder von Rechtsextremen Quellen weiterverbreitet werden....