Irkutsk - das Paris Sibiriens (RUS) (Galerie)

  • Irkutsk hat knapp 600000 Einwohner und liegt 70km von Baikalsee entfernt an der Angara. DIe Stadt wurde erst im 17. Jahrhundert gegründet und erhielt 1686 Stadtrecht, sie war ein wichtíger Handelsplatz für Tee und Seide aus China und Pelze aus Sibirien. Vom 22. bis 24. Juli 1879 brannten etwa zwei Drittel der Stadt ab, mehr als 3000 Holzhäuser. Durch Goldfunde ab 1880 konnte die Stadt sehr schnell wiederaufgebaut werden. Aus dieser Zeit stammt auch die Bezeichnung "Paris Sibiriens", die man heute noch teilweise nachvollziehen kann.

    1898 erhielt die Stadt Anschluss an die transsibirische Eisenbahn.

    Die Angara, der einzige Abfluss des Baikalsees.

    Von den einst 20 Kirchen und 50 Gebetshäusern sind nur noch wenige übrig geblieben.

    Die Erlöserkirche am Kirov-Platz wurde von 1706 bis 1710 erbaut.

    Direkt daneben steht die von 1718 bis 1746 errichtete Gotterscheinungskathedrale.

    Eine Kirche wird gerade renoviert, die Gerüste werden einfach aus Brettern zusammengenagelt.

    In der 1886 aus Spenden von verbannten Polen erbauten katholischen Kirche befindet sich heute ein Orgel- und Konzertsaal.

    Die Karl-Marx-Straße, die Hauptgeschäftsstraße der Stadt, beginnt am Denkmal für Zar Alexander III. an der Angara.

    Das Heimatmuseum wurde schon 1782 gegründet und nach dem Brand 1891 wieder aufgebaut.

    Von 1800 bis 1804 wurde das Weiße Haus von einem Irkutsker Kaufmann erbaut, von 1837 bis 1917 war es Sitz des Generalgouverneurs von Ostsibirien, heute befindet sich darin die Universitätsbibliothek.

    Ebenfalls an der ul. Karla Marksa liegt das Schauspielhaus.

    Die ul. Urickogo ist die einzige Fußgängerzone der Stadt und führt zum Marktplatz.

    Häuser am Kirov-Platz

    An Stelle des sog. "Grauen Hauses", dem Sitz der Gebietsadministration, stand bis Anfang der 1930er Jahre die Kazaner Kathedrale von 1892, sie war die viertgrößte Kirche Russlands.

    In der Stadt stehen neben Tomsk die meisten Holzhäuser in Russland. Diese stammen zum größten Teil aus dem 19. Jahrhundert, sind aber oft in schlechtem Zustand. Einige von ihnen versinken langsam im Dauerfrostboden.

    Das war meine kleine Galerie von Irkutsk, die Bilder stammen vom April 2009. Wir machten dort 2 Tage halt auf unserer Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn.

  • Vielen Dank für die Aufnahmen! Wenn ich mir die Bilder so anschaue merke ich, dass der leidige Russisch-Unterricht doch nicht ganz umsonst war.

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • Wieso können die Häuser in gefrorenem Boden versinken? Oder taut dieser auf?
    Jetzt verstehe ich, warum Paris gemeinhin als Irkutsk an er Seine bezeichnet wird.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Herrlich!
    Aber diese Parisvergleiche... "Groß [lexicon='Leipzig'][/lexicon] an der Seine :biggrin: "
    Der Permafrostboden taut durch den Klimawandel tatsächlich auf!

    Architektur ist immer subjektiv, da sie wie jede andere Kunstform vom Auge des Betrachters abhängt.

  • Danke für die Antworten. Auf dem vorletzten Bild in der linken Hälfte sieht man ein schon sehr tief versunkenes Haus, die Fenster im Erdgeschoss liegen zur Hälfte unter der Erde. Die Holzhäuser wurden damals fast ohne Fundamente gebaut.
    Diese Vergleiche sind natürlich immer etwas weit hergeholt.

  • Ganz abgesehen davon, dass auch bei dauergefrorenem Boden eine Masseneinwirkung (Gravitation) zu Druck- und Reibungswärme führt - ist tatsächlich schwer davon auszugehen, dass Irkutsk im Zentrum des Klimawandels ist: Die Sommertemperaturen sind doch tatsächlich erheblich über die 0°-Grenze gestiegen - und das bereits mehrere tausend Kilometer südlich des Arktischen Ozeans!!! Die Welt gerät aus den Fugen.

    Quelle: Wikipedia, Benutzer "Hedwig in Washington"

    Und hier erst:
    http://2.bp.blogspot.com/-WIVqRkx0NKs/T…TREET-LEVEL.jpg

    Danke für die Bilder, Michael. Wer hätte gedacht, dass es ein Forumsmitglied mal dorthin verschlägt.

    So gruselig sieht' dort auch aus:
    http://www.irkutsk.org/fed/pic/pgallery/a00037.jpg

    Die dazugehörige Fotogalerie:
    WWW Irkutsk - photo gallery

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Danke für die schönen Bilder!

    Ich hätte mir nie gedacht, dass Gebiete so weit im Osten noch so osteuropäisch wirken.

    Übrigens: Ich frage mich schon lange, wieso es eigentlich keine komplett erhaltenen russischen Altstädte gibt. Im Gegenteil: bei den meisten russischen Altstädten existieren an Bauten, die vor 1800 entstanden sind meist nur einige Kirchen. Bestes Beispiel: Die Altstadt von Nowgorod. Diese muss riesig gewesen sein, man findet aber keine älteren Wohnbauten. Weiß jemand eine Antwort?

  • Zitat

    Übrigens: Ich frage mich schon lange, wieso es eigentlich keine komplett erhaltenen russischen Altstädte gibt.

    Kulturelles West-Ost-Gefälle: Polen und Tschechen waren um 1300 durch die dt. Ostsiedlung soweit akkulturiert, daß sie eigene Städte auch aus wilder Wurzel zu gründen begannen und zum planmäßigen Landausbau (1557 polnisch-litauische Hufenreform) schritten. Durch Pest und Klimaabkühlung im Spätmittelalter und früher Neuzeit erreichte Rußland diese Bewegung nicht mehr. Das Tatarenjoch und die Bedrohung der Südgrenze durch die Khanate machten Stadtgründungen praktisch unmöglich. Zudem erschwerte die Orientierung an der orthodox-byzantinischen Tradition, in deren Nachfolge man sich als Drittes Rom sah, den Eintritt in das geistige Leben Europas.

    Als richtige Altstädte (also mindestens vorbarock) kämen also am ehesten die Hauptstädte der alten Fürstentümer, die im 15./16. Jh. unter das Banner Moskaus kamen, in Betracht: Pleskau, Nowgorod, Nischni Nowgorod, Twer, Rjasan. Das Problem mit diesen Städten ist nicht nur der Holzbau, sondern auch, daß aufgrund der Armut vergangener Jahrhunderte deren Bauzeugnisse als nicht erhaltenswürdig eingestuft wurden. Ein Bürgertum war praktisch nichtexistent, und zuviel Repräsentation hätte nur die Aufmerksamkeit des Zaren, den man am liebsten fern wußte, oder auch nur der Bojaren auf einen gelenkt. Wenn man dann die sozialistisch (Stadt-)Bilderstürmerei in Erwägung zieht und, daß vielerorts im WK2 die Front mindestens gleich zweimal durchgekommen (so in Pleskau, Nowgorod und Twer) ist, verwundert es nicht, daß m.W. in Rußland kein einziges mittelalterliches Wohngebäude erhalten ist.

    Russischer Zensus 1897: Russian Empire Census - Wikipedia, the free encyclopedia
    Von den wenigen eigentlich russischen Städten sind die meisten erst als industrielle Zentren des 19. Jh. entstanden.


  • Als richtige Altstädte (also mindestens vorbarock) kämen also am ehesten die Hauptstädte der alten Fürstentümer, die im 15./16. Jh. unter das Banner Moskaus kamen, in Betracht: Nowgorod

    Für Nowgorod gibt es einige, recht zuverlässige Bildquellen für die Wohnhäuser von vor 1800 im Stadtgebiet;

    zwei aus dem 17. Jahrhundert seien hier aufgeführt



    Die äußere Stadtmauer war mit ziemlicher Sicherheit ein Block- oder Ständerbohlenbau (erhalten ist lediglich ein in die "Mauer" integrierter Turm)

    Zum Thema mittelalterliche Wohnbauten: Für mich lässt sich auf keiner der beiden Abbildungen auch nur ein Steinbau in der Größe eines bürgerlichen Wohnbaus erkennen ( nicht einmal im Kreml, der ja das Wohnviertel der Reichsten bildete; selbst dort gibt es nur winzige Holzbauten)

    Abgesehen davon wird es zumindest in Moskau ab dem 16. Jahrhundert einige wenige Steinhäuser im Renaissancestil (ähnlich zeitgleichen Bauten in Polen-Litauen) gegeben haben
    http://adamjones.freeservers.com/russia-282.jpg

    (Sieht mir nach einer (Teil-)Rekonstruktion aus)

  • Zitat


    Das ist das Haus der englischen Händler in Moskau aus dem 16. Jh., welches vermutlich auch als Kapelle genutzt wurde, ursprünglich angeblich das "Wohnhaus eines reichen Händlers". Erst bei Abrißarbeiten der später errichteten umliegenden Gebäudeteile wurde es quasi wiederentdeckt.
    Old English Court in Kitai-Gorod, Moscow

    Ansonsten nimmt dieses Haus von 1583 (!) in Wiborg (einer historisch schwedisch-finnischen Stadt) für sich in Anspruch, ältestes Wohngebäude in Rußland zu sein:
    Northern Fortress: Vyborg - City - Medieval house

    Über Nowgorod weiß Wikipedia zur Lage nach dem Zweiten Vaterländischen Kriege zu berichten: "Out of 2,536 stone buildings, fewer than forty remained standing."
    Wenn ich nichtzerstörte Städte wie Rjasan oder Jaroslawl vergleiche, hege ich aber die Vermutung, daß vor der Zerstörung auch in Nowgorod 19. und frühes 20. Jh. dominierend und relativ weniges Altslawische erhalten war (?).

    Irkutsk erinnert mich übrigens weniger an Paris als an die weitläufig angelegten Rasterstädte des US-Mittelwestens, deren Neo-Irgendwas-Kern dann allerdings von endlosen EFH-Gebieten statt von Sowjetplatten umsäumt wird und die teils selbst von sich behaupten, Paris von Soundso zu sein.

  • Danke für eure Antworten, "Ohrensesselexperte" und "Mündener" und "bilderbuch"!

    Ich habe mir auf Google Earth einige hauptsächlich westrussische Städte angeschaut. Man sieht am Grundriss oft noch, dass die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städte riesig gewesen sein müssen. Und auch viele der alten Kirchen stehen noch.

  • Ich sehe die Galerien wie immer erst etwas später ( :peinlich: ), aber vielen Dank für Bilder.

    Das ruft Erinnerungen auf bei mir, denn ich war 1992 auch mal in Irkutsk. An Paris hatte mich das allerdings so gar nicht erinnert, aber die noch immer auffallend zahlreichen Holzhäuser fielen mir damals auf. Und die Straßenbahnen, in denen viele Fensterscheiben druch Holzplatten ersetzt waren - nach der Glasnost kam offenbar die Glasnot. :wink:

  • Eine Straßenbahn ist mir jetzt gar nicht besonders aufgefallen. Seit 1992 hat sich sicher einiges verbessert, es gibt in der Innenstadt aber noch viele Häuser ohne Wasseranschluss. Wir haben dort bei Privatleuten übernachtet, die Zimmer an Touristen vermieten. Deren Holzhaus aus dem 19. Jahrhundert war erst vor kurzem an das Wasser- u. Abwassernetz angeschlossen worden, die meisten Nachbarn holten ihr Wasser noch an einem Brunnen im Hof.

    Nochmal ein paar weitere Bilder aus Irkutsk, vor allem aus dem nach dem Stadtbrand von 1879 entstanden Viertel.