Bremerhaven - Abrisse/Leerstand/Sanierung

  • Hallo Heinzer,

    mit allzu vielen Reaktionen kannst du hier im Forum leider nicht rechnen. Das geht eigentlich nur zuverlässig, wenn du 'nen Aufreger bringst - dann reicht mitunter auch ein Einzeiler. :zwinkern:

    Jedenfalls danke für die Vorstellung von Bremerhaven, wo ich noch niemals war. In Gedanken hatte ich es mir immer wie das gegenüberliegende WHV vorgestellt, aber Bremerhaven bietet offensichtlich deutlich mehr. Überraschend war für mich vor allem die hochsprießende gründerzeitliche Blütephase der Stadt. Wenn man bedenkt, dass sich bis kurz davor von dort mehrere Millionen Menschen gen Ellis Island ausschiffen ließen und nie wieder nach Europa zurückkehrten...

    Wie gewohnt, einige bildliche & inhaltliche Ergänzungen:

    Das von dir abgelichtete Rudelsburghaus um ca. 1900 - wohl das schönste Gebäude der Stadt (?)

    Bildquelle: Bibliothek - Zeno.org

    Eine colorierte Ansicht einer Parkanlage an der BM-Smidt-Straße:

    Bildquelle: Bibliothek - Zeno.org

    Dieser Fund ist bezeichnet mit Leher Tor - das Gebäude dürfte leider nicht mehr bestehen und auf einem dieser beiden Straßenzwickel gestanden haben?

    Bildquelle: bildindex der Kunst und Architektur

    Hier noch eine informative Seite über Lehe:
    Quartier || ESG-Lehe

    Und schließlich eine kleine bildliche und musikalische Hommage an Bremerhaven:
    [YOUTUBE]pZeXTJD_s7A[/YOUTUBE]

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Nun, ich reagiere. Und sage ein ganz herzliches Dankeschön! Sehr interessante und beeindruckende Fotos. :foto: Bremerhaven hat wahrlich mehr an Gründerzeit-Opulenz zu bieten, als man im Süden gemeinhin annimmt. Umso wichtiger ist es, dass es hier zu keinen Flächenabrissen kommt, sondern auf Erhaltung der historischen Bausubstanz wert gelegt wird.

    Vielleicht kann "Heinzer" oder ein anderer Kenner des Nordens ein wenig darlegen, worin die spezifischen Strukturprobleme Bremerhavens begründet liegen. Weshalb die Abwanderung? Wie sieht die demographische Situation aus? Wie äußert sich der soziale Verfall? Welche Konzepte werden erörtert, dem entgegen zu wirken?

  • Vorangestellte Fragen würden auch mich interessieren, gerade weil die Fotos einen Eindruck von bürgerlich geprägten Stadtvierteln rüberbringen und wenig heruntergekommen aussehen.

    Oh, was wäre das eine Pracht, wenn die historistischen Gebäude alle ihre ursprünglichen Dachaufbauten hätten! ;) Aber dieses Problem kennt man in nahezu jeder deutschen Großstadt...

  • Hallo Heinzer, vielen Dank auch von mir für die stets informativen Beiträge, die ich gerne lese.
    Bremerhaven habe auch ich mir eher wie das mir recht gut bekannte Wilhelmshaven vorgestellt - d.h. eine bis auf wenige Ausnahmen sehr spröde Ansammlung von Wohnhäusern, Werften, Kasernen, drittklassigen Kirchen.... Das Theater und der Bahnhof zeigen wirklich ordentlichen ausgewogenen Jugendstil/Reformstil, der ganz im süddeutschen Sinne gefällt. Dahingegen finde ich, dass viele Wohngebäude ihre norddeutsche/hannoversche/preußische Provenienz nicht verleugnen können. Sie bestehen nur aus Putz und Stuck (nicht aus Naturstein), die Figuren in einem einen Eckgebäude sind wenig feinfühlig ausgeführt, wirken vielmehr schwerfällig-preußisch-plump. Die Häuser an sich dürften tatsächlich außergewöhnliche, besondere Wohnungen haben.

    Ich frage mich übrigens auch, warum hier im Forum norddeustche Themen stets weniger Beachtung finden. Ich habe manchmal das Gefühl, es liegt daran, dass Norddeutschland weniger Stadtkerne hat und stattdessen schon in älterer Zeit viel stärker zersiedelt war, und somit historische Gebäude sehr verstreut liegen und seltener Enseblme bilden. Dies, und die gnadenlose technikgeprägte Moderniserung nach 1950/60 führen dazu, dass die charakteristische Bausubstanz Norddeutschlands für Besucher bei der Durchfahrt heute kaum mehr wahrnehmbar ist. Vom Krieg betroffen waren nur die großen Städte, alles andere ist ja erst später mutwillig zersört worden.

  • Als jemand, der Bremerhaven praktisch gar nicht kennt, bin ich äußerst überrascht, aus dieser Stadt einen gründerzeitlichen Wohnhaustypus vorgestellt zu bekommen, den die Stadt Bremen ja gar nicht kennt. Bremen ist dafür bekannt, dass es als (nahezu) einzige deutsche Großstadt keinen gründerzeitlichen Geschosswohnungsbau getrieben hat, sondern konsequent an dem sog. Bremer Haus, einem Reihenhaus vom Typ her, festgehalten hat. Daraus resultiert das unverwechselbare Bremer Stadtbild, das eher im westeuropäischen Ausland Entsprechungen hat. Sollte sich Bremerhaven in seiner Baupolitik so gänzlich von seiner Mutterstadt Bremen abgesetzt haben? Und was sind die Hintergründe dieser Eigenständigkeit?

  • Die Stadtwerdung/Territorialgeschichte von Bremerhaven ist sehr kompliziert.
    Nur der innerste Stadtkern Bremerhaven gehörte ursprünglich zu Bremen. Geestemünde und Lehe gehörten als eigenständige Städte zur Provinz Hannover. Hier entstanden die Gründerzeitviertel. Am 1.11.1939 ging auch der Stadtkern Bremerhaven an die Provinz Hannover, mit Ausnahme des Hafens. Dafür wurden städtisch geprägte, an das Stadtgebiet Bremens grenzende Randgemeinden (z. B. Hemelingen) an Bremen abgegeben. Zwischenzeitlich war aus der Doppelstadt Geestemünde / Lehe die Stadt Wesermünde gebildet worden, mit Sitz einer gleichnamigen Kreisverwaltung.
    Nach dem Krieg wurde Bremerhaven einschließlich Wesermünde als Teil des Stadtstaates Bremen wieder aus der Provinz Hannover, die mittlerweile einen Teil des neu gegründeten Landes Niedersachsen bildete, ausgegliedert. Es entstand die merkwürdige Situation, dass die Kreisverwaltung des jetzt so genannten Landkreises Bremerhaven, der zu Niedersachsen gehörte, im Gebiet der Stadt Bremerhaven lag, die zum Land Bremen gehörte. Dies änderte sich erst mit der Zusammenlegung der Landkreise Bremerhaven und Land Hadeln (mit Sitz in Otterndorf) zum neuen Landkreis Cuxhaven in den 70er Jahren...

    Wer zwischen Steinen baut, sollte nicht (mit) Glashäuser(n) (ent)werfen...

    2 Mal editiert, zuletzt von Ein_Hannoveraner (25. Mai 2012 um 20:27)

  • Ein paar architektonische Eindrücke von meinem Ostermontagspaziergang in Bremerhaven:

    Zuerst dieses imposante "ehemalige" Jugenstilgebäude in der Schleusenstraße, das offensichtlich vollständig mit Styropor verkleidet wurde. Ich habe den Klopftest gemacht, es klingt hohl. Gibt es noch Bilder vom vorherigen Zustand?

    In der Reihe sieht es so aus:

    Am Ende der Bürgermeister-Smidt-Straße fand ich dieses beeindruckende Gebäude:

    Goethestraße/Ecke Kistenstraße. Ein wenig erinnerte mich der Zustand dieser beiden Eckhäuser an das frühere Ostberlin kurz nach der Wende. Hoffentlich bleiben die Gebäude erhalten, gibt es schon einen Käufer, der in der Kistenstraße keine Kistenarchitektur hinsetzen will?

    Was ich aus Bremen so nicht kenne, entdecke ich in Bremerhaven am Ende der Goethestraße. Ein riesiges Haus wird wiederhergestellt.

  • Das schaut vielversprechend aus! Bitte halte uns diesbezüglich auf dem Laufenden! Das Endergebnis wäre interessant und könnte ein gutes Beispiel für Neubauten in historischem Umfeld bieten.

    Das mit Sondermüll eingepackte Jugendstilgebäude ist eigentlich ein Verbrechen und sollte auch entsprechend geahndet werden. Solchen Eigentümern gehören die Abschreibungsmöglichkeiten gehörig reduziert...hoffe nur für die Mieter im Haus, dass dort nie ein Feuer ausbricht, denn das kann rasch tödlich enden!

  • Offenbar wurde beim Ende der Goethestraße der gesamte mehrgeschossige Erker wieder neu errichtet, die Dachzone scheint auch rekonstruiert zu werden. Beeindruckend, ich hoffe man geht beim Innenausbau behutsam vor.

  • Hab den Ort gerade gefunden. War die Grundstücksgeometrie schon immer so?

    Irgendwie fehlt da was. Nachbarhaus etc. / gegenüberliegende Häuser...

  • Heinzer, ist Dir Rolf Thörner persönlich bekannt? Wenn ja, setz ihn doch mal auf Bremen an, hier gibt es sicherlich eine Reihe von Gebäuden, die auf einen sensiblen Sanierer warten ebenso wie die Bürger in den betroffenen Stadtteilen.

  • @Kaoru bzgl. der Qualität des Innenausbaus: Da muss man sich keine Sorgen machen, der Mann kauft Originalbeschläge auf, falls welche fehlen, um das Haus möglichst in den Originalzustand zu versetzen, die Türen werden aufgearbeitet und nicht "erneuert", der Holzboden immer erhalten (da gibt's ja auch so Spezis, die meinen, man könne Dielen nicht retten, weil sie etwas runter sind, damit sie da Laminat reinlegen können). Er wird außerdem sinngemäß zitiert mit den Worten, dass er nach innen öffnende Fenster für ein Verbrechen halte (!), geht also in vielem wohl noch über den Leipziger Sanierungstandard hinweg.

    Dieser Herr Rolf Thörner dürfte ein Mann nach unserem besten Geschmack sein! Lest einmal:

    https://www.nord24.de/bremerhaven/In…ilien-5317.html

    und hier auch ein Link zu seiner Homepage mit ein paar schönen Vorher/Nachher-Aufnahmen:

    http://www.meta-ag.de/

    (Ok, bei den angbauten Balkonen gibt es ev noch Verbesserungsbedarf, aber ansonsten - Hut ab!)

    Wenn in Deutschland alle Eigentümer/Bauherren so viel Kultur und Können besäßen, dann wären unser Städte in kürzester Zeit so perfekt saniert wie zB in Leipzig! Solche Bauherren sollte man mit besonders hohen Sonderabschreibungen unbedingt fördern!

  • Heinzer, jetzt habe ich dir kürzlich den nachfolgenden Artikel aus der Nordseezeitung zugeschickt. N a c h d e m ich auf Senden gedrückt hatte, schoss in mir der Gedanke hoch: "Hatte er das nicht schon mal von mir vor einigen Monaten bekommen"?

    Nun denn! Ich dachte mir, besser noch, den Artikel in Stadtbild einstellen, nicht nur die auswärtigen Freunde des Goethe-Quartiers könnten sich für diesbezüglich positive Nachrichten interessieren (Ich gehe jetzt mal davon aus, dass dieser Artikel nicht schon im Forum existiert):

    Erhaltungsgebiet Goethequartier

    Dienstag, 17. September 2019

    Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bremerhaven hat im März 2019 den Aufstellungsbeschluss für die Erhaltungssatzung für das „Goethequartier einschließlich der Hafenstraße in Bremerhaven-Lehe“ gefasst.

    Dadurch wird das Gebiet bei zukünftigen Bauvorhaben vor ungewollten nachteiligen Veränderungen geschützt, um so der Zerstörung des ortsbildprägenden Charakters entgegenzuwirken. Ziel ist es, die städtebauliche Eigenart des Gebietes mit seinen Hausfassaden, die im Zeitraum zwischen 1890 und 1945 entstanden sind, zu schützen.

    Deshalb ist im Erhaltungsgebiet von Hauseigentümerinnen und -eigentümern zukünftig zu beachten, dass sie bei geplanten Veränderungen an der „äußeren Hülle“, beispielsweise an der Fassade oder dem Dach, dem Einbau von Fenstern, einem Bau, Abriss oder einer Nutzungsänderung ihres Gebäudes, vorab eine Genehmigung beim Bauordnungsamt einholen müssen. Dies betrifft auch Baumaßnahmen, die ansonsten gemäß den Bestimmungen der Bremischen Landesbauordnung verfahrensfrei wären.

    Weitere Informationen finden Sie auf unserem Informationsblatt zur Erhaltungssatzung „Goethequartier einschließlich Hafenstraße“ auf unserer Internetseite Stadtplanungsamt .

  • Hatte nicht schon Timothy Leary in den 60er jahren gesagt: Thörner on, tune in, drop out. Trotz meiner kapitalismuskritischen Haltung muss ich sagen: Solche - gute - Investoren brauchen wir. Denen gönne ich den Erfolg und auch die Rendite. Nicht auszudenken, dass Italiano bald dieses Viertel entdeckt und sich die Schrottimmobilien unter den Nagel reißt. Nach deren Abriss kann ich mir den "Baustil" lebhaft vorstellen. Dann wäre Rolf Thörner der Harry Potter von Bremerhaven, der gegen den bösen Lord Voldemort kämpft. Vielleicht erst mal beim Quidditchspiel.

  • Ich habe den Beitrag auch gesehen, Heinzer, aber mir wurde doch ganz anders. Ich sah die schöne Fassade des Hauses, vor dem zwecks Renovierung ein Gerüst aufgebaut war. Aber dann die Innenräume. Alle Türen - vermutlich historischen Zuschnitts - waren verschwunden. Man sah alte Wand- und Bodenfliesen, einige, so schien es mir, waren schon abgeschlagen worden. So sehr ich die Projekte der jungen Leute gut finde, entstand doch bei mir der Eindruck, dass sie für das historische Gebäude nicht nicht dienlich ist.

  • Sieht teilweise aus wie im Osten. Weggeschlagene Verdachungen und nachher frisch über den Glattputz gestrichen. Der Kulturverfall kannte keine innerdeutsche Grenze.

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    Zu Bild 1: Da ist der Gehweg vor dem Haus abgesperrt. Möglichenfalls deutet das auf Gefahr durch herabfallende Teile hin? Dann dürfte eine Sanierung, zumindest Sicherung in absehbarer Zukunft anstehen.

    Zu Bild 2: Es scheint nur eine Wohnung im 1. OG bewohnt zu sein. Jedenfalls hat sie Gardinen. Ansonsten existieren ja teils keine Scheiben mehr. Sie sind durch Holzbretter ersetzt worden.

    Ja, ich muss "Heinzer" zustimmen. Es ist zwar ein Viertel, dass an Stadtareale im Osten vor 1990 erinnert, aber viel Substanz und ein großes Potenzial hat.