Bremerhaven - Abrisse/Leerstand/Sanierung

  • Wirklich wieder mal sehr schöne und ausdrucksstarke Bilder, Heinzer. Bei meinem nächsten Besuch in Bremerhaven werde ich mit Sicherheit auch die Rickmersstraße anschauen. Wenn Du so weitermachst, werden Heimdall und Du sicher noch mal Nachbarn - in einem der wunderschönen Alstbauviertel Bremerhavens.

    Beim Anblick dieser Gebäude ist schwer zu verstehen, dass die Modernisten den Historismus bis in die 1970er Jahre zum Teufel gewünscht und versucht haben, ihr Erneuerungsparadigma durch massenhafte Abrisse durchzusetzen. Hinterlassen haben sie uns eine sichtbare ästhetische Leere, die die Leere in ihren Köpfen widerspiegelt. Viele Gebäude würden in Bremen ohne die modernen Stadtplaner noch stehen.

    Bezogen auf Bremerhaven möchte ich Naumburg´s Hinweis auf den Osten nicht negieren sondern erweitern. Bremerhaven war zu uninteressant und hatte zu wenig Geld, sich an der Rettung dieser Gebäude zu beteiligen. Viele Gebäude im DDR-Osten haben deshalb überlebt, weil der Staat keine Kohle zum renovieren hatte. Beispielsweise war Freiberg, südwestlich von Dresden gelegen, so eine Stadt. Alles war so heruntergekomemn, dass überlegt wurde, große Teile der Stadt abzureißen. Aber nicht mal dafür war Geld da. Und wer heute Freiberg besucht, kann mit dieser Hintergrundinformation nur von einem Wunder sprechen. Alles ist erhalten. Ich habe in Freiberg keinen einzigen Nachkriegsbau gesehen, ähnlich wie in Görlitz.

  • Warum un alles in der Welt sind dese schrecklichen 90er-Billigfenster nicht auszurotten? Grauenhaft, in Leipzig werden viele Häuser, die heute zweitsaniert werden von diesen Teilen befreit und schöne Galgensprossen aus Holz reingesetzt. Der Einfluss der Fenster wird mir zu oft unterschätzt, was das Gesamtergebnis angeht. Schade, ansonsten freut mich die Entwicklung sehr.

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    Bild von "Heinzer"

    Der "Osteindruck" hat mich im Übrigen auch ereilt. Diese geschlossenen Quartiere, das schwere Kopfsteinpflaster....da bekommt man fast schon Heimatgefühle.

    "We live in the dreamtime-Nothing seems to last. Can you really plan a future, when you no longer have a past." Dead Can Dance - Amnesia

  • Zum Schluss noch ein weiteres, beeindruckendes Ensemble am Beginn der Goethestraße. Im Zentrum des Komplexes liegt die sogenannte Rudelsburg mit drei überlebensgroßen Figuren, ganz hanseatisch-weltlich die Wissenschaft, den Handel und die Industrie darstellend:

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    Bei diesem Haus gibt es eigentlich nur die Option wieder den ursprünglichen Prachtgiebel zum Platz hin wiederherzustellen. Die Figuren erzwingen m. M. nach eine Verlängerung der Achse nach oben um ein optisches Gleichgewicht zu erreichen und wenn wir schon dabei sind, auch hier bitte, bitte andere Fenster. Das könnte tatsächlich mal ein wieder zu einem Fotoobjekt erster Güte werden, wenn man das einmal hinbekommt.

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  • Eigentlich würde es sich doch auch gut machen sich Expertise aus "dem Osten" zu holen, wo Sanierung, Teilreko, Wiederbestuckung usw. mittlerweile eine gewisse Routine und Erfahrung, ja, auch in der Kostenminimierung hervorgebracht hat, gerade für Eigentümer, die nicht wie Thörner ein Händchen dafür haben um solche Missgriffe, wie z.B. mit den Fenstern zu vermeiden.

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  • Warum un alles in der Welt sind dese schrecklichen 90er-Billigfenster nicht auszurotten?

    Das liegt schlicht am Preisunterschied.

    Hier sind mal ein paar (mir nicht 100%-ig verständlich aufgelistete) Preismodelle, die zeigen, dass Kunststofffenster weit billiger als Holzfenster sind. Und das Sprossenfenster gleich richtig zu Buche schlagen.

    Zitate:

    Zitat

    Fällt Ihre Wahl beim Material auf Kunststofffenster, sparen Sie bereits aufgrund des Materials im Vergleich zu Holz- und Aluminiumfenstern. Da Kunststofffenster kostengünstiger produziert werden können, aber trotzdem hervorragende energetische Eigenschaften aufweisen, ist das Preis-Leistungs-Verhältnis hier am besten.

    https://www.deutsche-fensterbau.de/fenster-preise/

    Zitat

    Bei der Wiener Sprosse wiederum werden die Sprossen lediglich auf die Verglasung aufgeklebt und eine zusätzliche Sprosse im Scheibenzwischenraum angebracht. So besteht das Fenster aus einer durchgehenden Glasfläche, erhält aber dennoch den Eindruck eines Sprossenfensters. Der Vorteil dieser Art der Fenstersprossen sind neben dem geringeren Aufpreis auch bessere Wärmeschutzwerte.

    Ähnlich den Wiener Sprossen sind die sogenannten Helima Sprossen, bei welchen lediglich im Scheibenzwischenraum eine Sprosse eingesetzt wird. Hier muss mit einem Aufpreis von ca. 10€ pro Sprossenfeld ausgegangen werden, Wiener Sprossen schlagen mit einem Aufpreis von ca. 30€ pro Sprossenfeld zu Buche. Glasteilende Sprossen sind aufgrund des Aufwandes die teuerste Sprossenart mit ca. 40€ pro Sprossenfeld. Die Preise beziehen sich alle auf Kunststofffenster.

    https://www.deutsche-fensterbau.de/ratgeber-fenster-preise/

    Diese Preise potenzieren sich, wenn man die Menge an Fenstern eines solch großen Hauses berechnet. Dass viele private Eigentümer, die ohnehin bereits große Sanierungskosten zu tragen haben, hier zu sparen versuchen, ist menschlich verständlich. Dies zumal in einer Gegend wie Bremerhaven nicht entsprechende Mieteinnahmen zu erwarten sind, die die Sanierungskosten wieder ausgleichen.

    Ein Eigentümer (oder eine Immobiliengesellschaft) muss also über guten Geschmack und Liebe für das Objekt verfügen, um eine Sanierung entsprechend aufwändig zu gestalten.

    Das soll keine Rechtfertigung meinerseits sein. Ich bevorzuge auf jeden Fall passende Sprossenfenster. Aber ich wollte die Situation von Eigentümern darlegen und eine Antwort auf die Frage "Warum?" geben.

  • Danke Heinzer, genau darum ging es mir.

    umso wichtiger wäre natürlich Aufklärung über Fördermöglichkeiten, im Osten geht es ja -trotz ähnlich ungünstiger demografischer Dynamik zumindest in vielen Klein- und Mittelstädten auch

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  • Irgendwie kommt mir Bremerhaven mittlerweile wie das Görlitz des Nordens vor (im Anfangsstadium).

    Görlitz war ähnlich totgesagt und nur durch Bürgerengagement (aus dem Westen) von Menschen mit Bezug zur Stadt wurde dieses absolut geniale Wunder möglich. Ich fiebere mit Euch, dass sich ein solches Wunder auch in Bremerhaven ereignet. Die ersten Ergebnisse sind traumhaft schön.

    Schon allein die oben genannte "Schrottimmobilie von 1895" und ganz klar die 5-Vollgeschosser (siehe oben) verdienen höchste Anerkennung und eigentlich auch einen Architekturpreis für vorbildliche Sanierungen! Diese qualitätvolle und menschlichen Dimensionen verpflichtete Arbeit fördert unser aller Gesundheit, unsere Lebensqualität und ganz wichtig: Bremerhaven und seine Bewohner.

  • Mich erinnert es eher an den Leipziger Osten, in dem ich vor reichlich 12 Jahren gewohnt habe. Volkmarsdorf, Sellerhausen, Stünz, Reudnitz, Anger-Crottendorf. Wunderschöne Häuser, aber noch viel Verfall, schlechte 90er-Sanierungen, Abrisslücken und weiter geplante Abrisse.... Gefördert mit Stadtumbau Ost...2008 war das... Nun wird kräftig saniert, Häuser wiederbestuckt, Lücken geschlossen und das einstmals fast ausschließlich von Migranten und Prekariat bewohnte Viertel wird durch junge Leute, Hipster, Studenten und Künstler wieder entdeckt... Nun ist Bremerhaven nicht Leipzig, aber auch die Anzahl der zu rettenden Häuser nicht so groß und die Substanz dann doch nicht gar so mies wie annodazumal in Leipzig. Lasst uns hoffen.

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  • Es geht weiter, jetzt im Stadtteil Mitte, und dort an seinem nördlichen Ende. Als erstes ein frisch saniertes Haus in der Schleusenstraße mit einem ganz attraktiv wirkenden Italiener

    Unter der Lamellen-Verkleidung des linken Nachbarn könnte auch noch ein Schmuckstück verborgen liegen.

    Dieses Eckhaus hat sich "retro79" mal angesehen vor einigen Jahren, es ist innen wohl unsaniert, hat aber in den letzten Jahren immerhin den Turmhelm zurückbekommen, aber natürlich immer noch kein Schmuckstück mit ordentlich Investitionsbedarf

    Seltsam, dass der Eigentümer ein solch schönes, wenn auch eher teures Detail rekonstruiert, das ganze Haus aber bislang unsaniert lässt. In der Regel läuft es ja anders herum.

  • Diese gründerzeitliche Architektur "thörnt" mich an, weil man sie mir nicht erklären muss. Ich gehe durch die Straßen und verstehe über den Bauch. Die Wirkung dieser Gebäude auf mich ist erheblich und erzeugt Glücksgefühle. Im Gegensatz zu vielen modernen Bauten. die bei mir nur schlechte Laune erzeugen, weil sie nichts zu bieten haben. Manchmal gibt es da Führungen, bei denen der Architekt erklären muss, was er sich bei der Gestaltung so gedacht hat. Das interessiert mich überhaupt nicht. Eine Architektur, die man erst erklären muss, ist für mich keine gute Architektur. Die Gebäude müssen mich durch ihr Aussehen überzeugen. Da brauche ich keine Erklärungen, die ja meist sowieso nur Ausreden sind für das, was nicht gekonnt wurde.

    In diesen noch unbeschädigten Straßenzügen des Historismus (auch des Jugendstils) sieht jedes Haus anders aus, aber alle sind einem gemeinsamen Baustil zuzuordnen. Der Historismus bietet, ebenso wie der Jugendstil, eine Formenvielfalt, die die Architekten zu Kreativität und ästhetischen Höchstleistungen angetrieben hatten. Diesen Architekten ging Schönheit über alles.

    Wenn nun in diese Straßen ein moderner Neubau eingefügt wird, ist meist das Gesamtgefüge beschädigt, das Ensemble ist kaputt, der moderne Bau ist zum visuellen Störfaktor der ganzen Straße geworden. Das kann man in Bremen, Bremerhaven und anderen Städten in vielen Altbauvierteln beobachten. Oft wurden dann auch noch zu allem Übel ein, zwei der dort stehenden Altbauten abgerissen, "um mehr Wohnraum zu schaffen", so meist die offizielle Begründung.

    Die hier von Heinzer bildlich dargestellte Architektur ist einfach nur atemberaubend, da könnten sich die heutigen Architekten mal ne´ Schnitte von abschneiden, zumal sie privat gerne in solchen Gebäuden wohnen, während sie beruflich die Städte verschandeln.

  • Nur um zu zeigen, was alles noch an Potenzial schlummert in Bremerhaven, ein paar wahllose Fotos aus Lehe und dem Stadtbezirk Mitte:

    Die Hafenstraße in Lehe:

    Irgendwo im nördlichen Lehe, ein echtes Juwel in allerdings schlechtem Zustand:

    Schönes Eckgebäude:

    Ein weiteres schönes Haus in der Hafenstraße:

    Ein riesiger, aber ziemlich zerschossener Gründerzeitler im Stadtteil Mitte: