Riquewihr / Reichenweier - Elsässisches Rothenburg (F) (Galerie)

  • Lieber "Bürger",
    sicher ist das Lebensgefühl auf der linken Rheinseite anders als auf der rechten. Nicht nur im Umgang mit dem Auto. Obwohl inzwischen auch in Deutschland immer mehr das eigene Fahrzeug eher als Gebrauchsgegenstand als als Statussymbol sehen. Kulinarisch empfinde ich die französische Küche als Spitzenklasse, auch wenn ich als in Deutschland geborener mit vollem Teller und ordentlich Sättigungsbeilage aufgewachsen bin. Architektonisch können die Franzosen deutlich in Platzanlagen punkten, wie ich in Narbonne in der Innenstadt erfahren durfte, die vor etwa 5 Jahren in ihrer zentralen Platzanlage komplett und sehr ansprechend neugestaltet wurde. Sonst bin ich in Frankreich von der neueren Architektur etwas enttäuscht, ganz zu schweigen von den Banlieues der großen Städte. Das Elsass ist dann noch etwas anderes aufgrund seiner sehr interessanten, schicksalhaften und kulturell wechselhaften Geschichte. Dass das "Deutsche" im Elsässer und damit auch das Alemannische kräftig ausgetrieben wurde, und das ohne große Gegenwehr, von ein paar wenigen aber bedeutenden Kulturschaffenden (Tomi Ungerer, etc.) einmal abgesehen, ist eine Tragödie der besonderen Art. Rächt sich aber heute, da die gut bezahlten Jobs in Deutschland und in der Deutsch-Schweiz sind, und da kommt man mit dem Französischen, auch wenn eine wichtige Kultursprache, leider nicht sehr weit. Das wäre aber Thema für eine andere Rubrik. Jetzt zurück zu den Fensterläden, die in Deutschland fast ausgestorben sind. Diese Art des Gestaltungselements würde manch langweiligen Bau in Deutschland auf einfachste Weise und für relativ geringe Kosten optisch aufwerten. Nützlich wären sie auch, als Schattenspender mit guter Lüftung im Sommer und einfache Isolierung inclusive Einbruchsschutz im Winter. Gegen das lästige Flügelschlagen bei Wind und Wetter gibt es inzwischen auch intelligente Schiebeläden mit Steuerung über Elektronik oder eine App.
    Zurück zum Hauptthema.
    Zur Bewahrung des kulturellen Erbes gehört Geld und ein Bewußtsein. In Deutschland gibt es genug Geld aber so mancherorts kein Bewußtsein. Wie das in Frankreich aussieht, und speziell in seinen Randregionen, sollen diejenigen beantworten die die Verhältnisse dort besser kennen.
    Schade wenn es dort nur am Geld läge.

    2 Mal editiert, zuletzt von Berkowitz (11. Juli 2017 um 20:38)

  • Hier noch einige Bilder aus Reichenweier/Riquewihr, die um 1990 entstanden sein dürften. Es handelt sich um alte, bearbeitete Dias. Wegen der teilweisen Mängel in der Bildqualität bitte ich um Nachssicht. Hier zunächst der "Dolder" mit dem vorgelagerten Obertor (von der Feldseite aus gesehen). Dieses Obertor war ein Falltor:

    Hier nun das Haus , das auf der Stadtseite neben dem "Dolder" stand und vor einigen Jahren leider um die Weihnachtszeit abgebrannt ist. Das Haus war vermutlich einst geteilt worden, da die eine Hälfte freigelegtes Fachwerk aufwies, die andere Hälfte hingegen nicht.





    Die Herrschaft Reichenweier gelangte durch Verkauf 1424 ans Herzogtum Württemberg, wo es bis zur franz. Revolution verblieb. Das Haus auf dem folgenden Bild (mit dem herrlichen Giebel mit Rollwerk/Voluten der Renaissance soll nach Plänen des württembergischen Baumeisters Heinrich Schickardt erbaut worden sein. Herzog Christoph von Württemberg hat übrigens im Schloss zu Reichenweier das Licht der Welt erblickt.






    Im Wald oberhalb der Weinberge von Reichenweier befindet sich eine ehemalige Einsiedelei, heute ein beliebtes Ausflugslokal. Trotz Hochbetrieb händigte uns der Gastwirt den Schlüssel zur St. Alexiuskapelle aus. In einem späteren Altar befindet sich ein polychrom gefasstes Hochrelief aus dem 16. Jh. das Begebenheiten aus dem Leben des Hl. Alexius darstellt. Hier zunächst die Kapelle:



    Dann der Altar mit dem Relief des 16. Jh.:

    Einmal editiert, zuletzt von Villa1895 (19. Dezember 2017 um 22:15)

  • Also anhand der Autos kann ich sicher sagen, dass die Fotos frühestens 1996 entstanden sind. Danke dafür. Ich merke, dass Elsass muss ich unbedingt einmal besuchen.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Mein Vater war in den späten 1950er Jahren auf Fahrradtour im Elsass unterwegs und wurde bei strömendem Regen von einem vorbeifahrenden Bauern im Wagen mitgenommen. Nachdem mein Vater zunächst auf französisch radebrechte, wechselte der Bauer ins Deutsche und sagte ihm: es sei das erste Mal seit Kriegsende, dass er Deutsch spreche. Bismarck und Hitler hätten die Elsässer nach Deutschland gezwungen mit dem Argument, sie seien Deutsche, weil sie Deutsch sprächen. Er habe dafür gesorgt, dass keines seiner Kinder Deutsch spricht, damit das nie wieder geschehen kann.

  • Er habe dafür gesorgt, dass keines seiner Kinder Deutsch spricht, damit das nie wieder geschehen kann.

    Das Gefühl hat man auch in Deutschland, dass das „Deutsche“ genau aus diesem Grund schleichend absentiert wird.

    Dabei braucht Europa Deutsche (aber nur) mit den deutschen Tugenden.

    Für Elsass ist der Zug sich seiner Herkunft zu besinnen, wie ich befürchte, abgefahren. 180 Grad anders verlief und verläuft es in Südtirol. Im Elsass kam es halt anders.

    Wie auch immer. Elsass mit seinen unzerstörten Städten ist ein Traum! Ohne dem letzten Krieg und die ideologisch fehlgeleitete Nachkriegsmoderne würde es in Deutschland noch solche Stadtbilder massenhaft zu bestaunen geben.

  • Zum Glück habe ich gestern im kleinen Örtchen Birlenbach das genaue Gegenteil erfahren dürfen - im Rahmen einer Besprechung zu einer Festlichkeit zum vierhundertsten Jahrestag der Grundsteinlegung des ehemaligen Schlosses Catharinenburg dort (1619-21 errichtet, 1755 endgültig abgetragen) wurde dort - die Initiative geht ausschließlich von den dortigen Einwohnern aus - eine bunte Mischung aus Deutsch, Elsässisch und Französisch gesprochen, wobei Französisch den eindeutig kleinsten Teil ausmachte, desweiteren war dort nicht nur die ältere Generation vertreten, und ich erfuhr, dass auch die dritte Generation dort sehr wohl noch deutsch und elsässisch beigebracht bekommt.
    Bemerkenswert ist dies zudem deshalb, weil der gesamte Ort 1940 zwangsevakuiert wurde vor dem Einmarsch der Wehrmacht - einer der Anwesenden wurde nach der Evakuierung fernab seiner Heimat geboren - man hatte also genug Gründe, mit dem Deutschen nicht viel Positives zu verbinden. Dass die heutige Situation dennoch so ist, wie sie ist, macht Hoffnung darauf, dass die traditionelle Sprachenvielfalt im Elsass noch nicht am Ende ist.

    PS: Falls Interesse an Informationen zu besagtem Schloss bzw dem Projekt besteht, bitte per PN melden, ich will dazu noch nichts weiter öffentlich schreiben.