Das historische Ansgarii-Quartier der Bremer Altsadt wurde bis zur verfehlten Wiederaufbaupolitik nach dem 2. Weltkrieg von der mächtigen, namensgebenden Kirche und dem imposanten, palastartigen Firmensitz des Norddeutschen Lloyd, der seinerzeit größten Fahrgastreederei der Welt, geprägt. Gemeinsam bildeten sie Herz und identitätsstiftendes Gesicht dieses geschäftigen Atlstadtviertels, welches im Übrigen durch eine in Nutzung und Baustil vielfältige, kleinteilige Bebauung charakterisiert wurde. Der Ansgarikirchhof stellte ein vitales Unterzentrum dar, welches hinsichtlich seiner architektonischen Qualität und seinem ästhetischen Stadtbild dem Bereich zwischen Dom, Rathaus und Schütting geradezu ebenbürtig war, ja man hätte ihn sogar mit Fug und Recht den Bremer ‚Neumarkt’ nennen können. Der Turm der Kirche war zudem nicht nur für das Gesamterscheinungsbild der Altstadt erforderlich, in welchem er für den richtigen ‚Rhythmus’ der Intervalle zwischen den sakralen bzw. profanen vertikalen Elemente der Stadtsilhouette sorgte, sondern er war auch der Zielpunkt fast aller Blickachsen im engeren Quartier.
Es ist geradezu tragisch zu nennen, daß die Nachkriegsplanungen dieses organisch gewachsene Gefüge komplett zerstört haben: Kirche und Lloydgebäude, mit ihrem je eigenen pittoresken Spiel von Giebeln, Türmen, Erkern, Zinnen, Fensterfronten und zerklüfteten, abwechslungsreichen Dachlandschaften, wurden durch monotone Kästen (der unmittelbare Nachfolgebau der Kirche, das Kaufhaus Hertie, wurde bereits in den frühen 90er Jahren als wertlos erachtet und durch das sog. ‚Bremer Carré’ ersetzt) verdrängt, welche keinerlei Anstalten machen, sich harmonisch in das Geflecht der Altstadt zu integrieren und die Traditionen ihrer Standorte aufzunehmen. Darüberhinaus ist durch das Verschwinden der beiden markanten Türme die Altstadt als Ganzes aus dem ‚Takt’ gekommen: Egal von wo aus man sie betrachtet, ob von der Aussichtsetage des St. Petri Doms oder von der Besucherterrasse des Bamberger Hochhauses in der Steffensstadt, immer ist der zu überbrückende Hiatus zwischen den vertikalen Landmarken der Altstadt einfach nur unschön überdimensioniert. Aus dem eleganten blickmäßigen ‚Hangeln’ von Turm zu Turm ist ein schlaffer ‚Durchhänger’ geworden.
Nun hätte man annehmen sollen, daß man vor diesem Hintergrund bei den aktuellen Planungen des neuen ‚City-Centers’ Einiges daran gelegt hätte, diesen unschönen Zustand zu beseitigen. Aber nichts dergleichen ist geschehen. Die ehemaligen Grundstücke von Kirche und Norddeutschem Lloyd waren noch nicht einmal Bestandteil der Planungen. Diese bezogen sich statt dessen ausschließlich auf die Gebäudeblöcke nördlich des Ansgarikirchofes und westlich der Ansgaritorstraße, also auf Bereiche, die für eine weit ausstrahlende Verbesserung des Stadtbildes direkt nichts hergeben. So würde von der Obernstraße her – die ja ohne den Turm der Kirche im ‚Nichts’ endet – die bauliche Veränderung die das Center gebracht hätte, noch nicht einmal einsehbar gewesen sein. Und hinsichtlich der Höhenentwicklung des glas- und stahldominierten neuen ‚Centers’, wäre mehr oder weniger nur ein weiterer horizontaler Kasten im Stadtbild erschienen (Nummer drei nach Horten/Kaufhof und Hertie/Bremer Carré).
Was kann man daraus folgern ? Nur durch ein radikales Umdenken der Verantwortlichen, im Sinne eines Nacheiferns der positiven Entwicklungen in Frankfurt a. M. und Dresden, kann die städtebauliche Ödnis in diesem Bereich der Bremer Altstadt beseitigt werden !
Luftbild aus dem 2. Weltkrieg (es sind schon erste Zerstörungen zu erkennen).
Rot eingefärbt: St. Ansgarii. Gelb eingefärbt: Verwaltungsgebäude des Norddeutschen Lloyd.
Luftbild aus der Gegenwart.
Rot eingefärbt: ‚Bremer Carré’. Gelb eingefärbt: Galeria Kaufhof (Ex-Horten). Hier sieht man, sehr deutlich, daß das Horten-Gebäude nach Norden zu ein Drittel mehr Fläche überbaut als das Lloydgebäude vordem. Hierzu wurde das westliche Ende der Knochenhauerstraße brachial verlegt.
Luftbild aus der Gegenwart.
Blau eingefärbt: Bereich des geplanten ‚City-Centers’.
Der Blick vom Dach des Finke-Hochhauses nach Osten auf den Ansgarikirchhof offenbart die ganze städtebauliche Ödnis, für die Kirche und NDL haben weichen müssen. Man erkennt auch, wie gut der Kirchturm an seiner historischen Stelle dem Stadtbild hier tun würde !
Blick auf Bremer Carré, Horten und ‚Lloydhof.