Der Barock im Spiegel der Zeiten

  • Moderationshinweis (Palantir): Die Diskussion entstand im Strang "Berlin/Unter den Linden" und kann hier fortgeführt werden.


    Wie weit reicht eigentlich der Arm dieser Form des Barocks? Ich habe ähnliche Kirchen in Südpolen (Ex Österreich) zum ersten mal gesehen, aber außerhalb der K&K Monarchie habe ich so etwas nicht erlebt. Gibt es im Norden Italiens oder weiter im Osten noch vergleichbare Beispiele?

  • Zitat von "unify"

    Wie weit reicht eigentlich der Arm dieser Form des Barocks? Ich habe ähnliche Kirchen in Südpolen (Ex Österreich) zum ersten mal gesehen, aber außerhalb der K&K Monarchie habe ich so etwas nicht erlebt. Gibt es im Norden Italiens oder weiter im Osten noch vergleichbare Beispiele?

    Naja, Schlesien ist voll davon -Grüssau, Liegnitz, Leubus, Wahlstatt... nicht zuletzt die Breslauer Uni. Gehört ja schließlich immer noch zu Österreich, wer anerkennt schon den Frieden zu Hubertusburg?
    Zweifellos strahlte diese Nachbarschaft hier auf die Niederlausitz aus.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Schöne Zusammenstellung.
    Wir sind uns aber schon einig, Palantir, dass du mit den barocken Gespinsten begonnen hast. Wobei Stift Melk abschweifender war als mein Neuzelle. Aber ich finde schon unter die Linden zurück, wenn ich Leipziger zur preußischen Ehrenrettung repliziere:

    Zitat

    An den süddeutschen Barock (das heutige Österreich eingeschlossen) kam Brandenburg-Preußen niemals heran. Bibliotheksräume wie in Melk oder der Hofburg - in Preußen undenkbar, reine Verschwendung.
    ______
    Ergänzung 15.10.2010 zur Untermauerung des Gesagten:

    Gemeint ist Brandenburg-Preußen in den Grenzen der damaligen Zeit. Das Kloster Neuzelle ("süddeutscher Barock") im heutigen Brandenburg gehörte zur damaligen Zeit zum Königreich Sachsen, das dem Barock sehr viel aufgeschlossener gegenüberstand als Preußen.

    Gut, aber was ist mit den Interieurs der Stadtschlösser zu Berlin und Potsdam, sowie, um ein erhaltenes Beispiel zu erwähnen, mit Sanssouci? Wenn barocke Pomp und Circumstances geboten waren (was in Preußen naturgemäß viel weniger als in katholischen Gebieten und Ländern mit einer entsprechend reichen Aristokratie der Fall war), stand Preußen um nichts nach.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Um auf die letzte Frage zu antworten:
    Das prägende des (Spät-)Barocks (im Gegensatz zu anderen Stilen) sind nach meiner Auffassung die schwingenden Fassaden und Räume, das völlige Auflösen von Flächen. Sehr gut zu sehen beispielsweise am Innenraum von St. Nikolaus/Kleinseite in Prag.
    Wenn man dies als den wirklichen, wahren Barock ansieht, muss der friederizianische Barock als billige Imitation erscheinen.
    Sanssouci hat am Mittelpavillon ein paar Hermen vom älteren Dresdener Zwinger und innen massenhaft französische Roccaile. Die Bauform des Landhauses war auch schon in Frankreich erfunden.
    Für zahlreiche Potsdamer (Bürger-)Bauten ist bekannter Maßen durch Quellen belegt, dass Friedrich II unmittelbare Vorbilder quasi verkleinert kopierte. (Zu dem Thema habe ich ein ganzes Buch zu Hause.)

    Was die ältere Epoche von Andreas Schlüter angeht, so sehe ich die Sache durchaus differenzierter: Seine hochbarock-römischen Fassaden des Berliner Stadtschlosses (vor allem die Schloßplatz-Risalite und der Hof) sind für ganz Deutschland wichtige und vorbildliche Beispiele dieser Zeitepoche.

  • Zitat von "Leipziger"

    Um auf die letzte Frage zu antworten:
    Das prägende des (Spät-)Barocks (im Gegensatz zu anderen Stilen) sind nach meiner Auffassung die schwingenden Fassaden und Räume, das völlige Auflösen von Flächen. Sehr gut zu sehen beispielsweise am Innenraum von St. Nikolaus/Kleinseite in Prag.
    Wenn man dies als den wirklichen, wahren Barock ansieht, muss der friederizianische Barock als billige Imitation erscheinen.

    Leipziger, ich teile diese deine Wertschätzung. Allerdings handelt es sich hier um einen bayerisch/fränkisch/böhmischen Sonderstil. Schon Österreich musst du hier ganz ausnehmen, denn außer der Wr. Piaristenkirche haben wir kein solches Bauwerk (und diese stammte durch die den Hildebrandtschen Entwurf abändernde Hand K.I.Dientzenhofers, kleinere Ausnahmen wie einige Prunner-Bauten in Linz zugestanden). Genauso auch Sachsen und alle anderen dt Kulturlandschaften.
    Die Fülle des dt. Barocks lässt sich anhand der zugegebenermaßen großartigen, aber räumlich doch sehr eingeschränkten Leistungen der Dientzenhofer und B. Neumanns nicht ermessen. Auch Knobelsdorff, Pöppelmann, Bähr , Schlaun uva, zT lokale Meister wie Santini-Aichel, Stengel sowie die Wiener Großmeister, die Fischers und Hildebrandt gehören dazu, auch wenn sie für die Guarineske niemals Verständnis oder Sympathie hatten. Sie ist eine besondere Blüte des dt. Barocks, aber nicht das Maß aller Dinge.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Der Barock war letztendlich eine architektonische Sackgasse, denn es fehlte ein Gesamtkonzept, ein Ziel, feste Grenzen, Maß und Anstand. Der Wettlauf zum Prunk trieb vor allem abseits der internationalen Residenzen mit ihren aufgeklärten Architekten, in den Dörfern und Klöstern zu einem zweifelhaften Höhepunkt und implodierte letztendlich an der Überzahl goldener Putten pro Kubikmeter (Ppm³). Der Barock ist da gelungen, wo erfahrende Architekten, welche die Antike kannten, das Durcheinander bändigten. Schönheit ist mehr als die wahllose Summe schöner Teile, welche aufwendig aber geistesarm maximiert werden muss. Als jeder Zentimeter mit Stuckmarmor und Blattgold gefüllt war, offenbarte sich eine geistige Leere, welche die Errungenschaften nur noch als Dekandenz erschienen ließ. Erst die Rückbesinnung auf die klassische Architektur gab wieder einen Rahmen, einen Fixpunkt, von dem eine geplante Idee stringent verfolgt werden konnte.

    Edit: Um es noch einmal auf diese Debatte zu fokussieren: ohne eine theoretische Fundierung, welche im Barock nicht erkennbar ist, können keine objektiven Maßstäbe abgeleitet werden, so dass die Debatte um den schöneren Barock im leeren Raum verläuft. Jedem sei seine Meinung geschenkt.

    Noch ein finales Beispiel, die Rosario Kapelle in Santo Domingo Kirche, Puebla, Mexico. Der Produktlebenszyklus hat seinen Höhepunkt überschritten.
    http://upload.wikimedia.org/wikipedia/comm…ario_Puebla.jpg
    http://www.fotocommunity.de/pc/pc/display/19806056

  • Architektur bedarf keiner Aufklärung. Die größten Meisterwerke des Mittelalters sind von gänzlich unaufgeklärten Menschen geschaffen worden, denen der Gedanke fremd war, dass der Mensch einen freien Willen haben könnte und nicht entweder von Gott geleitet oder eben vom Teufel getrieben ist. Nach dem Barock setzte schnell eine Akademisierung des Bauens ein, wovon die Architektur nach meinem Empfinden nicht wirklich profitierte. So würde ich auch behaupten, dass der Barock (einschließlich des Rokoko) die letzte Phase der europäischen Kunstgeschichte war, in der wirkliche Gesamtkunstwerke geschaffen wurden, bei denen Architektur, Malerei, Skulptur und Ornament wohlüberlegt in eine synthetische Beziehung zueinander gesetzt wurden (was nicht heißen soll, dass man es hier mit etwas "Rationalem" zu tun hat). Die "Hinzufügkunst", kulminierend im Historismus, kam erst danach mit der Entchristianisierung und Akademisierung des Baubetriebs.


    Zum mexikanischen Beispiel ist v. a. zu fragen: Hat das angelsächsische Nordamerika zur gleichen Zeit irgendetwas Vergleichbares zustande gebracht? Eben :zwinkern:

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Ich halt es da eher wie GF - gerade der Barock hatte so etwas wie ein Gesamtkonzept. Niemals gingen die Architekten so sehr von einer Gesamtwirkung aus. Auf das Zusammenwirken, ja auf die Einheit von architektonischer Anlage und ornamentalen Details wurde niemals früher oder später so stark Wert gelegt, gerade in den letzten, überladenen Werken. In der Wieskirche, in Vierzehnheiligen etc wurde nichts dem Zufall überlassen. In der vor allem in Bayern zu beobachtenden Reduktion des Äußeren liegt überdies eine hübsche Konkordanz zu Gerstenbergs dt Sondergotik vor.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Schön, dass wir in diesem neuen Strang nun in Ruhe weiter diskutieren können.

    Zitat

    Allerdings handelt es sich hier um einen bayerisch/fränkisch/böhmischen Sonderstil. Schon Österreich musst du hier ganz ausnehmen, denn außer der Wr. Piaristenkirche haben wir kein solches Bauwerk (und diese stammte durch die den Hildebrandtschen Entwurf abändernde Hand K.I.Dientzenhofers, kleinere Ausnahmen wie einige Prunner-Bauten in Linz zugestanden). Genauso auch Sachsen und alle anderen dt Kulturlandschaften.
    Die Fülle des dt. Barocks lässt sich anhand der zugegebenermaßen großartigen, aber räumlich doch sehr eingeschränkten Leistungen der Dientzenhofer und B. Neumanns nicht ermessen. Auch Knobelsdorff, Pöppelmann, Bähr , Schlaun uva, zT lokale Meister wie Santini-Aichel, Stengel sowie die Wiener Großmeister, die Fischers und Hildebrandt gehören dazu, auch wenn sie für die Guarineske niemals Verständnis oder Sympathie hatten. Sie ist eine besondere Blüte des dt. Barocks, aber nicht das Maß aller Dinge.


    Völlig richtig. Mein Hinweis auf den bayerisch/fränkisch/böhmischen (Sonder-)Stil sollte verdeutlichen, was im Barock das Maß der Dinge ist. Es wird nirgends barocker als dort, vielleicht noch bei den Asams in deren privater Kirche und in Weltenburg oder Rohr. Letztendlich wird die Qualität von Barockarchitektur immer an diesen Kriterien gemessen. Bei den zahlreichen Bauten, die entwicklungsgeschichtlich auf dem Weg dorthin entstanden, muss man natürlich etwas weniger streng messen.

    Um noch mal auf die friederizianische Architektur in Brandenburg-Preußen zurück zukommen: Ihre Bedeutung liegt meines Ermessens weniger bis gar nicht in ihrer barocken Qualität, sondern vielmehr darin, dass es bereits ein Eklektizismus ist. Bei kaum einer anderen Baugruppe des Barock sind die Vorbilder so konkret fassbar, nirgends wird die Beliebigkeit und Austauschbarkeit so deutlich. Somit ist der Beweis erbracht, dass die eigene schöpferische Leistung ausgesprochen gering ist. Insofern kommt das frühe Auftreten einer (englischen) Neo-Gotik (1755 Nauener Tor Potsdam) nicht überraschend. Quasi daraus entwickelte sich im preußenfreundlichen Nachbarland Anhalt-Dessau am Ende des Jahrhunderts der spätbarocke Klassizismus in Wörlitz u.a., der in der Architektur ebenfalls kaum über das Kopieren von vorgefundenem hinaus geht. (Die Raumausstattungen sind ein eigenes Thema.)

  • Zitat

    was im Barock das Maß der Dinge ist. Es wird nirgends barocker als dort, vielleicht noch bei den Asams in deren privater Kirche und in Weltenburg oder Rohr. Letztendlich wird die Qualität von Barockarchitektur immer an diesen Kriterien gemessen. Bei den zahlreichen Bauten, die entwicklungsgeschichtlich auf dem Weg dorthin entstanden, muss man natürlich etwas weniger streng messen.

    Wie gesagt, damit erledigst du mit einer gewissen zu demonstrativ-herablassenden Nachsicht zB den gesamten Wr. Barock. Imgrunde beschränkst du die den Existenzanspruch des Barocks auf den Umstand, dass dieser halt der entwicklungsgeschichtlich notwendige Vorläufer des Rokoko war (denn darum handelt es sich bei den späteren Dientzenhofers und bei Neumann bereits).
    Ich würde indes nicht so weit gehen und zB Schloss Schönbrunn oder der Karlskirche die Lebensberechtigung absprechen, nur weil Fischer gewisse moderne Richtungen nicht eingeschlagen hat. Oder nehmen wir Hildebrandt, der in Neumanns Augen der reinste Raekationär gewesen sein musste (dh dies vielleicht auch wirklich war, zumal er bei der Würzburger Residenz gegen ihn opponiert hat)- ich mag seine Bauwerke dennoch sehr, und ihm Äußeren sogar mehr als Neumanns.
    Indirekt bestätigt dies sogar meine These, dass die konuzeptionell herausragenste architektonische Epoche Österreichs die Hoch- und Spätgotik war.

    Zitat von "Leipziger"


    Um noch mal auf die friderizianische Architektur in Brandenburg-Preußen zurück zukommen: Ihre Bedeutung liegt meines Ermessens weniger bis gar nicht in ihrer barocken Qualität, sondern vielmehr darin, dass es bereits ein Eklektizismus ist. Bei kaum einer anderen Baugruppe des Barock sind die Vorbilder so konkret fassbar, nirgends wird die Beliebigkeit und Austauschbarkeit so deutlich.

    Das stimmt. In der Tat wirken nicht wenige Potsdamer Bauten in meinen (südlicheren) Augen nicht klassizistisch, sondern regelrecht historistisch. Für mich liegt indes ein besonderer Reiz darin. Auch gilt es, in Potsdam ein besonderes städtebauliches Konzept zu würdigen, dass es in dieser Form nicht oft gegeben hat. In den meisten Fällen, dh abseits von absolutistischen Zentren war die barocke Stadtgestaltung dem Zufall überlassen. Potsdam, Ludwigslust, Neuruppin, Oranienbaum sind daher für mich schon etwas Besonderes.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Ich denke, der Hinweis passt hier recht gut:

    Zitat von faz.net

    Böhmischer Baumeister:
    Der Mann, der Gotik und Barock versöhnte

    Die eigensinnigsten Barockbauwerke finden sich ausgerechnet im ländlichen Böhmen. Zu verdanken sind sie Johann Blasius Santini-Aichel, einem Architekten aus Prag, der alles anders machte als seine Zeitgenossen.

    Da oben auf dem Hügel über Žd’ár nad Sázavou liegt eine der seltsamsten Kirchen überhaupt. Außen der Kreuzgang, zehnzackig, fünfhundert Meter im Umfang. Wer ihn umrundet, läuft durch fünf Kapellen. In der Mitte des Rundgangs steht die fünfzackige Kirche, ein Stern im Stern. Keine Wand ist gerade. Das liegt daran, dass der Architekt der Wallfahrtskirche des heiligen Nepomuk, der böhmische Baumeister Johann Blasius Santini-Aichel, den Entwurf nicht mit dem Lineal, sondern vollständig mit einem Zirkel gezeichnet hat. Und das wiederum liegt womöglich daran, dass Santini von Haus aus kein gelernter Architekt war, sondern Maler.

    Im Kanon der Barockvorlesungen, die jeder angehende Kunsthistoriker absolviert, taucht Santini-Aichel nicht auf. Dort finden nur diejenigen Erwähnung, die einander beeinflusst haben, denn Lehrstoff ist nur, wer Wirkung hatte. Santini hingegen war ein Sonderweg, er steht für eine böhmische Sackgasse der Architekturgeschichte. Er baute nicht nur sternförmige, mit Zahlenmystik vollgestopfte Kirchen, er erfand auch den Gotik-Barock, was im zentralen Europa des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts kein Mensch brauchte, denn den ganzen verquasten Maßwerkquatsch hatte man ja nun gerade glücklich hinter sich gebracht. Man stukkatierte und skulpturierte lieber nach klassischem Vorbild, stellte antike Säulen in helle Hallen und malte alles in Pastellfarben aus. Wo umwölkte Engelchen in der Ecke kleben, da braucht es keine Rippengewölbe, so die gängige mitteleuropäische Auffassung, aber Santini sah das ganz anders. Er versöhnte die Üppigkeit des Barocks mit gotischer Strenge und traf damit genau den Nerv seiner böhmischen Zeitgenossen. Das hat historische Gründe und ist erklärungsbedürftig.
    [...]

    http://www.faz.net/aktuell/reise/…l-15271570.html