• Vorweg eine Entschuldigung für meine lange Abwesenheit aus dieser Diskussion. Ich hoffe, noch auf neuestem Stand der Dinge zu sein.
    Ich möchte mich Palantirs Meinung in vollstem Umfang anschließen. Architektur, die es nicht schafft, die Widersprüche ihrer Zeit zu überwinden, indem sie sie zu allgemein gefälligen Formen verschmilzt, ist keine Architektur mehr. Sie ist bestenfalls Skulptur, die man in Galerien und Museen betrachten und diskutieren kann. Schlimmstenfalls ist sie einfach Abfall und nicht würdig, unser kurzes Leben zu überdauern.
    Die von der_vogtlaender angesprochene Divergenz zwischen Form und Funktion ist dabei meines Erachtens keineswegs kennzeichnend für jedwelche architektonische Epoche. Man nehme die Antike als erklärtes Ziel der Ästhetik als Äquivalent zur statisch-funktionalen Höchstleistung. Man nehme die Gotik, deren Ästhetik überhaupt erst aus der Symbiose von Statik und Bildporgramm resultiert. Oder man nehme das Barock, wo sich die funktionale Bedeutung in der Bauplastik wiederspiegelt. Und selbst im Historismus hatte sich das Dekor, trotz Omnipräsenz, nie über die Funktion hinweggesetzt. Der Witz "Den Rohbau steht, welches Spiel soll nu dran, Meesta?", der später Berliner Bauarbeitern zugeschrieben wurde, ist bezeichnend: stilistische Wertdiskussion (man kennt meinen Standpunkt inkl. argumentativer Rechtfertigung ja bereits) hin oder her, der Rohbau stand immer zuerst. Die desolate Situation in den Arbeitervierteln ist hierbei übrigens nicht als Argument anzuführen. Hier ist die Schuld beim Wirtschaftsgedanken an sich zu suchen. Es ist absurd zu glauben, die Vermieter hätten das durch das Weglassen von Ornament gesparte Geld in die Verbesserung der Lebensbedinungen investiert.
    Zur Frage des Erhaltungswerts einer solchen Konstruktion: Das angeführte Beispiel der Rolle des Plauener Rathauses bei den Montagsdemonstrationen ist aus denkmalhistorischer Sicht zweifelhaft. Bei allem Respekt, den ich als nach '89 Geborener für die Protestteilnehmer empfinde, halte ich doch den Gedanken, dass sich dieses Ereignis irgendwie in der Rathausarchitektur manifestieren soll, für merkwürdig. Eine Gedenkplakette wäre da sinnvoller - oder wer weiß, vielleicht sogar eine Fassadeninschrift? Aber das war den Architekten wohl zu kreativ.
    Der Bemerkungsansatz, die historische Fassade lasse sich ohnehin bei vielen Rathäusern finden, gewinnt überdies angesichts der unzählige Male reproduzierten Massenware der 70er-Jahre-Fassade eine leicht ironische Dimension.
    Beim ästhetischen Argument, glaube ich, braucht die Punktverteilung kaum mehr erörtert zu werden. Und bei jenem der vermeintlichen bauhistorischen Bedeutsamkeit habe ich, angesichts zahlloser Skizzen, die uns von Vertretern der Frühmoderne erhalten sind, auch meine Zweifel.
    Ansonsten ist bedauerlich, dass jedwelcher Versuch im Wettbewerb, sich der historischen Fassade im moderneren Kontext anzunähern, bei zwanghafter Anbiederung endete. Was hätte denn dagegen gesprochen, hätte man die alte Fassadengestaltung im verkürzten und vereinfachten Maßstab weitergeschrieben? An und für sich finde ich den jetztigen Entwurf durchaus gelungen, er könnte in praktisch jeder Deutschen Stadt ansehnliche Wohn- und Geschäftsflächen stellen. Aber er passt nicht zum Rathaus! Er hat die falsche Gliederung, die falsche Farbe und den falschen Grundsatz - denn im Kontext gesehen ist er doch nur das Aquarium im klassischen Gewand. DAS ist sein Problem!
    Und nun zu guter Letzt, noch eines:

    Event-Eigenschaften spielen bei den jungen Leuten eine viel größere Rolle als Stadtbildgestaltung. Der Wunsch nach Wiederaufbau der historischen Fassade wurde vor allem von den älteren Generationen getragen.

    Im Namen meiner selbst, nicht weniger Forumskollegen und nicht zuletzt praktisch meines gesamten Freundes- und Bekanntenkreises freue ich mich, klar und in aller Deutlichkeit zu erwidern:

    NEIN!!!!


    Und ich HASSE dieses Totschlägerargument wie die PEST! Bitte: KEIN! EINZIGES! MAL! MEHR! ERWÄHNEN! Und vor allem: KEIN! EINZIGES! MAL! MEHR! PAUSCHALISIEREN! Das ist, zeitgemäß ausgedrückt, der letzte Bullshit!

    Die Stadtbildgestaltung ist einfach völlig aus dem Fokus geraten. Events sind wichtig, da sie im kollektiven Bewusstsein der (epochalen) Postmoderne fest verankert sind. Doch jedes mal, sobald ich darauf hinwies, veränderte sich die Wahrnehmung. Ich hielt kürzlich in Erdkunde eine kleine Stadtführung ab. Und die Allermeisten waren hinterher ebenso beeindruckt von der erhaltenen Substanz und ihrer Geschichte wie erschüttert von den Kriegszerstörungen und den Abrissen der Nachkriegszeit. Es gibt genügend Freifläche für Events, individuelle Ballungsräume gibt es dagegen nur jeweils einmal. Dieses Bewusstsein, dieser faktisch nur belegbare Umstand, geht unter. Aber mit ein wenig Geleit, mit ein paar wenigen Argumenten, entsteht es von neuem - vorausgesetzt, es war nicht schon immer da. Denn genau das, werter Herr Kett, war bei den meisten meiner gleichaltrigen Bekannten schon der Fall, bevor ich sie darauf ansprach.

    ANMERKUNG: die hellgrauen Passagen sind aus Gründen inhaltlicher Fehlinterpretationen meinerseits als revidiert zu betrachten.

    Form is Function.

    "Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Veränderungen der alten Bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim Alten. Denn die Wahrheit, und sei sie hunderte von Jahren alt, hat mit uns mehr Zusammenhang als die Lüge, die neben uns schreitet."

    Adolf Loos (Ja, genau der.)

    5 Mal editiert, zuletzt von TrierRekos95 (15. November 2013 um 21:03) aus folgendem Grund: Inhaltliche Revidierungen

  • @ TrierRekos95

    Du lieber Himmel, ich scheine ja permanent in irgendwelche Fettnäpfchen zu geraten. Die von Ihnen so heftig angefochtene Passage beginnt mit den Worten: "im übrigen erlebe ich in vielen Gesprächen…" Es ist also beileibe kein Totschlagargument, sondern vielmehr einfach eine Zusammenfassung meiner Gespräche mit mehr als 100 Gesprächspartnern im Laufe der Monate: Schüler, Studenten, honorige Personen, Arbeiter, Kunsthistoriker… und da hat sich einfach genau dieses Bild ergeben. Das in diesem Forum zu benennen ist doch sicherlich nichts verwerfliches. Ich fand das im übrigen überaus positiv, denn egal zu welchem Ergebnis der Gesprächspartner kam, er hat sich mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt. Und das ist gut so. Die breite öffentliche Debatte, die den Wettbewerb begleitet hat, war positiv, denn sie hat dazu beigetragen, dass sich die Plauener wieder stärker mit ihrer Stadt und deren Architektur identifizieren.

    Einmal editiert, zuletzt von der_vogtlaender (13. November 2013 um 10:01)

  • Zu den Rekonstruktionen kann ich auch nicht bestätigen, dass die jungen Leute ablehnender seien. In Frankfurt ist die Unterstützung für das Altstadt-Projekt eine Angelegenheit aller Altersgruppen. Tendenziell kann man aber sagen, dass die mittlere Altersgruppe (45 - 70 Jahre) am ablehnendsten ist. Das wurde mir auch von Leuten bestätigt, die Unterschriften für das Bürgerbegehren gesammelt haben. Typischer Rekonstruktionsgegner und Moderne-Anhänger ist der Bewohner besserer innerstädtischer Lagen (vorzugsweise Gründerzeit-Altbau mit modernen weißen Möbeln), Lehrer, "Grünen"-Wähler oder Alt-68er. An die ist kaum ein herankommen. Da ist die Ablehnung gegen positive historische Anknüpfungspunkte mit der Muttermilch aufgesogen. Ziemlich offen für das Altstadtprojekt sind hingegen die jungen Leute, ebenso die meisten Ausländer / Migranten. So jedenfalls die mir geschilderte Erfahrung der Unterschriftensammler, die meine Erfahrungen im Bekanntenkreis bestätigen.
    Aber zurück zum Thema:

    Aber nicht nur das Rathaus ist ein Problem der Plauener Stadtbildgestaltung. Ein spannendes Thema ist auch der Umgang mit den leerstehenden und verfallenden Gebäuden entlang der B 92 (Oelsnitzer Straße und so weiter). Man kann sie nicht einfach wegreißen, weil man dann sofort ein Lärmschutzproblem bekommt. Eigentlich muss man sie wie potemkinsche Dörfer stehen lassen und erhalten. Plauen ist leider nicht München und Frankfurt, wo jeder Quadratmeter Bauland sofort wieder mit neuen Häusern gefüllt wird. Unser innerstädtisches Brachflächenkataster ist schier endlos. Die Alternative wäre wegreißen und neu errichten von Lärmschutzwänden, aber wer will schon 4 km Schutzwand quer durch die Nord-Süd-Achse der Stadt. Sicher wäre eine Umgehungsstraße die richtige Lösung, um die 36.000 Durchgangs-Fahrzeuge pro Tag aus der Stadt zu bringen, aber der Freistaat Sachsen lehnt diese Lösung ab. Im Moment hat keiner eine richtige Idee, wie man mit den über 200 Gebäuden umgehen soll, die entlang der B 92 leerstehen und die keiner mehr braucht. Falls das Thema jedoch wieder den Rahmen des Forums sprengt, dann betrachten Sie diese Frage als nie gestellt.

    Das Thema sprengt keinesfalls den Rahmen des Forums. Nun kann ein Auswärtiger wie ich natürlich nur wenig zur aktuellen Situation und Planung in dem Bereich E49 sagen. Es ist ja wohl vor Jahren schon von städtischer Seite angekündigt worden, zumindest die Siegener Straße zu Lasten der Trockentalstraße verkehrstechnisch zu beruhigen. Es wäre wohl ein Schritt in die richtige Richtung, rettbare Teile des Bereichs durch eine Konzentration des Verkehrs an anderer Stelle aufzuwerten. Damit wäre das Problem zumindest für einen Teil des Areals gelöst. Die Häuser entlang der Verkehrsschneise sollten zudem erhalten bleiben, da sie immer noch urbaner und attraktiver als eine Lärmschutzwand sind. Falls eine solche wirklich benötigt würde und dichte Begrünung es nicht auch täte - das können Sie besser beurteilen. Da die Gebäude dann für Wohnzwecke zu unattraktiv sind, kann nur eine Umwidmung des betroffenen Gebiets helfen. Also Büro-/Gewerbeflächen (mit Einbau von Lärmschutzfenstern), Lagerflächen usw. Vielleicht kann man kleineren Versandhäusern Angebote machen, dort (zugegebenermaßen ungewöhnliche) günstige Lager-/Versandräumlichkeiten zu erwerben/pachten. Eventuell benötigen Künstler Atelierräume, in denen sie malen/bildhauen/musizieren möchten. Bands könnten dort proben. So oder so, es ist Aufgabe der Politik, kreative Möglichkeiten auszuloten. Dabei müsste man auch bundesweit recherchieren, welche Institution gerade Archiv-/Lagerräume benötigt oder an der günstigen Nutzung von solchen Liegenschaften interessiert wäre. Phantasie ist gefragt.

  • Im Namen meiner selbst, nicht weniger Forumskollegen und nicht zuletzt praktisch meines gesamten Freundes- und Bekanntenkreises freue ich mich, klar und in aller Deutlichkeit zu erwidern:

    NEIN!!!!


    Und ich HASSE dieses Totschlägerargument wie die PEST! Bitte: KEIN! EINZIGES! MAL! MEHR! ERWÄHNEN! Und vor allem: KEIN! EINZIGES! MAL! MEHR! PAUSCHALISIEREN! Das ist, zeitgemäß ausgedrückt, der letzte Bullshit!

    MIt Verlaub: Eine Pauschalisierung erkenne ich nicht in den Äußerungen vom Vogtländer, sondern wie es da steht, eher schon eine Gewichtung: "eine größere Rolle" , "vor allem von der älteren Generation".

    Das teile ich selbstredend auch. Diese TENDENZEN sind m. E. unverkennbar, wenngleich es wie überall löbliche zahlenmäßige Minderheiten gibt.

  • Umfänglichste Entschuldigung meinerseits.

    Ich weise jedoch darauf hin, dass die von der_vogtlaender geschilderte Situation derart frappierend auf ein mich ständig umgebendes Stereotyp passt, dass mir mittlerweile bei der leisesten Tendenz zu solchen Äußerungen der Kragen platzt. Mein Freundeskreis (um deutlich zu werden: überwiegend 15-23 Jahre) umfasst beinahe ausschließlich Leute, die kulturelles Erbe schätzen, oder, wenn sie sich nicht damit beschäftigen, zumindest akzeptieren und achten. Insofern schmerzen mich diese Feststellungen. Selbstredend muss hier trotz alledem von einem Fehler bzw. Missverständnis meinerseits die Rede sein. Wenn es nun einmal dieses Klischee ist, welches sich in der_vogtlaenders Umgebung bestätigt, ist das nun einmal sehr bedauerlich. Dennoch halte ich an meinem Fazit fest: Es herrscht wohl generell kein Desinteresse, sondern mangelndes Bewusstsein.

    Zuletzt ist es schade, dass der_vogtlaender nur auf diese Äußerung eingegangen ist. Aber das habe ich mir angesichts meines Tonfalls wohl auch selbst zuzuschreiben.
    Ich bitte aus diesem Grund erneut um Entschuldigung.

    Form is Function.

    "Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Veränderungen der alten Bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim Alten. Denn die Wahrheit, und sei sie hunderte von Jahren alt, hat mit uns mehr Zusammenhang als die Lüge, die neben uns schreitet."

    Adolf Loos (Ja, genau der.)

  • Vielleicht lässt sich das tatsächlich nicht so glasklar entlang des Alters entscheiden - auch wenn ich nach wie vor meine, dass es da Tendenzen gibt - sondern die Zugetanheit nach Interesse gibt viel mehr her. Aufschlussreich beispielsweise ist die Bemerkung von Heimdall, das Wählerklientel von Bündnis 90/Die Grünen sei rekonstruktionsfeindlich. In meinen Augen sollten hier Differenzierungen vorgenommen werden, ist das Grünen-Wählerpotenzial doch zu gut 80 % in Altbaugebieten wohnend, dasjenige der Partei Die Linke im Umkehrschluss zu 70 - 90 % in den Wohnkomplexen der DDR-Neubaugebiete, jedenfalls was Ostdeutschland anbetrifft. SPD, CDU und die FDP sind irgendwo dazwischen.

  • Neues vom Schloß. Der Abriss des Zellentraktes ist äußerlich mittlerweile abgeschlossen. Hier ein FP-Artikel von Mitte Januar. Derzeit finden archäologische Grabungen auf dem Schloßberg statt.

    Hier nochmal die zur Umsetzung angedachten Pläne. Und was uns hätte blühen können -> http://es-architektur.blogspot.de/2013/07/neuer-…-ba-plauen.html Herr im Himmel....

    Einige Stadträte engagieren sich dafür, dem wiederaufzubauenden Gebäudeteil auch den Dachreiter wiederzugeben . Sie sind guter Dinge. Schaun mer mal.

    Auch der Schlosshang hin zur Syrastraße soll gestaltet werden. Die FP berichtet. Sowohl zur Syrastraße wie auch zum Neustadtplatz hin war der Hang früher weitestgehend umbaut. Der Krieg und die SED haben dann nahezu alles zerstört. Die Alte Elsterbrücke führt heute ins nichts. Die Zerstörung wird einem ob der Vakanz jedweder Bebauung kaum bewusst. Hier sieht man das ganze Zerstörungswerk mal in zeitlicher Abfolge. (etwas scrollen). Einziges Überbleibsel ist eine kleine Stützmauer.

    Beeindruckend auch dieser Vergleich: Neustadtplatz im Jahre 1907 Blick Richtung Johanniskirche.

    Heutige Ansicht aus ähnlicher Perspektive
    http://www.panoramio.com/photo/44803280

    2 Mal editiert, zuletzt von Saxonia (8. März 2014 um 01:48)

  • Saxonia

    Ich freue mich immer, wenn meiner so altehrwürdigen wie geschundenen Heimatstadt in diesem Forum etwas Aufmerksamkeit zukommt!
    Das Projekt der Ansiedelung der Studienakademie am Standort des Schlosses der Vögte ist ganz sicher eines der wichtigsten Bauvorhaben in der Stadt seit Jahrzehnten. Wie sich schon jetzt das Schlossumfeld verändert hat, allein durch die nun aufgrund des erfolgten Abrisses des Ungetüms von Hafthaus möglichen Blickbezüge, ist enorm. Noch vor 2 Jahren hätte ich von diesem Projekt nicht einmal zu träumen gewagt. Da war einfach nichts in Aussicht! Die vorgestellten Pläne für die einzelnen Gebäudeteile der Hochschule und die zugehörigen Grün- und Platzanlagen (Bauherr Freistaat), sowie die nun auch präsentierte Planung für Gestaltung des verwilderten Schlosshangs (Bauherr Stadt) versprechen richtig gut zu werden. Ich denke Plauen bekommt hier wirklich eine neue Stadtkrone!
    Der von Saxonia verlinkte Alternativentwurf ist eigentlich nur eine Studentenarbeit und hatte wohl mit der konkreten Bauaufgabe wenig zu tun. In folgendem Link ist aber wirklich eine weitere Arbeit zu der VOF- Ausschreibung zu sehen:
    http://www.teamcoo-architekten.de/detail/02-hoch…tudakademie.php
    Hier kann man sehen, dass diese Ausschreibung wohl sehr breite Ansatzmöglichkeiten bot. In der Arbeit von Teamcoo wird die alte Schlossruine eher links liegen gelassen und sich voll auf das ehemalige Amtsgerichtsgebäude konzentriert, das mit Neubauten von der Talseite aus erschlossen wird. Da bin ich wirklich sehr froh über die ausgewählte Arbeit von Studioinges (hier auch noch einmal mit besserer Bildqualität: http://www.competitionline.com/de/beitraege/69867)
    In dem Zusammenhang bringt mich auch der Wunsch einiger Stadträte nach dem Wiederaufbau des Dachreiters zum Kopfschütteln. Es handelt sich ja um keine werkgetreue Rekonstruktion, sondern nur um eine Annäherung an das alte Schloss auf altem Grundriss. Da wird auch in Zukunft soviel vom barockzeitlichen Schloss fehlen, dass es auf den Dachreiter nun wirklich nicht ankommt!

    Das Thema Neustadtplatz in Gegenwart und Vergangenheit ist ein ganz trauriges Thema für alle, die um die einstige Bedeutung dieses Platzes wissen. Ich befürchte aber, dass das nicht allzu viele sind. Für alle anderen ist das Areal quasi nur ein Parkplatz vor den Toren der Innenstadt. Sollte Plauen nicht Besuch von einer guten Fee bekommen, wird sich an dem Zustand auch nichts mehr ändern. Allerdings habe ich das über das Schloss (und auch über das Rathausfoyer und das ehemalige Kaufhaus) eben auch gedacht und lag glücklicherweise total falsch!

  • Nun ist es passiert. Der Stadtrat hat die Planungen für den Teilneubau des Rathauses gestoppt. Grund sind die als zu hoch erachteten Kosten von 14 Millionen Euro. Stattdessen soll nun eine Sanierung des Aquariums geprüft werden. Wie viel Geld man bei der bisherigen Planung bisher möglicherweise sinnlos verbraten hat, ist natürlich die andere Frage.

    http://www.mdr.de/sachsen/rathau…s-9f2fcd56.html

  • Ich habe das die ganze Zeit bereits befürchtet, aber eigentlich auch erwartet. Da hat man sich zu viel Zeit gelassen. Im Osten wird sich jetzt die bundesweit zunehmend klamme Haushaltslage der Kommunen mit der Blockadehaltung der DDR-Nostalgiker verbinden. Und zwar nicht nur in Plauen. Der Trend ist in Potsdam zu erkennen, auch in anderen Städten, z.B. dem ständigen Lamentieren einiger Leserbriefschreiber über die Rekonstruktion des Bolfrashauses in Frankfurt/Oder. Man hat ihn auch bei der Ulrichskirche in Magdeburg schon erahnen können. Im Westen kommt statt Ostalgie der Trend der Hipster und im Kulturwesen Aktiven zu Bauhaus, futuristischen Ideen, urbaner Kultur und globalem Lifestyle hinzu. Wichtige Punkte sind auch die zunehmende Staatsverschuldung, die zunehmenden Kosten der Kommunen im Sozialbereich (man vergleiche zum Beispiel das aktuelle Urteil zum Kindergeld für im Ausland lebende Kinder), das baldige Ausbluten der Rentenkassen, das marode Straßensystem, die Haftungen für Schulden anderer EU-Länder usw. usf. Momentan besteht hier noch die Fassade des Wohlstands, doch das Gebälk ist morsch und lässt kaum noch Schönheitsreparaturen zu. An Schönheit wird schließlich zuerst gespart, wenn das Geld fehlt.

    Also, was jetzt nicht rekonstruiert oder stadtrepariert wurde, wird wohl nicht mehr. Das Zeitfenster dafür schließt sich jedenfalls gerade. Von einigen privaten Kleinprojekten vielleicht noch abgesehen. Vor allem dann wird nicht mehr rekonstruiert oder dem historischen Erscheinungsbild angenähert, wenn dafür Zeugnisse einer zunehmend verklärten Moderne abgerissen werden müssen. Die Moderne der 70er und 80er wird jetzt zum neuen Schutzgebiet und die alten Machtverhältnisse sind wieder hergestellt.

    Das dass Berliner Stadtschloss noch entsteht, ist eigentlich ein von mir nicht mehr erwartetes Wunder. Der Abriss des Palastes der Republik hatte einfach Fakten geschaffen, und sie hatten einfach wirklich keinen brauchbaren Plan B. Das Technische Rathaus in Frankfurt würde heute womöglich nur unter weit größerem Widerstand abgerissen werden können. Ich denke auch nicht, dass die Teil-Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt noch gestoppt werden kann. Der Schaden wäre jedenfalls immens. Aber, trotzdem muss man sehen, dass sie noch nicht steht.

    Das sind natürlich nur meine Einschätzungen. Ich will keine schlechte Stimmung verbreiten. Aber, wenn sie sich in Plauen für das Aquarium entscheiden, und dafür werden die Linken die anderen Parteien jetzt mit dem populistischen Kostenargument vor sich hertreiben, dann ist das für mich ein klares Anzeichen für den von mir auch häufig gefühlten Trend.

    2 Mal editiert, zuletzt von Heimdall (7. Mai 2014 um 01:17)

  • Heimdall
    Auch ich hatte bereits befürchtet, dass dieser Beschluss so kommt. Ich hatte aber gehofft, dass die Präsentation der Entwurfsplanung so überzeugend ausfällt, dass es weiter geht.
    Ich würde aber auf keinen Fall soweit gehen, aus der gestern im Plauen getroffenen Entscheidung gleich einen Zusammenhang mit einer Entwicklung zu sehen, die pauschal für das ganze Land gilt. Es ist schließlich noch nicht sehr lange her, dass der Plauener Stadtrat in Übereinstimmung mit den Bürgern mit großer Mehrheit für den Neubau gestimmt hatte. Seitdem sind aber zwei Dinge passiert:
    1. Die Baukosten haben sich von ca. 7 Mio. € (Wettbewerbsgrundlage), zu ca. 11 Mio. € (Stand Vorentwurf = Kostenschätzung) und nun zu ca. 14 Mio. € (Stand Entwurf = Kostenberechnung) gesteigert. Das ist natürlich enorm und da verstehe ich die Räte durchaus, ihr OK zu verweigern. Die Summe aus dem Wettbewerb war viel zu niedrig angenommen und niemals realistisch. Die war nur so zu erklären, dass mit einer höheren Summe niemals etwas in Richtung Neubau passiert wäre. Die 11 Mio hielt ich für realistisch und auch angemessen. Nun verstehe ich aber das erfahrene Büro RKW absolut nicht, dass es vom Vorentwurfsstand zu jetzt noch eine derartige Steigerung gegeben haben soll. In der aktuellen Stimmung in der Stadt hätten die damit auch gleich in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] bleiben können. (Einschränkend möchte ich sagen, dass ich keine Ahnung habe, was ich der Lokalpresse zu den Summen glauben kann.)
    2. Auch in Plauen stehen Kommunalwahlen an und damit wird auch der neue OB gewählt. Der amtierende OB hat den Rathausneubau initiiert und nach Kräften gefördert. Sein aussichtsreichster Herausforderer von der CDU samt seiner Fraktion haben es sich zum Kernthema des Wahlkampfes gemacht den Neubau zu verhindern (nachdem sie ursprünglich sogar für eine Rekonstruktion des Ursprungsbaus eintraten). Die anderen Parteien (SPD und Linke) sind nur auf den rollenden Zug aufgesprungen. OB Oberdorfer wäre m.E. durch ein Aufgeben der Neubauplanung massiv beschädigt, was ich sehr bedauere, weil er viele wichtige Planungen in der Stadt in seiner Amtszeit angestoßen hat.

    Zur gestrigen Entscheidung schreibt das Lokalblatt folgendes:
    http://www.freiepresse.de/LOKALES/VOGTLA…ikel8807307.php
    Daraus wird deutlich, dass es im Moment noch kein definitives Aus für die Neubaupläne gibt, sondern für das Erste lediglich ein Umbau geprüft werden soll, der die wesentlichen Qualitäten des Neubaus ebenfalls erfüllen soll (energetische Ertüchtigung, Barrierefreiheit, Raumprogramm, usw.) und dabei deutlich günstiger sein soll. Das muss man auch erst einmal schaffen.
    Zu befürchten steht, dass der neue Stadtrat und der möglicherweise neue OB alles dafür tun werden, dass als Stadtbildreparatur so wichtige Projekt zu verhindern. Aber wie heißt es doch so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

  • Ein tolles Projekt, welches bisher an mir vorbeigegangen war, ist der Umbau von drei Plattenbauten in der Bahnhofstraße 26-30. Wie man unschwer sehen kann, stellten die Platten die größte architektonische Entgleisung im trotz Kriegszerstörung immer noch sehr prächtigen unteren Abschnitt der Bahnhofstraße dar. Das erste Gebäude wurde schon 2010 umgebaut. Hier das Ergebnis. Es wurde vor den Plattenbau ein Anbau gesetzt um wieder auf die alte Straßenflucht zu kommen. Angesichts dessen, was hätte blühen können, doch ein extreme Verbesserung und Aufwertung der Straße. Auch die Visualisierung (S.5) für die anderen beiden Platten ist vielversprechend.
    Einziger kleiner Wermutstropfen ist die Überdeckung des die Seite der Platte bisher zierenden alten Stadtwappens.

  • Das Stadtwappen an Haus Nr. 30 kommt mir bekannt vor; ich meine es auch in meinem Hinterkopf in Erinnerung zu haben. Darum ist es in der Tat schade.

    Das Haus Nr. 28 ist auch als dasjenige bekannt, mit dem die Annenstraße überbaut wurde, die infolgedessen nun nicht mehr in die Bahnhofstraße mündet. Dass das Haus zurücksteht, kann auch als Hinweis auf die frühere städtebauliche Situation interpretiert werden, wenn dies auch nicht das Motiv der Planer gewesen sein dürfte. Wenn auch hier ein Vorschieben erfolgt, wäre dies m. E. eine Verschlechterung.

  • Das glaube ich nicht. Dann hätte man sich bei der Neugestaltung der Stirnseite nicht so eine Mühe gegeben oder sie zunächst ganz weggelassen. Der Abstand ist ja nun auch erstmal noch größer geworden.

  • Neußer
    Zuerst einmal freut es mich sehr, dass Du Plauen soweit ganz nett findest!
    Zu Deiner Frage: Die Luftaufnahmen aus Bing sind tatsächlich nicht mehr ganz aktuell, allerdings hat sich so viel nun auch wieder nicht getan. Beispielsweise wurde in den letzten Jahren in der Marktstraße am Rathaus eine besonders schmerzliche Kriegslücke geschlossen. Es werden immer mal wieder ein paar Brachflächen bebaut, allerdings verschwinden auch immer wieder Häuser aus dem Stadtbild. Plauen gehört zu den stark schrumpfenden Städten des Ostens (1989 ca. 80.000 EW, heute ca. 65.000 EW, Tendenz weiter fallend).
    Es gibt ein paar echte Leuchtturmprojekte (Studienakademie auf dem Schlossberg, Umbau und Erweiterung Kaufhaus Horten zum Landratsamt, Spitzenwelt im Weisbachschen Haus, Neubau Rathauseingang). Das sind aber alles Bauvorhaben der öffentlichen Hand. Private Investitionen gibt es fast ausschließlich noch in der Altbausanierung. Die große Aufgabe der Stadtplanung in Plauen kann es leider nicht sein die Brachflächen zu bebauen, sondern aus dem Schrumpfen der Stadt irgendwie noch einen Vorteil zu generieren. Dafür ist ein Beispiel die ehemals stark industriell genutzte Elsteraue. Hier gibt es die Chance eine grüne Flussaue zu gewinnen, in denen einzelne Baudenkmäler mit Freizeitnutzung stehen.

  • An und für sich macht Plauen im Innenstadtbereich einen sehr guten, historisch gewachsenen Eindruck, zumindest aus der Tagestouristensphäre betrachtet.
    Die Horrorzahlen betreffend das Ausmaß der Zerstörung sind wirklich nicht nachvollziehbar. Sicherlich ist um die Stadtkirche herum viel kaputtgegangen, dafür ist die andere Stadtseite sehr gut beisammen. Abgesehen von diesem Bereich um die Stadtkirche (der leider auch auf den Marktplatz hineinreicht) sind mir keine besonderen Baulücken aufgefallen.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Die enorme Zerstörung fällt einem nicht sofort ins Auge aber die "Horrozahlen", wie du sie nennst, sind dennoch nachvollziehbar. Die Neustadt, der Stadtteil nördlich der Alten Elsterbrücke die ja früher nicht einfach nur ins leere führte, ist vollständig abgeräumt. Da steht gar nichts mehr, weshalb ein ortsunkundiger dort auch keine Kriegszerstörung vermutet. Erheblich getroffen wurde auch das Bahnhofsviertel. Dort hat in einem Bereich von der Luisenstraße nördlich des Bahnhofs bis südlich der Pauluskirche auch kaum etwas den Krieg heil überstanden. http://www.bing.com/maps/?v=2&cp=5…16&sty=h&obox=1

    Der trotz den Zerstörungen recht harmonische Eindruck mag auch dadurch entstehen, dass die entstandenen Freiflächen gerade im Zentrumsbereich nicht wie andernorts mit Platten zugebaut wurden.