Neue "Gründerzeitarchitektur" in Osteuropa

  • Schaut euch das mal an...

    [Architektura] WspóÅczesny historyzm - SkyscraperCity

    Ich verstehe weder polnisch noch ukrainisch - aber ich glaube, die Bilder sprechen für sich in diesen Threads. Die dortige Entwicklung, falls sie in dieser Weise tatsächlich weitergeht, kann sowohl Begeisterung als auch Schaudern auslösen.

    Die "klassischen" Entwicklungslinien der westeuropäischen Architektur von 1980, d.h. eine nicht ausgereifte Postmoderne und deren spottbegleitete Zurückdrängung durch Investorenarchitektur u. die minimalistische Dritte Moderne, verlieren östlich der Oder-Neiße merklich an Bedeutung. Was mit der "Neuerfindung" von Glogau und Elbing beginnt (die Anfänge lassen sich bis in die Spätsiebziger zurückverfolgen), scheint nach Osten hin immer ausgefeilter zu werden. Trotz Wirtschaftsdaten und Perspektiven, die man eigentlich der Dritten Welt zuordnen müßte....

    Nun ist manchem bekannt, daß sich die Architektenausbildung in den osteuropäischen Ländern von der unsrigen seit jeher unterscheidet; z.B. war die Verbindung zwischen industriellem Fertigteilbau und Regionalismen (z.B. in Taschkent) ein sowjetischer Beitrag zur Architekturgeschichte. (von der speziell polnischen Tradition der Flächenrekonstruktionen nach 1945 abgesehen)
    Der IMO jedoch gewichtigste Grund dürfte im Fehlen bzw. der Lautlosigkeit der modernistischen Kulturüberwacher liegen, die in unserem Land noch bisher jede traditionalistische Erneuerungsbewegung erwürgt bzw. unschädlich geschrieben haben. Derzeit sieht es für die kreative Erarbeitung von "schöner Architektur" so trostlos aus wie in den Siebzigern.

    Die Frage, die sich mir hierbei stellt: Könnte (zum ersten Mal überhaupt!) sich eines Tages der westeuropäische Drang der Kulturübermittlung umkehren, d.h. der Osten unter Normalbedingungen (sowjet. Kolonien nach 45 zählen nicht) dem Westen "die Flötentöne der Baugestaltung" beibringen ? Oder ist die alte Kulturgrenze dafür zu unüberwindlich ?

    Und, was würde auch für unsere -in Teilen sehr fragile- Geschichtsschreibung (auch Baugeschichte!) und Selbstsicht bedeuten, wenn ein sehr selbstbewußtes und wirtschaftlich stabiles Polen anhand seiner großenteils erfundenen Geschichtsschreibung seine Ansichten nach Westen transportieren kann ?

    Nein, die werden gedünstet

  • Zitat von "Wissmut"

    Die dortige Entwicklung, falls sie in dieser Weise tatsächlich weitergeht, kann sowohl Begeisterung als auch Schaudern auslösen.

    Das sehe ich ähnlich - jedenfalls sind die fertigen Bauten, konkreten Projekte oder Pläne (mangels Sprachkenntnis oft nicht ersichtlich) aus Kiew und Russland irgendwo (?) aufgrund maßloser Dimensionen eher bedrückend, während die im weiteren Verlauf wohl hauptsächlich aus Polen, Kasachstan (mit Einschränkungen) und den Niederlanden dargestellten Bautätigkeiten durchaus zu gefallen wissen und tatsächlich auch als Vorbild für deutsche Stadtentwicklung taugen könnten. Das Wohnviertel aus Vietnam fand ich auch gar nicht mal schlecht. Zum holländischen Stadtprojekt in bei Amsterdam habe ich mal direkt hier im entspr. Thema eingestellt.

    P.S. : Erstaunlich, wie "unbefangen" dort im Forum offenbar mit etwaigen Urheber- und Verbreitungsrechten umgegangen wird.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Zitat

    Und, was würde auch für unsere -in Teilen sehr fragile- Geschichtsschreibung (auch Baugeschichte!) und Selbstsicht bedeuten, wenn ein sehr selbstbewußtes und wirtschaftlich stabiles Polen anhand seiner großenteils erfundenen Geschichtsschreibung seine Ansichten nach Westen transportieren kann ?


    Westlich und südwestlich von Deutschland stand man dieser großenteils erfundenen Geschichtsschreibung immer schon aufgeschlossen und positiv gegenüber- aus antideutschen Gründen. Ich habe sie in den Niederlanden oft abgeschrieben gesehen.

    Zitat

    Die Frage, die sich mir hierbei stellt: Könnte (zum ersten Mal überhaupt!) sich eines Tages der westeuropäische Drang der Kulturübermittlung umkehren, d.h. der Osten unter Normalbedingungen (sowjet. Kolonien nach 45 zählen nicht) dem Westen "die Flötentöne der Baugestaltung" beibringen ?

    Nein, weil,

    Zitat

    Trotz Wirtschaftsdaten und Perspektiven, die man eigentlich der Dritten Welt zuordnen müßte....

    Wirtschaftlich ist der Westen dem Osten zu weit voraus und das bleibt auch so. Überhaupt ist die westliche Eigenkulturvernichtung als Ausdruck maximaler Dekadenz und Gebrochenheit nur bei hohem Wohlstand möglich. In Deutschland liegt das aufgrund von Nazizeit und Zusammenbruch noch ein bißchen anders.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Zitat von "Wissmut"

    Schaut euch das mal an...

    http://www.skyscrapercity.com/showthread.php?t=435157\r
    http://www.skyscrapercity.com/showthread.php?t=435157

    Ich verstehe weder polnisch noch ukrainisch - aber ich glaube, die Bilder sprechen für sich in diesen Threads. Die dortige Entwicklung, falls sie in dieser Weise tatsächlich weitergeht, kann sowohl Begeisterung als auch Schaudern auslösen.


    Ganz klar Begeisterung. Ich wäre froh, wenn es einen Trend zur postmoderenen Gründerzeitarchitektur auch in D gäbe. Architektur hat eine identitätsstiftende Wirkung - was in unseren Innenstädten gebaut wird, ist leider in der Mehrzahl langweilig, hässlich und austauschbar. Die neue Gründerzeitarchitektur in Osteuropa hat eine klare Aussage, ist unverwechselbar und sieht zum großen Teil gut aus.

    ...

  • Ich habe mir die Mühe gemacht und wirkliche alle 28 Seiten angeschaut…sehr interessante Objekte, aber

    DIE (Forums-)POLEN SEHEN WIEDERUM DEUTSCHLAND (vor allem Berlin) ALS VORBILD FÜR EINEN NEOHISTORISMUS!!! Lest Euch doch die Kommentare durch über Patzschke, Kollhoff etc. auch über Dresden wird parliert!

    Wie unterschiedlich doch die gegenseitigen Wahrnehmungen hüben wie drüben sind! Die ticken genauso wie wir und glauben, das es außerhalb ihres Landes architektonisch viel besser ist.

    Als Ösi lasst Euch sagen, dass ihr es in D momentan architektonisch wahnsinnig gut getroffen habt ( siehe neue Architektur in [lexicon='Leipzig'][/lexicon], Berlin, Potse und Dräschden)! Davon können wir in Österreich und Polen wirklich nur träumen!

  • Das kannst doch alles nicht vergleichen!
    Was ist in D auch schon so besonders?
    Für die paar (ganz wenigen) Lichtblicke besteht doch wahrlich auch genügend Handlungsbedarf, denn, anders als bei uns, gibt es in den Großstädten üblicherweise keine intakten Zentren mehr.
    In Polen schließlich wurde wirklich rekonstruiert, was das Zeug hält, wovon man in D nur träumen kann...

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat von "Exilwiener"

    Ich habe mir die Mühe gemacht und wirkliche alle 28 Seiten angeschaut…sehr interessante Objekte, aber

    DIE (Forums-)POLEN SEHEN WIEDERUM DEUTSCHLAND (vor allem Berlin) ALS VORBILD FÜR EINEN NEOHISTORISMUS!!! Lest Euch doch die Kommentare durch über Patzschke, Kollhoff etc. auch über Dresden wird parliert!

    Für die Polen dort ist Deutschland eh das gelobte Land. Ist richtig lustig wie unkritisch dort alles in Deutschland bejubelt wird.

  • Lustig (und bezeichnend für eine gewisse Aufgeschlossenheit) ist auch der Umstand, dass einige ihren (ehem. ostdt.) Herkunftsort zweisprachig angeben.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat von "ursus carpaticus"

    Das kannst doch alles nicht vergleichen!
    Was ist in D auch schon so besonders?
    Für die paar (ganz wenigen) Lichtblicke besteht doch wahrlich auch genügend Handlungsbedarf, denn, anders als bei uns, gibt es in den Großstädten üblicherweise keine intakten Zentren mehr.
    In Polen schließlich wurde wirklich rekonstruiert, was das Zeug hält, wovon man in D nur träumen kann...

    Ich glaube das ist eine unzulässige Verallgemeinerung. Wo wurde denn in Polen viel rekonstruiert? In Warschau. In Danzig wurden schon Kompromisse gemacht, dort ist es mehrheitlich Fassadismus. In Breslau wurde ein Teil rekonstruiert und ein Teil weggerissen. Und sonst? Gibts nicht viel. Historisierende Neubebauungen ala Glogau wirken billig, wie Fertigteilhäuser. Der Frust der Polen in dem Forum kommt ja nicht von ungefähr. Das hier:

    http://img190.imageshack.us/img190/8910/p1010511j.jpg
    Quelle: SkyscraperCity - Powered by vBulletin

    ist ja, aufs ganze Land gesehen, eher die Regel als die Rekonstruktion von Warschau. Dabei übersehen die Polen in dem Forum natürlich das die Berliner Beispiele für Deutschland auch nicht repräsentativ sind.


    Moderationshinweis (Zeno):
    Direkt eingebundenes Bild wegen Urheberrechts durch Link ersetzt (siehe http://www.architekturforum.net/viewtopic.php?p=36186&f=1#p36186">viewtopic.php?p=36186&f=1#p36186) (die Quelle war nicht überprüfbar)

  • Da hast schon recht, das ist natürlich Mist, ebenso wie die Nordseite des Glatzer Rings.
    Allerdings gilt es zu differenzieren zwischen als polnisch empfundenen Städten (wozu auch Danzig gehört) und Städten, die halt als Kriegsbeute, bestensfalls als Draufgabe empfunden wurden.
    Von den zerstörten Städten 'Kernpolens' wurden Warschau und, worauf man vergisst, Posen zerstört und weitestgehend und rigoros wie nirgendwo sonst wiederaufgebaut. Mit Danzig macht das drei Großstädte; relativ gesehen wurden immer noch 100% der Stadtbildverluste wieder wettgemacht.
    Dazu kommt das recht vernünftig wiederhergestellte Zentrum Breslaus.
    In Deutschland sind es bei den Großstädten ganze null Prozent, oder sagen wir nach dem halben Neumarkt null komma fünf Prozent.
    Auch wenn in D ungleich mehr zerstört war, die Ausgangslage also eine ungemein schwierigere war: in diesen Zahlen liegt schon ein gewisser Unterschied.
    Die Öde alter neuer Großstädte wie Nürnberg, Stuttgart oder Hannover gibt es in Polen hiemit nicht.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat

    Die Öde alter neuer Großstädte wie Nürnberg, Stuttgart oder Hannover gibt es in Polen hiemit nicht.

    Und dabei liegen Architekturwüsten wie Frankfurt/Main, Köln, Duisburg/Essen/Bochum, Kassel oder Magdeburg noch ein ganzes stück tiefer.. Das Narbengewebe des Bombenkriegs, das Deutschland überzieht, wie Jörg Friedrich es zu recht nennt.

    Der Bombenkrieg hinterließ andere Spuren als andere Kriegführungen. Das Problem der deutschen Architekturwüsten ist ein Bombenkriegspezifisches Problem, verschlimmert durch die Ideologien beim Wiederaufbau.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Es sollte auch endlich einmal mit der Aussage "Die Deutschen Innenstädte wurden modern wiederaufgebaut weil die materiellen Möglichkeiten fehlten und schnell Wohnraum geschaffen werden musste" aufgeräumt werden. Tatsache ist, das einfach kein Wille dazu bestand, die Städte nach altem Vorbild wiederzuerrichten. Das es auch anders geht beweist die Stadt Freudenstadt im Schwarzwald, die am Ende des 2. Weltkrieges zu 95 % zerstört wurde. Dort konnte sich die traditionelle Minderheit durchsetzen: Innerhalb von 5 Jahren gelang der Wiederaufbau im Rahmen einer traditonellen Gestaltungssatzung.

    ...

  • Zitat von "Wikos"

    Es sollte auch endlich einmal mit der Aussage "Die Deutschen Innenstädte wurden modern wiederaufgebaut weil die materiellen Möglichkeiten fehlten und schnell Wohnraum geschaffen werden musste" aufgeräumt werden. Tatsache ist, das einfach kein Wille dazu bestand, die Städte nach altem Vorbild wiederzuerrichten.


    Absolut richtig. Man muss eigentlich nur daran erinnern, wie wenige Menschen in einer Großstadt in dem architektonisch entscheidenden Altstadtbereich lebten und leben. Schon aus diesem Umstand heraus löst sich das Wohnraum-Argument schnell in Luft auf.

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Und warum? Weil eine Diktatur bereit war andere Städte für die Hauptstadt abzureissen. Das geht Gottseidank in einer Demokratie nicht. Der Fassadismus von Danzig wäre allerdings eine Möglichkeit gewesen, obwohl die Häuserfronten hanseatischer Städte natürlich einfacher nachzuahmen sind als es Fachwerk wäre. Und Breslau lasse ich nicht gelten. Dort wurde weit mehr weggerissen als rekonstruiert. Nur die Dominsel ist eine blitzsaubere Rekonstruktion (und Geschichtsfälschung), der Teil der Altstadt (ca. 1/3) der heute noch steht war auch relativ gut über den Krieg gekommen.

    Übrigens: als ich hier das schrieb was die Polen selbst in Skyscrapercity über die Zustände in ihrem Land von sich geben wurde ich prompt der Polenfeindlichkeit bezichtigt. Fakt ist nämlich das unser Bild von Polen die uns bekannten Ausnahmen zur Regel erklärt. Dabei ist das glatte Gegenteil der Fall.

  • Zitat

    Nur die Dominsel ist eine blitzsaubere Rekonstruktion (und Geschichtsfälschung), der Teil der Altstadt (ca. 1/3) der heute noch steht war auch relativ gut über den Krieg gekommen.


    Die kommunistische polnische Geschichtsschreibung verstand es überaus geschickt, vielen Menschen falsche Vorstellungen vom Wiederaufbau in ihrem Land zu vermitteln. Gern wurde immer wieder die Legende verbreitet, dass Danzigs Rechtstadt eine getreue Rekonstruktion der Vorkriegssituation darstellt. Vergleicht man allerdings Ansichten von vor 1945 mit heute, wird man schnell eines Besseren belehrt - wiederhergestellt wurde ein vermeintlicher Zustand aus dem 18. Jahrhundert, als die Handelsmetropole noch "polnisch" war - ein Ammenmärchen, da die Stadt nur formell der Krone unterstand, weil dies gewisse Privilegien mit sich brachte - auf die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung hatte das keinerlei Einfluss - die war auch im 18. Jh. weit überwiegend deutsch. Immerhin konnte aus dieser Geschichte ein polnisches Danzig konstruiert werden, so dass der trotz aller Verfälschungen immer noch meisterhafte Wiederaufbau überhaupt erst ermöglicht wurde - andernfalls sähe die Stadt heute wohl aus wie Stettin. Gerade die Bilder aus Danzig führten zu dem verzerrten Bild, das auch heute noch über polnische Wiederaufbauleistungen in vielen Köpfen geistert. Die polnische Geschichtsklitterung hat hier eines ihrer Meisterwerke vollbracht - andere Bemühungen, wie die Polonisierung von Veit Stoß und Nikolaus Kopernikus erwiesen sich als weniger erfolgreich.

  • Zitat

    Die polnische Geschichtsklitterung hat hier eines ihrer Meisterwerke vollbracht - andere Bemühungen, wie die Polonisierung von Veit Stoß und Nikolaus Kopernikus erwiesen sich als weniger erfolgreich.

    Bei Veit Stoß schon, ich habe niemals ernsthaft behauptet gesehen, daß er ein Pole war. Im Fall von Nikolaus Kopernikus liegt das ganz anders. In der angelsächsischen philosophischen und wissenschaftsgeschichtlichen Literatur heißt es immer, soviel ich sah, Kopernikus war Pole. Und so heißt es denn auch bei Anhängern der Anglo-Seite hier in den Niederlanden. In Italien wurde die Polonisierung des Kopernikus schon im 18. Jh. (!) von einem Gelehrten betrieben. Und auch in Frankreich ist man wohl sicherlich der Meinung, daß "le Copernic" ein Pole war, neben anderen Polnisch-Französischen Helden wie Marie Curie und Chopin, die es tatsächlich waren.
    In Wirklichkeit stammte die Familie von Kopernikus aus Niederschlesien, war deutschstämmig, Kopernikus schrieb nur Lateinisch und Deutsch und konnte kaum Polnisch. Er war auf Fürsprache seines Onkels Konrad Watzenrode einen geistigen Amt am Dom zu Marienberg im Ermland angetreten. Da das Ermland genauso wie Danzig und mit den gleichen Verhältnissen der polnischen Krone unterstand, hat er auch diesem Landesherrn, dem polnischen König, auf vielerlei Weise gedient. Und er hatte auch in Krakau studiert, wo es damals eine der renommiertesten Universitäten in Ostmitteleuropa gab. Das alles macht ihn aber ethnisch noch nicht zum Polen.
    Ich habe aber die Erfahrung, daß auch deutsche Wissenschaftler die Nationalitätenfrage um Kopernikus lieber in der Schwebe lassen, ein Tribut an die unsägliche Versöhnungs-Geschichtsklitterung in Deutschland, die immer wieder meint, solche Opfer einseitig bringen zu müssen.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Ganz ehrlich, mir ist sowas hier, wie beim jüngsten Wiederaufbau von Elbing

    Zdjcia: Widoki z Mikoaja, Fot. 27 - info.elblag.pl
    Zdjcia: Widoki z Mikoaja, Fot. 28 - info.elblag.pl
    Zdjcia: Widoki z Mikoaja, Fot. 24 - info.elblag.pl

    um einiges lieber, wie seelenlose, überdimensionierte Glaskuben in unseren Innenstädten.

    Sicher, in Elbing (98% Zerstörungsgrad) werden beim jüngsten Wiederaufbau nur Zitate der Altstadt aufgenommen. Aber ein 1:1 rekonstruierter Wiederaufbau wäre sogar in Polen utopisch. Trotzdem sehe ich hier lebendige, kleinteilige Bauten, die zwischen Alt und Modern vermitteln können. Und seien wir mal ehrlich, in welcher deutschen Innenstadt wäre so etwas denkbar?

    ...

  • Derartige Bilder sind angesichts des heutzutage in Würzburg, Nürnberg und anderen deutschen Städten errichteten Trübsinns wirklich Labsal für die Augen. Auch wenn Elbing mehr als 50 Jahre lang ein städtebauliches Garnichts war, besinnt man sich nun endlich auf die alte Kleinteiligkeit. Rekonstruktionen der alten Patrizierhäuser, die ihren Danziger Verwandten ziemlich ähnlich sahen, wären natürlich vorzuziehen. Immerhin entsteht so etwas wie Altstadtatmosphäre. Ähnliche Bestrebungen kann man ja auch in Stettin beobachten - irgendwann dämmerte es den Polen, dass ausschließlich mit vermeintlich polnischen Piastenschlössern und mittelalterlichen Kirchen auf Dauer kein Identitätsgefühl der Einwohner geschaffen werden kann. Alles Deutsche scheuten sie (irgendwo verständlicherweise) wie der Teufel das Weihwasser - nun endlich entsinnen sie sich selbiger Vergangenheit - spät aber nicht zu spät. Solche Einsichten dürften in Nürnberg und Würzburg wohl kaum zu erwarten sein.

  • Zitat

    Solche Einsichten dürften in Nürnberg und Würzburg wohl kaum zu erwarten sein.

    Dort werden sie zu spät kommen. Daraufhin arbeiten jedenfalls Leute wie die heutige Heimatpflegerin in Nürnberg zu. Aus ideologischen Gründen.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Karasek

    Zitat

    Und warum? Weil eine Diktatur bereit war andere Städte für die Hauptstadt abzureissen. Das geht Gottseidank in einer Demokratie nicht.

    Ich glaube, dass du diese (zweifellos tatsächlich vorgekommenden) Ereignisse überbewertest.
    Außerdem ist der Wiederaufbau von Warschau nicht ganz so fehlerfrei und authentisch wie vielerorts angenommen, altes Ziegelmaterial war keineswegs eine unabdingbare Voraussetzung dafür, vielerorts handelt es sich um Fassadismus bzw Anpassungsarchitektur in alten Proportionen. Das Sozialistische-leicht Schäbige haftet der Altstadt an allen Ecken und Enden an.
    Es ging halt einfacher und schneller, leere Städte als Steinbrüche zu verwenden, das ist alles.


    Zitat

    Der Fassadismus von Danzig wäre allerdings eine Möglichkeit gewesen, obwohl die Häuserfronten hanseatischer Städte natürlich einfacher nachzuahmen sind als es Fachwerk wäre.

    Natürlich.
    Obwohl die relativ wenigen Fachwerkrekos eigentlich die einzige beachtenswerte Leistung in Westdeutschland darstellen, was den Sektor der Bürgerbauten betrifft. Paradoxerweise gibt es hier auch kein steineres Pendant zum Hildesheimer Markt.
    Und überhaupt - in den meisten Fällen handelte es sich nicht um Fachwerkstädte, gerade im Großstädtischen Bereich.
    Wieviel wäre für Nürnberg gewonnen gewesen, hätte man nur die standsteinernen, meist höchst schlichten Bürgerhäuser mit authentischem Material nachgebaut...

    Zitat

    Und Breslau lasse ich nicht gelten. Dort wurde weit mehr weggerissen als rekonstruiert. Nur die Dominsel ist eine blitzsaubere Rekonstruktion (und Geschichtsfälschung), der Teil der Altstadt (ca. 1/3) der heute noch steht war auch relativ gut über den Krieg gekommen.


    Na ja, der Ring war schon arg zerzaust. Der Wiederaufbau bzw die Nachkriegsgestaltung war schon einigermaßen sensibler als im günstiger über den Krieg gekommenen Halle/Saale, um ein (bedeutendes) Beispiel für einen mitteldeutschen Hauptplatz zu nennen.

    Zitat

    Übrigens: als ich hier das schrieb was die Polen selbst in Skyscrapercity über die Zustände in ihrem Land von sich geben wurde ich prompt der Polenfeindlichkeit bezichtigt.


    Ja, dieses Phänomen ist tatsächlich häufig anzutreffen. 'Polnische Idioten' als Apostrophierung von Mitbürgern hört man recht oft, ein reizvoller Kontrast zum gleichfalls ominpräsenten Patriotismus.

    Zitat

    Fakt ist nämlich das unser Bild von Polen die uns bekannten Ausnahmen zur Regel erklärt. Dabei ist das glatte Gegenteil der Fall.

    Würde ich nicht so sehen. Vieles in Polen gefällt mir, bzw vieles sehe ich ambivalent, vor allem jene gewisse, oft überraschende Rigorosität.
    Von den Polen könnten wir vieles lernen, meine ich.
    Natürlich besteht kein Grund zu Begeisterungsausbrüchen, gerade im Hinblick auf die trostlose und furchtbare Geschichte.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.