Wahl zum abgebrochenen Zollstock?

  • Eine Frage zur Diskussion: Es gibt jedes Jahr soviel schlechte Architektur. Sollte man da vom APH-Forum aus nicht mal eine in die Öffentlichkeit getragene Wahl für "die schlechteste Architektur des Jahres" in Deutschland machen? "Als "Auszeichnung" des Preisträgers könnte ich mir einen "abgebrochenen Zollstock" o.ä. vorstellen...

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  • Ob das nicht so mancher Architekt als echte Auszeichnung empfinden würde?
    Andererseits, so einem ECE-Fritzen für die XY Arcaden den "Klotz 2010" zu überreichen, wäre vielleicht mal was.

    Wenn, sollte man auf v.a. positive Auszeichnungen vergeben: Beste Reko, bester historisierender Neubau, beste Sanierung, Altstadt- "Entdeckung" des Jahres etc. p.p.

  • Ich finde die Idee auch nicht schlecht. Man könnte verschiedene Neubauten nominieren und dann einfach mit der Umfragefunktion eine Abstimmung starten. Damit die wenigstens ein klein wenig Aussagekraft hat, müßten natürlich möglichst viele Nutzer abstimmen - mit nur 15 oder 20 Teilnehmern wäre das nichts.

  • Einen Anti-Preis zu vergeben, halte ich für ein abwegiges Unterfangen. Was in Deutschland seit sechzig Jahren gebaut wird, stellt sich in qualitativer Hinsicht als ein Pyramide dar mit ganz wenigen hervorragenden, vorbildlichen und richtungsweisenden Bauten an der Spitze und einer Basis von Architektur-Schrott, deren Ausmaß unüberschaubar groß ist. Es ist unmöglich, in dieser Masse des Elenden, Nichtigen, Indiskutablen einen negativen Superlativ ausmachen zu wollen, und die bekannten Bauwerke, die zur Abstimmung anstehen würden, sind auch niemals die allerschlechtesten, sondern das Schlimmste ist immer der Bodensatz des anonymen und anarchischen Bauwerkelns, wie er die deutsche Provinz, aber auch genug größere Städte überzieht.

    Ein Preis für das Vorbildliche dagegen ist eine Idee, die wir weiterverfolgen müssen!

  • Gleichwohl den Ausführungen meines Vorredners prinzipiell zuzustimmen ist, halte ich die Idee grundsätzlich für sehr gut. In einem auf Stadtbild bedachten Forum müsste natürlich weniger auf die "Qualität" dh Inferiorität als solche, da wäre natürlich die Auswahl uferlos, sondern auf die spezielle Stadtbildunverträglichkeit, Ensemblestörung, auf den Verschandelungseffekt bedacht genommen werden. Ich führ einmal sozusagen beispielsweise das Petrinihaus zu Würzburg an, wobei mir das angesichts seines desaströsen Umfeldes relativ wenig zu Herzen geht.
    Wichtig wäre jedenfalls die richtige Präsentation mit ätzenden Kommentaren: zB "der Architekt hat sich alle Mühe gegeben, grenzte doch die Aufgabenstellung ans schier Unmögliche: was soll man in einer Stadt, die zu 95% aus Schrott besteht, noch großartig verschandeln?"

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat von "Philoikódomos"

    Einen Anti-Preis zu vergeben, halte ich für ein abwegiges Unterfangen. Was in Deutschland seit sechzig Jahren gebaut wird, stellt sich in qualitativer Hinsicht als ein Pyramide dar mit ganz wenigen hervorragenden, vorbildlichen und richtungsweisenden Bauten an der Spitze und einer Basis von Architektur-Schrott, deren Ausmaß unüberschaubar groß ist. Es ist unmöglich, in dieser Masse des Elenden, Nichtigen, Indiskutablen einen negativen Superlativ ausmachen zu wollen, und die bekannten Bauwerke, die zur Abstimmung anstehen würden, sind auch niemals die allerschlechtesten, sondern das Schlimmste ist immer der Bodensatz des anonymen und anarchischen Bauwerkelns, wie er die deutsche Provinz, aber auch genug größere Städte überzieht.

    Ein Preis für das Vorbildliche dagegen ist eine Idee, die wir weiterverfolgen müssen!


    Grundsätzlich gebe ich Dir recht. Allerdings erzielt eine negative Meldung eine höhere Aufmerksamkeit und wird in der Öffentlichkeit mehr diskutiert, als eine positive Meldung bzw. Auszeichnung.

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  • ^ Etwas ähnliches hatte ich gestern bereits versucht zu schreiben, aber aus irgendeinem Grund wurde der Beitrag nicht abgesendet. Also, hier nochmal:


    Sehe das im Grunde auch so wie Philo. Gleichwohl bin ich von der Idee sehr angetan. Wir müssen uns auch alle nicht so bierernst nehmen. So ein Preis wäre mal eine Möglichkeit, sich von den Fesseln der tiefschürfenden Architekturdiskussion zu lösen, die Verantwortlichen (BDA, Architekten, Planer, Politiker etc.) auf die Schippe zu nehmen und ihnen den Spiegel vorzuhalten. Und nicht zuletzt auf uns aufmerksam zu machen. Bei solch einem "Preis" würde das Medienecho sicherlich lauter hallen als bei einer Honorierung. Wobei letztere deshalb keineswegs unter den Tisch fallen sollte, vielmehr könnte man beides parallel veranstalten.

    Um dem ganzen eine kleine Analogie hinzuzufügen: Bei Oscar und Goldener Himbeere funktioniert das auch blendend. Ist beides auch ganz gut vergleichbar. Die heutige Auswahl wirklich guter Filme, Schauspieler usw. ist mE gegenüber dem unerschöpflichen Bodensatz mauer Hollywood-Starlets, platter Popcornschinken und zehnmillionsten Wiederaufgüssen (vergleichbar der Bauhauskiste) ziemlich dünn.

    Ansonsten sind die Vorschläge vom Karpatenbären aufgreifbar. Wir sollten zunächst nach Kategorien diverse Gebäude nominieren. Am stadtbildunverträglichsten, am schlechtesten proportioniert, vllt. auch missglückteste Interpretation traditioneller Formen - schließlich müssen wir auch zeigen, wo es in Sachen neotraditionelle Architektur hingehen soll. Wenn die gar liebliche Kollektion aus Pest & Cholera fest steht, lassen wir über den Gesamtsieger abstimmen, per Forums- und Stadtbildvotum. Der Preis wird dann selbstredend aus porösem Beton gegossen, damit die Verantwortlichen ihr Unglück mal so richtig "fassen" können. 8)

  • Sehr guter Beitrag erbsenzaehler. So könnten wir es machen. Das wären erstmal grob Deine vorgeschlagenen Kategorien, die wir vielleicht noch etwas auf den Punkt bringen müssen:
    1. am Stadtbildunverträglichsten
    2. am schlechtesten Proportioniert
    3. die missglückteste Interpretation traditioneller Formen

    ...

  • An solchen Kategorien ließe sich noch einiges mehr beibringen und es ließe sich darüber ausgiebig diskutieren. Aber glaubt ihr im Ernst, dass sich auf so umständliche Weise eine Auszeichnung, eine negative noch dazu und eine einem breiten Publikum vermittelbare generieren ließe? Da leuchtet mir noch eher der Vorschlag von Ursus ein, sich etwa auf den "Verschandelungseffekt" zu beschränken. Das wäre griffig und jedem zu vermitteln.

    Dennoch, wenn Wikos schreibt: "Allerdings erzielt eine negative Meldung eine höhere Aufmerksamkeit und wird in der Öffentlichkeit mehr diskutiert als eine positive Meldung bzw. Auszeichnung", möchte ich bei diesem Satz heftigste Zweifel anmelden. Der Verschandelungseffekt ist doch in unseren Städten das aller-alltäglichste, an jeder zweiten Straßenecke zu begutachten. Wer mag sich schon damit aufhalten, unter all dem Deprimierenden das Allerdeprimierendste herauszusuchen und dem Aufmerksamkeit zu widmen? - Wie sensationell dagegen würde eine publik gemachte vorbildliche Innenstadtergänzung einschlagen! Es wäre sensationell und mitreißend, eben weil es so was in Deutschland fast nicht gibt und jeder denkt, alles Moderne müsse eben so sein, wie es ist. Vor allem aber: Man muss zeigen, dass es auch anders geht, muss Vorbilder vorweisen. Das ewige Jammern über den Architektur-Schrott hilft ja nicht weiter, weil niemand und die Architekten am allerwenigsten im Stande sind, etwas Richtungsweisendes zu imaginieren.

  • Richtig lesen bitte! Die Kategorien sind doch nur für uns gedacht, um uns die Entscheidung für eine spezielle Schandtat erleichtern zu können.

    Und nochmal: Der Anti-Preis schließt doch den Preis nicht aus!

    Zitat

    Wie sensationell dagegen würde eine publik gemachte vorbildliche Innenstadtergänzung einschlagen! Es wäre sensationell und mitreißend, eben weil es so was in Deutschland fast nicht gibt und jeder denkt, alles Moderne müsse eben so sein, wie es ist.


    Entschuldige, dass ich dich da vom APH-Elfenbeinturm herunterholen muss, aber das glaubst du doch wohl selbst nicht. :augenrollen:

    Zweifellos aber sollte ein solches Unternehmen einmal gestartet werden. Eine Würdigung angemessenen Städtebaus ist längst überfällig. In dem Bereich gibt es noch viel zu wenig. Wohingegen der Modernistenschrott mit Preisen überhäuft wird.

    Aber genau das ist der Punkt: Mit einem Anti-Preis wird gezeigt, dass eben nicht jeder mit diesem prämierten Architektenmüll zufrieden ist. Speziell von den Bürgern wird es da Zustimmung geben. Womöglich wäre sogar speziell ein prämierter Neubau zu bevorzugen, das schlägt noch mehr ein.

    Zitat

    Man muss zeigen, dass es auch anders geht, muss Vorbilder vorweisen.


    Richtig. Und man muss auch zeigen, wie es nicht geht. Wer vergleichen kann zwischen Gut & Schlecht, wird daraus eine Mehrerkenntnis gewinnen. Das erwarte ich zwar nicht von den Architekten, aber irgendwo müssen wir ja mal anfangen. Wenn wir es damit ins Architektenblatt, baunetz etc. schaffen, dann wäre das schon ein großer Triumph.

  • Ich stimme Philoikódomos in jeder Hinsicht zu.
    Was bringt denn bitte ein Anti-Preis? Unsere Antagonisten verunglimpfen uns ohnehin die ganze Zeit als "rückwärtsgewandte Modernehasser", die nichts anderes könnten, als "die Moderne abzulehnen."
    Sollen wir ihnen jetzt auch noch den Gefallen tun, ihnen dafür mit einem Anti-Preis noch selbst die Munition zu liefern?! Damit sie uns noch besser in die Nörgler- und Meckerer-Ecke stellen können?

    Nein, wir brauchen eine positive Aussage. Wir müssen zeigen, wie es besser geht!

  • Nein, ich seh das ganz und gar nicht so.
    Alte Anarchistenweisheit mit architektonischem Bezug: Avant de construire il faut détruire.

    Und dieses Argument versteh ich nicht ganz:

    Zitat

    Unsere Antagonisten verunglimpfen uns ohnehin die ganze Zeit als "rückwärtsgewandte Modernehasser", die nichts anderes könnten, als "die Moderne abzulehnen."
    Sollen wir ihnen jetzt auch noch den Gefallen tun, ihnen dafür mit einem Anti-Preis noch selbst die Munition zu liefern?!


    Die Munition lieferst du ihnen hundertmal mehr mit Lob für einen traditionalistischen Bau, den sie wiederum öffentlichsamkeitswirksam verreißen können. In Wahrheit ist es nämlich leichter, zu verreißen, zu verunglimpfen, lächerlich zu machen, als zB die konzeptionelle Schlüssigkeit eines geistigen Produktes für alle nachvollziehbar zu loben. Ich glaube an die Kraft der Negativität. In Wahrheit eint uns, nämlich was die "Architektur" nach 45 betrifft, der negative Zugang (der gleichwohl etwas Positivem, nämlich der Liebe zur alten Kunst entspringt). Bei Versuchen positiver Herangehensweise an diesen oder jenen modernen Bau scheiden sich ohnehin sehr schnell die Geister.

    Ein kräftiger Verriss hat dazu den taktischen Vorteil, dass die positiven Prämissen des Verreißenden sozusagen konkludent vorausgesetzt sind, wodurch sie erstens völlig außer Zweifel stehen und zweitens sich einem direkten Gegenangriff entziehen. Auch ist damit viel leichter eine gewisse Aufmerksamkeit bzw eine erhöhte Zustimmungsrate zu erzielen, als mit vergleichsweise langweiligen Lobreden.
    Auf einen weiteren Vorteil hat Erbsenzähler hingewiesen: auf die Abkehr von Bierernst. Dieser Aspekt ist sehr wichtig, weil er unserer Seite viel Sympathien bringen kann.
    Ich bin für diese Idee.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Würde mich Erbsenzähler anschließen und finde beides wichtig. Ich habe mir für das nächste Jahr vorgenommen (vornehmen kann man es sich ja zumindest mal) München, Augsburg und Nürnberg (in dieser Reihenfolge) in zumindest drei Kategorien einzuteilen.

    - Besonders wichtige und ersehnte Rekonstruktionen
    - Vorbildliche Neubauten nach 1945 im Zentrumsbereich (innerhalb der alten Ummauerung)
    - Besonders abstoßende, das Stadtbild beeinträchtigende Neubauten

  • Zitat von "Philon"

    Ich stimme Philoikódomos in jeder Hinsicht zu.
    Was bringt denn bitte ein Anti-Preis? Unsere Antagonisten verunglimpfen uns ohnehin die ganze Zeit als "rückwärtsgewandte Modernehasser", die nichts anderes könnten, als "die Moderne abzulehnen."


    Über diejenigen, die uns verunglimpfen würde ich mir nicht allzu große Gedanken machen. Die Gilde der Modernisten besteht seit Jahrzehnten aus einer kleinen Schicht, die sich überwiegend aus Architekten nährt. Die große Mehrheit der Bürger in Deutschland ist genauso fassungslos wie wir über den Nachkriegs-Bauschrott.

    ...

  • Von einem reinen "Negativ-Preis" halte ich auch nichts - der Schuß könnte sogar nach hinten losgehen, wenn die modernistischen Architekten, die ganz von ihrer Sache überzeugt sind, das dann sogar indirekt als Auszeichnung mißverstehen (so nach dem Motto, wenn es diesen "rückständigen" Leuten nicht gefällt, muß mein Entwurf ja gut sein).

    Einen Preis für besonders gelungene Entwürfe halte ich dagegen für sehr sinnvoll.