Ensembleschutz wirklich etwas wert?

  • Ich finde, das kann man nicht so verallgemeinern, weil es von Stadt zu Stadt verschieden ist und immer auch von den örtlichen Akteuren abhängt.

  • ^ Den Eindruck habe ich auch. Jedoch im positiven als auch im negativen. Wenn genügend "Argumente" gegen das Denkmal sprechen, kommt es weg. Egal, ob identitätsstiftend und bedeutend oder nicht. So gut wie immer gehts dabei eigentlich nur um wirtschaftliche Gründe (mehr (Verkaufs-)Fläche, weniger Unterhaltskosten/m², mehr Miete, höhere Sanierungskosten, usw.), also harte Standortfaktoren. Die Bedeutung und Auswirkung weicher Standortfaktoren wird dabei kaum oder gar nicht berücksichtigt.

    Aufgrund mangelnder Finanzmittel kommt es ja insbesondere im Osten sehr oft zu Abrissen in Zusammenhang mit Fördermitteln (gesetzlich vorgeschriebene Mindestbreiten für Straßenbahn, PKW-Fahrspuren, Fußweg und Radweg bei Straßensanierungen, Subventionen für abgerissene Häuser (Stadtumbau Ost), etc.). Paradoxerweise torpediert bzw. unterläuft hier der Gesetzgeber seine eigenen Gesetze. Ein absolutes Unding! Aber leider täglich traurige Realität!

    Gerade in Bezug auf Neubauten würd ich sagen, gibt es faktisch keinen Ensembleschutz. Wenn ich sehe was hier in [lexicon='Leipzig'][/lexicon] schon alles an unpassendem Bauwerk, trotz gründerzeitlich geprägtem Umfeld, hochgezogen wurde und noch hochgezogen werden soll, zweifelt man schon am Verstand der Kommune und den zuständigen Verantwortlichen bzw. es kommt die Abhängigkeit, Hilfslosigkeit und Unselbständigkeit gegenüber Investoren zum Ausdruck.
    Wobei allzuoft nur marginale Abänderungen/Anpassungen nötig wären, um wesentlich mehr Harmonie zu erzeugen. Somit ist das meiner Einschätzung nach auch in erster Linie die Zielguppe, die es gilt wach zu rütteln, darauf aufmerksam zu machen und zu sensibilisieren. Hier kann und sollte Stadtbild Deutschland und inbesondere jeder einzelne von uns durch Kommunikation (persönliche Gespräche, kritische Kommentare auf Messen/Veranstaltungen/Bürgerabenden, eigene Website, usw.) vermehrt für Aufklärungsarbeit sorgen und Zeichen setzen. Die Vielzahl der Bürger sieht sich ja heutzutage mehr als Opfer der Stadtpolitik und nimmt bauliche Entwicklungen einfach passiv zur Kenntnis. Wenn man bedenkt, dass zu früheren Zeiten die Bürger die Städte und Gebäude gebaut haben, die wir heute immer noch so mögen, wird das Dilemma deutlich.

    Leipzig - Back to the roots

  • Alibi-Veranstaltung ist Klasse! :daumenoben:

    Damit hast Du sicher einen wunden Punkt getroffen, Zeno. Andererseits moechte ich sagen, dass ich den Eindruck habe, der Denkmalschutz wirft sich mit exzessiver Verve in den Erhalt von 50er etc. Jahre Denkmaelern die in meinen Augen gar keine sein sollten. Denk mal an das Gebaeude vor dem Pellerhofprojekt. Zwar kein totaler Horror aber durchaus entbehrlich. Ums Haar haette die koestliche Kiste dank ihres Denkmalstatus das ganze Pellerhofwiederaufbauprojekt verhindert! :augenrollen:

    Von Ensembleschutz fuer eine Gruppe denkmalgeschuetzter Gebaeude habe ich hier nur selten gelesen. Ist so eine denkmalgeschuetzte Gruppierung von altehrwuerdigen Bauten haeufig anzutreffem? Ich wuenschte, dies waere oft der Fall, denn dann koennten all die somit durch strikte Gestaltungsvorschriften im Keim erstickten "fuegt sich harmonisch ein" Kaesten ja gar nicht erst entstehen!

  • Passend dazu auch der Beitrag der sächsischen Kunstministerin zum Tag des offenen Denkmals: http://freiepresse.de/NACHRICHTEN/REGIONALES/1581609.html\r
    freiepresse.de/NACHRICHTEN/REGIO ... 81609.html

    "Auch verliere der Denkmalschutz zu oft gegen kommerzielle Interessen...". Diese Anmerkung bezieht sich aber auch irgendwie nur auf Bestandsbebauung.

    Das Problem mit den vielen unangepassten Neubauten scheint jedoch keiner von denen höheren Ranges anzusprechen. Oder gab es da mal was?

    Leipzig - Back to the roots

  • Zitat

    Wenn das historische Ensemble durch jüngere Bauten gestört wird, wie dies vielfach in den 1960er- und 1970er-Jahren durch Kaufhaus- und Sparkassenbauten der Fall war, dann würde man diese Störung vermerken. Einen Sonderfall kann es geben, wenn diese Bauten aufgrund der laufenden Neubewertung der sogenannten Nachkriegsmoderne selbst denkmalwert sind: Dies würde zwar die Störwirkung im Ensemble nicht aufheben, könnte aber dazu führen, dass das denkmalpflegerische Ziel einer Stadtreparatur dem Ziel der Erhaltung dieses Baus nachgeordnet wird.

    Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Auf Grund der Störwirkung durch Gebäude der Nachkriegsmoderne ist aus meiner Sicht zwingend und längst überfällig eine Neubewertung zugunsten von Stadtreparatur und Ensemble erforderlich. Die Denkmaleigenschaft/ Erhaltung solcher Gebäude ist zugunsten der Ensemblewirkung eines Stadtbildes nachrangig.

    Zitat

    „Alles Bauen, wie privat es auch zu sein scheint, ist eineöffentliche Angelegenheit.“ Diese Erkenntnis stammt von einem derprofiliertesten Architekturkritiker in Deutschland, dem vor zwei Jahren verstorbenenehemaligen Redakteur der ZEIT, Manfred Sack.

    :applaus:

    Jeder, der sich die Fähigkeit erhält Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.
    http://www.archicultura.ch

    2 Mal editiert, zuletzt von zeitlos (23. August 2016 um 12:21)

  • Ich würde es so ausdrücken: Ensembleschutz ist wie auch der Denkmalschutz kein Instrument der Stadtplanung und Stadtgestaltung, sondern eine Veränderungssperre.

    Die Gestaltung muss also vorher greifen.

    Insb. die Wiederaufbauarchitektur ist aber meiner Anschauung nach besser als ihr Ruf. Zumindest in den Südstaaten.

    So steht zB solch ein Gebäude aus der Nachkriegszeit in Augsburg als Bestandteil des geschützten Ensembles zwischen Rathaus und Dom, das fast nur aus derartigen Nachkriegsbauten besteht - die aber in Höhe und Kubatur die Vorkriegsbebauung weitgehend aufnahmen um so die Silhouette der gewachsenen Vorkriegsstadt fortzuführen! - meiner Meinung nach ganz zurecht unter Ensembleschutz. Denn auch wenn Ensembleschutz im Bezug auf den einzelnen Bau wesentlich schwächer als der Denkmalschutz ist, so kann man diesem Gebäude - wie auch vielen anderen - im Ensemble durchaus klassische Qualitäten abgewinnen. Es ist klar ein modernes Gebäude (nicht modernistisch), aber doch von zeitloser Gestaltung, sodass es auch nach 60 Jahren nicht als "modisches Unglück" eines anderen Zeitgeschmacks wirkt. Und genau so sind unsere Städte doch auch vor dem Krieg gewachsen. Jede Epoche fügte etwas hinzu, fügte sich dabei aber in die gewachsenen Strukturen weitgehend ein und veränderte diese nur leicht.

    So wuchsen die Städte auch in der Vergangenheit, "organisch", zu einem vielfältigen Mix. Natürlich kann daran auch die Architektur jenseits von Stuck einen Anteil haben (s. o.), ich verwehre mich entschieden gegen manch überschlagende Nostalgie hier im Forum, die leider vergisst, dass das Bewohnen vieler alter Bauten nichts mit Romantik zu tun hatte (Außenabort im Innenhof, im Winter durchgehend feuchtkalt, usw.) und einfach auch nicht jeder historische Bau modernisierbar gesen wäre, selbst wenn es den Krieg nie gegeben hätte. Eine Stadt darf nie zum Puppenmuseum werden, sondern muss sich weiter verändern können, lebendig bleiben. Ohne dabei ihre Geschichte auszuradieren. Und dieses Spannungsverhältnis meistert der Ensembleschutz ziemlich gekonnt und wirksam. Früher war der Ensembleschutz unausgesprochene soziale Regel, man orientierte sich immer an der Nachbarschaft. Heute muss man die Bauherren und Eigentümer, im Zeitalter des Individualismus, eben stärker dahingehend lenken, so wie generell heutzutage der Gesetzgeber viele Dinge verbindlich geregelt hat, die einmal mehr oder minder als "Selbstverständlichkeit" galten.

    Gegeben hat es ihn aber immer schon. Und ich halte ihn ehrlich gesagt im Großen und Ganzen der Entwicklung einer Stadt für wichtiger als den Denkmalschutz. Einen wirklich sturen, ignoranten Eigentümer kann man mit dem Denkmalschutz nicht zu einer Sanierung zwingen, dann steht das gute Stück höchstens leer und verfällt langsam. Aber man kann ihm mit dem Ensembleschutz die Taktik zerstören, den Bau solange verfallen zu lassen, bis der Denkmalschutz wg. Substanzverlust einem Abriß zustimmt um dann irgend einen Nutzflächenbetonwürfel hinzuknallen - davor ist dann der Ensembleschutz.

  • @Datschi
    Hier gilt es zu differenzieren: Es geht um Nachkriegsmoderne mit Störwirkung ( Beispiele wie das Pellerhaus in Nürnberg, der Kulturpalast in Dresden, das Rathaus in Stuttgart...).
    Wobei auch die Frage gestellt werden kann, ob zugunsten des Ensembles die Rekonstruktion gegenüber dem Nachkriegsgebäude mit Denkmaleigenschaft und ohne Störwirkung höher einzustufen ist? (Beispiel: Salzhaus in [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon])

  • Diese Details hängen vom jeweiligen Landesrecht ab. Das ist gerade beim Ensembleschutz relativ verschieden!

  • Donaustauf zeigt beispielhaft wie der an sich sinnvolle Ensembleschutz über Jahre hinweg durch permanente Ausnahmen ausgehöhlt wurde, so dass er von Seiten der Denkmalschutzbehörde nun in Bereichen aufgehoben werden soll.
    Auch Gestaltungsvorgaben als reine Empfehlungen sind nutzlos, wenn sie nicht durch eine konsequente Satzung - ohne Ausnahme - Anwendung finden.

    Zitat

    Das Ensembleschutzgebiet in Donaustauf soll verkleinert werden. Die Denkmalschützer sagen: Die Qualität ist nicht mehr da.

    Quelle:

    Zu viele Ausnahmen rächen sich

  • Jede Epoche fügte etwas hinzu, fügte sich dabei aber in die gewachsenen Strukturen weitgehend ein und veränderte diese nur leicht.

    Ich stimme Deinen Ausführungen in weiten Teilen zu, aber das galt früher durchaus nicht immer.
    http://www.telemann2017.eu/files/content/…ing_800x564.jpg
    Ich hoffe, der Link funktioniert. In der Keßlerstraße meiner Heimatstadt gibt es eine Reihe Gründerzeitbauten, die ihre Nachbarn deutlich überragen. Das hat viel mit den schon genannten gesünderen Wohnverhältnissen zu tun (hohe Räume mit relativ großen Fenstern sind was ganz anderes als die kleinen Buden mit ihren winzigen Fenstern), aber wenig mit Rücksicht auf die Nachbarn. Im späten 19. Jh. sind viele Innenstädte radikal verändert worden, oft mit wenig Rücksicht auf den Bestand. Im Gegenteil, die Gründerzeitbauten galten damals als modern und waren auch nicht immer unumstritten. Der Konflikt zwischen zeitgenössischem Bauen und tradiertem Bild ist so alt wie der Berufsstand des Architekten - mindestens. Heute kann jeder alles bauen, vor 200 Jahren hing das sehr vom örtlich verfügbaren Material ab, was dann auch entsprechend die Stadtbilder prägte. Die Konflikte haben sich mit der massiven Zunahme der Bautätigkeit im 19. Jh. entsprechend verschärft.