• Man fühlt sich ohnmächtig...und wütend.

    Dieser Teilabriss ist meiner Meinung nach jedoch mehr ein symbolischer Akt, der den Gegnern signalisieren soll "Wir haben angefangen, es gibt jetzt kein Zurück mehr".
    Aber das letzte Wort in Sachen S21 ist noch längst nicht gesprochen.
    Sogar der Architekt Frei Otto, der das Megaprojekt mitentwickelt hat, fordert inzwischen einen Baustopp, zu lesen im aktuellen STERN.


    Es ist wie immer: Nicht wie angekündigt sanft - Stein um Stein, sondern mit brutaler Gewalt wird am äußersten Teil des Nordflügels mit dem Abbruch begonnen. Tausende Menschen haben sich bereits am und um den Bahnhof versammelt und protestieren gegen dieses Vorgehen.

    http://www.kopfbahnhof-21.de/

    In dubio pro reko

  • Auch wenn der gestrige Abbruch nicht unerwartet kam, die Art und Weise dieser Machtdemonstration hat viele entsetzt.Die Stadt kommt seither nicht zur Ruhe.
    Der Gebäudeteil, an dem gestern mit dem Abriss begonnen wurde, wurde nicht einmal sauber entkernt, kein historisches Fenster wurde entfernt. Nichts. Der Trakt soll offenbar brachial dem Erdboden gleichgemacht werden. Wohlgemerkt ein Gebäude, von dem ICOMOS davon ausgeht, dass es sehr gute Chancen auf den UNESCO-Welterbetitel gehabt hätte. Und um dessen Erhalt seit Wochen Zehntausende auf die Straße gehen.
    Große Bitte an alle Architekturfreunde, für die Stuttgart in erreichbarer Nähe ist. Kommt morgen Freitag, 27.08.10 zur GROSSKUNDGEBUNG ab 19.00 Uhr. Bitte unterstützt die vielen Bürger dieser Stadt und dieses Landes, die nicht akzeptieren wie mit dem baulichen Erbe umgegangen wird. Es geht darum ein machtvolles Zeichen für ein sofortiges Moratorium zu setzen.

  • Auch wenn das hier vermutlich nicht besonders populär wird, möchte ich mal die Meinung meiner Schwester zum Thema Stuttgart 21 einstellen, sie hat lange in Karlsruhe gelebt, kennt die Region und fährt mit einer DB-Jahreskarte beruflich enorm viel Zug: „Was sind die Stuttgarter bekloppt, sie bekommen einen schönen, neuen Bahnhof und demonstrieren dagegen“. Der aktuelle Stuttgarter Kopfbahnhof sei für sie als Vielfahrer eine Katastrophe und den Erfordernissen keinesfalls gewachsen. Ich selbst habe von dem Projekt kein Detailwissen, schließe mich aber an meine Schwester grundsätzlich an, da sich in Deutschland auch bei dem sinnvollsten Projekt (was S21 nicht sein muss) immer Leute finden werden, die dagegen protestieren und gerne prozessieren, was mir deutlich auf die Nerven geht. Beispiele gibt es zur Genüge, an meinem Wohnort in HB-Huchting soll aktuell die Straßenbahnlinie verlängert werden, auch dagegen wehren sich engagierte Bürger. Es fehlen nur noch Montags-Demos. Zu S21 habe ich keine abschließende Meinung, habe aber schon Neubauprojekte gesehen, die mir deutlich weniger gefallen. Zudem werden von dem aktuellen Bahnhof ja wohl eher Teilbereiche abgerissen und besonders schön finde ich den aktuellen Bahnhof sowieso nicht. Und wenn gleich das Argument fällt, das werde alles zu teuer, ist das genau das Argument, mit dem der Schlossneubau in Berlin torpediert wird und mit dem man sowieso alles totrechnen kann. In Summe kann ich den aktuellen Aufschrei nicht ganz verstehen.

  • Sicherlich gibt es in letzter Zeit einen Hang sich wirklich gegen jedes Bauprojekt zu stemmen. Im Internetzeitalter sind die Möglichkeiten der Informationsverbreitung und Vernetzung eines Bürgerprotestes gewachsen und in einem medial aufgespushten Umfeld werden Themen schnelllebig enorm aufgeblasen.

    Ich kann mir vorstellen dass es einige Stuttgarter gibt, die grundsätzlich nichts gegen die neue Trasse ohne Kopf-Bahnhof haben. Trotzdem artikuliert sich ein aus meiner Sicht berechtigter Prozeß bei dem auch ohne das müßige Kostenargument, einiges auf den Magen schlägt. Ich glaube die Bürger haben in aller Deutlichkeit klar gemacht, dass Stuttgart 21 einer unausgereiften Planung unterliegt (überdimensionierter Landschaftseingriff etc.). Doch statt nach gemeinsamen Lösungen zu suchen, wurde hier wieder einmal mit aller Staatsmacht von oben herab ein Projekt durchgedrückt ohne wesentlich auf Argumente der Bürger einzugehen. Die Seitenflügel des alten Bahnhofes werden natürlich als greifbares Vehikel benutzt um den Protest an einem symbolhaften Gegenstand sichtbar zu machen. Auch wenn es bestimmt einigen nicht in erster Linie um den Erhalt der historischen Bausubstanz geht, so sehe ich doch ein allgemein wachsendes Interesse bei den Bürgern sich mit den historischen Kulturgütern auf positive Weise auseinander zu setzen.

    Es gab Zeiten in Deutschland, in denen historische Bauten ohne großen Bürger-Protest der Moderne geopfert wurden. Diese Zeiten sind offensichtlich vorbei.

    ...

  • Zitat

    sie bekommen einen schönen, neuen Bahnhof und demonstrieren dagegen

    Ja, nen schönen neuen Bahnhof mit 8 statt 16 Gleisen, unter der Erde, mit einigen Lichtpickeln obendrauf, nicht ausbaufähig oder modifizierbar.

    Der Stuttgarter Hauptbahnhof gehört heute zu den pünktlichsten Großbahnhöfen Deutschlands - in Zukunft soll hier aber ein integraler Taktfahrplan nicht mehr möglich sein. Stuttgart 21 bedeutet: längere Reisezeiten, teurere Tickets, umständliches Umsteigen, fehlende Verbindungen.

    Das Ganze geht außerdem auf Kosten von historischen Baudenkmälern und der Schlossgartenanlage, zum Schnäppchenpreis von voraussichtlich 10 Milliarden inklusive Neubaustrecke Wendlingen-Ulm.

    Für die Banken und die großen Baukonzerne ist Stuttgart 21 natürlich geradezu eine Goldgrube, die lachen sich ins Fäustchen über jeden Depp, der S21 in dem naiven Glauben unterstützt, hier gehe es wirklich um eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur zum Wohl der Bürger.

    Fertig ist der ganze Spaß dann wohl frühestens im Jahr 2025. Die Leidensjahre für die Stadt Stuttgart mit der "größten Baustelle Europas" mitten in der City erhöhen sich auf 15 - 20 Jahre.

    Ja, schöner neuer Bahnhof, sind wir Stuttgarter bekloppt, gegen sowas zu sein...Erpel, richte deiner Schwester mal nen schönen Gruß aus, sie soll sich einfach mal näher informieren, z.B. hier:

    http://www.leben-in-stuttgart.de/s%2021%20kriti…_und_luegen.htm

    http://www.kopfbahnhof-21.de/index.php?id=501

    Oben bleiben!

    In dubio pro reko

  • Bei den abgebildeten Gebäuden handelt es sich um bestehende Altbausubstanz im sogenannten Nordbahnhofviertel.
    Diese Grafik ist natürlich eine plumpe Irreführung. Auf dem S21-Gelände wird es keine herrlichen durchgrünten Esplanaden à la Paris geben, sondern renditeträchtige Investorenobjekte bis dicht ans Nordbahnhofviertel heran.

  • Ein unaufgeregter Artikel aus der NZZ, der die Chancen und Risiken des Projekts anspricht: Täglich Schwabenstreiche

    Unserer Politikerkaste, die nun gerne darauf hinzuweisen beliebt, dass das Projekt doch schon seit etlichen Jahren bekannt gewesen sei und alle demokratischen Hürden mühelos genommen hätte, sei dieser Satz aus dem Artikel hinter die Ohren geschrieben:

    Zitat von "[url

    http://www.nzz.ch/nachrichten/ku…_1.7193892.html[/url]"]Die Mitsprache der Bürger wurde in einer Weise ausgehebelt, wie dies in der Schweiz unmöglich wäre.

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Gestern hat die Stadt Stuttgart die größte Demonstration ihrer Geschichte erlebt, es waren 65000 Menschen auf der Strasse, um gegen S21 zu protestieren. Der Zug nahm kein Ende, es war äußerst eindrucksvoll.

    In dubio pro reko

  • Spätestens, wenn Parallelen zwischen dem Protest gegen den Stuttgarter Bahnhof und dem mutigen Protest gegen die DDR-Diktatur gezogen werden, zeigt mir das, wie aufgeblasen das Thema Stuttgart21 wird. Den Artikel in der NZZ fand ich ausgesprochen gut. Hier wurde endlich einmal nicht polarisiert, das Thema wurde sachlich aufgearbeitet.

  • So ganz ernst gemeint war der Vergleich natürlich nicht (in ernsthaftem Sinne wird er jedoch durchaus gezogen, siehe div. Foren zu dem Thema). Allerdings ist die Zahl 65000 wirklich beachtlich - hat es in den vergangenen 27 Jahren in der alten Bundesrepublik solche Menschenansammlungen in einer Stadt gegeben ?

    Wie in der Zeitung geschrieben, läuft es wohl auf eine Kappung von S21 hinaus - der Bauschaden an den Flügeln wird auch mit K21 bleiben, das dem Steuerzahler immerhin 9 von 10 Milliarden Baukosten ersparen dürfte. Der Neuaufbau der Flügel wird einen "Trostpreis" für die Architektengilde abgeben; von irgendwoher möchte sie natürlich ihr Fleisch bekommen, selbst wenn's nur Reste sind.

    Nein, die werden gedünstet

  • Was bin ich froh, daß das Projekt "Frankfurt 21" schon vor acht Jahren beerdigt worden ist. Und die gigantischen Proteste in Stuttgart werden wohl dafür sorgen, daß in Ffm in absehbarer Zeit auch niemand auf die Idee kommt, Frankfurt 21 wiederzubeleben. Immerhin etwas... :?

  • Wasserwerfer und Traenengas, Hundertschaften der Polizei...schoen zu sehen, dass sich der Staat zu helfen weiss, wenn der Souveraen seine Stimme erhebt...

    „Groß ist die Erinnerung, die Orten innewohnt“ - Cicero

  • War gestern sogar in den Hauptnachrichten im ORF Thema. So viele Menschen bei eine Demo für den Erhalt des alten Bahnhofs und gegen dieses monströse Projekt - alle Achtung und Hut ab!

  • Heimdall, ein sehr guter Artikel, dem kann ich nur voll zustimmen.
    Besonders treffend dies: "Es ist der von unterschwelligem Selbsthaß auf die eigene Überlieferung besessene ökonomistische Stumpfsinn der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit, der sich hier ein ums andere Mal sturheil Bahn gebrochen hat."
    Damit haben wir es seit der Nachkriegszeit bis heute zu tun.

    In dubio pro reko