Texte und Zitate zum Thema Rekonstruktion

  • Rekonstruktion bedeutet nicht unechten „Talmi-Flitter“, sondern Chance.

    a) Wäre dies der Fall, so wären z.B. Warschau und Danzig (aber auch z.B. Rothenburg ob der Tauber, das zu 40 % zerstört war!), unechte Kulissenstädte. Tatsächlich verwahren sie überaus eindrucksvoll das gesamteuropäisch-historische wie das polnische Denkmal- und Kulturerbe. So gesehen wurden diese überragenden Rekonstruktions-Leistungen nicht nur für Polen, sondern für uns alle als Europäer gebracht. Ähnliches gilt für das europäische Erbe der Frauenkirche und – hoffentlich – des Neumarkts in Dresden.
    b) Der deutsche Echtheits- und Authentizitäts-Wahn gleicht einer puristischen Prinzipienreiterei und überzeugt wenig als Gegenargument einer Rekonstruktion; Purismus gibt es als Gedankenspiel, nicht aber in der Lebenswirklichkeit. Im Ausland ist man sehr viel undogmatischer und pragmatischer – zu seinem Wohl. Vieles, was wir im Ausland bewundern, ist keineswegs „authentisch“, sondern im Laufe der Geschichte oft mehrmals rekonstruiert oder auch nachempfunden worden.

    c) Deutschland insgesamt ist wenig fähig, „weiche“ Wirtschaftsformen, wie z.B. Spielfilme, Unterhaltungsmusik, Mode, Touristik, savoir vivre, Geschmackskultur, zu entwickeln und wirtschaftlich erfolgreich zu exportieren, hier sind wir gegenüber Italien, Frankreich, ja Österreich scheinbar hoffnungslos im Hintertreffen. Diese mangelnde Geschmackskultur zeigt sich auch in der öffentlichen Ästhetik – und nicht zuletzt in der Rekonstruktionsdebatte. Andere Völker sind weiser – und gönnen sich das Schöne einfach (und leben auch noch gut davon). Die Deutschen suchen dieses sich Wohlfühlen folgerichtig im Ausland, etwa in pittoresken italienischen Altstädten oder in österreichischen Kaffeehäusern. Nachhause kehren wir zurück in die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ (Alexander Mitscherlich) und gar in die „Gemordete Stadt“ (Wolf Jobst Siedler) – nehmen dies als unveränderbar hin und finden uns anscheinend resigniert damit ab! Wir verdienen es wohl nicht besser. Zeigt sich irgendwo ein bißchen Urbanität, wird diese überdankbar angenommen (Leipziger Innenstadt, Dresdener Neustadt, einige Straßen in Halle).

    d) Die deutschen Bewunderer spanischer, französischer, italienischer, tschechischer oder österreichischer Innenstädte lassen sich in Deutschland mit kruder ökonomisierter Funktionalität oder einem schematischen „postmodernen“ Modernismus um seiner selbst willen abspeisen, auf Kosten der Ästhetik. Die genannten Länder sind selbst Kulturstaaten, eine Bezeichnung, dessen wir uns immer so gerne rühmen, sofern sie nichts kostet. Aber Mailands große Passage wäre unter ökonomischen Sachzwängen niemals gebaut worden - und der heutige Fremdenverkehr profitiert immer noch davon. Der Freudenstädter Wiederaufbau, der Frankfurter Römer oder der wunderschön rekonstruierte Hildesheimer Marktplatz waren höchst umstritten. Seit langem sind sie sämtlich angenommen, alle sind froh darüber: zuerst die Bevölkerung selbst, dann die meisten Experten, und jeder ist eigentlich dafür gewesen – hinterher. Ähnlich wird es auch in Dresden, Potsdam und in anderen Städten sein.

    Es gibt kein wirklich überzeugendes Argument gegen eine Rekonstruktion.

    a) Kaum eines der immer wieder gegen die Rekonstruktion von Altem Rathaus und Waage vorgebrachten Argumente überzeugt: die „gewohnte Größe“ des jetzigen Marktplatzes (seit wann ist eine willkürlich geschehene Platzgröße als Folge eines Krieges ein Argument?), die vielen weiteren, noch zu rettenden Altbauruinen (wann hätten sich in der Vergangenheit viele Stimmen zur Rettung manchen Barockhauses erhoben, das dann doch abgerissen wurde?), das „fehlende Geld“ von Halle (es gab ärmere Städte, etwa in Italien oder Polen, die mutiger waren), die anderen Einrichtungen, die man dafür bauen oder erhalten könnte (damit würde j e d e s erdenkliche Vorhaben von vorn herein beiseite geschoben, denn solche Notwendigkeiten wird es immer geben). Zuweilen beschleicht einen sogar der Gedanke, in Deutschland scheue man unbewußt (?) in einer Art Selbstbestrafung davor zurück, Vergangenes, gerade wenn es besonders schön gewesen ist, wieder zu beleben. Als ob die verlorenen Kulturdenkmale Schuld an den deutschen politischen Versäumnissen und Verbrechen auf sich geladen hätten. Verlust oder neue Häßlichkeit als historisch gerechte Strafe.

    b) Die Gegenargumente greifen somit nicht: teils sind sie „Totschlagsargumente“, teils sind sie nicht nachvollziehbar, teils einfach nur vorgeschoben gegenüber einer fälligen ästhetischen Grundsatzentscheidung. Zeitgemäße Nutzungen sind auch in rekonstruierten Denkmalen stets möglich, nur Denkfaulheit sieht hier Hindernisse.


    Dr. iur. Michael Kilian
    Professor für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht
    an der Juristischen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg
    Richter am LVG Sachsen-Anhalt a.D.

    Quelle:
    http://www.altes-rathaus-halle.de/dokumente_08.asp

    In dubio pro reko

  • Dieser Text aus der Washington Times ist schon etwas älter (13.Dezember 04), aber äußerst lesenswert und aussagekräftig. Besonders bezeichnende Aussagen sind hervorgehoben:


    In this first installment of a new series on Germany's identity crisis, UPI's religious affairs editor describes the agonizing in his hometown of [lexicon='Leipzig'][/lexicon] over whether to reconstruct a church destroyed by the Communists.

    By Uwe Siemon-Netto
    UPI Religious Affairs Editor

    Whenever I visit [lexicon='Leipzig'][/lexicon], where I was born before the World War II but was unwelcome during four decades of Communism, I waver between irritation and bemusement about the way the local elites agonize over what seems only too natural. Foreigners, particularly those from Eastern Europe, share my bewilderment over this phenomenon, which strikes them as proof of Germany's enduring identity crisis.

    Here's the issue: Should [lexicon='Leipzig'][/lexicon]'s late-Gothic university church be rebuilt? In my childhood this enchanting sanctuary graced the Augustusplatz, once one of Germany's largest and most beautiful squares, now arguably the ugliest.

    Called the Paulinerkirche, this former chapel of the Dominican order was the very icon of the ancient university, which will celebrate its 600th anniversary in 2009. Martin Luther personally consecrated it as a Protestant house of worship in 1543, and Bach preferred its organ to all others in this city that was his place of work for 27 years in the early 18th century.

    The Paulinerkirche survived the air raids of World War II almost undamaged. But after that war [lexicon='Leipzig'][/lexicon] had the misfortune of becoming part of Communist East Germany. Its chief of state and party boss, Walter Ulbricht, a son of [lexicon='Leipzig'][/lexicon]'s red-light district, hated this symbol of his hometown's patrician, religious and academic traditions and ordered its destruction.

    So in 1968, before the eyes of tens of thousands of weeping spectators, the Paulinerkirche was blown up and later replaced by an excruciatingly unsightly administrative building, whose only ornament was - and still is - a monstrous bronze relief titled, "Karl Marx - the revolutionary and world-changing effect of his teaching."

    No sooner did the Communist regime collapse in 1989 than prominent Leipzigers and the city's admirers all over the world called for the church's reconstruction.

    As many as 27 Nobel laureates supported the friends of the Paulinerkirche movement; one of them, oncologist Guenter Blobel of New York, actually headed the association advocating the reconstruction for some time. Other supporters include Richard von Weizsaecker, Germany's former president.

    "If this were Poland, the church would have long been back in business," said Polish composer Krzysztoff Penderecki when he received an honorary doctorate from [lexicon='Leipzig'][/lexicon] University.

    But this isn't Poland. It is Germany struggling with its Nazi past, Germany whose chattering classes still seem under the illusion that by excelling in all things modern, lunacies included, and discarding all things old they might get rid of Hitler in the process.

    And so when the Christian Democrat-run state government of Saxony decided to rebuild the church, the intellectual elites were dismayed, indeed outraged. The university, insisting on its autonomy, maintained the government had no right to do such a thing since the church had been its property since the 16th-century Reformation.

    Its rector at the time of the government announcement resigned, saying what was really needed was a functional structure. And yet he was an avowed Christian.

    City Hall, too, was in an uproar, though quite unlike the local population, a majority of which sided with the international Nobel laureates. And the student body was divided. On the one hand, most of the Germans didn't want the church; on the other hand, a majority of the foreigners, notably the Eastern Europeans and Asians, thought their German classmates were nuts.

    "We felt to resurrect the church was the only right thing to do," said Tania, a recent Bulgarian graduate, as we stood in front of the Marx relief holding up the odious and thankfully moribund structure of concrete slabs that still stands where the church once stood.

    "What makes life here so infuriating is that Germans mindlessly reject the admirable parts of their history the rest of us admire so much. The controversy over the Paulinerkirche is a prime example for this idiocy."

    Even the state-related Evangelical-Lutheran Church in Saxony, guardian of [lexicon='Leipzig'][/lexicon]'s rich theological traditions, showed little enthusiasm for the reconstruction. "This project is too ostentatious!" one senior pastor complained. "We with our history should be more modest."

    "When German Lutherans try their hands at modesty, I really become alarmed," retorted Tania with a laugh. "There is something ridiculously false about this kind of talk."

    But then, the university's 600th anniversary is looming. Until 2009 its shoddiest Communist-era buildings, which mar [lexicon='Leipzig'][/lexicon]'s otherwise delightful city center, will have to be replaced, including the tall pile of concrete slabs held up by the Marx relief.

    Something attractive has to be put in its place; one way or another, Ulbricht's cultural crime must be atoned for.

    What is it to be? A chapel resembling the one Ulbnricht murdered? A secular venue of academic celebrations (which have lost all of their splendor anyway in "unostentatious" new Germany, where students receive their diplomas by mail or may pick them up during business hours in some gray office)?

    "If there had been a decision to rebuild the church, we would have received ample donations," said Ulrich Stoetzner, the current head of the Paulinerverein, an association promoting the reconstruction. "A reconstruction would have cost roughly 25 million Euros (about $33 million). But who wants to donate money for a profane hall?"

    A faithful copy of the Paulinerkirche, as it would have probably been erected in any nation with a firmer sense of identity - Poland, for example -- seems out of the question, even though 70 percent of the sanctuary's interior and its original plans have been preserved and the location of its rubble at [lexicon='Leipzig'][/lexicon]'s outskirts is known.

    But there is a chance that a design by Dutch architect Erick van Egeraat might yet be realized. Earlier this year, a jury headed by [lexicon='Leipzig'][/lexicon]'s city planner chose it over several competitors. It envisions an interior almost identical to the original to be used both for church divine service and academic and other functions.

    Its huge and elegantly gabled façade would not exactly replicate its predecessor but resemble it strongly in a stylized fashion. It would, in Christ-like manner, appear to reach out to neighboring university building, as if to embrace them, while still be dwarfed by the "wisdom tooth," as Leipzigers call the giant university skyscraper next door.

    ......

    It will be fascinating to see which party of Germans will prevail. Will it be the party of the functionalists who seem embarrassed by all of the nation's history, and especially its Christian history, which it is politically incorrect to credit?

    Or will it be a fledgling movement that would like Germans to remember that there was more to their history than Hitler?

    As composer Krzysztoff Penderecki said, "Such a debate would be unthinkable in Poland." But then, as we said, [lexicon='Leipzig'][/lexicon] is not in Poland, even though in their architectural glory days in the 18th century, Poland and Saxony had the same sovereign, King Augustus the Strong.

    The long and short of this story is that [lexicon='Leipzig'][/lexicon] lies in the heart of Germany, a nation infuriatingly busy with its masochistic struggle for identity, a struggle that looks more and more insincere with each passing generation.

    In the words of Tania, the Bulgarian graduate, it has "degenerated to a fig-leaf for mediocrity and bad taste."

    In dubio pro reko

  • @stadtbild-deutschland-mitglieder
    Was haltet ihr von dem letzten Text der Washington Times? Würde ihn gerne auf unsere Seite bringen. (Kenne nur die "Post". Wie ist grundsätzlich die W-Times einzuordnen?)

    PS: Jeder, der möchte, kann sich an unserer Seite beteiligen! :zwinkern:

  • Die folgende Zitatesammlung ist der Internetpräsenz Initiative "Pro Altstadt" - [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon] entnommen.


    Léon Krier ist ein bekannter luxemburgischer Architekt, der in Südengland von Prinz Charles mit dem Bau eines traditionell orientierten Stadtquartiers betraut wurde. Sein Buch „Architektur - Freiheit oder Fatalismus" (München 1998) ist eine Abrechnung mit der Architektur der Moderne.
    Krier legt Wert darauf, zwischen „Modernität" und „Modernismus" zu unterscheiden: Modernität sei nicht das Gegenteil von Tradition, d. h. auch traditionelle Gebäude können durch ihre Nutzung modern sein; Modernismus hingegen sei eine Ideologie, die das Flachdach bejubelt und den Rundbogen ablehnt.
    Die folgendenden Zitate sind Kriers Buch „Architektur - Freiheit oder Fatalismus" entnommen:

    So äußert sich Krier zum Widerstand von Bürgerbewegungen gegen schlechte Architektur:

    „Bürgerinitiativen gegen Architekten und Stadtbauprojekte grassieren in allen demokratischen Ländern. Dort gibt es kurioserweise keine Bürgergruppen, die Einfluß auf die Entwürfe von Flugzeugen, Kühlschränken oder Zahnarztstühlen nehmen wollten. Die Autorität der Berufsstände, die ihre Versprechen einlösen, ist selten umstritten." (S.27)

    Das folgende Zitat kann in einen Zusammenhang gebracht werden mit jenen Argumenten von Modernisten, die eine vermeintliche „Rückwärtsgewandtheit" von Anhängern traditioneller Baulösungen behaupten (im Sinne von „Wollen Sie auch die damaligen hygienischen Verhältnisse wiederhaben?" oder „Dann laufen Sie doch gleich in historischen Kostümen durch die Gegend!"):

    „Es gibt keinen Widerspruch zwischen den Wünschen, in einer traditionellen Stadt zu leben und ein schnelles Auto zu fahren. Ein gewisser modischer Avantgardismus jedoch wirft der Öffentlichkeit vor, dabei Aspekte des Modernismus abzulehnen und sich in „Vergangenheitstümelei zu flüchten". Doch eben diese Öffentlichkeit „flüchtet" sich auch in den „beruhigenden Komfort" des modernen Lebens. Sie bewundert den Fortschritt der Wissenschaften und heißt die technischen Errungenschaften willkommen. In ihren Wünschen wie ihrer Auswahl zeigt sie praktische Intelligenz, bevorzugt in der Regel Häuser mit geneigten Dächern, fordert aber keine Autos mit Strohdächern" (S. 66)

    Krier zum Thema Zeitgeist:

    „Uns allen wurde der Gedanke eingeimpft, daß unsere Arbeiten den Geist unserer Zeit ausdrücken müßten, doch die besten Werke der Vergangenheit beweisen genau das Gegenteil: Sie transzendieren die Besonderheit ihrer Epoche und werden so zu Mythen, durch alle Epochen hinweg. Allein dadurch sind sie ewig jung." (S. 75)

    Krier zum Thema Rekonstruktionen:

    „Der Wert historischer Denkmäler besteht weniger im Alter ihres Baumaterials als vielmehr im Fortbestand der Ideen, die sie verkörpern. Eine identische Rekonstruktion mit übereinstimmenden Materialien, Formen und Techniken, deren man sich ursprünglich bediente, hat einen höheren Wert als ein ruinenhaftes Original. Wie Joachim Fest sagt, hängt die Originalität eines Gebäudes nicht von seinem Material ab, sondern liegt in der Originalität seines Entwurfs. Es ist also in vollem Umfang reparabel und rekonstruierbar, ohne seinen einzigartigen Charakter zu verlieren. Anders als das Gemälde eines unersetzlichen Meisters ist ein Gebäude in der Regel kein rein individuelles Werk. Der Kult um und die Fetischisierung von Ruinen erweist uns und den ursprünglichen Erbauern einen schlechten Dienst. Was uns an einem alten Denkmal berührt, ist nicht sein Altertumswert, sein Wert qua Alter, sondern seine konstante Modernität, das heißt, seine Fähigkeit, zu uns zu sprechen trotz seines Alters, und die Kraft, seine materielle Altertümlichkeit zu transzendieren." (S. 75)

    Krier zum Thema der Bürgerakzeptanz von Gebäuden:

    „Die Architektur einer Stadt und ihrer öffentlichen Räume ist im selben Maß wie Gesetze und Sprache eine Angelegenheit des Gemeininteresses - sie sind das Fundament von Urbanität und Zivilisation. Ohne deren allgemeine Akzeptanz gibt es weder eine gesellschaftliche Verfassung noch die Aufrechterhaltung eines normalen, zivilisierten Lebens. Sie können nicht aufgezwungen werden, und ihre allgemeine Zurückweisung ist nicht Beweis für Verständnislosigkeit seitens der Bürger, sondern für ein dürftiges Konzept." (S. 201)

    Wolfgang Schäche, Architekturhistoriker an der Fachhochschule Berlin, erklärt unter http://www.berlinonline.de/dossier/palastderrepublik/2000/blz_24883.html\r
    http://www.berlinonline.de/dossier/pala ... 24883.html:

    „So gibt es kein rationales Argument, welches den Nachbau physisch nicht mehr existenter Bauwerke per se ausschließt. Die Entscheidung ist allein der sorgfältigen Abwägung aller mit dem Gebäude verbundenen Bedeutungsebenen sowie der Einbeziehung des ökonomischen, technischen, ästhetischen sowie des Zweckmäßigkeits- und Nutzungsaspektes verpflichtet, nicht aber fragwürdigen Geschichts- und Architekturtheorien."

    Auch Matthias Donath vom Landesdenkmalamt Berlin http://www.ak-berlin.de/ausschuss/donath_d.html\r
    http://www.ak-berlin.de/ausschuss/donath_d.html:

    „Der gesellschaftliche Auftrag an die Denkmalpflege umfaßt auch Wiederaufbau und Wiederherstellung zerstörter Denkmale. Rekonstruktion ist vor allem dort eine wirkungsvolle konservatorische Methode, wo die Mittelpunkte der Gesellschaft, die Symbole regionaler Identität vernichtet sind. Diesen Städten, gezeichnet vom Bombardement des Zweiten Weltkriegs und anschließendem Flächenabriß, fehlen Orte der geschichtlichen Erinnerung, Orte, an denen sich der über mehrere Jahrhunderte reichende kulturelle Reichtum erfahren läßt. Die Wiedererschaffung der symbolträchtigen Monumente erfüllt ein gesellschaftliches Bedürfnis. Gerade diese ausgelöschten historischen Bauten und Stadtviertel sind in besonderer Weise mit Emotionen, Ideen, also immateriellen Denkmalwerten verknüpft. Die bisherigen Wiederaufbauprojekte zeigen, daß Rekonstruktionen den städtischen Gemeinschaftssinn fördern. Gestärkt wird die kommunale Identität, das Selbstbewußtsein einer Region, das sich auch auf Traditionen und Geschichte gründet. Diese Grundhaltungen - Identität und Heimatbewußtsein - sind wesentliche Voraussetzungen für die zukunftsfähige Bewahrung des kulturellen Erbes. Die Wirkungen, die über das einzelne Monument hinausgehen, sind nicht zu unterschätzen: Große und kleine Wiederaufbauprojekte setzen eine Aktivität frei, die auch auf überlieferte Geschichtszeugnisse ausstrahlt. Das Verständnis für Denkmalpflege, für die Erhaltung historischer Substanz wächst."

    Und hier eine Aussage des Historikers Arnulf Baring aus einem Interview im SPIEGEL zum Thema Wiederaufbau der Frauenkirche:

    „Ich halte Rekonstruktionen für zeitgemäß. Schlechte Zeiten müssen sich an gute frühere Zeiten halten, in dieser Phase sind wir. Ich glaube auch, dass es gut ist, wenn die Deutschen ihre alten Städte im Maße des Möglichen zurückgewinnen, damit uns wieder klar wird, dass wir von irgendwoher kommen!"


    Gesamte Textsammlung unter:

    http://www.pro-altstadt-frankfurt.de

    In dubio pro reko

  • Hallo Dirk,
    ich muss Sauerländer recht geben.
    Sinngemäß lief es so: Wir haben die Texte gesammelt, auf die Stadtbild Deutschland HP gestellt, die Frankfurter haben sie von dort aufgegriffen (oder über @restitutor bekommen, wenn ich richtig liege), jetzt landen sie wieder hier...

    Dieses Vorgehen heissen wir übrigens ausdrücklich gut und möchten es explizit fördern!! Jeder ist willkommen, sich bei uns mit Material zu versorgen! Ist ja sozusagen Teil unseres "Auftrags" als Verein, eine Vernetzung und einen Austausch herzustellen... :zwinkern:

    Wie man sieht, klappt es ja schon ganz gut! :)

  • Ja, stimmt, die obige Zitatesammlung von der Pro Altstadt-Seite hatte ich zusammengestellt und an den Betreiber der Seite weitergeleitet.

    Ich habe in der Tat im Archiv von APH / Stadtbild Deutschland gesammelt und dann noch die Bücher ausgewertet, die ich selbst im Schrank habe... :zwinkern: Eigentlich war das, was jetzt auf der Website der Bürgerinitiative steht, nur als eine Art erste Arbeitsfassung gedacht, ich hatte eigentlich erwartet, dass die Pro Altstadt-Leute das nochmal überarbeiten und in eine andere Form bringen. Aber gut...

  • Anbei ein sehr interessanter und ganz aktueller Artikel zum Thema Rekonstruktion!

    https://www.die-tagespost.de/gesellschaft/k…;art4881,220465

    Auszug:

    Zitat von Die Tagespost
    Mit dem Einzug der Moderne in die Architektur begann deren Ideologisierung. Um Missverständnissen vorzubeugen: das barocke Versailles wie der gotische Dogenpalast stehen für die Selbstzelebrierung einer Staatsidee. Die Regeln, auf denen vormoderne Bauten standen, entsprangen jedoch keiner ideologischen Doktrin, sondern den Prinzipien der Ästhetik. Sie galten für Vitruv wie Palladio. Schönheit war ein Eigenwert, dem sich die Architektur beugen musste. Als Berlin nach der Wiedervereinigung zum Schaufenster der Republik werden sollte, bestimmte hingegen die Botschaft die Formensprache; der weitreichende Gebrauch von Glas sollte Transparenz verdeutlichen, die karge Einrichtung Bescheidenheit und Funktionalität. Dem Diktum musste sich selbst der Reichstag als angeblicher Kontinuitätspunkt deutscher Geschichte beugen – sinnigerweise behielt der modernisierte Bau nur seine Fassade.
  • Zitat

    "A cathedral is a structural ensemble that's very complex, and as soon as you change one little thing, one parameter, it impacts everywhere else in the cathedral," he says. "So reconstructing it exactly the same way is also a precaution. It worked very well for 800 years. So we know if we build it back the same way we won't risk damaging the cathedral by trying something new."

    https://www.npr.org/2023/06/11/1179648233/notre-dame-paris-fire-rebuild-roof

    Rekonstruktion nach alten handwerklichen Methoden also, um mögliche kleinere Veränderungen, die bei größeren Gebäuden sich schnell akkumulieren könnten und sich so auf die übrige Substanz auswirken könnten, zu vermeiden.