Berliner Morgenpost
Dresden
Eine Brücke spaltet die Stadt
Donnerstag, 25. Juni 2009 - Von Dankwart Guratzsch
Noch vor einem Jahr war selbst Angela Merkel optimistisch. Die Bundeskanzlerin konnte sich nicht vorstellen, dass man in Dresden die Fristverlängerung, die die Unesco der Stadt gewährt hatte, um eine Lösung im Streit um den Bau der umstrittenen Waldschlösschenbrücke zu suchen, nicht nutzen würde.
- "Es ist Zeit gewonnen", ließ sie ihren Regierungssprecher Thomas Steg verkünden. Und sie bot der Stadt sogar ihre Vermittlung an. "Wenn gewünscht, werde sich die Bundesregierung einer Lösung bei der Konsenssuche nicht verweigern."
Vielleicht ist das Angebot von der sächsischen Regierung und von der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) nicht richtig verstanden worden - denn von den Auflagen, die die Weltkulturorganisation mit dem Aufschub der Entscheidung über den endgültigen Entzug des Welterbetitels verbunden hatte, wurde keine erfüllt. Heute nun will die Unesco, die Dresden schon 2006 auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes gestellt hatte, die endgültige Entscheidung treffen. Es gilt als wahrscheinlich, dass Dresden der Titel entzogen wird.
Es wäre der Schlussstrich unter einen Streit, der weit über Sachsens Landeshauptstadt hinaus die deutsche Kulturszene und Gesellschaft aufgewühlt hat. Nahezu 20 Berufsgruppen, Spitzenverbände des Kulturlebens, mehrere Bundesministerien und das Kanzleramt, Gerichte bis hinauf zu den Bundesgerichten sind damit befasst worden. Dreimal sind Stimmen für Bürgerbegehren gesammelt worden, an denen sich jeweils Zehntausende Dresdner beteiligt haben. Ein solcher Fall ist einmalig nicht nur in der Nachkriegsgeschichte, sondern in der 200-jährigen Geschichte des deutschen Denkmal- und Naturschutzes überhaupt, einmalig auch in der Geschichte der Unesco und des von ihr erfassten Weltkulturerbes. Diese Singularität eines Streites um Gestaltungsfragen rückt den Fall in die Nähe eines ebenso einmaligen Kulturkonflikts, der sich mit dem Namen derselben Stadt verbindet: des Wiederaufbaus der Frauenkirche, der nur gegen herrschende Auffassungen der Kunstwissenschaft und Denkmalpflege und anfangs auch gegen den hinhaltenden Widerstand der evangelischen Landeskirche durchgesetzt werden konnte. Beide Male ging es um den Kernbestand der Identität des einstigen "Elb-Florenz", der durch die Bombardements von 1945 tief greifend beschädigt worden ist. Und es ging in beiden Fällen um den "Mythos Dresden", für dessen Wiedergewinnung viele Dresdner nicht erst seit der Wiedervereinigung große Opfer gebracht haben.
Ein mächtiger Gegner
Im Fall der Waldschlösschenbrücke hatte es das kulturbewusste Bürgertum mit einem mächtigeren Gegner zu tun: der in den ostdeutschen Städten besonders starken Autolobby. Sie setzte unter Führung des sächsischen ADAC 2005 einen Bürgerentscheid durch, bei dem nur eine einzige Alternative zur Wahl stand: die Brücke am Waldschlösschen oder gar keine Brücke. Von dem hohen Preis der möglichen Aberkennung des eben erst verliehenen Welterbeprädikats war ebenso wenig die Rede wie von Alternativen, etwa einem Tunnel. Das Ergebnis des Entscheids brachte denn Befürwortern der Brücke einen überwältigenden Sieg: 68 Prozent Jastimmen, nur 32 Prozent Gegenstimmen. Erst im Nachhinein erwies sich die Rechtskraft dieses Votums. Zuletzt bescheinigte selbst das Bundesverfassungsgericht dem Bürgerentscheid einen höheren Rang als den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus der von ihr unterzeichneten Unesco-Konvention.
So unverrückbar die juristische Position der Brückenbefürworter war, so wenig konnten die Gegner den kulturpolitischen Anspruch aufgeben, die Schönheit der Kulturlandschaft Dresdner Elbtal zu erhalten. Seit einem umfangreichen Gutachten der Technischen Hochschule Aachen von 2006, das die Unesco in Auftrag gegeben hatte, stand die Unvereinbarkeit des Brückenprojekts mit dem Welterbestatus außer Frage. Die zentrale Feststellung lautete: "Die Waldschlösschenbrücke zerschneidet den zusammenhängenden Landschaftsraum des Elbbogens an der empfindlichsten Stelle und teilt ihn irreversibel in zwei Hälften."
In der Begründung hatten die Wissenschaftler das Landschaftserlebnis in beinahe lyrischen Tönen umschrieben: "Die Elbwiesen bilden hier eine nahezu hindernisfreie Auenfläche mit nur wenigen eingestreuten Bäumen, wodurch sich inmitten der Großstadt Dresden ein einmaliger Eindruck landschaftlicher Weite ergibt, die nur dort zur Wirkung kommen kann, wo sie nicht unmittelbar an Grenzen stößt. Dieses eindrückliche Landschaftserlebnis wird durch die bogenförmige Krümmung des Talraums verstärkt, weil die baulichen Konturen der 112 benachbarten Ortsteile in den Hintergrund treten und sich der Eindruck von unendlicher Landschaft ergibt." Immer wieder fällt in diesem Zusammenhang das Wort vom "herausragenden Rang" und von der "Einzigartigkeit und dem besonderen Wert dieser zusammenhängenden Kulturlandschaft".
Um eine Bebauung und auch nur die Aufstellung von Reklameschildern an diesem Ort zu verhindern, hatten die Dresdner Stadtverordneten schon 1908 die Waldschlösschenwiesen für 400 000 Goldmark aus Privathand angekauft - und zwar ausdrücklich mit der Zielsetzung, dass "der einzigartige, herrliche Aussichtspunkt auf die Stadt und ihre Umgebung für alle Zeiten in städtisches Eigentum gebracht und gesichert" werde. Erst den Nazis blieb es vorbehalten, mit diesem Grundsatz zu brechen. 1937 nahmen sie den Hang am Waldschlösschen als Brückenstandort in ihren Hauptverkehrsplan auf.
Es waren diese Pläne, die in der DDR wieder hervorgeholt wurden und zeitweise in Brückenprojekten mit acht Fahrspuren und dem Abriss ganzer Stadtquartiere mündeten. Nach der Wende begann dann das endlose Ringen um eine Lösung für die Elbquerung, die der Landschaft keine Gewalt antut und den Verkehrsbelangen Rechnung trägt. Eine große Bedeutung kommt dabei der conditio sine qua non zu, die der sächsische Wirtschaftsminister Kajo Schommer im November 1995 formuliert hatte: Die sächsische Landesregierung werde keine andere Flussquerung fördern als eine Brücke am Waldschlösschen. Damit waren Tunnellösungen und auch ein "Mehrbrückenkonzept" für mehrere kleinere, aber weniger landschaftsbelastende und in der Summe billigere Brücken, für das 1996 23 000 Unterschriften gesammelt wurden, von vornherein ausgeschlossen. Der bis heute gültige favorisierte Brückenentwurf sieht eine Stahlkonstruktion von 635 Meter Länge mit einem Bogen in der Spannweite von 145 Metern und einem sich anschließenden Landtunnel von 400 Metern Länge vor. Mit einem Kostenvolumen von 156 Millionen Euro entsteht die teuerste Stadtbrücke Deutschlands. 96 Millionen Euro steuert der Freistaat Sachsen zu der Bausumme zu, 46 Millionen Euro muss die Stadt Dresden aufbringen.
Im jahrelangen Ringen um Korrekturen sind zuerst zusätzliche Lärmschutzmaßnahmen, dann eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 Stundenkilometer für das gesamte Bauwerk sowie eine "Verschlankung" der Konstruktion verordnet worden, ohne dass sich an der optischen Wirkung des Bauwerks Wesentliches geändert hätte. Seit Juli 2006 steht Dresden auf der Roten Liste der gefährdeten Weltkulturgüter. Im November 2007 startete die Stadt die Bauarbeiten. Ein Bürgerbegehren gegen die Brücke und für einen Tunnel, für das bereits 50 000 Stimmen gesammelt worden waren, ließ die sächsische Regierung im April 2008 an juristischen Finessen scheitern. Am 4. Juli vor einem Jahr räumte die Weltkulturorganisation der Stadt eine letzte Frist von zwölf Monaten für das Verbleiben auf der Welterbeliste ein, wenn der Bau unverzüglich gestoppt werde und Maßnahmen eingeleitet würden, den bereits verursachten Schaden rückgängig zu machen.
Oberbürgermeisterin in Sevilla
Nichts davon ist bis heute geschehen. Dennoch wiegte sich Dresdens Oberbürgermeisterin Orosz bis zuletzt in der Hoffnung, der Unesco dennoch einen weiteren Aufschub der Entscheidung bis nach der Fertigstellung des Bauwerks 2011 oder aber eine Herausnahme der Brücke aus dem Welterbegebiet abtrotzen zu können. Für einen Vier-Minuten-Vortrag vor dem Gremium reiste sie eigens nach Sevilla. "Aber die Würfel sind gefallen", hielt ihr der Präsident des Welterbestätten-Vereins in Deutschland, Horst Wadehn, noch vor der Abreise entgegen. Für Dresden gebe es nur noch eine einzige Chance: "Wenn Frau Orosz in Sevilla einen Baustopp erklärt." Das tat sie nicht.