Wien – was vom alten Wien nicht blieb (Galerie)

  • Zitat

    So haben wir hier eine einmalige, originelle und formal extrem gelungene Lösung, gegen die etwa der Brügger Belfried ungeschlachtet wirkt, was kein Wunder ist, denn schließlich stammte dieser Entwurf ja auch von einen der besten Architekten dieser Zeit.

    Der Brügger Belfried ist hochgotisch, der Wiener Entwurf spätgotisch, einige Jahrhunderte später. Dazu kommt, daß der Brügger Belfried ursprünglich auch eine Spitze hatte, die er im Laufe der Jahrhunderte verloren hat. Man muß sich ihn ursprünglich ungefähr wie einen der Magdeburger Domtürme vorstellen.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Kann ich mir gut vorstellen. So stumpfe Türme sind unflandrisch. Ein klarer Fall für Rekonstruktion also.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Mit Städten wie Köln ist das überhaupt so eine Sache - als bedeutendste dt. Stadt im Mittelalter zog sie zweifellos die besten Baumeister an. Ein speziell Kölscher gotischer Stil ist da eher schwer auszumachen (in Prag - Wien grundsätzlich ebenso, aber erstens kenn ich mich da doch besser aus, und zweitens sind beide Städte wohl mehr von der Spätgotik mit charakteristischen Ausformungen geprägt).
    Was am sehr schönen Kölner Rathaus Kölnisch sein soll, ist für mich daher weniger ersichtlich als es bei dem Wr Rathausentwurf der Fall der Fall wäre.
    Aber der Hauptunterschied ist natürlich, dass es das Kölner Rathaus real gibt und das Wr nicht.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Modell der Stadt Wien um 1845

    Das Stadtmodell habe ich kürzlich bei Wikipedia entdeckt. Für dieses Thema ist es wohl recht interessant. Ausgestellt ist das Modell in der Sammlung Alter Musikinstrumente (des Kunsthistorischen Museums) in der Neuen Burg als Leihgabe von Helmut Czakler.


    Gesamtansicht
    Quelle: http://www.wikipedia.de


    Hofburg, dahinter Burggarten (links), Heldenplatz mit Äußerem Burgtor (Mitte) und Volksgarten (rechts); rechts vorne im Bild die Minoritenkirche
    Quelle: http://www.wikipedia.de


    Stephansdom, Graben, Am Hof, oben rechts die Hofburg
    Quelle: http://www.wikipedia.de


    Michaelerkirche und Hofburg (leopoldinischer Trakt, Schweizerhof, In der Burg, davor die Winterreitschule und das Alte Burgtheater (anstelle des heutigen Michaelertraktes)
    Quelle: http://www.wikipedia.de


    Winterreitschule (links) und das Alte Burgtheater (Bildmitte)
    Quelle: http://www.wikipedia.de


    Kärntnertor mit Theater am Kärntnertor und Umgebung. An Stelle der Gebäude im Vordergrund entstand später die Wiener Staatsoper. Ganz vorne sieht man noch die heutige Albertina.
    Quelle: http://www.wikipedia.de


    Theater am Kärntnertor
    Quelle: http://www.wikipedia.de


    Schottentor mit Mölkerbastei, links der Turm der Schottenkirche
    Quelle: http://www.wikipedia.de


    Platz "Am Hof" mit Kirche am Hof
    Quelle: http://www.wikipedia.de


    Graben mit Pestsäule, rechts davon Peterskirche und Petersplatz
    Quelle: http://www.wikipedia.de

    Zum Vergleich der Graben 1609 (Jacob Hoefnagel):

    Quelle: http://www.wikipedia.de


    Stephansdom und Umgebung, vor dem Dom die Singerstraße, hinter dem Dom die Wollzeile
    Quelle: http://www.wikipedia.de


    Kirche Maria am Gestade mit Umgebung; die gerade Straße etwas rechts der Bildmitte ist die Wipplingerstraße
    Quelle: http://www.wikipedia.de

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Meiner Ein- dh Wertschätzung nach ist um diese Zeit, also nach Ende des barocken Ausbaus der Stadt der Höhepunkt der architektonischen und urbanen Entwicklung der Inneren Stadt (natürlich nur dieser) anzusetzen. Der Historismus führte zu der bekannten Verflachung, und der renaissancemäßige Vorzustand konnte, wie ich schon öfters dargelegt habe, mit dem Reichtum und der Formenvielfalt desWr. Barock nicht mithalten.
    Dennoch ist es schade, dass das Barock alles überformt hat, dass sehr wenig nach außen sichtbare Vorsubstanz erhalten geblieben ist.
    Die Ursachen hiefür sind bekannt, durch die unselige Türkenbedrohung konnte die Stadt bis 1683 nicht nach außen wachsen. Dh eigentlich konnte sie es nicht bis 1860, dem Abbruch der Fortifikationen. Was nach 1683 entstand, waren in enormer räumlicher Trennung (ca 600 m bis 1 km) sehr kleinstädtische Neugründungen, die nicht zB mit den friderizianischen Erweiterungen Potsdams mithalten konnten.
    Heute bilden ihre Rudimente so etwas wie beschauliche Inseln im hohen gründerzeitlichen oder modernen Häusermeer.

    Interessant ist dennoch, dass die im Modell gezeigte Stadtanlage sehr gut erhalten geblieben ist. Das gilt leider nicht für die Dachlandschaft.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Hier ein weiteres Beispiel für ursus ALT-WIEN:

    Diese "Blaue Schönheit" an der Ecke Marc Aurelstraße Ecke Sterngasse, gleich hinter dem Hohen Markt und im Anschluß an das vielgelobte Palais Sina (Historismus) konnte nur entstehen,

    weil man die beiden aus der Renaissance Zeit stammenden "Rauchschwalben" in den 1960iger niederrieß:


    sie hatten die Gründerzeit überstanden, den 2. Weltkrieg aber nicht die Häuserspekulation im Wiederaufbau!!!

    Es darf nie vergessen werden, dass die Kunst eines Landes der Wertmesser nicht allein seines Wohlstandes, sondern vor allem auch seiner Intelligenz ist

  • Versteh ich nicht. Wenn das keine Schönheit war, was dann?

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Schließe mich deinem Urteil an!
    Wenn man nur wegen der starken Patina und der starken Plakatierung zu diesem Schluss kommt, verstehe ich das nicht (es git ein Foto aus den 60iger Jahren, dass die Häuser sogar solider darstellt)! Gerade in seiner Schlichtheit, besonders stimmungsvoll und die Raffinesse liegt im Detail - siehe Dachzone oder die geätzten Fensterscheiben!

    Es darf nie vergessen werden, dass die Kunst eines Landes der Wertmesser nicht allein seines Wohlstandes, sondern vor allem auch seiner Intelligenz ist

  • Wenngleich ich die Aussage von Saxonia nicht überbewerten möchte, sind das doch genau die Phrasen, mit denen in unzähligen Fällen politische Entscheidungsträger, Hausbesitzer und Investoren den Abbruch von Gebäuden besiegelten. Das Vorstellungsvermögen reicht oft nicht aus wie ein Gebäude nach der Restaurierung wirken kann.
    Hat ein solches Gebäude durch glückliche Umstände den Kahlschlag überlebt, sind sich nach der Sanierung ALLE einig, um welch ein Schmuckstück es sich doch handelt.

  • Das ist der Lauf der Dinge, es wird nie jedes Haus restauriert sonst wären einige Städte in Europa noch antik. Das Gebäude wirkt auf mich nicht besonders wertvoll weder gestalterisch noch vom Rohbau her. Es erfüllt eine städtebauliche Funktion, das wars aber auch schon. Mich stört da weniger der Abriss als die Neubebauung die sich so gar nicht ins Umfeld einpassen will.

  • Das ist doch der Punkt Saxonia. Die Diskussion, das Forum, unser Anliegen, das alles wäre obsolet, würde dem Zerstörten immerhin Adäquates folgen.

    Jeder, der sich die Fähigkeit erhält Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.
    http://www.archicultura.ch

    Einmal editiert, zuletzt von zeitlos (31. August 2011 um 16:31)

  • Ich bin absolut gegenteiliger Meinung (wie saxonia). Die blaue Schönheit ist per se nicht einmal schlecht, weder von der Form und schon gar nicht von der Materialwahl. In vielen bdt. Städten würde man sich alle Finger abschlecken, wenn dies der Standard wäre. Der Skandal ist der Abriss dieses edlen Renaissancehauses. Irgendwie scheint mir zuviel historistische Gesinnung das ästhetische Empfinden zu verderben.

    Ich rede gar nicht von der Faszination, die vom (natürlich fragwürdigen) temporären Zustand ausging. Dieser war natürlich nicht aufrechtzuerhalten, wenngleich es vielleicht in einem Einzelfall hätte versucht werden können. Immerhin spielt diese Zeit um 1880, die Zeit der frühen Photographie in unserem historischen Empfinden eine große Rolle.

    Auch in der heutigen Bundesrepublik waren damals die Städte übrigens gar nicht so geschniegelt, wie es die heutigen Bewohner offenbar anders nicht ertragen können. Sie unterschieden sich darin gar nicht sosehr von Ostmitteleuropa.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Ich kenne dieses (blaue) Gebäude - leider - sehr gut, da ich fast täglich dort vorbeikomme: Hier kann man nur sagen, dass es vor der (blauen) Sanierung wenigstens noch unscheinbar hässlich war. In diesem Fall wäre es sicherlich besser gewesen, wenn schon um die Jahrhundertwende ein adäquates repräsentatives Eckgebäude hingestellt worden wäre. Die Idylle wäre zwar auch dahin, aber wenigstens vom ästhetischen Gesichtspunkt her würde diese Ecke dann heute nicht so verschmuddelt wirken - die umgebenden Gründerzeitpalais (vor allem Marc AUrel Straße 5) sind dafür erste Sahne.

    Wenn die Unesco Wien nicht bald wegen der schlimmen Baupolitik die Aberkennung des Titels androht, dann...und eine Aberkennung des Titels wird sich eine Stadt wie Wien nie erlauben, dass ist sicher.

  • Ich bin da ganz bei "zeitlos" und "ursus" - der Zustand war schmudelig, aber mit einer Sanierung wären beide Häuser Schmuckstücke gewesen.

    Weiters geht es ja um die Geschichte die eine Stadt ausatmet und die wir von ihren Gebäuden manifestiert - hier dies zu diesem Ensemble:

    Beide Häuser sind im Kern mittelalterlich gewesen! Das im Vordergrund stehende trug den Namen "Zur alten Presse", wurde erstmals 1492 erwähnt, da sich in den Erdgeschossräumen eine Weinpresse befand - daher die Namensgebung - in der die Bauern des Umlandes, Ihre Trauben zum Pressen brachten! Im 16. und 17 Jahrhundert wurden beide umgebaut.

    Jeder der die Marc Aurelstraße vom Donaukanal schon hinaufgegangen oder - gefahren ist, weiß wie exponiert diese Stelle ist, da ein ganz schöner Geländeanstieg vom Donaukanal zum Hohen Markt überwunden werden muß, sodaß diese Ecke jeden Betrachter ins Auge sticht - quasi wie auf einem Präsentierteller sich das jeweilige Gebäude an dieser Stelle darstellt.

    Noch dazu hat es vorzüglich zur barocken Verbauung im Anschluß gepasst und stand im ältersten Teil der Innenstadt auf dem Gebiet des alten Legionärslagers.

    Beide Häuser standen unter Denkmalschutz!
    Trotzdem beantragten die Eigentümer einen Abriß wegen Baufälligkeit! 3 Gutachter von der TU Wien stellten genau das Gegenteil fest. Die Eigentümer griffen zu Selbsthilfe und ließen im Herbst 1961 das Dach abdecken! Damit sahen sich die Einwohner gezwungen auszuziehen und die Baufälligkeit wurde damit erzielt mit der anschließenden Demolierung 1962!

    Es gab selbst und den Architekten damals kritische Stimmen und es wurde Anzeige erhoben. Die Baugesellschaft mußte 8.000,-- Schilling (ca gute 1.000,-- DM) für ihr Vorgegen zahlen. Was für ein Lehrgeld für Spekulaten!

    Es darf nie vergessen werden, dass die Kunst eines Landes der Wertmesser nicht allein seines Wohlstandes, sondern vor allem auch seiner Intelligenz ist

  • Im Strang "Historismus in Wien" wurde über folgende Stadtsituation schon mal diskutiert:

    ""Der Mattonihof (Tuchlauben 12) wurde 1885 von Gustav Korompay anstelle des alten Musikvereinsgebäudes gebaut und zwar für Heinrich von Mattoni. Den Namen Mattoni kennt in Tschechien jedes Kind – an der Autobahn stehen immer wieder riesige Adler, die für das gleichnamige Mineralwasser werben."

    Die Situation stellt sich wie folgt dar:

    In der Mitte sehen wir besagten Mattonihof, dessen linke Gebäudeseite in der Tuchlaube steht und die rechte, verbunden mit dem Erker, in der Brandstätte!

    Gleiche Situation vor 120 Jahren:

    Was hat sich verändert?
    1. Der Straßenverlauf! Früher gab es keine Straße - also die Brandstätte - hier, sondern die Häuser bildeten einen einheitlichen Block vom Beginn bei der Peterskirche (Kühfußgasse) bis zur Landskrongasse.

    2. das Musikvereinshaus wurde wie besprochen zugunsten des Mattonihofs 1885 abgebrochen sodaß sich das ganze erstmals wie folgt darstellte:

    man hatte also 1885 nicht nur den alten Musikverein abgerissen, sondern auch das anschließende schmale Giebelhaus!

    Den Straßendurchbruch hatte man aber noch nicht durchgeführt. Ihm standen noch 2, wie ich finde, sehr qualitätsvolle Altbauten im Weg. Das Giebelhaus war wie die Aufschrift besagt sogar aus den Anfänge des 17. Jahrhunderts:

    reicher Fassadenschmuck und einen Giebelabschluß, den ich heute nur noch aus deutschen Städten kenne! Schade um diese malerischen Häuser! Sie würden auch heute noch zu einem schönen heimeligen Straßenensemble beitragen!

    Es darf nie vergessen werden, dass die Kunst eines Landes der Wertmesser nicht allein seines Wohlstandes, sondern vor allem auch seiner Intelligenz ist

  • @Schlosshof

    Sehr nette Aufarbeitung der Geschichte des Mattoni-Hofs!

    Weil ich das Haus sehr gut kenne, spendiere ich an dieser Stelle auch ein paar Bilder von mir aus dem Inneren des Hauses dazu:

  • Exilwiener
    Danke, ja ich hab schon beim letzten Fotostream über den Mattonihof gesehen, das du gute Beziehungen hast in dieses Haus, da du sogar Fotos von der Dachlandschaft dort liefern konntest

    Heute greife ich wieder einen älteren Beitrag von ursus in Stream "ALT WIEN - WAS BLIEB" auf: dort ging es um die fast lückenlose Altstadtbebauung in der Bäckerstraße:


    Bäckerstraße 18

    Wo ist da ne Lücke?

    Eine Lücke vom geschlossenen Altwienbestand in der Bäckerstraße! Eigentlich auch keine Augenbeleidigung an sich, wenn man nicht die folgende Gedenktafel Im Hausflur liest:

    und so sah das ganze wie folgt aus:

    Im Vergleich kein Vergleich! Ein mittelalterliches Haus mit Renaissancefassade - Schade!
    Trotz Geschichtsbewußtsein - siehe Tafel - zählte damals auch nur der Ertrag! Und es ist halt ein Unterschied, ob mir als Besitzer 3 Stockwerke oder 5 Ertrag bringen - Geld regiert die Welt!

    Es darf nie vergessen werden, dass die Kunst eines Landes der Wertmesser nicht allein seines Wohlstandes, sondern vor allem auch seiner Intelligenz ist