• Veröffentlichungen über die historische Entwicklung Ulms erwähnen grundsätzlich die Zahl von 81%, wenn es um die Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg geht. Diese Zahl bezieht sich nur auf die Altstadt, die in Ulm auch heute noch gut abzugrenzen ist. Die Gesamtzerstörung der Stadt wird mit 50 - 70% angegeben.

    Quellen:
    http://www.ulm.de/kultur_tourism…3,4236,3792.htm
    http://www.landesdenkmalamt-bw.de/nachrichtenbla…2-1-021-032.pdf

    Im Dokument des Landesdenkmalamtes ist auch eine (leider sehr unscharfe) Karte gezeigt, die das Ausmaß der Zerstörung vor Augen führt (Seite 24). Insbesondere der Bereich zwischen Münster und Bahnhof (im Westen, also am linken Kartenrand) wurde nahezu völlig vernichtet.

    Die meisten historischen Bauten in Ulm sind eher schlicht gehalten und enttäuschen zuweilen diejenigen, die eine große Prachtentfaltung erwarten (Auch Mozart soll die Stadt bei seiner Durchreise überhaupt nicht gefallen haben.) Das alte Ulm hat wohl vor allem durch seine Ensemblewirkung überzeugt, die natürlich völlig verloren gegangen ist:

    Leider wurden die besonders repräsentativen Straßenzüge (Bahnhofstraße / Hirschstraße; Münsterplatz, Frauenstraße, Olgastraße) weitgehend zerstört. Der Wiederaufbau ist differenziert zu beurteilen: Zum einen wirken die Nachkriegsbauten oft bieder und zweitklassig. Man vergleiche mal Aufnahmen des Münsterplatzes:

    1938:

    2006:

    Die gesamte westliche Innenstadt ist eine Katastrophe. Auch war die Anlage der Neuen Straße ein großer Fehler, an dem die Stadt bis heute leidet. Trotzdem muß man zum anderen anerkennen, daß die Architektur der Stadt bis heute wesentliche Identifikationspunkte bietet und sich viele Neubauten unauffällig ins Gesamtbild fügen.

    Antiquitus
    So sahen die Dachgauben des Kornhauses aus:

    Zum Vergleich noch einmal der heutige Zustand:

    Das Haus wurde innen nicht wiederhergestellt, dort befindet sich heute ein belangloser Konzertsaal. Man muß froh sein, daß das Haus in seinen äußeren Konturen erhalten geblieben ist und somit einer Rekonstruktion grundsätzlich nichts im Wege steht. Man müßte wohl erst einmal herausfinden, wie die oberen Stockwerke heute genutzt werden.

  • Mozart: Ulm bestand zur Zeit seiner Durchreise wohl fast ausschließlich aus mittelalterlichen Häusern und Häuschen, die damals sicherlich in Mode waren. Nicht mal die Türme des Münsters waren fertig. Kann mir gut vorstellen, dass Ulm vor 200 Jahren sehr gestrig gewirkt haben muss, da ja auch kaum Gebäude der Baustile nach 1600 zu finden sind.

    Heutige Besucher, Touristen, empfinden Ulm (mit den erhaltenen mittelalterlichen Fachwerkhäusern) aber vielleicht auch deshalb als sehr schön. Das nahe Augsburg mit einer größeren und viel großflächiger erhaltenen Altstadt schneidet viel schlechter ab, da man dort kein unverputztes Fachwerk bestaunen kann und prägende Bauwerke vom Ausmaß des Ulmer Münsters fehlen.

    Candidus: Gab es in der westlichen Innenstadt um die Hirschstraße, den Bahnhof und die Olgastraße herum nicht vorwiegend Gründerzeitbebauung? Weißt du wie das mit den Flächen nördlich der Innenstadt aussieht? Habe dort mal geparkt und war erstaunt, dass dort so viele Nachkriegsgebäude waren obwohl das Straßenraster klar gründerzeitlich war?

  • Zitat von "Antiquitus"

    Wie war das eigentlich: die meisten alten Häuser sind verputzt, obwohl es sich bestimmt um Fachwerkhäuser handelt. Weißt du, wann sie ungefähr verputzt wurden?
    Vielleicht könnte man ja noch das eine oder andere Fachwerk freilegen - es mag Geschmackssache sein, aber zumindest mir gefallen freiliegende Gewerke besser als bloße Verputzung. :)

    Was die Verputzung bzw. Freilegung von Fachwerk angeht, würde ich auch gerne einmal aufgeklärt werden. Auf Vorkriegsaufnahmen sind viele verputzte Fachwerkhäuser zu sehen - vor allem die großen Häuser an den Hauptstraßen. Manche kleine Häuser, v.a. im Fischerviertel, präsentieren dagegen ihr Fachwerk. Mir ist nicht bekannt, wie die Häuser "ursprünglich", also unmittelbar nach der Erbauung, aussahen. Ich könnte mir jedoch denken, daß die Verputzung über viele Jahrhunderte hinweg als Zeichen des Wohlstandes galt und wir erst in den letzten Jahrzehnten freigelegtes Fachwerk als schön und "authentisch" empfinden. Ich persönlich kann mit einer Mischung aus freigelegtem und verputztem Fachwerk gut leben. Nur verputzte Fassaden zu haben wäre sicherlich zu eintönig.

  • Zitat von "faber"

    Mozart: Ulm bestand zur Zeit seiner Durchreise wohl fast ausschließlich aus mittelalterlichen Häusern und Häuschen, die damals sicherlich in Mode waren. Nicht mal die Türme des Münsters waren fertig. Kann mir gut vorstellen, dass Ulm vor 200 Jahren sehr gestrig gewirkt haben muss, da ja auch kaum Gebäude der Baustile nach 1600 zu finden sind.

    Schon im 16. Jahrhundert begann der Niedergang Ulms, der sich nach 1600 noch beschleunigte. Barockes und klassizistisches findet man deswegen sehr wenig in Ulm. Ein erneuter Aufschwung setzt erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Die um 1400 festgelegten Grenzen der Stadt, die noch heute sichtbar sind, wurden ja auch erst im 19. Jahrhundert zu eng.

    Zitat von "faber"

    Heutige Besucher, Touristen, empfinden Ulm (mit den erhaltenen mittelalterlichen Fachwerkhäusern) aber vielleicht auch deshalb als sehr schön. Das nahe Augsburg mit einer größeren und viel großflächiger erhaltenen Altstadt schneidet viel schlechter ab, da man dort kein unverputztes Fachwerk bestaunen kann und prägende Bauwerke vom Ausmaß des Ulmer Münsters fehlen.

    Die prächtige Maximilianstraße in Augsburg ist schon ziemlich einzigartig in Deutschland. Auch Rathaus und Schaezler-Palais sind nicht zu verachten. Wahrscheinlich ist ein Teil der Erklärung auch, daß Städte wie Ulm und Regensburg ihre Hochzeit schon sehr früh hatten (13.-15. Jh.), Augsburg und Nürnberg dagegen etwas später, so daß sie eher von Renaissance (und teilweise Barock) geprägt sind.

    Zitat von "faber"

    Candidus: Gab es in der westlichen Innenstadt um die Hirschstraße, den Bahnhof und die Olgastraße herum nicht vorwiegend Gründerzeitbebauung? Weißt du wie das mit den Flächen nördlich der Innenstadt aussieht? Habe dort mal geparkt und war erstaunt, dass dort so viele Nachkriegsgebäude waren obwohl das Straßenraster klar gründerzeitlich war?

    Der Bereich um den Bahnhof und die Olgastraße als Grenzbereiche zwischen Alt- und Neustadt waren von Gründerzeitbauten geprägt, ebenso die darüber hinaus gehenden Bereiche (noch heute teilweise erhalten: Weststadt mit Wagnerstraße, Oststadt mit König-Wilhelmstraße). Auch das Gebiet zwischen Olgastraße und Karlstraße war wohl von Bauten des 19. Jahrhunderts geprägt. Ich bin mir nicht sicher, würde aber vermuten, daß die Bebauung dort etwas früher erfolgte und sich insgesamt eher uneinheitlich darstellte.

    Von dieser Bebauung außerhalb oder am Rand der Altstadt abzgrenzen sind die Gründerzeitbauten innerhalb der Altstadt. Hierzu zählen beispielsweise einige Häuser in der Herrenkellergasse:

    Man muß davon ausgehen, daß dafür nicht unbedeutende alte Bebauung abgerissen wurde. Diese Entwicklung, die schon an anderer Stelle im Forum diskutiert wurde, war in den Hauptgeschäftsstraßen (z. B. Hirschstraße) und am Münsterplatz natürlich noch viel ausgeprägter. Bei dem zitierten Zerstörungsgrad von 81% sind diese innerhalb der Altstadt gelegenen Gründerzeitbauten natürlich inbegriffen.

    Hier handelt es sich wohl um die Hirschstraße (nicht Storchstraße) mit Bauten aus verschiedenen Epochen (Totalverlust):

    Die originellen Giebelbauten auf der linken Straßenseite stammen ursprünglich aus dem 16. Jahrhundert, später wurden die Giebel barockisiert. Gründerzeitbauten waren wohl eher zum Münsterplatz oder Bahnhof hin lokalisiert.

    In der Walfischgasse durchgehend vorgründerzeitliche Bebauung (Totalverlust):

  • Solche Neubauten haben das Stadtbild von Ulm zumindest teilweise erhalten:

    Die Karte der Landesdenkmalamt ist echt heftig. Sind alle Altbauten wirklich drauf oder nur die Denkmalgeschützten? Sollten es alle Altbauten sein, ist der Wiederaufbau echt erstaunlich.

    Auch hier sind die meisten Häuser Neubauten (fügen sich aber gut ein):

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Mich hat die Angabe von 81% Zerstörungsgrad in der Altstadt auch immer irritiert. Von meinen beiden Ulm-Aufenthalten her hatte ich den Eindruck einer allenfalls zu 40 - 50% zerstörten Altstadt.
    Allerdings ist mir auch nicht ganz klar, wie solche Zerstörungsgrade berechnet wurden - ging das nach der Zahl der Bauten, nach bebauter Fläche oder nach Wohnraum? Und wie wurden die unterschiedliche Zerstörungsgrade der Bauten einberechnet?
    Wenn sich der Zerstörungsgrad nicht nach der Zahl der Bauten, sondern nach dem zerstörten Wohnraum berechnen würde, dann würde es Sinn machen, daß die Altstadt insgesamt gar nicht so stark zerstört wirkt, wie 81% eigentlich wirken müssten. Wenn nämlich vor allem die schon stark gründerzeitlich überformten Prachtstraßen zwischen Bahnhof und Münster betroffen waren, dann dürften die, weil sie wahrscheinlich sehr viel Wohnraum aufwiesen, sehr stark ins Gewicht gefallen sein, während die unzerstörten kleinen Handwerkerhäuschen im Fischerviertel und den östlichen Altstadtbereichen wohl wenig Wohnraum boten.
    So ließe sich jedenfalls erklären, daß dem ersten Eindruck nach deutlich mehr Bauten erhalten zu sein scheinen als nur 19%.

  • Im Buch "Kriegsschicksale deutscher Architektur" ist auch von 80 Prozent Zerstörungsgrad die Rede, und auch davon, dass durch den Wiederaufbau noch einiges wiederaufbaufähiges vernichtet wurde. Die Schadenskarte zeigt an erhaltenen Bauten vor allem das Viertel nördlich des Münsters, das südliche Altstadtviertel und das nordöstliche Altstadtviertel. Westlich des Münsters war bis auf eine Handvoll Bauten alles zerstört.

    Ich weiß nicht, wie das mit dem Copyright aussieht, sonst kann ich die Schadenskarte ja mal einscannen.

  • Vielleicht waren 80 procent alles Häuser beschädigt, aber das bedeutet nicht dass nicht alles wäre abgerissen oder völlig zerstört.

  • Erstaunlich!
    Ist das das Ulm, das mich vor wenigen Wochen so enttäuscht hat?
    Außerhalb des Fischerviertels fand ich die Stadt ziemlich schmuddelig, billig und hässlich. (auch die Randbezirke)
    Diese ganzen erhaltenen Viertel müssen denkbar ungünstig liegen, so dass sie der schnelle Touri,
    der sich gen Münster aufmacht, kaum wahrnimmt.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Zitat

    Diese ganzen erhaltenen Viertel müssen denkbar ungünstig liegen, so dass sie der schnelle Touri,
    der sich gen Münster aufmacht, kaum wahrnimmt.

    Genau das ist es: die zerstörten und eher bescheiden wiederaufgebauten Viertel bilden die Hauptachse der Stadt zwischen Bahnhof und Münster, die unzerstörten Viertel liegen abseits der Hauptachsen (jedenfalls soweit ich mich an meine beiden Ulm-Aufenthalte vor 10 Jahren erinnere).

  • Die Schadensbilanz Ulms wurde getrennt nach Stadtbezirken durchgeführt, deswegen möchte ich zunächst einige Worte zur Stadtgeographie verlieren.

    Von größtem Interesse ist der Bezirk "Altstadt", der die auch heute noch klar umrissene mittelalterliche Altstadt umfaßt. Dieser Bereich ist relativ groß für eine Stadt der Größe Ulms - die Altstadt dürfte in etwa die Hälfte der Fläche der Altstadt Nürnbergs einnehmen. Zur Innenstadt kann man neben diesem Bezirk auch noch die "Neustadt", den Bereich nördlich der Olgastraße, rechnen; diese war und ist bis heute jedoch im wesentlichen ein Wohngebiet mit einigen gewerblichen Einrichtungen und von nachrangiger Bedeutung. Der eigentliche Geschäftsbereich befand sich in der Altstadt, vor allem in der in ost-westlicher Richtung verlaufenden Hirschstraße zwischen Bahnhof (am westlichen Rand der Altstadt) und Münster (in der Mitte der Altstadt) und am Münsterplatz. Ein konkurrierender Bereich war die in nord-südlicher Richtung verlaufende Frauenstraße, die heute die östliche Begrenzung der eigentlichen Innenstadt, nicht jedoch der Altstadt bildet. Östlich davon liegt das Viertel "Auf dem Kreuz", auch Unterstadt genannt, das heute im wesetnlichen ein Wohngebiet ist. Sowohl Hirschstraße, Münsterplatz als auch Frauenstraße wurden völlig zerstört.

    So stellt sich die Frauenstraße heute dar (Blick nach Norden):

    Wie wurde nun der Zerstörungsgrad von 81% berechnet?

    Zunächst wurden die einzelnen Häuser verschiedenen Schadensgraden zugewiesen, der anhand des Ausfalls an umbautem Raum bestimmt wurde:

    A. 0% - nicht beschädigt
    B. 1-30% - leicht beschädigt
    C. 31-50% - mittel beschädigt
    D. 51-80% - schwer beschädigt
    E. 81-100% - total zerstört

    Zur Berechnung des Schadensindex eines Bezirkes wurden den fünf verschiedenen Klassen mittlere Prozentzahlen zugeordnet:

    A. 0%
    B. 15%
    C. 50%
    D. 65%
    E. 100%

    Dann wurde einfach der Mittelwert der Prozentzahlen aller Gebäude in dem betreffenden Bezirk gebildet. Ausschlaggebend ist also die Zahl der Gebäude, nicht die Baumasse.

    Als Beispiel hier die Berechung für die Altstadt:

    Gebäude gesamt: 3163 (100%)

    A. 47 (1,5%)
    B. 555 (17,5%)
    C. 88 (2,7%)
    D. 95 (3%)
    E. 2378 (75,3%)

    Schadensindex = (47*0 + 555*15 + 88*50 + 95*65 + 2378*100) / 3163, also 81%. Man sieht, daß der Schadensindex im wesentlichen zustande kommt durch die 75,3% total zerstörten Häuser.

    Für die Neustadt (1032 Häuser) beträgt der Schadensindex 63,3%, für die Gesamtstadt 54,3%, wobei hier auch ziemlich ländliche, wenig zerstörte Vororte einfließen. Die Karte des Landesdenkmalamt zeigt also ein realistisches Bild. Was wir heute von Ulm sehen, sind nur klägliche Reste einer einst stolzen Stadt.

    Einige wichtige Bauten wurden wiederhergestellt, so z. B. das Kornhaus, von dem nur noch die Umfassungsmauern standen. Viele - viel zu viele - stadtbildprägende Bauten wurden nicht wiederhergestellt. Dazu gehören der Hauptbau des Zeughauses, mittelalterliche Pfleghöfe von Klöstern und fast der gesamt Bestand an Patrizier- und Kaufmannshäusern. Die meisten Straßenzüge sind bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, Ensembles nicht mehr verstehbar. Bis 1970 wurden noch Baudenkmäler abgerissen, zuletzt die Frauenstraße 21, ein spätgotischer Fachwerkbau, der durch einen Supermarkt ersetzt werden mußte.

    Es ist seltsam, daß die Zerstörung Ulms seinen heutigen Bewohnern nicht wirklich bewußt ist. Die meisten meinen wohl, der Münsterplatz habe schon immer so bieder ausgesehen, die Frauenstraße so schmuddelig, die Hirschstraße so gesichtslos. Fast niemand weiß noch etwas von der "Oberen Stube", einem einzigartigen, originellen Renaissancebau, der den Platz nordöstlich des Rathauses gestaltete. Es ist nur logisch, daß bei der Neubebauung dieses Areals im Zuge der Neugestaltung der Neuen Straße eine Rekonstruktion nicht einmal erwähnt wurde.

  • Aber dennoch scheint man in den 80er und 90er Jahren sehr viele lückenfüller errichtet zu haben. Z.B. Am Marktplatz und im Fischerviertel stehen viele Putzbauten mit steildächer. Ähnliches gilt für die Viertel nördlich des Münsters. Dort ist der Wiederaufbau ganz gut gelungen (siehe meine Beispiele oben).

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Zitat von "Däne"

    Aber dennoch scheint man in den 80er und 90er Jahren sehr viele lückenfüller errichtet zu haben. Z.B. Am Marktplatz und im Fischerviertel stehen viele Putzbauten mit steildächer. Ähnliches gilt für die Viertel nördlich des Münsters. Dort ist der Wiederaufbau ganz gut gelungen (siehe meine Beispiele oben).

    Ja, es gibt durchaus solche Beispiele. Ich gestehe ein, daß sich diese besser ins Stadtbild einfügen als die oben gezeigten Fünfzigerjahre-Billigzeilen in der Frauenstraße. Viele dieser Füllbauten sind aber auch einfach nur eintönig und langweilig. Das Problem tritt dann zutage, wenn die Füllbauten überwiegen; und genauso ist es doch an vielen Stellen: Es gibt viel zu wenige Leitbauten, die das Stadtbild prägen und nicht nur nicht stören. Vielleicht mache ich mal ein paar Bilder von der Umgebung des Salzstadels, dann wird klarer, was ich meine.

    Das oben angesprochene Haus in der Herrenkellergasse ist allerdings, soweit ich weiß, kein wirklicher Neubau, sondern ein (weitgehend gelungener) Umbau eines nicht kriegszerstörten, allerdings eher bescheidenen Hauses.

    Hast Du schon einmal Vorkriegsbilder von Ulm gesehen? Die meisten davon sind übrigens nicht im Netz, aber es gibt ein paar schöne Bildbände. Man muß sich aber genau überlegen, ob man das wirklich tun möchte: das Verlustgefühl und der Schmerz sind sehr groß.

  • Zitat

    Es ist seltsam, daß die Zerstörung Ulms seinen heutigen Bewohnern nicht wirklich bewußt ist. Die meisten meinen wohl, der Münsterplatz habe schon immer so bieder ausgesehen, die Frauenstraße so schmuddelig, die Hirschstraße so gesichtslos. Fast niemand weiß noch etwas von der "Oberen Stube", einem einzigartigen, originellen Renaissancebau, der den Platz nordöstlich des Rathauses gestaltete.

    Das ist ja überhaupt eines der großen Probleme, die auch und gerade Rekonstruktionen im Wege stehen: die meisten Menschen wissen gar nicht mehr, wie ihre Städte vor der Zerstörung aussahen und halten das, was heute da ist, für den Normalfall. Wie soll man da überhaupt auf die Idee kommen, etwas zu rekonstruieren?!
    Das ist m.E. vor allem eine Folge der jahrzehntelangen Tabuisierung des alliierten Bombenkriegs. In Städten, in denen der Bombenkrieg nicht verdrängt und tabuisiert wurde und noch ein Bewußtsein von der Vorkriegsstadt besteht, sind Rekonstruktionen i.d.R. viel leichter durchzusetzen als anderswo - siehe Dresden.

  • Danke für die ausführlichen Erläuterungen! :)

    75% totalzerstörte Häuser in der Altstadt, das ist schon tragisch.
    Wahrscheinlich ist es nur deshalb gefüllt etwas weniger, weil es einige erhaltene Inseln gibt.

    Da man in Ulm wie in Nürnberg viel vom alten Stadtgrundriss erhalten hat, lässt sich aber mit Wenig viel erreichen - sollte doch noch irgendwann ein unerwarteter Meinungsumschwung in Ulm kommen... ;)

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Wenn in Ulm wenig Bewusstsein vorhanden ist über die wertvollen Ensembles und Einzelbauten, die heute im Stadtbild fehlen, wäre es vielleicht interessant, wenigstens hier einmal die wichtigsten zusammenzustellen. Es wäre ein Gewinn für die Stadt, wenn die Ulmer selbstbewusster wären und sich die künftige Stadtplanung an den Schönheiten messen müsste, die Ulm einmal hatte - und zum Teil noch hat - statt resigniert die Nachkriegsbausünden hinzunehmen.

  • Stimmt, eine Übersicht über die vielleicht 20 wichtigsten Reko-Objekte in Ulm wäre mal ganz gut.
    Man könnte das mit Bildern und Argumenten untermauern und mal einigen Ulmern Verantwortlichen zukommen lassen.
    Kennt man in Ulm spezifisch historisch interessierte und gewogene Politiker?

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Zitat

    Stimmt, eine Übersicht über die vielleicht 20 wichtigsten Reko-Objekte in Ulm wäre mal ganz gut.
    Man könnte das mit Bildern und Argumenten untermauern und mal einigen Ulmern Verantwortlichen zukommen lassen.
    Kennt man in Ulm spezifisch historisch interessierte und gewogene Politiker?

    Hervorragende Idee!!! Ich hatte auch schon an so was gedacht. Zunächst muß man einfach mal ein Bewußtsein in Bevölkerung und Politik schaffen!
    Candidus, du scheinst dich mit der Ulmer Stadtgeschichte doch sehr gut auszukennen und auch im Besitz des nötigen Bildmaterials zu sein. Hättest du Lust und Zeit, mal so ein Dossier zusammenzustellen?!
    Falls dabei Kosten anfallen würden, würde unser Verein "Stadtbild Deutschland e.V." die wohl übernehmen.
    Ich würde mich allerdings nicht auf 20 Einzelobjekte beschränken, sondern in Anbetracht der besonderen Situation Ulms eher auf Ensembles setzen. Erfahrungsgemäß wirken Vergleichsfotos "vor dem Krieg" - "heute" sehr nachhaltig!

  • Ich habe eben den Thread durchgesehen, wie konnte man diese Bauten zulassen? Die Pyramide ist ja wirklich das allerletzte. Das ist eine weitere Zerstörung des Stadtbildes,

    wann wird das Münster abgerissen ?

  • Mit der Glaspyramide könnte ich gut leben, wenn die Aussicht darauf bestünde, dass einige der suboptimalen Giebelhäuser am Marktplatz einst von historisch wirkenden Häusern abgelöst werden.

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer