Berlin in alten Fotografien

  • Lieber "ursus carpaticus", Du überrascht mich immer mal wieder. Ich hatte jetzt ein in Grund und Boden-Verdammen dieses teils überladenen Historismus erwartet, und dann das


    Das Schönfeldt-Palais zeichnet sich überhaupt durch besondere Qualität aus, einer der wenigen Bauten, die den Eklektizismus konsequent auf die Spitze treiben und dabei Originalität entwickeln. Genialk, wie da Renaissance und Rokoko aufeinanderkrachen. Auch das Mosse-Palais mit dem üppigen Relife als Bekrönung ist äußerst originell.

    Aber, ich sehe es ja genau so. Dieses Schönfeldt-Palais ist mir eigentlich schon zu extrem, aber richtig betrachtet macht das wohl den besonderen Reiz aus.

    Also ich persönlich sehe da einige Reko-Kandidaten. :zwinkern: Jetzt müssen nur noch die richtigen russischen, arabischen oder chinesischen Investoren her, die sich dafür begeistern können. Von der hiesigen Zunft braucht man das nicht mehr zu erwarten.

  • Hoffentlich krieg ich jetzt keinen Verweis, weil ich eine müßige und emotionell nicht mehr bändigbare Diskussion anzettle, aber, erschlagt mich, der Berliner Historismus, wie er sich in diesen Bauten manifestiert, scheint mir herausragend zu sein. Die mir bekannten Dresdner Beispiele, Prager Straße, Ilgenhaus (igitt!), oder König Johann Straße können da allesamt nicht mit. Sogar in Wien tut man sich schwer, bessere Beispiele zu finden, obgleich man da doch ziemlich aus der Masse schöpfen kann - Argentinierstraßen- und Marokkanerviertel sind den Berliner Beispielen mitunter sogar recht nahe.

    Aber das Schönfeldt-Palais kommt mir schon als etwas ganz Besonderes vor.In der Tat gehört es rekonstruiert, als hervorragendes Beispiel seiner Epoche.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Ich glaube, man kann sagen, der Berliner Historismus ist (wie allgemein in Norddeutschland) "ekletischer" als jener in der Donaumonachie. Dadurch sind die Bauten nicht sehr klassisch, andererseits konnte auf diese Art neues, bis dahin unbekanntes, eigenständigeres entstehen, genau wie jenes oben gelobte Palais von Gustav Hochgürtel.
    Der Historismus in Sachsen (Dresden) ist von gewissen Ausnahmen abgesehen viel stärker zitierend, und damit genau wie die Bauten der Donaumonachie viel näher an den großen Vorbildern Südeuropas. Ich persönlich mag die klassische Schiene des Historismus lieber, vielleicht liegt es daran, dass ich ein Fan Italiens bin.

  • @Schloßhof

    Danke für die Bilder! Echt schade darum. Ich möchte lieber nicht wissen, was heute an der selben Stelle steht - wie in Dresden halt. In Wien fallen mir auf Anhieb auch ein paar Gebäude ein, die es mit den gezeigten "aufnhemen" könnten und die noch stehen: Palais Sturany, Habig Hof, Equitable Haus, Margaretenhof, etc.

  • Exilwiener
    Von den genannten kennen ich nur das Equitable Haus am Stock im Eisenplatz (wundervolles Entree, Vestibül, Stiegenhaus und Hofbereich mit verschiedenfarbigen Marmor) und den Margaretenhof. Die anderen beiden kenne ich zu meiner Schande nicht :peinlich:

    Habe wieder was für Freunde des Historismus im Archiv der ONB gefunden - viel Spaß:


    schaut mir eher aber nach Geschäftshaus aus - Schaufensterfront!


    Schön mit diesen Vorgärten dazu!

    Es darf nie vergessen werden, dass die Kunst eines Landes der Wertmesser nicht allein seines Wohlstandes, sondern vor allem auch seiner Intelligenz ist

  • Es folgt eine Auswahl von Fotografien beachtenswerter Gründerzeitbauten, welche ich aus dem Bereich der Friedrichstadt zusammengestellt habe.

    Hinter der Katholischen Kirche 2, Preußische Bodenkreditbank; heute Standort des Magazingebäudes der Staatsoper (nicht erhalten).

    Behrenstraße 39, Dresdner Bank (verändert erhalten).

    Behrenstraße 55-57 - streng genommen Dorotheenstadt - Hauptportal des Theaters unter den Linden; heute Standort der Komischen Oper (nicht erhalten).

    Behrenstraße 1-2, Meininger Bank/Mitteldeutsche Kreditbank (nicht erhalten).

    Französische Straße 53-54, Bankverein Schaaffhausen (nicht erhalten).

    Mauerstraße 37-41, Mittelbau des Hauses der Victoria-Versicherung (drastisch verändert erhalten).

    Jägerstraße 9 (stark verändert erhalten).

    Jägerstraße 52, Wohn- und Bankhaus der berühmten Familie Mendelssohn (nicht erhalten).

    Taubenstraße 46, Geschäftshaus (drastisch verändert erhalten).

    Taubenstraße 12 - Ecke Friedrichstraße, Tucher-Brauereihaus (nicht erhalten).

    Mohrenstraße 36, Geschäftshaus (stark verändert erhalten).

    Mohrenstraße 57 (nicht erhalten).

    Kronenstraße 27, Geschäftshaus (nicht erhalten).

    Kronenstraße 28, Geschäftshaus (nicht erhalten).

    Leipziger Straße 25 (alt), das damals berühmte Weinhaus Kempinski (nicht erhalten).

    Leipziger Straße über die Kreuzung Friedrichstraße nach Osten.

    Leipziger Straße 43/44 (alt), Geschäftshaus (nicht erhalten).

    Leipziger Straße 84-88 (alt), Häuserzeile (nicht erhalten).

    Leipziger Straße 107 (alt), Geschäftshaus Henninger (nicht erhalten).

    (bereits weiter oben von Schlosshof gezeigt)

    Leipziger Straße 108 (alt), Geschäftshaus Brühl (nicht erhalten).

    (bereits weiter oben von Schlosshof gezeigt)

    Leipziger Straße 114 (alt), Geschäftshaus Löwenberg (nicht erhalten).

    Leipziger Straße 117/118 (alt), Kaufhaus Hohenzollern (nicht erhalten).

    Leipziger Straße 121 (alt), Wohnhaus (nicht erhalten).

    Friedrichstraße 41, Café Friedrichshof (nicht erhalten).

    (hatte ich bereits mal weiter oben gezeigt)

    Friedrichstraße 50/51 (nicht erhalten).

    Friedrichstraße 59/60 - Ecke Leipziger Straße, Haus der Equitable-Versicherung (nicht erhalten).

    Friedrichstraße 181, Geschäftshaus (nicht erhalten).

    Friedrichstraße 180, Tucher-Brauereihaus (nicht erhalten).

    (bereits oben zu sehen auf der Ansicht von der Taubenstraße)

    Friedrichstraße 176 - Ecke Jägerstraße, Weihenstephan-Brauereihaus (nicht erhalten).

    Friedrichstraße 172, Spaten-Brauereihaus (nicht erhalten).

    Friedrichstraße 78 - Ecke Französiche Straße, Geschäftshaus (nicht erhalten).

    Friedrichstraße von der Französischen Straße nach Norden.

    Sämtliche Bilder sind aus der Zeit kurz vor und um das Jahr 1900 und somit nach menschlichen Maßstäben gemeinfrei.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • bei den Geschäftshäusern Mohrenstrasse und Kronenstrasse sieht man doch wieder sehr schön, wie relativ simpel es ist eine Glasfassade mit ein paar architektonischen Details zu einem edeln Gebäude zu machen. Sowas sollte heute auch keine grössere Schwierigkeit sein. ... sollte...

  • Was da alles an Pracht verloren ging, man will es am liebsten gar nicht wissen und sehen. Ich kann mir keine grandiosere Metropole vorstellen als das Vorkriegs-Berlin mit dieser überwältigenden Menge an eindrucksvollen Gebäuden. Nur noch ein Bruchteil davon existiert, es ist eine andere Stadt geworden, und selbst viele heutige Berliner wissen wohl gar nicht mehr von dem architektonischen Reichtum von einst. Vielleicht ist Ahnungslosigkeit hier auch besser, was man nicht kennt vermisst man auch nicht.

    In dubio pro reko

  • @ F 41: Der Kaiserpalast lässt grüßen.

    Ansonsten ist es wie immer: Das Schönste ist weg, eher durchschnittliche Bauten sind in vereinfachter Form erhalten. Die alte Leipziger und Friedrichstraße sind für mich der Inbegriff von Urbanität. Die selbstverständliche Rekonstruktion von Historismusbauten ist und bleibt leider utopisch.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Wow... Berlin mag vielleicht damals insgesamt nicht so bombastisch wie ein Paris oder ein Wien angelegt worden sein...aber dieses kleinteilige Chaos von einer prachtvollen (teils echt überladenen) Fassade an der anderen muss schon ein Erlebnis für sich gewesen sein. In Paris schaust du einen Boulevard entlang und die Fassaden sind so gut wie alle identisch. Hier bekam man wohl damals einen visuellen Overkill. XD Es ist so unglaublich schade, dass davon so gut wie nichts mehr vorhanden ist! Das architektonische Klischee der Stadt hat sich dermaßen stark geändert, es ist praktisch gar nicht mehr die selbe Stadt. Ende des 19. Jahrhunderts war Berlin eine riesige zuckergussüberladene Hochzeitstorte...nun ist es ein trockener Marmorkuchen...

  • Hier noch ein paar tolle Kompositionen:

    Hier noch ein Detail zu Friedrichstraße 78 - Ecke Französische Straße war das sogenannte GERMANIAHAUS:


    Interessant finde ich die schon damals sprossenlosen Fenster! Eher eine Seltenheit damals!


    erinnert mich stark an das Palais Rothschild/Heugasse in Wien

    Es darf nie vergessen werden, dass die Kunst eines Landes der Wertmesser nicht allein seines Wohlstandes, sondern vor allem auch seiner Intelligenz ist

  • @Schlosshof

    Wenn beim Palais Pless keine Beschriftung dabei wäre, dann hätte ich auch sogleich an das Palais Rothschild gedacht! Im Foyer der AK sind einige Bilder/Ansichten des alten Palais angebracht. Ich war selber noch nie drinnen, aber da ich fast täglich dort vorbeifahre, sehe ich die schwarz/weiß Bilder durch die Fensterscheiben.

  • Ja das war ein Palais - leider kenne ich nur wenige Bilder davon - also mal schaun, ob mich mal mein Weg dort vorbei führt!
    Interessant find ich die Geschichte der Persönlichkeiten dazu wie z. B. die es Fürsten Pless:

    "Er war als Sohn von Graf Hans Heinrich X. von Hochberg der zweite Fürst von Pleß. Im Jahr 1905 wurde er von Kaiser Wilhelm II. für seine Person zum Herzog von Pleß erhoben. Er war als Der Alte oder Der alte Herzog bekannt.

    In den Jahren 1850 bis 1856 diente Hochberg in der preußischen Armee, danach übernahm er die Verwaltung der Familiengüter. Er war Oberstjägermeister unter den Kaisern Wilhelm I. und Wilhelm II. Aufgrund seiner Verdienste im jagdlichen Bereich wird das Jagdhorn auch Fürst-Pless-Horn genannt.

    Er war ab 1863 Mitglied des Preußischen Herrenhauses. In den Jahren 1867 bis 1884 war er als Abgeordneter der Reichs- und Freikonservativen Partei auch Abgeordneter im Reichstag. 1890 wurde er Mitglied des preußischen Staatsrats.


    Palais Wilhelmstraße1873 bis 1875 ließ er sich in Berlin-Mitte, Wilhelmstraße 78 zur Voßstraße 2 unmittelbar neben Otto von Bismarcks Reichskanzlei von einem französischen Architekten eine kleine Palastanlage im französischen Stil bauen, also etwa dem Louvre und den Loire-Schlössern (wie Amboise) erkennbar nachempfunden. Dies erregte in Berlin so kurz nach dem Deutsch-Französischen Krieg großes Aufsehen und Unverständnis. Wegen der zahlreichen Kamine auf dem Dach nannten die Berliner es die „Schornsteinfegerakademie“." laut WIKIPEDIA

    Es darf nie vergessen werden, dass die Kunst eines Landes der Wertmesser nicht allein seines Wohlstandes, sondern vor allem auch seiner Intelligenz ist

  • Das Palais des Fürsten Pleß besaß aufgrund des schmalen Baugrunds nur einen rechten Flügel, während es links bereits direkt and das Palais Borsig grenzte.

    Hier sehr gut zu sehen, im Vordergrund das Denkmal des GFM von Schwerin am Wilhelmplatz:

    Bild von Rückwardt, gemeinfrei

    Eine weitere Ansicht:

    Bildquelle: bildindex der Kunst und Architektur

    Das Palais Pleß wurde bereits 1913 abgebrochen und nach dem Krieg wurde das Grundstück erst bis 1930 mit dem einfallslosen Erweiterungsbau der Alten Reichskanzlei bebaut.
    Hier ist letzterer zu sehen im Jahr 1939 und bereits mit den Speer'schen Zutaten "Führerbalkon" und der Tordurchfahrt zur Neuen Reichskanzlei versehen:

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Ende des 19. Jahrhunderts war Berlin eine riesige zuckergussüberladene Hochzeitstorte...nun ist es ein trockener Marmorkuchen...

    Was für eine wunderbare Metapher. Ich schließe mich ausdrücklich an.


    Erinnert ein wenig an das Palais de Saxe in Dresden:


    So - und nun ist es wieder einmal soweit: Entweder jemand erfindet bald eine Zeitmaschine und ich buche Urlaub im Jahr 1900 in Deutschland oder (und das wird es leider werden) ich guck mir solche Bilder ein ganze Weile lang nicht mehr an. Das ist derart frustrierend auf welchem Niveau die Baukunst heutzutage größtenteils angekommen ist.
    Sagt ja in direktproportionaler Weise vieles über den Intelligenzzustand dieser heutigen Gesellschaft aus.

    Einmal editiert, zuletzt von Henry (19. September 2011 um 22:30)