Berliner Schloss - architektur- und kunstgeschichtliche Aspekte

  • Ich denke, irgendwann wird man sich an der modernen Stella-Fassade sattgesehen haben. Wenn dann gegenüber das historische Marienviertel neu entsteht, kommt vielleicht der Wunsch auf, mit einer Rekonstruktion der Spreefassade das alte Berlin wieder aufleben zu lassen. Somit dient die Stella-Fassade erstmal als Platzhalter, während eine ahistorische Barockfassade vmtl. wesentlich langfristiger aktuell bleibt.

    Leute, findet Euch mit der Stella-Fassade ab. Sie kommt, und wir werden sie auch nicht mehr los, glaube ich. Das Gute ist jedoch, dass die drei Barockfassaden mitsamt der Kuppel erst recht bleiben werden; die wird niemand mehr in Frage stellen, wenn das neue Schloss erst einmal ein paar Jahre steht. Und das ist die Hauptsache.

    Man kann froh und dankbar sein, dass immerhin "so viel Schloss" kommt. Würde stattdessen ein moderner Bau "in der Kubatur des Schlosses" gebaut worden (was ja lange Zeit drohte), eine Art Centre Pompidou in Schloss-Größe, so wäre der Traum vom rekonstruierten Stadtschloss ein für allemal ausgeträumt. Der moderne Bau wäre ruckzuck zu einem "Wahrzeichen" geworden, das "die Berliner" mögen und "das einfach zum Stadtbild gehört" - und fertig, aus. Da wäre nie mehr jemand auf die Idee gekommen, diesen Bau abzureißen und ein Schloß zu rekonstruieren. Mit welchem Geld auch?

    Jetzt hingegen wird es so kommen, dass die (Mehrzahl der) Berliner stolz auf das äußerlich weitgehend rekonstruierte Schloss sein werden, unzählige Besucher werden dort ein- und ausgehen, das Schloss wird ein beliebtes Fotomotiv sein - und niemand wird jemals auf die Idee kommen, das Schloss müsse weg. Das Schloss alias Humboldtforum - mal sehen, welcher Name sich durchsetzt - wird in ein paar Jahren (wieder) zum Stadtbild gehören, als sei es nie weg gewesen. Wie das bereits fertiggestellte Potsdamer Schloss, die Dresdner Frauenkirche, wie die Frankfurter Ostzeile, wie das Knochenhaueramtshaus in Hildesheim und viele andere. Ende gut, (fast) alles gut.

  • Unabhängig von der reinen Ästhetik von Stellas Fassade, ist auch kritisch hervorzuheben, dass die Anbindung, bzw. die Ufergestaltung zur Spree hin nicht überzeugend ist. Und das ist natürlich schade.

    "Wenn wir die ehemalige Schönheit der Stadt mit der heutigen Gemeinheit verrechnen, kommen wir, so die Bilanz, aufs direkteste in den Schwachsinn." (E.H.)

  • Der Wettbewerbsentwurf von Stephan Braunfels in meinen Ablichtungen aus dem Jahr 2008:

    Nachdem mittlerweile der Bau mit Macht voranschreitet, hat Braunfels nun seine überarbeiteten (vollständige Öffnung der Ostseite, Zentrierung des gespiegelten Hauptportals des Schlüterhofs) Visualisierungen und seine Meinung mit Verve in die lokale Presse gebracht.

    Stararchitekt fordert Verzicht auf Ostfassade - Tagesspiegel

    Besser bauen mit Braunfels - Berliner Zeitung

    Architekt fordert radikale Umplanung des Berliner Schlosses - Berliner Morgenpost

    Frust-Architekt findet sein Schloss schöner - B.Z.

    Alles schön und gut, der Entwurf war m. E. damals zu Unrecht nicht weiterverfolgt. Aber: Was soll das denn jetzt? Zudem: Der Vergleich der gedachten Achse mit neuen Längsriegeln à la Rathausstraße und Karl-Liebknecht-Straße mit den Champs Elysées spottet jeder Beschreibung. Weiterhin halte ich die angeblich geringeren Kosten seiner Variante für schlicht behauptet. Schließlich verunmöglicht sein Entwurf wohl die künftige Wiederherstellung des Großen Treppenhauses; immerhin darin hat der Stella-Entwurf sein Gutes.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Die Braunfelssche Idee hatte schon damals, vor sieben Jahren, etwas unerhört Mutiges an sich, passte überhaupt nicht in den deutschen Stadtbau-Alltag (wie schon früher Braunfels' Ideen für München). Aber der Entwurf wurde gewissermaßen zerrieben zwischen den Forderungen derjenigen, die alles so exakt wie möglich rekonstruiert haben wollen, und derjenigen, die gegen alles Rekonstruieren sind. Seine Lösung würde ein zwar nicht historisch korrektes, aber doch integres Schloss in barocken Formen ohne die peinliche modernistische Ostfassade bieten. Natürlich verstößt seine Methode radikal gegen gegenwärtige Dogmen und Grundüberzeugungen, aber gerade darum finde ich sie faszinierend.

  • Von diesen Entwürfen höre ich heute zum ersten Mal...und finde sie phantastisch!
    Ein städtbaulicher Geniestreich, der endlich mal eine Beziehung zur Spree und gleichzeitig auch noch zum Marx-Engels-Forum herstellt.
    Damit, dass der Schlüterhof dabei ahistorisch gespiegelt wird, könnte ich leben.

    Leider wird sich am Bau nichts mehr ändern. Dafür kommt der gute Mann zu spät.

  • Warum muss man denn vom Schlüterhof aus die moderne Tristesse um Rathaus und Fernsehturm sehen können?
    Der Entwurf ginge nur auf, wenn beide Seiten etwas davon hätten.

    Trotzdem: Anerkennung für den Geniestreich, die Schrecken von Zwischenflügel und Ostfassade auf einen Schlag zu neutralisieren :ueberkopfstreichen:

    Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens. - Friedrich Schiller -

  • Es mag für uns gewiss lang erscheinen, doch berücksichtige ich die Kurzlebigkeit einer derartigen Architektur, die zumeist 50 oder 60 Jahre nicht überdauert, so bin ich wiederum nicht verzagt, auch wenn ich das rein biologisch dann nicht mehr erlebe.

    Die Ostfassade "passt" insofern zur durchtränkten Moderne östlich des Berliner Schlosses / östlich des Humboldtforums und wenn jenes dann nach und nach "abgängig" ist, wird auch die Ostfassade abgängig werden.

    Ich denke, so herum wird es klappen.

    Dann, wenn nicht nur die Köpenicker Spree und Dahme seit jeher in ihr Herz geschlossen haben, sondern die Berliner und die Spandauer die Spree auch.

  • Liebe Freunde,

    ich kann mit dem Wettbewerbsentwurf von Stefan Braunfels nichts anfangen, weil ich die fehlende
    Ostfassade bemängele. Das Bauwerk wirkt dann so unvollständig. Sicher kann ich auch mit der "Parkhausfassade"
    von Architekt Stella nichts anfangen, sie wirkt wie ein Klotz am Bein und fügt sich so schlecht in das Gesamtbild
    eines Schlosses ein aber manchmal muss man auch Kompromisse eingehen und ein Schloß wurde über Jahrhunderte
    immer wieder umgebaut, ausgebaut und erweitert.

    Mein Favorit:

    http://s3.amazonaws.com/europaconcorsi…T_01.080919.jpg

    Viele Grüße :lehrer:

  • Stellas Spreeseitenfassade ist doch nur der unbehauene Klotz, welcher später sicher durch findige Steinmetze und Bildhauer noch aus seinem Dornröschenschlaf geweckt wird.

  • Aber der Entwurf wurde gewissermaßen zerrieben zwischen den Forderungen derjenigen, die alles so exakt wie möglich rekonstruiert haben wollen, und derjenigen, die gegen alles Rekonstruieren sind.

    Meiner Meinung nach auch zu Recht.

    Am besten wäre natürlich die Rekonstruktion der Spreefront gewesen, gefolgt von gemäßigt modernen Anbauten wie bei Kleihues oder auch Kollhoff. Der jetzige modern-monotone Entwurf von Stella ist die "drittbeste" Lösung. Aber m.E. immer noch bei weitem besser als so ein ahistorisches Phantasieschloß, das vorgaukelt, originalgetreu zu sein - es aber natürlich mitnichten ist. Wenn so etwas gebaut würde, würden unzählige Besucher das für echt halten, und das Ganze wäre im Grunde Wasser auf die Mühlen der Rekonstruktionsgegner. "Seht her, Rekonstruktionen führen meist zu Verfälschungen, zu beliebigen Wunschgebilden, das ist Disney". Mit dem Stella-Entwurf sieht jeder Betrachter sofort, daß zumindest ein Gebäudeteil nicht aus der Barockzeit stammt, und man kann sich vorstellen, daß dort früher einmal etwas anderes stand. Und dann informiert man sich. Das ist offen und ehrlich.

    Außerdem hatte nach meiner Erinnerung gerade Stephan Braunfels in der 90er Jahren für den Schloßplatz etwas ganz anderes vorgesehen und einen Entwurf gefertigt (den ich im Netz leider nicht finden kann): Ein ovales, an das Kolosseum erinnerndes modernes Gebäude. Damals hatte er offensichtlich an eine Rekonstruktion des Stadtschlosses oder auch nur an eine Annäherung an selbiges keinen Gedanken verschwendet. Erst als der Bundestag einen Neubau in Schloß-Kubatur beschlossen hatte, da beteiligte er sich am Wettbewerb.

  • Liebe Freunde,

    mehrere Berliner Zeitungen schreiben vom Streit zwischen Architekt Stella, Architekt Braunfels und dem Bundesbauministeriums. Wilhelm v. Boddien sprach gar schon von einem zweiten BER, wenn der Streit nicht beigelegt wird.

    Anbei der aktuelle Pressespiegel!

    "BZ - Berlin" 30.10.2013
    http://www.bz-berlin.de/bezirk/mitte/d…cle1755500.html

    "BZ - Berlin" - Schnupelius Kommentar -
    http://www.bz-berlin.de/thema/schupeli…cle1755059.html

    "Berliner Zeitung" 30.10.2013
    http://www.berliner-zeitung.de/berlin/braunfe…8,24821614.html

    "Tagesspiegel" 24.10.2013
    http://www.tagesspiegel.de/berlin/berline…de/8982138.html

    Viele Grüße :lehrer:

  • Liebe Freunde,

    wie ihr sicher mitbekommen habt gibt es seit mehreren Tagen ein Streit unter "Fachleuten" über die "schöne" Ostfassade.
    Florian Mausbach geben Braunfels, Wilhelm v. Boddien gegen Braunfels, Braunfels gegen Stella und Stella gegen Braunfels.

    Anbei dazu meine Gedanken. Ich finde es nicht gut das man jetzt bei Baubeginn über die "schöne" Ostfassade streitet aber
    vielleicht ist es doch noch die Chance diese Ostfassade zu verhindern. Sie wird ja bezeichnet als Parkhauswand und
    Braunfels bezeichnet sie als Urnenwand (Tagesspiegel). In der Tat hätte man sich die Ostfassade anders vorstellen können
    wenn schon modern, dann bitte doch so, das sie sich in das gesamte Schlossbild einfügt, so sieht sie einfach nur aus als
    wäre sie ein Anhängsel.

    Aber was haltet ihr von der mutigen Idee von Braunfels? Für diese offene Variante kann ich mich auch nicht begeistern,
    das Schloss wirkt so als hätte man eine Wand vergessen, als hätte man den Bau nicht beendet, auch für die offene Variante,
    wenn sie doch sehr mutig ist, kann ich mich nicht begeistern.

    Meine Meinung ist das man einfach, die Ostfassade den anderen drei Barockfassaden anpasst und da wo die Hofapotheke
    stand, legt man eine Rasenfläche mit Bäumen an, es gibt da ja auch schon einige Bilder im Internet. Nur wenn der Streit
    weiter eskaliert haben wir einen zweiten BER und das möchte glaube ich keiner der Beteiligten.

    Viele Grüße :lehrer:

  • Die gute Nachricht des Tages:

    Zitat

    Der Bau des Berliner Schlosses wird nicht mehr gestoppt. In den Koalitionsverhandlungen haben sich SPD und CDU/CSU darauf verständigt, dass die Arbeiten „zügig fortgesetzt“ werden. 2019 soll das neue Schloss eröffnen.

    :daumenoben:
    Mehr dazu >> http://www.berliner-zeitung.de/berliner-stadt…8,25013458.html

    Und, weil es so schön ist: Hier noch mal der Verweis auf das neue Schlossfilmchen; also Rotwein einschenken und auf "Play" klicken :wink:

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne Ihre Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklären Sie sich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.

  • Gut so. Ich bin sicherlich auch kein großer Fan der modernen Stella-Fassade, aber die Diskussion wurde jahrelang geführt und nun wäre es grob unverantwortbar das ganze Konzept und den Bauplan umzuwerfen und neu zu verhandeln.

    Man sollte den Bau nun erstmal kommen lassen und dann kann man immernoch schauen. Vielleicht wird die moderne Fassade ja eines Tages dann überarbeitet, wer weiß.

  • Meine größte Sorge ist eigentlich, dass das Schloss zu einem typischen deutschen Großbauprojekt wird, dass sich also die Kosten vervielfachen, dass es zu langen Verzögerungen und Planungsfehlern kommt usw. Was die Spendenbereitschaft angeht, bin ich optimistisch. Aber was die Fähigkeiten der Bauunternehmen und Politiker betrifft, das alles ordentlich zu koordinieren und fristgerecht umzusetzen, eher nicht.

    Die Welt muss romantisiert werden! - Novalis

  • Ich bin da ganz optimistisch, dass alles gut klappt...
    Zum einen handelt es sich im Gegensatz zu einer Hafenspeicherphilharmonie, einem Metropolenflughafenterminal oder einem Mega-U-Bahnhof um eine relativ konventionelle Bauaufgabe ohne risikoträchtige, evtl. bauablaufstörende Innovationen...
    Zum anderen ist durch das zeitweilige Moratorium, das dann doch wieder vorzeitig aufgehoben wurde, ein guter Planungsvorsprung und somit kein hoher Termindruck bei den Detailplanungen vorhanden. Die Planungsarbeiten konnten ja kontinuierlich weitergeführt werden.

    Wer zwischen Steinen baut, sollte nicht (mit) Glashäuser(n) (ent)werfen...

  • Da bin ich auch sehr optimistisch.

    Letzendlich handelt es sich um einen rechteckigen Rohbau. Der Bau eines Flughafens oder eines unterirdischen Bahnhofs birgt deutlich mehr Risiken.

    Um im Kosten- und Zeitplan zu bleiben, musste natürlich auch die Diskussion um den Braunfels-Entwurf abgelehnt werden.