Berliner Schloss - architektur- und kunstgeschichtliche Aspekte


  • Bild: Frank 1204 S. 433

    Von der Menschlichkeit der Proportion des Bauens.

    Wie weit ist das Gebäude im Hintergrund entfernt? Ich habe diese Frage schon schon mehreren Leuten gestellt, die vom Berliner Schloss kaum jemals etwas gehört hatten. Die Schätzungen bewegten sich meist so um die vierzig bis achtzig Meter, manchmal sogar weniger. Auch die Höhe wurde völlig unterschätzt. Dabei sind es vom Standpunkt des Fotografen bis zu der soeben fertig gewordenen Fassade des Schlosses über 200 Meter - die ganze Länge des Lustgartens und die beträchtliche Breite der Straße liegt zwischen dem Betrachter an der Südwestecke des Alten Museums und dem Schloss. Noch näher wirkt es, wenn man das Bild oberhalb der Balustrade abdeckt.

    Ich habe einen ähnlich überraschenden Eindruck immer im Petersdom, der gemeinhin als größte Kirche der Christenheit gilt: Blickt man nicht in die Länge des Hauptschiffes zum Hochaltar, sondern schräg zwischen Säulen und Bögen, so wird der Riesenbau plötzlich ganz überschaubar, die Entfernungen zu in Wirklichkeit ganz entlegenen Bauteilen scheinen zu schmelzen und wirken sehr unmittelbar und nah.

    Diese Wirkung des gewaltigen Bauwerks ist gewollt. Wir sehen das auch am Petersplatz vor dem Petersdom. Er wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jhds. von Bernini angelegt. die Fassade des Petersdoms war 1614 fertiggestellt worden: ein ellipsenförmiger Platz, wenn man vom abschüssigen trapezförmigen Vorplatz absieht. Er wird auf zwei Seiten von Kolonnaden als halbrunden Säulengängen abgeschlossen; die Mitte bildet der bekannte vatikanische Obelisk, den Platz zieren weiter zwei berühmte Brunnen. Steht man nun in der Mitte beim Obelisk, so wirken die Kolonnaden unglaublich nah, der Platz überschaubar und menschlich, von der Mitte aus besteht eine überraschende Nahwirkung. Dabei beträgt seine größte Breite 240 Meter! Von der Mitte aus ist es zu den Kolonnaden weiter als die Länge eines Fußballfeldes!

    Woher diese ohne Zweifel gewollte Nähe?

    Eine Antwort ist natürlich die Höhe der Kolonnaden. Aber sie würde niemals ausreichen! Das Mittel Berninis, diesen Platz zu einem Wohlfühlplatz zu machen, ist ein Trick: Der Platz fällt von den Kolonnaden kaum wahrnehmbar, wenn man nicht bewusst darauf achtet, zur Mitte hin um mehrere Meter ab. Daher diese Intimwirkung.

    Auch beim Berliner Schloss ist es die große Höhe der Fassaden von dreiunddreißig Metern, die das Gebäude auch durch größere Entfernung nicht an den Horizont verschieben lässt. Entscheidend sind aber hier die Proportionen der Gliederungen innerhalb der Fassaden, welche diese Nähe auch bei entfernter Sicht vortäuscht: die Höhe der Geschosse, die Höhe und Breite der Fenster, des Mezzanins, der Balustraden - hier gibt es keinen Zufall, SchortschiBär hat einmal die Proportionen der Schlossfassaden in strukturellen Zusammenhängen gezeigt, häufig der Goldene Schnitt. Es sind aber auch die Ornamente, die hier ihre Wirkung entfalten. Sie betonen und unterstreichen die Proportionen, die ohne Ornamente verloren gehen, ihre ganze Wirkung verlieren. So war dies beim Beton-Rohbau des Schlosses zu sehen, der ja alle Proportionen der Geschosse und Fenster schon hatte und dennoch auf die Betrachter und fast die ganze erfreute Presse nur als "Ungetüm" oder" missgestaltetes Monster" wirkte. Die Zutat der zweiten Schale des Schlosses übt nun ihre Wirkung aus, wie wir auf dem Foto sehen: Nähe, Menschlichkeit, Wohlbehagen. Ich habe es einmal in einem Beitrag beschrieben.

    Diese Nähe und Wärme trotz Größe - Intimität bei Monumentalität, ja, geradezu die Vermeidung von monumentaler Wirkung, ohne niedlich zu werden, war das Anliegen der Renaissance wie des Barocks und wurde im 19. Jhd. oft übernommen, vielleicht manchmal unbewusst. Der Wahlspruch Albrecht Dürers hieß: halt Maß!

    Germania, die Hauptstadt der Nazis wäre da anders gewesen: Die Gebäude von Diktatoren legen es gerade darauf an, übergroß, mächtig und monumental zu wirken. Die Plätze sind dann meist kalt und unwirtlich wie der Aufmarschplatz der SED, der an die Stelle des Schlosses getreten war.

    Die Moderne will ebenfalls die Vollkommenheit der Proportion, aber wo gelingt das so, dass ich es mit der Seele erspüren kann? Nur sehr selten. Und wo ist ein Wohlfühlplatz entstanden? In den Stadträumen gar nicht!

    Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,

    Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern‘,

    Und verstehe die Freiheit,


    Aufzubrechen, wohin er will.


    Hölderlin

    Einmal editiert, zuletzt von Bentele (25. Juli 2017 um 15:54)

  • Bentele, das sind sehr interessante Beobachtungen! Gerade zu der "Monumentalität, die eher intim wirkt", im Vergleich zur "Monumentalität, die einen erschlägt". Danke dafür!

  • Wenn ich das über die Webcambilder richtig erkenne, wurden heute an der Südseite des Kuppeloktogons die ersten Terrakottakapitelle eingebaut. Stüler hatte ja seinerzeit Terrakotta statt Sandstein aufgrund einer Gewichtsreduktion eingesetzt. Wie dem umfangreichen Planmaterial der hier vormals verlinkten Ausschreibungsunterlagen zu entnehmen war, werden auch jetzt wieder Terrakotten eingesetzt.

    Wer zwischen Steinen baut, sollte nicht (mit) Glashäuser(n) (ent)werfen...

  • Bentele:
    Zustimmung zu deinen Schilderungen der Proportionen und Dimensionen des Schlosses. Die täuschende Nähe der Schlossfassade ist m. E. aber zu einem erheblichen Teil auch den Einstellungen der Fotolinse geschuldet.

    Noch ein wenig Kuppelschau von Norden nach Süden schweifend.

    Das mit den Terrakotta-Kapitellen an der Südseite wurde mit Falkenblick aus Hannover ganz richtig erkannt.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Schöner Beitrag @Bentele, allerdings ist die Größe und Nähe der Fassade zu einem großen Teil des Zooms der Fotolinse geschuldet. ;)

    Das Stadtschloss ist aber in der Tat ein recht einzigartig hoher und massiver Bau. Die Eremitage oder der Louvre mögen sehr viel ausladender sein und eine mehrfach große Grundfläche beanspruchen, aber kaum ein Stadtpalast ist so hoch: 33m bis zum First. Der Louvre 21m, Eremitage 23m, Buckingham Palace 24m. Das Stadtschloss ist also gut 10 meter höher als seine Konkurrenten. Von der 70 meter hohen Kuppel ganz zu schweigen.

  • Wie jetzt? Bis zum First oder bis Oberkante Balustrade, ich meine die Höhe des Berliner Schlosses: 33 Meter-EndeGeländerBalustrade???oder? huh:):wie:?(
    Lustig, beim Stockholmer Schloß gab's wohl im Laufe der Jahrhunderte am linken Flügel Gründungsprobleme!? Die horizontale Flucht wackelt aber ganz schön. Besoffene Maurer!? :thumbup:
    Schön ist es ja nicht. Der riesige Kasten ist unbeholfen gegliedert. Sollte nicht erst ein Schwede den Berlinern ein neues Schloß bauen. Na, nochmal Glück gehabt.
    Der Architekt oder die Architekten von Caserta haben es schon besser gelöst, waren aber auch etwas mit der riesigen Baumasse überfordert. Die Kolossalsäulenrisalite wirken etwas mickrig. Ist aber auch kein leichtes Unterfangen solch einen Koloss zu gliedern.
    Da braucht es halt das plastische Körperraumempfinden eines Bildhauers. Der Schlüter Andreas war schon die beste Wahl!

  • Die fürstlichen Wunderkammern, die sich im Schloss befanden, sowie die Berichte, die Alexander von Humboldt dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm bei Gesprächen im Teesalon des Schlosses von seinen Expeditionen gab, standen gewissermaßen für das Konzept des Humboldt-Forums Pate. Die Zeitreisen in die Vergangenheit und in die Regionen des alten Rom, des alten Griechenland, des alten Ägypten und des alten Mesopotamien, die in der Museumsinsel inszeniert wurden, werden nun in einem größeren Radius fortgesetzt. Insofern ergibt das, was Bentele schreibt, absolut Sinn. Freilich hätte ich persönlich, wenn es die Option gegeben hätte, den herrlichen Beständen des Kunstgewerbemuseums, die sich ja nach dem WK I im Schloss befanden, den Vorzug gegeben, weil der Bezug zur Hofkunst stärker gewesen wäre. Aber man darf auch nicht außer Acht lassen, dass das derzeitige Konzept des Humboldt-Forums maßgeblich zur politischen Akzeptanz des gesamten Projekts beigetragen hat - inklusive der Wiederherstellung der Schlossfassaden.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • "Germania, die Hauptstadt der Nazis wäre da anders gewesen: Die Gebäude von Diktatoren legen es gerade darauf an, übergroß, mächtig und monumental zu wirken. Die Plätze sind dann meist kalt und unwirtlich wie der Aufmarschplatz der SED, der an die Stelle des Schlosses getreten war."

    Bekanntlich war Albert Speer von der Wirkung des Petersdoms enttäuscht. Er wirkte ihm zu klein.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Bekanntlich fällt den Kritikern von Monumentalität immer nur der Verweis auf untergegangene totalitäre Systeme ein. Das ist, wie so häufig bei mahnenden Verweisen auf den Nationalsozialismus und eventuell auch andere Systeme des 20. Jahrhunderts, ein Ablenkungsmanöver. Heute wachsen die Großbauten in die Höhe. Stets sollen neue Rekorde an Wolkenkratzern aufgestellt werde, keine Skyline kann mächtig und monumental genug wirken. Und hinter der Kulisse der Glas- und Stahltürme, der wie Perlen aneinander gereiten Flachdachblocks, ist es..... kalt und unwirtlich. Oft kälter und unwirtlicher als "Germania" je hätte sein können. Juckt allerdings keinen guten Demokraten die Bohne.

  • Bekanntlich fällt den Kritikern von Monumentalität immer nur der Verweis auf untergegangene totalitäre Systeme ein. Das ist, wie so häufig bei mahnenden Verweisen auf den Nationalsozialismus und eventuell auch andere Systeme des 20. Jahrhunderts, ein Ablenkungsmanöver.

    Als Beispiel dazu kann man unweit des Schlosses die "Leichtigkeit und Kleinteiligkeit" eines Neubaus der Demokratie bewundern: das BND-Gebäude. Ein Großbau in Höhe und Breite, an Monumentalität und Hässlichkeit kaum zu überbieten.

  • Jetzt gibt es auch im Schlüterhof endlich mal wieder nennenswerte Fortschritte: Am Risalit des Großen Treppenhauses sind nun alle Pilaster mit ihren Kapitellen versehen, und auch die Sandsteineinfassungen der Fenster im Mezzaningeschoss sind fertig!

  • Hallo, danke für das Kompliment^^.
    Nun, doch, ich kenne das Museum des Ortes, aber es ist halt (für mich) nur eine neben-Gedenkstätte, und für mich sollte es das Herz eines stimmiges Geschichts-historisches Komplex sein ;)


  • Im Schlüterhof scheinen einige Steine zu liegen, die offenbar schadhaft waren oder gesprungen sind: zwei Säulentrommeln, eine Basis für einen kannelierten Kolossalpilaster, zwei Fensterstürze, ein Fensterrahmenprofil usf. Dieser Ausschuss scheint an den anderen Fassadneabschnitten nicht vorgekommen zu sein.

    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Zwei Aphorismen zum Thema Herrschaftsarchitektur und Monotonie


    Wer einer Halbwahrheit eine weitere Halbwahrheit hinzufügt, schafft keine ganze Wahrheit, sondern eine ganze Lüge.

  • Klasse, Seinsheim! Das läßt mich hoffen, daß es an den Hochschulen noch Möglichkeiten gibt für junge Menschen, um sich ästhetisch schulen zu lassen und fähig zu werden selbst wahrhaft zu erkennen.

    @ Schlüterhof: ja, ist mir auch seit einiger Zeit aufgefallen, daß es da Reststücke gibt, Säulentrommeln, obschon alle Säulen verbaut sind.
    Das erklärt dann auch ein Stück weit, weshalb es zeitweise überhaupt nicht voranzugehen schien, denn die neuen Teile sind ja auch nicht gleich zur Hand gewesen!
    Was geschieht nun damit? Ausstellungsstücke für eine didaktische Schau zum Wiederaufbau?

  • Was ist denn da mit der Dachdeckung los (offenbar nur bei bestimmten Lichtverhältnissen zu sehen)? :schockiert:


    Quelle: http://cam03.berlinerschloss-webcam.de/

    Die Kupferbleche sind alle eingedellt (oder sogar geknickt?). :sad::kopfschuetteln:
    Ist da jemand drauf herumgetrampelt oder hat man da schwere Lasten abgelegt? Kann und soll das so bleiben oder muss das alles wieder heruntergerissen werden? Links von dem dargestellten Ausschnitt bis zur Südwest-Ecke sieht es immerhin besser aus.

    Überhaupt habe ich beobachtet, dass am Dach schon seit Wochen kein Baufortschritt mehr zu beobachten ist. Ist die Firma etwa pleite? Wenn man im Anfangstempo durchgehend weitergemacht hätte, wäre man schon fast fertig.

    Im Bereich von Portal V wurde - wie es aussieht - immerhin in den letzten Tagen die Dämmschicht aufgelegt. Es scheint also doch wieder langsam weiterzugehen...? :wie:

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)