Hirschberger Tal in Polen - ein Reisebericht

  • Da ich in der englischen Wikipedia gerade einen Artikel über das Tal schreibe ( http://en.wikipedia.org/wiki/Jelenia_G%C3%B3ra_valley\r
    en.wikipedia.org/wiki/Jelenia_G%C3%B3ra_valley ) dachte ich mir das ich mal ein paar Bilder davon machen sollte, da ich in Commons einiges vermisste. Also bin ich gestern mal hingefahren... und war so schockiert das ich das Bilder machen total vergessen habe.

    Für Nichteingeweihte: das Hirschberger Tal am Rande des Riesengebirges war im 19. Jahrhundert der bevorzugte Sommeraufenthaltsort des preussischen Königshauses und Adels. Es gab drei Königsschlösser und an die 40 Burgen, Schlösser und Herrenhäuser im Tal, oftmals umgeben von großen Landschaftsparks, teilweise von Lenne gestaltet. Zusammen mit der umliegenden Kulturlandschaft ein grandioses Ensemble. John Quincy Adams (amerikan. Präsident) hat es hier auf Seite 50 beschrieben:
    http://books.google.com/books?id=2sQDAAAAYAAJ&printsec=toc&source=gbs_summary_r&cad=0\r
    books.google.com/books?id=2sQDAA ... ry_r&cad=0

    Ich wollte also die drei Königsschlösser samt Parks sehen und allgemein einen Eindruck erhalten. Es ist grauenhaft! Die Schlösser wurden in sozialistischen Zeiten runtergewirtschaftet. Das war auch in der DDR so. Erstaunlicherweise hat man das in Polen aber weit schneller und gründlicher geschafft, denn vielfach scheinen sie seit den frühen 70ern ohne Nutzung zerfallen zu sein. Nach der Wende hat man die Mehrzahl an Privatleute verkauft. An einigen Schlössern ist gar nichts passiert, einige kleinere Objekte (kunsthistorisch wertvoll!) wurden restauriert und sind der Öffentlichkeit unzugänglich, und wieder andere wurden bei der Restaurierung quasi entstellt und zerstört, weil der Denkmalschutz scheinbar überhaupt keine Mittel und Wege hat das zu verhindern. Oder es ist ihm egal.
    Die Parks sind fast nicht mehr zu sehen! Wenn die polnische Seite von Bad Muskau schon ungepflegt erscheint, so ist das kein Vergleich mit den dortigen Parks. Die sind praktisch überhaupt nicht mehr vorhanden! Man sieht nichts mehr von geordneter Natur, die Objekte in den Parks sind zerfallen (haben ja keine Funktion mehr) und alles ist nur noch Wildnis. Auch die daran anschließende Kulturlandschaft, die geprägt war von weiten Wiesen, Alleen, Baumgruppen und bewaldeten Hügeln mit Aussichtspunkten, ist komplett zerstört. Die weiten Wiesenflächen sind beinahe ausschließlich häßliches, unbewirtschaftetes Ödland, verstrüppt und zugewachsen. Dieses Ödland wird zersiedelt durch festungsartige Grundstücke, bei denen reich gewordene Polen kitschige neue Häuser, umgeben von massiven Zäunen oder gar Mauern, mitten in die Landschaft setzen. Aber nicht wie bei uns quasi in Reihe sondern immer mit 10-30 Meter Abstand und gern auch versetzt, so das sich dazwischen wieder die Wildnis ausbreitet. In den alten Ortskernen wohnen die ärmeren Schichten, die entweder kein Geld oder kein Interesse daran haben diese alten Strukturen zu pflegen. Mitunter sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa.

    Ich bin echt immer noch fassungslos! Ich glaube auch nicht das das in den nächsten 20 Jahren was wird. Wenn die Schlösser in Privathand sind fehlt ihnen die öffentliche Bedeutung und die Verbindung zu den umliegenden Parks. Die Parks kann man sicher mit viel Mühe wieder herstellen, aber ohne Verbindung zu den Schlössern wirken sie wie amputiert. Die Kulturlandschaft drumrum würde ich als verloren ansehen, denn ich sehe nicht das es dafür überhaupt ein Bewußtsein gibt. Man kennt ja nichts anderes.

  • Also im Hirschberger Tal sind die Schlösser eh noch gut beisammen. Du solltest dir mal die ehemalige Grafschaft Glatz anschauen, oder die polnische Oberlausitz...

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Da hast du dennoch Glück, daß du in Niederschlesien warst. Ich habe das Elend nur vom -schrittempofahrenden- Zug aus gesehen; freilich ist sowas arg depremierend.
    Generell scheint Verfall und Abnutzung keinen der Einwohner zu interessieren; hinzu kommt die einzigartig schlechte Bauqualität der polnischen Nachkriegsanlagen.
    Einzelhäuser der Siebziger (an ihren typisch gebrochenen Dächern zu erkennen) sind oft in mieserem Zustand als die -unsanierten- Beutehäuser aus der Zeit der nazistischen Wohnbauprogramme. Von den "Panelaks", Straßen und Brücken wollen wir gar nicht reden. Die wenigen sanierten Stadtkerne wirken in diesem Milieu grotesk.

    Aber; wenn du wirklich mal echte Hölle erleben willst, fahr mal nach Oberschlesien. Selbst für ein Blackmetal-Cover zu schwarz. Die meisten sehen es nur vom Rumpelzug Richtung Krakau aus, wenn überhaupt. Aber diese schöne Gegend will erlaufen sein; zauberhafte Stadtlandschaften wie Chorsow oder Katowice und einzigartige touristische Betreuung erwarten dich. Unbedingt die öffentlichen Nahverkehrsmittel probieren.


    Aber mal eine Frage an dich; da du dich in Niederschlesien gut auskennst: Wieso sieht man bis Liegnitz nur Sagan(wie gehts dem dortigen Barockschloß?) - und ansonsten NICHTS ? Keinerlei Dörfer, keine Straßen - Aktion Hausputz wie in der Nachkriegstschechei ? So leergefegt kann die Gegend doch nie gewesen sein; selbst in der tiefsten Niederlausitz war mehr zu sehen.

    Nein, die werden gedünstet

  • Karasek

    Ich weiß, wie es Dir dabei geht! Es ist halt leider so, dass in Polen kaum ein Bewußtsein für eine ehemals deutsche Kulturlandschaft ersten Ranges besteht.

    Langsam, sehr langsam tut sich ein bisserl etwas. Stonsdorf, Lomnitz...aber die sehr viele sind für (wahrscheinlich) immer dahin. Es ist überhaupt einzigartig, was ie Familie Küster mit ihrem sanierten Schloss gemacht hat! Großes Lob und wahrlich eine Oase inmitten einer verschütteten Kulturlandschaft.


    ursus carpaticus

    Die "polnische Olau" und die Grafschaft Glatz sind doch nicht wirklich mit dem Hirschberger Tal vergleichbar, auch wenn Du auch nur den Erhaltungszustand der Schlösser meinst. Wenn dieser Teil nicht dem Krieg und dem Sozialismus zu Opfer gefallen wäre, wäre das Hirschberger Tal wohl Weltkulturerbe. Soviel ich weiß, bemüht sich auch die Familie Küster durch ihr Schlossmuseum um solcherart Wachküssung dieser ehemaligen größten Kulturparklandschaft Mitteleuropas.

    Sehr zu empfehlen: "Das Schlesische Elysium" von Arne Franke!

    p.s: Weil Du Glatz und seine Schlösser erwähntest. Kennst Du vielleicht das alte Haugwitz-Schlossabseits von Glatz.

    Ist schon eine Weile her...

    http://www.aphforum.de/forum/viewtopic.php?p=26280#26280

    Das alte Herbersteinschloss Grafenort ist leider in einem noch erbärmlicheren Zustand. Hab mich nimmermehr hinein getraut. Obwohl es bis fast zum Krieg noch bewohnt wurde...

  • Wissmut:
    Du meinst wieso man nur Wald sieht, oder? Einerseits ist das der Görlitzer Stadtwald, denn Görlitz war vor dem Krieg einer der bedeutendsten Waldbesitzer (und einer der reichsten), zum anderen dürfte das Teil des ehemaligen Grenzwaldes zwischen Nieder- und Oberlausitz sein. Bei den Slawen diente der Wald als natürliche Grenze, genannt Preseka. Da diese Gegend nur unzureichend von Deutschen besiedelt wurde (die den Wald rodeten) blieb er erhalten. Auf deutscher Seite wurde die Gegend dann industrialisiert (Braunkohle), weswegen sie zersiedelter ist, auf polnischer Seite wollte sich niemand ansiedeln weils der Arsch der Welt ist.

    Übrigens: die einzigen Häuser die alt, privat und in gutem Erhaltungszustand waren waren die paar Tiroler Häuser. Und ganz selten mal ein "normales" Haus. Wobei man sagen muß das die regionale Stil nicht unbedingt eine Schönheit ist, und groß sind die Häuser oft auch nicht. Aber mit etwas Farbe und gärtnerischem Geschick ließe sich dort schon ein wohnliches Heim gestalten. Diesen Drang scheint es aber überhaupt nicht zu geben. Scheinbar fließt das ganze Geld in die Ehefrau und ins deutsche Auto.
    Auf der Strecke habe ich bspw. ein imposantes Fachwerkhaus gesehen, allein stehend an einem Hang mit Blick übers Tal. Hier würde man sich drum prügeln, dort verfällts. Scheinbar sind Neubauten, die eher kitschigen Wehranlagen gleichen, ungleich attraktiver.

    Exilwiener und ursus carpaticus:
    der erwähnte Arne Franke veröffentlicht demnächst (oder hat er schon?) ein Buch über die Schlösser der Grafschaft Glatz. Gleichzeitig läuft dazu eine Ausstellung im Schlesischen Museum in Görlitz.

  • Äh, mal eine Gegenfrage, glaubt ihr, dass in Deutschland ein Interesse für den Erhalt von Kulturlandschaften besteht? Die Zersiedelung ist ganz sicher, wie es hier einigen Beiträgen entklingt, ganz sicher kein polnisches Problem, sondern ein mittel-, wenn nicht paneuropäisches. Welche deutsche Stadt weist *nicht* jedes Jahr weitere Neubaugebiete aus und frisst sich tiefer ins Land, während gleichzeitig die Innenstädte vermodern? Wieviele "Schlösser" sind wohl alleine in Mecklenburg-Vorpommern dem Verfall preisgegeben?

    Sorry für den OT-Einwurf, aber wenn ich diese hier immer wieder genannten "Vorwürfe" lese, wie schlimm die Polen, Tschechen etc. mit "unseren" ehemaligen Gebieten umgehen, muss ich kotzen.

  • Zitat von "Karasek"

    Mitunter sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa.

    Diese "Polenwirtschaft" ist ja europaweit bekannt. Da ändert auch RMA's :übelkeit: nix dran. :lachen: Ist halt eine Form von Mentalität, natürlich auch geschichtsbedingt, sich unabhängig von ästhetischen Merkmalen alles irgendwie zusammenzubasteln. Funktionieren tut's dann am Schluß auch, aber sieht halt für unsere Begriffe abenteuerlich aus.

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Zitat von "RMA"

    Äh, mal eine Gegenfrage, glaubt ihr, dass in Deutschland ein Interesse für den Erhalt von Kulturlandschaften besteht? Die Zersiedelung ist ganz sicher, wie es hier einigen Beiträgen entklingt, ganz sicher kein polnisches Problem, sondern ein mittel-, wenn nicht paneuropäisches. Welche deutsche Stadt weist *nicht* jedes Jahr weitere Neubaugebiete aus und frisst sich tiefer ins Land, während gleichzeitig die Innenstädte vermodern? Wieviele "Schlösser" sind wohl alleine in Mecklenburg-Vorpommern dem Verfall preisgegeben?

    Sorry für den OT-Einwurf, aber wenn ich diese hier immer wieder genannten "Vorwürfe" lese, wie schlimm die Polen, Tschechen etc. mit "unseren" ehemaligen Gebieten umgehen, muss ich k****n.

    Gegenfrage: werden in Deutschland Neubaugebiete für Häusersiedlungen oder für Einzelobjekte ausgewiesen, und befinden sich diese Flächen am Rande der besiedelten Fläche der Gemeinde oder irgendwo in einiger Entfernung auf freiem Felde.
    Oder anders gefragt: werden in Deutschland einzelne Objekte genehmigt die verstreut teilweise weit abseits der Gemeindegrenzen gebaut werden?
    Und abgesehen davon: Du urteilst unter dem Eindruck Deiner westdeutschen Erfahrungen, wo die Orte seit dem Krieg sich manchmal um das drei- oder vierfache erweitert haben. Hier im Osten, und auch in Schlesien, hat man aber Mühe die Bevölkerungszahl überhaupt stabil zu halten.

    Und falls sich aus meinen Ausführungen der Vorwurf herauslesen lässt "wie schlimm die Polen, Tschechen etc. mit "unseren" ehemaligen Gebieten umgehen"... bitte sehr. Ich war und bin ehrlich schockiert was ich gesehen habe. Vielleicht solltest Du die Erfahrung auch mal machen.
    Wobei ich auf der Rückkehr ein Stück durch Nordböhmen fahre, und ich mich seltsamerweise dort ungleich heimischer fühlte. Keine Wehranlagen mitten in der Pampas, bewirtschaftete Wiesen und Felder, einigermaßen gepflegte Vorgärten und Häuser, gemähte Straßenränder usw.. Das würde in ehemaligen Parklandschaften wie eben diesem Hirschberger Tal ungemein helfen.
    Vielleicht erleben wir ja gerade den Prozess der Umformung deutscher Waldhufendörfer in galizische Wasweißich-Dörfer? Die Siedlungsgrenzen zwischen den Grundstücken und den Höhenwäldern lösen sich bspw. auf.

  • Nichts in der Lausitz (dem abgehängtesten dt. Kulturgebiet) kommt dem nahe, was man in Polen sehen kann.

    Daß die Ausmaße des Verfalls eben NICHT nur dem wirtschaftlichen Erbe der Sowjetherrschaft geschuldet sind, dürfte klarwerden, wenn man Reisen z.B. durch Slowenien unternimmt. Selbst Tschechien steht meilenweit besser da - und eben nicht nur im Zustand der touristischen Aushängeschilder.


    >>Äh, mal eine Gegenfrage, glaubt ihr, dass in Deutschland ein Interesse für den Erhalt von Kulturlandschaften besteht?<<


    Das Interesse wäre sicher vorhanden, wenn man wüßte, daß diese Kulturlandschaften überhaupt existieren. Im großen und ganzen ist dies nicht der Fall - übrigens auch im Bauforschungssektor. Der 1945 abgetriebene Teil Ostdeutschlands ist ein schwarzes Loch in der europäischen Kulturbetrachtung. Die Deutschen trauen sich nicht, die Polen möchten nicht (es sei denn, man könnte eine Verbindung zur Weltmacht des altpiastischen Polen ziehen, was bei Renaissance- und Barockanlagen sich etwas schwierig gestaltet).

    @ Karasek

    >>Aber mit etwas Farbe und gärtnerischem Geschick ließe sich dort schon ein wohnliches Heim gestalten. Diesen Drang scheint es aber überhaupt nicht zu geben. Scheinbar fließt das ganze Geld in die Ehefrau und ins deutsche Auto. <<

    *fg* Werden wieder ein paar Leute toben, aber...;-)

    Übrigens KÖNNEN sie, wenn sie wollen. Was man im Speckgürtel von Krakau sehen kann, sind sehr aufwendig und geschmackvoll sanierte und neugebaute Wohnanlagen. Was den Polen immer angekreidet wird, das freimütige Spielen mit Farbe, kann auch sehr attraktive Strukturen erzeugen. Manches wirkt natürlich unbeholfen und experimental - aber die puristische Geschmacksdikatur unserer Kultur fehlt. Unfähig sind sie IMO nicht - bleibt eben nur eine andere Schlußfolgerung, zumindest in den "Wiedergewonnenen Gebieten".

    Nein, die werden gedünstet

  • Zitat von "Wissmut"


    @ Karasek

    >>Aber mit etwas Farbe und gärtnerischem Geschick ließe sich dort schon ein wohnliches Heim gestalten. Diesen Drang scheint es aber überhaupt nicht zu geben. Scheinbar fließt das ganze Geld in die Ehefrau und ins deutsche Auto. <<

    *fg* Werden wieder ein paar Leute toben, aber...;-)


    Gekauftes deutsches Auto, damit ich nicht falsch verstanden werde! Aber man merkt eben das deutsche Autos dort ein beliebtes Statussymbol sind. Häsuer scheinbar nicht so sehr. Und die Frauen sehen im Durchschnitt nun mal sehr gut aus.

    PS: gerade fällt mir ein das mein Großvater immer sagte in Polen gäbe es nur Arme und Reiche. Das trifft auch heute noch durchaus zu. Entweder Palast oder Bruchbude. Die Schicht dazwischen ist dünner als etwa in Tschechien.

  • >>Und die Frauen sehen im Durchschnitt nun mal sehr gut aus. <<


    Geschmacksfrage. Sie scheinen mehr "Huiz fur dr Hüttn" zu haben als andere Frauen und zeigen sehr viel Haut. Dennoch halte ich die Frauen aus Slowenien, was natürliche (!) Schönheit betrifft, für unschlagbar.

    Nein, die werden gedünstet

  • Aller modischer deutscher Kulturrelativiererei, die wir in der Schule eingeimpft bekommen haben, zum Trotz: Es gibt eben verschiedene Kulturen, verschiedene Mentalitäten (ethnische wie soziale). Und wird eben eine Kultur verdrängt und durch eine andere ersetzt, ändert sich auch deutlich das Bild der Landschaft. Das kann man jetzt im Einzelfall positiv oder negativ finden.

    In Deutschland herrscht heute immer noch die naive Mentalität, daß doch alle Menschen gleich seien, man ja niemanden kritisieren soll (außer er ist ein deutscher "Chauvi"), alles gut finden soll (außer sich selber), und Unterschiede schon mal eigentlich gar nicht vorhanden sind.

    Ich bin mal am Lago Maggiore über die italienisch-schweizerische Grenze gefahren. Und ich stellte sofort fest, daß die Italo-Schweizer im Tessin über die Jahrhunderte hinweg mental germanisiert wurden. Es war die gleiche Landschaft, die gleiche Architektur, die gleiche Sprache. Und doch war alles anders. Schlagartig waren Häuser gut verputzt und gestrichen, hatten die Vorgärten rostfreie Zäunchen und es blühten dort Stiefmütterchen oder ähnliche Blümlein in gepflegten Grünanlagen. Solcher Beispiele könnte ich aus eigener Erfahrung und Berichten von Bekannten einige bringen. Auch im Bezug auf die ehemaligen Ostgebiete. Es ist teils unfassbar, wie dort mit Bausubstanz umgegangen wurde. Man hat sich erst etwas brutal und mit Gewalt geklaut (und das sage ich hier ganz bewußt und deutlich!), um es dann meist einfach nur noch verkommen zu lassen. Ich erspare hier einen deprimierenden Reisebericht der eigenen Verwandtschaft.

    Insofern kann ich "Karaseks" Reisebericht bestens nachvollziehen. Natürlich hat die heute dort lebende Generation keine Schuld mehr an der historischen Misere, wie auch die in Deutschland lebende nicht mehr, aber natürlich trägt auch sie Verantwortung für ihr eigenes Lebensumfeld. Wenn sie in Schlesien so hausen wollen, lieber ein dickes Angeber-Auto fahren, als sich um den Garten und das Kulturerbe zu kümmern, bitte sehr. Deswegen muß ich das aber noch lange nicht super finden.

  • Richtig - volle Zustimmung. Ich hoffe nur, daß Deutschland nicht wieder so blöd ist, jetzt für den Erhalt dieser Gebäude wieder viele Milliarden bereitzustellen... wenn die neuen Besitzer die neu gewonnenen Besitztümer nicht erhalten können, sollen sie diese halt verfallen lassen.

    Wenn man mir das Auto klaut, zahle ich dem Dieb ja auch nicht die Reparaturen.

  • Hmm, der Thread entwickelt sich irgendwie in eine Richtung die ich nicht unbedingt gutheiße. Nix geklauter Boden oder geklautes Auto bitte, das ist ein bisschen billig.

    Ich würde, wenn man es denn nüchtern beschreibt, einen Prozess nicht der Aneignung sondern Umformung nennen. Die polnischen bäuerlichen Strukturen sind scheinbar nicht geeignet eine solche Wald- und Wiesenlandschaft zu erhalten, die Privatisierungsorgien nach der Wende waren kontraproduktiv für den Erhalt der Kulturgüter, es fehlt ein Gesamtkonzept zur Entwicklung der Region und staatliche Institutionen haben scheinbar weder Geld noch Mittel dafür.
    Wobei: man strebt die Aufnahme als Weltkulturerbe an. Also gibt es ein Bewußtsein. Es gibt aber fast nichts was die Aufnahme rechtfertigen würde. Man macht auch nicht Nürnberg zum Welterbe weil es vor '45 eine großartige Stadt war.

    Nuja, ich sollte wohl wirklich nochmal fahren und Bilder machen.

  • Zitat von "Karasek"

    Hmm, der Thread entwickelt sich irgendwie in eine Richtung die ich nicht unbedingt gutheiße. Nix geklauter Boden oder geklautes Auto bitte, das ist ein bisschen billig.

    So ist das eben mit Threads. Man setzt etwas in die Welt und muß dann zusehen, wie es sich entwickelt. Meist wird´s dann ohnehin wieder gelöscht, weil es dann irgendwann nicht genug pc wird, irgendwer sich auf den Schlips getreten fühlen könnte, und nichts fürchtet man im Land des großen Harmoniebedürfnisses heute mehr. Tja, so ist das. Schicksal.

    Zitat von "Karasek"

    Ich würde, wenn man es denn nüchtern beschreibt, einen Prozess nicht der Aneignung sondern Umformung nennen.

    Welcher Prozess? Etwa der, den Richard von Weizsäcker noch vor einigen Jahren mit dem blumigen Begriff "erzwungene Wanderschaft" ausgedrückt hat? Ist das Weizsäcker-Deutsch heute auch schon nicht mehr verniedlichend genug? Oder von welcher "Umformung" und welchem historischen Zeitraum soll hier die Rede sein?

    Zitat von "Karasek"

    Die polnischen bäuerlichen Strukturen sind scheinbar nicht geeignet eine solche Wald- und Wiesenlandschaft zu erhalten, die Privatisierungsorgien nach der Wende waren kontraproduktiv für den Erhalt der Kulturgüter, es fehlt ein Gesamtkonzept zur Entwicklung der Region und staatliche Institutionen haben scheinbar weder Geld noch Mittel dafür.

    Ja, wat nun? Die organische Strukturen ungeeignet? Privatisierungen kontraproduktiv? Staat unfähig? Ist dann überhaupt eine Lösung möglich? Ist alles ohnehin vorprogrammiert? Brauchen wir dann hier überhaupt darüber diskutieren? Diese Frage sollte doch erlaubt sein.

  • So ist das, wenn nahe Vergangenheit zu Geschichte wird.
    Die einen konnten es jahrhundertelang nicht verwinden, daß Konstantinopel den Türken zugefallen ist, die anderen nahmen es irgendwann als geschichtliche Tatsache hin.

  • Zitat von "Miwori"

    So ist das, wenn nahe Vergangenheit zu Geschichte wird.
    Die einen konnten es jahrhundertelang nicht verwinden, daß Konstantinopel den Türken zugefallen ist, die anderen nahmen es irgendwann als geschichtliche Tatsache hin.

    Eigentlich hast Du Recht, nur wenn es ideologisch passt und wenn die Gunst der Stunde es "erlaubt", dann wird selbst aus seit jahrhunderten von anderen Völkern kultiviertes und bewohntes Land wieder dem eigenen Einflussbereich angegliedert und wenn die historischen Rechtfertigungen auch noch so an den Haaren herbeigezogen werden/wurden.

    Momentan leben wir zum Glück in einem befriedeten Europa. Doch denken wir nur ein paar Jahre zurück und versetzen uns gedanklich auf den Balkan... und schwupps werden munter die Grenzen neu festgelegt, Menschen vertrieben...entwurzelt...in EUROPA!

    Das historische Gedächtnis eines Volkes ist - wie die Geschichte gezeigt hat - unauslöschlich. Ob dies gut oder schlecht ist (wahrscheinlich letzteres) spielt sowieso keine Rolle, da alle paar Jahrhunderte die Karten neu gemischt werden, mitsamt seinen schwerwiegenden Folgen. Einmal haben die einen die besseren Karten. Einmal die anderen.

    Wer weiß denn heute schon, wie unser Europa in dreihundert Jahren aussehen wird? Ich weiß es nicht. Zum Glück :?

  • Mit Niederschlesien ist das so eine Sache.
    Der kulturelle Verfall ist nicht wegzudiskutieren, das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Der Verlust an Schlössern ist gegenüber dem Verlust an städtischer Substanz jedoch beinahe vernachlässigbar. Kaum eine Stadt oder ein Städtchen, dessen Ringplatz nicht zumindest an einer Seite Plattenbauten säumen. Flächenabrisse ganzer Altstadtteile waren lange nach 45 an der Tagesordnung, siehe auch Hirschberg selbst.
    Es gibt auch eine positive Seite (bitte nicht mich misszuverstehen: ich bin keinesfalls bereit, die Vertreibung in irgendeiner Form zu billigen oder auch nur als moralisch vertretbar hinzunehmen).
    Die große Gewinnerin der Vertreibung war die Natur.
    Ein polnisches Buch über die Sudeten brachte das ganz klar zum Ausdruck:
    Dem Hirschberger Tal war es vorbestimmt, eine dicht besiedelte Region wie das Tatra-Vorland zu werden (hier wäre allerdings ein Vergleich mit dem Schwarzwald-vorland angebrachter), aber das Schicksal wollte es anders.
    Damit etwas Positives über die heutigen polnischen Herren gesagt sei: Die Naturschutzgesetzgebung ist vorbildlich und hat beinahe sämtliche Gebirge, obzwar zu Polen stets nur ein verhältnismäßig dünner Rand gehört, vor Zerstörung, etwa durch Anlage von Schigebieten bewahrt. Eine große Leistung in Anbetracht der wirtschaftlichen Lage.
    Die Anzahl an Nationalparks und deren Regime sind ebenfalls respektgebietend.
    Dazu kommt, dass die niederschlesische Landschaft auch abseits der Naturschutzgebiete weit unversehrter ist als vergleichbare Gebiete in Mitteleuropa.
    Und so fahre ich lieber ins Glatzer Schneegebirge denn in den Schwarzwald...
    Exilwiener
    Nein, dieses Schloß kenn ich nicht, bin aber an Näherem sehr interessiert. Wo war das genau?

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat von "Karasek"


    Nuja, ich sollte wohl wirklich nochmal fahren und Bilder machen.

    Oh ja bitte, obwohl die Bilder sicherlich schmerzlich werden können.

    Labor omnia vincit
    (Vergil)