Vororte - Im Schatten der großen Metropolen?!

  • Ich eröffne diesen Strang, weil ich mehr über die häufig unbeachteten Randgebiete der großen Ballungsräume in Europa und der Welt erfahren möchte; vorrangig über die Entwicklung im Bereich des Städtebaus.

    Man hört und sieht in letzter Zeit viel von den Zuständen in den Banlieues, aber man erfährt sehr wenig über die Vororte anderer Metropolen als der französischen.

    Als ich im letzten Jahr zum ersten Mal Rom besucht habe, sind mir die Vororte besonders aufgefallen. Ich weiß gar nicht wie das Umland Roms genau aussieht, weil ich in dieser Zeit das innere Stadtgebiet, bis auf den Transfer zwischen Flughafen und Stadt, nicht verlassen habe, was ich aber am Rande dieser Ausfallstraße betrachten durfte, hat mich ehrlich gesagt erschreckt:
    Überwiegend gleichförmige Hochhäuser wie in den Pariser Vororten mit dem Unterschied, dass die Gebäude nicht grau sondern in den verschiedensten Gelbtönen gestrichen waren, aber ansonsten haben sie auf mich den gleichen menschenunfreundlichen Eindruck erweckt, zudem noch ausgeschlachtete Autos, Grafitti und sich stapelnder Unrat.
    Die Architektur der Vororte ähnelt der italienischer Feriendörfer aus den 70er Jahren mit dem Zusatz, dass sie äußerst heruntergekommen und verwahrlost sind.

    Ich würde mich freuen, wenn ihr von euren Eindrücken bezüglich der Vororte Roms oder anderer Metropolen berichten könntet. Fotos würden die Freude natürlich noch steigern. :lachen:

  • Man unternehme mal mit dem Linienbus eine Fahrt vom dortigen Flughafen in die Altstadt Barcelonas. Die Reise geht vorbei an endlosen, einförmigen grau-gelben Hochhausblocks, bis man endlich aufatmen kann, wenn schließlich das mittelalterliche Zentrum erreicht ist.
    An diesen Vororten sieht man die Vergehen der Moderne am deutlichsten, nicht an den hochwertigeren Einzelobjekten wie der vielgepriesenen Oper von Sydney.

    Doch man muß gar nicht so weit schweifen. Man fahre mal einfach in Deutschland in die ehemaligen Dörfer im Umfeld der Großstädte. Abseits eines klitzekleinen Fachwerkortskerns findet man hier oft nur noch öde Vorstädte, die als Schlafstätten für Pendler dienen. Und hier ist die Vereinzelung der liberalen, individualistisch ausgerichteten Gesellschaft am augenfälligsten: Der eine baut sich eine kitschige weiße Villa mit Zierzaun und achteckigem Türmchen, daneben steht ein rot angestrichener Bauhauskubus mit Metalltonnendach, daneben hat einer seine Bude mit Plastikschindeln verkleidet... Eine Ansammlung von nicht zueinander passendem schlechten Geschmack. So sieht eben eine scheinbar freie Gesellschaft aus, in der sich jeder nach Gutdünken "selbst verwirklichen" will, es aber keinerlei kollektives Zusammengehörigkeitsgefühl und Traditionsbewußtsein mehr zu geben scheint.

  • Finde, dass man da teils gar nicht in irgendwelche Vorstädte fahren muss - mitunter gibt es dieses Betonsilo-Elend mitten in der Stadt zu besichtigen, wenn auch eher in Randlagen. Es sei auf Marzahn oder Lichtenberg verwiesen, selbst Prag kann - nicht allzu fern der Innenstadt - mit unansehnlichen Bettenburgen, Plattenbauten und Co. aufwarten.

    Zu deinem 2. Absatz noch mal etwas Heimdall: Ich wohne zwar nicht direkt in einem Dorf, aber in einem Eigenheimviertel - in dem jeder sich sein Häuschen nach Gutdünken zurechtschustern konnte. Von der Stadt jedoch gab es zahlreiche Vorgaben, inwiefern die Bauausführung auszusehen hat - so war es u.A. dazumals vorgeschrieben, klassische ziegelgedeckte Dächer zu verwenden und bestimmte Glasanteile an der Gesamtfassade nicht zu überschreiten. So hat man von vornherein vermieden, dass sich jeder nach seinem Gusto eine Glaskiste in dieses Wohngebiet stellen kann.
    Das Ergebnis ist, dass hier durchweg (verhältnismäßig) hochwertige Ein- und Mehrfamilienhäuser entstanden sind, die sich trotz der Vorgaben nicht gänzlich jedweder Kreativität losgesagt haben. Auch wenn es merkwürdig klingt, aber ich finde da gerade den von dir kritisierten Stilmix teils sehr interessant - so gibt es allein in meiner recht beschaulichen Straße eine Art nordisches Landhäuschen in Holzbauweise, ein (akkurat ausgeführtes und durchaus vorzeigbares) Fachwerkgebäude, ein fast schon expressionistisches Backsteingebäude, eine Landhaus-ähnliche Villa, ein Mehrfamilienhaus mit Hundertwasser-Elementen, ein eher modernes Einfamilienhaus mit angeschrägtem Dach und die von dir verabscheute kitschige weiße Villa mit Zierzaun und Erkern. Dazwischen dann noch das ein oder andere "handelsübliche" Standard-Fertighaus, von denen aber auch keines wirklich geschmacklos oder langweilig ist. Welches davon ich bewohne, dazu kann sich von mir aus jeder seinen Teil denken :zwinkern:

    Ist auf jeden Fall ein interessantes Thema BerlinFan, wenn ich auch ob meiner eher geringeren Erfahrung im Bewohnen von Großstädten & betrachten derer Vorstädte bin. Nur weiter so!

  • Mal was zu den vororten und aussenvierteln in Holland. Die etwas grösseren orte haben alle einen planmässig angelegten ring von neubaugebiete, die alle recht langweilig und gleich sind. Die ursache dieser langweiligkeit liegt darin, dass immer ein unbebautes feld am ortsrand bebaut wurde (und immer noch wird mit) einförmige häuser.

    So waren es in den 70’er lange gerade strassen mit zeilenbauten oder parks mit hochhäuser. In den achtziger wurden dan viertel gebaut mit ganz kurvigen strassen und sehr verkehrsberuhigt. Oft kann man diese viertel nur auf eine strasse hinein und wieder hinaus fahren, um durchgangsverkehr zu vermeiden.

    In den neunziger immer noch verkehrsberuhigt aber teilweise grössere häuser und differenzierter... usw. Auf jeden fall ist jedes holländisches viertel fast immer ein frucht seiner zeit und daher eher wenig spannend und wenig durchmischt.

    Und da, und jetzt kommt meinem punkt, haben Deutsche städte eigentlich mehr potenzial für “spannung” und durchmischung in seinen aussenvierteln. In deutschland trifft man ab und zu mal auf eine gartenstadt, ziemlich ausserhalb der stadt, eingemeindete vororte sorgen für abwechslung, und dazwischen mal wieder ein neubau- oder gewerbegebiet. Auch den gründerzeitboom und industrialisierung haben zum beispiel dafür gesorgt dass die heutige vorstädte rundum den grossstädten noch viele historische bauten haben, was wieder zum abwechslungsreiche stadtbild beiträgt.

    Die aussenviertel und vororte haben den krieg fast immer besser überstanden als den stadtzentren und nach dem krieg wurden in deutsche gross-städte eher wenige planmässig angelegte wohnviertel gebaut, zumindest nicht so wie in Holland. Natürlich hat auch fast jede deutsche grossstadt sein hochhausviertel (im Osten werden die ja langfristig sowieso verschwinden, weil keiner mehr da wohnen will), aber die müssen nicht unbedingt am rande der stadt liegen aber. Ich sehe für viele deutsche städte noch viel potenzial zu verschönerung und attraktivität. Bausünden werden immer mehr beseitigt, alte fabrikanlagen usw wiederbenutzt, und auch strassenrückbau findet immer mehr statt. Vielleicht noch das beste vorbild wie ich diese abwechslungsreiche vororte sehen möchte ist das Ruhrgebiet. Immer wieder trifft man dort auf eine alte siedlung, fabrik, park, bahnhof.
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  • Also das absolut Übelste, was ich je an Vororten gesehen habe, war Rijeka in Nord-Kroatien. Ostblock in Reinstform, und zwar bestimmt auf 20km Länge, wenn man die Stadt auf ihrer Nordtangente umfährt. (und das muss man, wenn man auf die Inseln will...)

    Ein kleiner Ausschnitt:
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    eddi.flisar.de/mopped/grobnik/rijeka.jpg

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Richtig krass wird es erst im außereuropäischen Raum, insbesondere Afrika. Über Kairo war mal eine Reportage im ARD Auslandsjournal, dort kann man eine Straße Richtung Stadtmitte über 2 Stunden (!) mit dem Auto entlang fahren, und sie ist nahtlos mit Blöcken à la Frankfurter Berg oder Neukölln bebaut - übrigens zu 99 % ohne jegliche Baugenehmigung errichtet... für die Zustände dort findet man echt keine Worte mehr! (kann man sich auch ganz gut in Google Earth angucken)

    Da ist man für die Bausünden der 70er Jahre in Deutschland plötzlich geradezu dankbar - auch wenn ich persönlich die Meinung vertrete, dass die Plattenbau-Massenmenschhaltung eine der Hauptursachen für die Ghettoisierung der Großstädte ist. Und somit nur ein Rückbau die einzige, wenn auch schwer vorstellbare Lösung für diese Probleme sein kann.

    Die Analogien sind übrigens lustig, wenn man die Literatur der 20er und 30er Jahre zu den unsanierten deutschen Altstädten liest, ihren Problemen und etwaigen Lösungsmöglichkeiten: die Probleme wie mindere Bildung, Parallelgesellschaften, ausufernde Kriminalität etc. waren exakt die selben, wie sie in den Plattenbauten der Moderne herrschen. Die eben genau diese Bauweise als wahren Weg und die "altdeutsche" Bauweise als Ursache allen Übels verteufelt hat. ;)

  • zu BerlinFans Bildern aus Rom (v.a. letztes Bild):

    ... und die Moderne beendet die Zeit der dunklen, verdreckten und stinkenden Innenhöfe und Lichtschächte und erschafft neue lichtdurchflutete Städte, die den Mief des Alten überwinden.

    Bei den Fotos wird die städtebauliche Ideologie Le Corusiers und Konsorten nur noch zur Farce.
    Hast du die Fotos selbet gemacht? Wenn ja, Respekt, ich hätte mich da nicht reingetraut!

  • Ein guter Strang. Die Probleme liegen ja wirklich in den rasend wachsenden Millionen-Metropolen in den BRIC-Staaten und Schwellenländern. Wir diskutieren hier doch ehrlich gesagt über Kinderkram, wenn wir uns - ich allen voran - über zu saubere Bordsteine in Dörfern, kulturverachtende Neubauten und abwaschbare Hausfronten in spießigen Einfamilienhausgebieten im Jodlerstil aufregen. Trotzdem ist das berechtigt, weil wir eben hier leben und die Meinung zu unserer eigenen Umwelt auch am glaubwürdigsten und vielleicht überhaupt wirksamsten ist.

  • Um das kulturelle Erbe des frankophonen Kultursozialismus (der weite Teile des 20. Jahrhunders vollständig beherrscht hat) angemessen zu würdigen, sollten die Pariser Stadtväter endlich daran gehen, die Umgestaltungsideen eines gewissen Monsieur Janneret für das Stadtzentrum zu verwirklichen - die nach über 80 Jahren immer noch aktuell sind. Die aufstrebenden, jungen Nationen Ostasiens, Afrikas und Südamerikas wissen aus den Erfahrungen und Anregungen des Großen Meisters vielfältigen Nutzen zu ziehen - und das Alte Europa ?

    Paris und Frankreich sollten schließlich auch im 21. Jahrhundert den Takt der Weltgeschichte vorgeben können, nicht wahr ?

    Nein, die werden gedünstet