Hamburg - Freie und Abrissstadt

  • Die Abriss des Kontorhauses aus 1908 mit fein gegliederte Fassade neben das Ballinhaus ist keine ästhetische Verbesserung wenn da wieder eine "Berlin-Mitte" Kiste reingeschmissen wird: zu grosse (sprossenlose) Fenster, zu Bunkerartig. Zu Massig. Am Unter der Linden wird genau so vorgegangen. Ist offenbar der neue von Architekten gewollte Still. Natürlich auffallend.
    Die hollaugige viel zu grosse Fenster finde ich noch am schlimsten.

    Brrrrr...

  • Kaum zu fassen: das im kilometerweiten Umkreis wohl als einziges klar als gründerzeitlich zu erkennende Gebäude unmittelbar am Stadtrand Hamburgs wurde abgerissen. Dort ist jetzt eine Brache, ein Parkplatz eines Autohändlers. Bin fast vom Fahrrad gefallen, als ich das gesehen habe.
    Ich habe mich endlos geärgert, nie Bilder von dem markanten Gebäude gemacht zu haben. Immerhin existieren solche öffentlich verfügbar:
    http://www.bildarchiv-hamburg.de/hamburg/strassen/langenhorner_chaussee/index2.htm\r
    http://www.bildarchiv-hamburg.de/hambur ... index2.htm

    Dies ist eine weitere Niederlage für die Entwicklung meiner Geburtsstadt. In Ochsenzoll, am äußersten Rand der Stadt, nur 300m entfernt von Wald & Wiesen, war dieses Gebäude geradezu eine Attraktion.
    Eine Katastrophe, was hier passiert ist. Die ganze Umgebung ist zweifellos erheblich unwirtlicher geworden (die obigen Bilder geben das nicht wieder, aber das Gebäude wirkte sehr präsent an der Hauptstraße. Es waren eigenartige (chinesische?) Ornamente an der linken Seite, die nicht im Bild zu sehen sind).

  • Bitter, ich wohne 3 Autominuten entfernt. Was hier passiert ist erschreckend. Nicht nur, dass mit dem wenigen historischen Erbe derart fahrlässig umgegangen wird, zusätzlich scheint das Grundstück nun ungenutzt zu verkommen, wie etliche andere in der unmittelbaren Umgebung.

    Nur noch in Richtung Norderstedt, also unmittelbar an der Stadtgrenze, gibt es nennenswerten Altbaubestand.

  • Ein umfangreiches, Dossier zur sog. Freien und Abrissstadt Hamburg

    http://www.abendblatt.de/daten/2009/01/09/1005183.html?s=1

    Wenn man das im Artikel verlinkte Interview mit Oberbaudirektor Jörn Walter liest, stehen einem die verbliebenen Haare zu Berge. :augenrollen:

    Zitat

    [...]Abendblatt:
    Sie gelten als jemand, der nichts vom rückwärts gewandten Bauen hält. Sind Sie auch ein heimlicher Gegner des Bewahrens?

    Walter:
    Ich bin ein unbedingter Verfechter der Forderung, das zu erhalten, was wir an wirklich historischen Beständen haben. Ich bin aber auch entschieden der Auffassung: Dort, wo wir neu bauen, müssen wir in der Sprache unserer Zeit bauen und auch nach den Bedürfnissen der Zeit. Ich halte nichts von Rekonstruktionen, künstlerisch sind diese eine Armutserklärung unserer Generation. [...]


    Obgleich er auch viele vernünftige Ansichten äußert, wird dennoch offenkundig, dass er diese ohne rechte Überzeugung in populistischer Beschwichtigungsdiktion absondert. Die Nomenklatura hat da wieder ganze Arbeit geleistet, ihre eifrigen Geister in Position zu bringen....

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Ein wirklich toller Aertikel, der mal die Fakten schonungslos auf den Tisch legt. Erschreckend, was alles so abgerissen worden ist. Teilweise entdecke ich jedoch Parallelen mit meiner Heimatstadt. Der BDA hat einmal ermittelt, dass nach dem Krieg in Hannover genausoviel Bausubstanz abgebrochen worden ist, wie durch den Krieg zerstört worden ist.

    Euren Stadtbaumeister habe ich kürzlich auf einer gut besuchten veranstaltung in Hannover kennengelernt. Der hat den ganzen Saal unterhalten mit seiner lustigen Art. In den Ohren hab ich noch seine Worte "Ja, meine Damen und Herren, auch die Stadtplaner haben Fehler gemacht..." - Dafür gab es großen Beifall im Saal. 8)

  • Zitat von "Palantir"

    Ein umfangreiches, Dossier zur sog. Freien und Abrissstadt Hamburg

    http://www.abendblatt.de/daten/2009/01/09/1005183.html?s=1

    Wenn man das im Artikel verlinkte Interview mit Oberbaudirektor Jörn Walter liest, stehen einem die verbliebenen Haare zu Berge. :augenrollen:


    Obgleich er auch viele vernünftige Ansichten äußert, wird dennoch offenkundig, dass er diese ohne rechte Überzeugung in populistischer Beschwichtigungsdiktion absondert. Die Nomenklatura hat da wieder ganze Arbeit geleistet, ihre eifrigen Geister in Position zu bringen....

    Da stehen mir allerdings auch die Haare zu Berge! - Als ob es darum geht, zwanghaft eine eigene Epoche zu prägen. Ersteinmal ist ja anscheinend das Bedürfnis nach Rekonstruktionen gegeben und zum Anderen ist Architektur immer genauso zeitgemäß, wie sie gewünscht wird und wie sie sich in das vorhandene Stadtbild eingliedert, ob Rekonstruktion oder Neubau ist dabei doch völlig egal, wenn denn ein gewisser Qualitätsstandard erfüllt wird. Mal abgesehen davon, dass ich überhaupt nicht sehe, wo das Problem darin liegt, gewaltsam verloren gegangenes wiederzugewinnen. Die Wiederherstellung historischer Architektur muss doch einer modernen Architektur, die nebenher existiert nicht im Wege stehen. Die moderne Architektur muss nur auch etwas Anständiges hervorbringen! Letztendlich befinden wir uns immer noch irgendwo im Nachkriegsaufbau und da muss es auch möglich sein, Zerstörtes zu rekonstruieren. Das sollte genauso "die Sprache unserer Zeit" sein! Das hätte eigentlich schon die Sprache der 50iger/60iger und 70iger Jahre sein sollen!

  • Hamburgs langjaehriger Oberbaudirektor Walter:

    Zitat

    Ich bin ein unbedingter Verfechter der Forderung, das zu erhalten, was wir an wirklich historischen Beständen haben. Ich bin aber auch entschieden der Auffassung: Dort, wo wir neu bauen, müssen wir in der Sprache unserer Zeit bauen und auch nach den Bedürfnissen der Zeit. Ich halte nichts von Rekonstruktionen, künstlerisch sind diese eine Armutserklärung unserer Generation. [...]

    Der Himmel helfe uns und Hamburg! Das mit dem unbedingten Verfechten von "wirklich historischen Beständen" ist zwar fein, aber der Rest grenzt in meinen Augen stadtplanermaessig ans Kriminelle. Der Mann mag zwar einen interessanten und amuesanten Vortrag zu geben wissen, aber er sollte doch eines baldigen Tages abgeloest werden. Natuerlich von jemandem, der die Moderne nicht als Allheilmittel fuer unsere kaputten Staedte und Rekonstruktionen nicht als "Armutszeugnis" ansieht.

  • Ich glaube der gute Mann meint das so, dass wenn ein Architekt rekonstruiert,und das mit Vorsatz, er künstlerisch nicht in der Lage ist, etwas im heutigen Mass der Moderne zu Bauen.
    Man kann es wirklich so oder so verstehen!

  • Das Frustrierende ist, dass mit regelmäßiger Sicherheit immer wieder solche Leute in entscheidende Positionen gehievt werden. Politik und Verwaltung arbeiten gezielt gegen unsere Wünsche nach einem schöneren Stadtbild.

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Und nicht nur werden solche Leute in die entscheidenen Positionen gehievt--es gelingt ihnen auch noch, an diesen festzuhalten! :boese: Hamburgs Oberbaudirektor Walter sitzt seit nunmehr 10 Jahren auf seinem Posten. Ein kurzer Blick bei Wikipedia, "Leben," "Wirken" sagt alles. Gott, der Mann wollte doch sogar das "Kunstwerk" mit der aufgezogenen Waescheleine mit Gummienten am Spielbudenplatz!!! :augenrollen: Auch war er ein Befuerworter der Europapassage, einer duesteren Megamall im Herzen Hamburgs.

    Ach, und nicht zu vergessen: auch in D sowie DD war Herr Walter mal kurzfristig taetig bevor es ihm gelang, sich semipermanent (man weiss ja nie!) in HH niederzulassen.

    Und der Mann bekam einen Schinkelpreis verliehen und sitzt auf etlichen Gremien? :augenrollen:

  • Seit Jahrzehnten werden historische Bauten rigoros abgerissen

    Sie haben geächzt, gezittert und gewankt. Schließlich - oft nach zähem Ringen - sind sie dann doch in sich zusammengekracht und in einer dicken Staubwolke versunken. Ein Haufen Steine blieb übrig, und der wurde schnell abgetragen. Ein paar Tage reichten aus. Dann war verschwunden, was Jahrzehnte oder auch Jahrhunderte überstanden und das Bild der Stadt lange mitgeprägt hatte: Etagenhäuser, Villen, Fabriken, Kontorbauten, Brücken und Türme.

    Abgerissen: Brandstwiete 2


    http://www.abendblatt.de/hamburg/articl…abgerissen.html

    In dubio pro reko

  • Hamburg will jetzt 1.500 Gebäude in 526 Ensembles unter Denkmalschutz stellen (dies berichtet das heutig Abendblatt).

    Dabei handelt es sich um Ensembles aus der Gründerzeit bis in die Moderne. Die Bewertung und Begutachtung obliegt allerdings den Bezirken und wird sich wohl über einen längen Zeitraum hinziehen.

  • ...das ist nur ein Tropfen auf dem heissen Stein. Unfassbar was nach dem Krieg alles in HH unter der Abrissbirne verschwunden ist. Der von Dirk eingestellte Artikel vom Hamburger Abendblatt macht einen wütend. Aus Profitgier, Dummheit und Ignoranz verschwindet das kulturelle Erbe in diesem Land. Für unsere und die künftigen Generationen bleibt nur noch eine architektonische Kulturwüste übrig.

    ...

  • Zitat von "Dirk"

    Seit Jahrzehnten werden historische Bauten rigoros abgerissen

    [...]

    Abgerissen: Brandstwiete 2


    http://www.abendblatt.de/hamburg/articl…abgerissen.html

    NEIN! Nicht dieses schoene Haus in der Brandstwiete! :boese:

    Danke fuer den Hinweis, Dirk. Die Brandstwiete ist ganz nah bei der Hauptkirche St. Katharinen, deren Umfeld sowieso durch eine riesige Verkehrsstrasse sowie Abbrueche und eine wachsende Menge generischer Neubauten im Glaskistenstil entwuerdigt wird.

    Seht Euch doch die generische Kiste hinter dem Abrissopfer mal an. Dank Hamburgs Oberbaudirektor kriegen wir sowas wohl nochmal.

    In einem Begleitartikel im Abenblatt ist ein Interview mit Hamburgs Oberbaudirektor Joern Walter (ehemals in Dresden taetig, wie ich interessanterweise von Oktavian erfuhr). Walter sagt auf die Frage ueber Abrisse alter Hamburger Gebaeude folgendes:

    Zitat

    Ich bin ein unbedingter Verfechter der Forderung, das zu erhalten, was wir an wirklich historischen Beständen haben.

    Ach nee, was Sie nicht sagen, Herr Walter!

    Was "wirklich historisch" ist ist doch ganz klar definiert, oder? Schlichte Frage des Erbauungsjahres, mehr nicht. Trotz dieser Behauptung seines langjaehrigen Bauzars ist Hamburg waehrend der Aegide dieses Herren in der Tat mehr und mehr zur "Freien und Abrissstadt" geworden. Beim “Verfechten” benutzt er wohl eine Stecknadel oder ein Plastikmesser, anders kann ich mir diesen bedauerlichen Abriss--und er ist ja bei weitem nicht der einzige--einfach nicht erklaeren. Wenn Herr Walter andererseits nur die Forderung nach Erhalt, nicht aber den tatsaechlichen Erhalt des alten Baubestandes in Hamburg verficht hat er sich ja elegant aus dieser Verpflichtung herauzgezogen. Und so ist es wohl: Wenn ein alter Bau einem Neubauprojekt im Wege ist muss der alte eben weichen.