Magdeburg - Rekonstruktion der Ulrichskirche

  • Vielen Dank für die Information(en). Ja, es ist schwer, aus heutiger Sicht die damaligen Umstände zu betrachten, und ein Vorwurf der damaligen Generation gegenüber ist (zu) schnell gemacht.

    Hier noch ein interessantes Bild von der Ruine der Katharinenkirche, bevor auch sie der sozialistischen Planung ganz zum Opfer fiel. (Quelle: altmagdeburg.de)

    CK

    „Groß ist die Erinnerung, die Orten innewohnt“ - Cicero

  • Zitat

    zur kirchenreko: gibt es ein tragfähiges nutzungs- und finanzierungskonzept, oder ist das träumerei?

    Ich denke, das alles ist derzeit noch wenig ausgereift. Die schaffen es in Magdeburg ja offenbar seit Jahren nicht einmal, das kleine "Sterntor" wieder aufzurichten, obwohl dort bereits Gelder eingegangen sind. Die Webseite ist jedenfalls seit langem unverändert:
    http://www.sterntor-magdeburg.de/

    Und vom Luisendenkmal ist auch momentan nichts zu hören:
    http://www.ulrichskirche.de/Links.htm

    Insofern, wenn es schon bei solch kleinen Projekten hapert, wie will man dann eine solche Kirche erstellen?

    Es sei denn, es wäre von öffentlicher Hand ohnehin ein Großbau geplant (Konzerthalle, Museum usw.) und man könnte diesen mit einer Rekonstruktion der Kirche verbinden, a la Humboldt-Forum. Das wäre eine Möglichkeit.

    P.S.: Die "stalinistischen" Bauten in Magdeburg halte ich für unbedingt erhaltenswert. Sie waren bei meinen Besuchen - abgesehen von den wenigen alten Gebäuden (Rathaus, Dom, einige Kirchen, Barockhäuschen am Domplatz und dem Breiten Weg) - das einzige interessante Ensemble in der unmittelbaren Innenstadt. Wären diese ungewöhnlichen neoklassizistischen Bauten weg, wäre nur noch völlig Öde bzw. würde Platz frei für neue Investorenöde.

    Einmal editiert, zuletzt von Heimdall (11. April 2011 um 19:09)

  • Zitat

    Die Ulrichskirche war im Zweiten Weltkrieg beschädigt und im Zuge des Wiederaufbaus der Innenstadt am 5. April 1956 gesprengt worden. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme ist bis heute umstritten.

    Bei dem letzen Satz fragt man sich ernsthaft, in was für einer Zeitzone die Redakteure von der Magdeburger Volksstimme sitzen.

    Ein Referendum ist immer eine zweischneidige Sache. Auf der einen Seite ist es gerade für ein durch Spenden finanziertes Rekonstruktionsprojekt wichtig, dass man eine breite Basis in der Bevölkerung hat. Das kann man anhand einer solchen Entscheidung gut ausloten und zudem weitere Unterstützung generieren.
    Auf der anderen Seite hat ein solches Referendum auch immer einen faden Beigeschmack. Hier wird in einem scheindemokratischen Akt Verantwortung nach unten delegiert und dies am Ende vielleicht noch als großer Gewinn für die Demokratie verkauft. So gesehen wäre es am besten gewesen, wenn eine Volksinitiative einen Volksentscheid angestrebt hätte. Die jetzigen Vorgänge sind also eher suboptimal!

    Wahre Baukunst ist immer objektiv und Ausdruck der inneren Struktur der Epoche, aus der sie wächst. Ludwig Mies van der Rohe

  • Zitat

    Die Notwendigkeit dieser Maßnahme ist bis heute umstritten.

    DAs war wohl nicht so gemeint und zeugt eher von dem der aktuellen Journaille eigenen latenten Analphabetismus, welcher ihr nur quasi versatzstückartig mit vorgegebenen Phrasen zu operieren erlaubt, als von wirklicher Toleranz für diesen Kulturfrevel. Der journalistische Modeausdruck 'umstritten' wird permanent mit 'indiskutabel' oder hier 'nicht vorliegend' vewechselt bzw in diesem Sinne verwendet.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat

    Deutlicher kann ein Bürgermeister seine Ablehnung dem gegenüber nicht machen. Wenn er voll dahinterstehen würde, dann hätte er dieses Projekt auch ohne Bürgerentscheid im Stadtrat durchgepeitscht, so wie er es mit anderen ebenfalls umstrittenen Projekten gemacht hat (zuletzt Bau des Citytunnels).

    Ja so geht das wohl. So glaube ich auch, daß die Rekonstruktion des Braunschweiger Schlosses vor allem der Unterstützung des Bürgermeisters damals zu verdanken war.

    Aus welchen Gründen will der Magdeburger OB nur öde Investorenarchitektur und renovierte Großplatten? Was ist seine Ideologie dahinter? Wirklich nichts spricht gegen die Rekonstruktion der Ulrichskirche. Es ist eine der letzten Chancen für Magdeburg für etwas Ästhetik, Identität und Geschichtstiefe.
    Zu Recht bemerkt ein Artikel des Ulrichskirchen-Vereins auch, daß die erste Volksbefragung in Magdeburg überhaupt die Ulrichskirche betreffen würde. Das ist angesichts dessen, was dort so alles entstanden ist, doch wirklich ungerecht.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Zitat von "Brandmauer"

    Aus welchen Gründen will der Magdeburger OB nur öde Investorenarchitektur und renovierte Großplatten?

    Das ist natürlich schwer zu beantworten und ich kann, da ich die Situation vor Ort gar nicht kenne, nur mutmaßen. Allgemein dürfte natürlich auch hier die tiefenpsychologische Entfremdung von Deutschland vor 1945 eine Rolle spielen. Man will sich möglichst nicht mit der eigenen Geschichte befassen, da dies feste Weltbilder aufweichen bzw. in Frage stellen könnte, da dies Trauer an das eigene Gemüt heranlassen könnte, da dies zu Dingen führt, die einem möglichenfalls die Erbärmlichkeit der Gegenwart schmerzhaft vergegenwärtigen könnte. Konkret könnte hinzukommen die Angst vor dem Unbekannten. Die Platten sind vertraut, bei einer Shopping-Mall kann man auf Erfahrungswerte aus anderen Städten setzen, auf vertraute Investoren usw. Eine Kirchenrekonstruktion aber ist etwas neues, etwas schwer einschätzbares. Die Kosten, die möglichenfalls negativen Reaktionen von Pressevertretern oder Bürgern, die politischen und ästhetischen Debatten, die Gefahr, als "unmodern" dargestellt zu werden - all dies könnte Streß oder Ärger bedeuten, und den möchte man vermeiden. Hinzu kommt sicher auch noch eine Portion Unwissenheit bzw. mangelnde Phantasie hinsichtlich der Realisierungsmöglichkeiten von solchen Visionen. Eine Melange, die viele Politiker zurückschrecken lässt und natürlich auch ihre Piefigkeit offenbart.

  • Zitat von "Winson"

    Bitte zahlreich an der Umfrage teilnehmen:

    Umfrage -
    Fernsehen Magdeburg

    Soll die Stadt die Voraussetzungen für den Wiederaufbau der Ulrichskirche schaffen?


    Heute um kurz vor 18.00 Uhr wurde die Frage mit fast 59,2% mit ja beantwortet. Mal gucken, ob sich diese Tendenz ändert!

    Mehr als 75 % entfallen inzwischen auf ja. Die Umfrage läuft immer noch!

  • Zitat

    Bürgerinitiative für Ulrichskirche erfreut über Stadtratsentscheid

    Die Bürgerinitiative für einen Wiederaufbau der Magdeburger Ulrichskirche freut sich über die Unterstützung durch den Magdeburger Stadtrat. Der Vorsitzende des Kuratoriums Ulrichskirche, Tobias Köppe, sprach von einem wichtigen Signal. Endlich habe man Planungssicherheit und könne die Sache nun weiter verfolgen. Es gehe darum, die Ulrichskirche noch innerhalb der Lutherdekade fertig zu stellen. Der Stadtrat hatte am Donnerstag Abend einem Antrag zugestimmt, die Wiederaufbaupläne des Kuratoriums grundsätzlich zu unterstützen. Finanziert werden soll das Vorhaben mit privaten Mitteln. Die Ulrichskirche war bei der Bombardierung Magdeburgs im Januar 1945 beschädigt worden. Die SED ließ sie später sprengen.

    Quelle: MDR

    Tschau, XFlipX

  • Na, das klingt doch relativ ermutigend - hoffentlich wird das was. Da fällt mir ein: Gibt es überhaupt schon irgendwo in Deutschland eine historische Kirche (Frauenkirche zählt nicht, Garnisonkirche ist ja noch nicht begonnen), die komplett aus dem Nichts rekonstruiert worden ist?

  • Zitat von "Magdeburg1990"

    Man arbeitet da ja auch ziemlich eng mit den Organisatoren des Wiederaufbaues der Frauenkirche zusammen.

    ...und von denen lernen heißt siegen lernen. :)

    Zitat

    Ein erster Schritt wäre jetzt ein Info-Pavillon und eine Freilegung der Fundamente

    ich wußte bislang gar nicht, daß es überhaupt noch Fundamente gibt. Dann hätte man ja sogar etwas Originalsubstanz. Existieren auch noch irgendwelche vor dem Abriß ausgebauten Teile?

  • Zitat

    Fazit: SPD --> große Teile für Wiederaufbau, gegen Bürgerentscheid (bis auf OB und ein paar andere Stadträte); CDU, FDP --> komplett für Wiederaufbau, gegen Bürgerentscheid ; Grüne --> mehrheitlich für Wiederaufbau, für Bürgerentscheid, Linke --> gegen Wiederaufbau, für Bürgerentscheid
    Alles in allem hat es das Kuratorium nicht leicht, das Projekt durchzusetzen. Ich bin aber dennoch optimistisch, da das Kuratorium einfach sehr professionell vorgeht.


    Man kann sich fragen, ob der OB und die Linke zusammen nicht die stärktsten politischen Kräften in MD sind (sieht von außen so aus). Ansonsten sieht es politisch für den Wiederaufbau dann doch eher gut aus, nur die Ambivalenz der Grünen, die hier eher in Naivetät wurzelt, irritiert.
    Das Ergebnis eines Bürgerentscheids wird auch entschieden von der Propaganda abhängen, die beide seiten machen. Es bleibt aber traurig, daß der 1. MDer Bürgerentscheid gerade diesen Gegenstand zum Thema haben sollte.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Prinzipiell ist ein Bürgerentscheid immer eine gute Sache. Hätte es von Anfang an nach dem Krieg Bürgerentscheide zu großen Architekturfragen gegeben, wären viele städtebauliche Katastrophen, unter denen wir heute leiden, in dieser Form und Radikalität nicht umsetzbar gewesen - leider konnten sich volksferne Eliten häufig auf nahezu ganzer Linie durchsetzen. Auch ärgerliche Kompromisse bei heutigen Rekonstruktionsprojekten zugunsten einer kleinen Minderheit unverbesserlicher Modernisten aus der Architektenlobby und deren willigen Gefolgsleuten in Politik und Öffentlichkeit könnten durch direktdemokratische Mittel verhindert werden.

    Und wenn sich die Magdeburger bei einer Abstimmung explizit gegen die Wiedergewinnung eines kleinen Teils ihres verlorenen städtebaulichen Erbes entscheiden, dann ist ihnen einfach nicht zu helfen.

    "Meistens belehrt uns der Verlust über den Wert der Dinge."
    Arthur Schopenhauer

  • Zitat von "Georg Friedrich"

    Und wenn sich die Magdeburger bei einer Abstimmung explizit gegen die Wiedergewinnung eines kleinen Teils ihres verlorenen städtebaulichen Erbes entscheiden, dann ist ihnen einfach nicht zu helfen.


    Ich halte ein solches Ergebnis aber sehr wohl für möglich, bei der SED-Erziehung noch immer eines großen Teils der Wähler und während der heutigen und künftigen Finanzkrisen. Und dann wäre die Folge eben: auf absehbare Zeit keine Ulrichskirche.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Möglich ist das allemal bei einer Bevölkerung, die sich einfach an den Ist-Zustand gewöhnt hat. Und die zudem Angst vor Innovationen hat, wenn diese nicht von oben abgesegnet werden (Stichwort: Obrigkeitshörigkeit).

    Man wird zum einen mit der konstrastierenden Gegenüberstellung arbeiten müssen. D.h. Computergraphiken, wie das Gelände nach einer möglichen Alternativ-Bebauung, die ja nicht völlig ausgeschlossen ist, aussehen könnte: Ein Hotelkomplex, ein Büro- oder Geschäftsgebäude.

    Man wird auf die große Zahl an Grünflächen in der Innenstadt verweisen müssen, eventuell auch Konzepte zur qualitativ hochwertigeren Begrünung des Umfelds im Gefolge Kirchenbaus entwickeln müssen, die das den Park-Freunden schmackhafter machen.

    Man wird auf die weitgehende Finanzierung durch Spenden hinweisen müssen, so daß kein Kindergarten in Konkurrenz zu dem Projekt platziert werden kann.

    Und man wird stärker auf die Nutzung der Ulrichskirche eingehen müssen. Da Sachsen-Anhalt mittlerweile stark atheistisch geprägt ist, sollte man den Bau einer Event-orientierten Bevölkerung schmackhaft zu machen verstehen. D.h., sie sollen sich auch einen ganz konkreten Nutzen für ihr Leben davon versprechen können. Das könnte Theateraufführungen, Konzerte, Filmvorführungen, Ausstellungen usw. beinhalten. Hier sind Ideen gefragt, um Freude auf den Bau zu fördern.

  • Wenn man sich auf der Seite des Kuratoriums mal die gegnerischen Leserbriefe aus der "Magdeburger Volksstimme" durchliest, kommt einem doch das Schmunzeln. Aktuelles
    Da schrieb doch tatsächlich jemand: "Der Wiederaufbau der Kirche würde eine strukturverändernde Maßnahme des gesamten Ensembles der Altstadt bedeuten, eine Einengung des zentralen Platzes...". HÄ??? :gehtsnoch: Wo bitte, ist denn in diesem Bereich die Altstadt? Welches Ensemble? Und außerdem,.. ist nicht gerade die Enge der alten Gassen das, was eine echte Altstadt ausmacht? (!). Irgendwie werde ich auch das Gefühl nicht los, daß diese Magdeburger Volksstimme auch eher gegen die Rekonstruktion eingestellt ist. Bei einem möglichen Bürgerentscheid wäre echt zu hoffen, daß sich die wahlberechtigten Bürger FÜR den Bau aussprechen. Anderenfalls ist ihnen wirklich nicht mehr zu helfen.

  • Ich schätze mal, daß die Contra-"Argumente" - wie übrigens bei den meisten Rekonstruktions-Projekten - nur vorgeschobene "Argumente" sind. Der wirkliche Kern der Kritik ist das Ressentiment. Das Ressentiment derjenigen, die auf eine völlige Abkehr von der Geschichte und dem Glauben an das Projekt "Moderne" beseelt sind. Schlösser, Kirchen oder Fachwerkhäuser passen nicht in eine Zeit, in der Gesellschafts-Manager vorangehen wollen zur funktionalen Vereinheitlichung und Ent-Historisierung der menschlichen Lebensweisen.

    In Magdeburg dürfte das Spezifikum einer sich gedemütigt fühlenden "Linken" eine große Rolle spielen. Mit Zähnen und Klauen verteidigt man fast jede Entscheidung der DDR-Vergangenheit und wittert hinter jeder Revision "Revanchismus" des alten "Klassenfeindes". Auch wenn das noch so dämlich und kontraproduktiv bzw. selbstschädigend ist. Ist eben eine altverwurzelte Mentalitäts-Sache.

    Helfen könnte vielleicht etwas Recherche-Arbeit. Einer der Magdeburger sollte mal im Stadtarchiv stöbern, ob es nicht explizit linksgerichtete Kritiker des Kirchenabrisses gab, z.B. aus der SED. Hier wären ein paar Zitate wertvoll. Somit könnte man einigen der alten "Genossen" vielleicht vermitteln, daß es nicht darum geht, ihnen erneut eine symbolische Niederlage zu bereiten (was womöglich so in ihren Köpfen so herumspuken mag), sondern um ein positives städtebauliches Signal für alle Magdeburger Bürger (und die Touristen).