Magdeburg - Rekonstruktion der Ulrichskirche

  • Bei Musik wäre ich aber vorsichtig, von "Rang ablaufen" zu sprechen. Bei einer Computersteuerung der Register muss man annehmen, dass in der Folge der zugehörige Ton absolut und immer perfekt gleich ist. Ohne jetzt in dem Thema zu sein könnte ich mir vorstellen, dass dies eine gewisse Sterilität des Klangs nach sich zieht. Nicht umsonst schwören ja gerade viele audiophile Menschen immer noch auf den Plattenspieler, oft sogar in Verbindung mit einem sündhaft teuren Röhrenverstärker, um ein komplett analoges System zu besitzen, das im Gegensatz zur Audio-CD nicht immer gleich klingt. ;)

  • Zitat

    Bei den Orgeln ist es nämlich anders als in der Architektur: Die Orgeln wurden immer weiter entwickelt und mit zusätzlichen Registern und vielem anderen Schnickschnack ausgestattet, so dass man mit einer modernen Orgel ein Hochleistungsinstrument besitzt, das jeder, und wirklich JEDER historischen Orgel (auch von Schnitger oder Silbermann) locker den Rang abläuft. In der Orgel der Hanauer Marienkirche, die als die beste im gesamten Rhein-Main-Gebiet gilt, ist sogar ein Glockenspiel integriert, das man über die Orgeltasten bedienen kann.

    Das ist aus unterschiedlichen Gruenden nicht so. Wenn man diese These auf die architektur uebertraege, dann waeren die Wolkenkratzer von Dubai oder Schanghai der Hoehepunkt der Architekturgeschichte in jeglicher Hinsicht.

    Der wichtigste Grund ist: historische Musik wurde fuer die historischen Instrumenten geschrieben. Bis zur Barockzeit waren Orgel mitteltoenig temperiert, was die Vermeidung bestimmter Zusammenklaenge und die absolute Reinheit anderer zur Folge hatte. Es ergab sich daraus eine andere Art von Musik, die mit einem modernen Instrument aufgrund der anderen Temperierung nicht genau reproduziert werden kann.
    J. S. Bach hat in seinem Werk "Das Wohltemperierte Klavier" gezeigt, dass man auf einem modernen Instrument in allen Tonarten spielen kann. Die aelteren Instrumenten hatten auch eine kleinere Tastatur, es waren weniger Oktaven enthalten.
    Des Weiteren glaube ich, dass die Instrumenten von allen Meistern der Orgelbau aufgrund der Arbeitsweise, Aufbau des Instruments, genutzten Materialen usw. ihren ganz eigenen, einmaligen Klang hatten.

    Vor allem in der Barockzeit wurde technisch an Orgeln auch schon unwahrscheinliches geleistet. So konnten an der Wagner-Orgel in der Berliner Garnisonskirche dekorative preussische Adler mechanisch mit ihren Fluegeln klappern, und es gab Trompeten und Trommeln..

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Zitat von "Weingeist"

    Es erfüllt mich doch mit einer gewissen Zufriedenheit zu wissen, daß Herr Ott seine Frankfurter Altstadt bekommen wird, so wie ich meine Schnitgerorgel bekommen werde.

    Na ja, wir freuen uns natürlich alle. Auch mit Jörg Ott. Aber es sind natürlich dennoch ein paar mehr Leute involviert, die "ihre" Altstadt bekommen.

  • Es ist heute wohl sicher, dass ein ganz kleiner Teil der Frankfurter Altstadt wiederkommen wird. Aber dass auch die Magdeburger Ulrichskirche wiederkommen wird, geschweige denn mit einer rekonstruierten historischen Orgel, steht noch voellig in den Sternen!

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Ja, das ist natürlich richtig. Es steht ja noch nicht fest, dass die Kirche wiederaufgebaut wird. Ich muss auch zugeben, dass ich die Informationen zur Orgel auch nur von diesem Musikstudenten habe. Ich selbst verstehe davon leider nichts. Machen wir es doch einfach so: Über die Orgel reden wir dann weiter, wenn die Kirche gebaut wird (?!)

  • Das gehört eindeutig in diesen Strang hier:

    Zitat von "Canaletto"

    St. Ulrich und Levin, Magdeburg:

    Habe ich mit Verspätung erst gelesen:

    08.10.2008: Jetzt geht's los! Ab sofort kann gespendet werden, das Kuratorium Ulrichskirche e.V. ist gemeinnützig! Das Finanzamt Magdeburg hat die Gemeinnützigkeit des Kuratoriums Ulrichskirche e.V. anerkannt. Ab sofort dürfen wir Spenden für die Rekonstruktion der Magdeburger Ulrichskirche annehmen: Empfänger: Kuratorium Ulrichskirche e.V., Spendenkonto Deutsche Bank Magdeburg, Kontonummer: 120804000, BLZ: 81070024 (IBAN-Code: DE21810700240120804000 SWIFT/BIC-Code: DEUTDEDBMAG) und Spendenkonto Stadtsparkasse Magdeburg, Kontonummer 32254500, BLZ: 81053272 (IBAN-Code: DE63810532720032254500, SWIFT/BIC-Code: NOLADE21MDG). Da es sich um reine Spendenkonten handelt, muss kein Verwendungszweck angegeben werden. Weitere Konten werden folgen, um eine professionelle Abwicklung garantieren zu können. Wir danken Ihnen für Ihre Unterstützung!


    http://www.ulrichskirche.de/Foerdergesellschaft.htm

  • Viel Erfolg nach Magdeburg!

    Mein Gott, ich habe großen Respekt vor dieser Stadt, die eigentlich über die Jahrhunderte immer nur zerstört worden ist. Dabei war sie doch einst die bedeutendste Stadt im HRRDN schlechthin.

  • Von dieser bedeutendsten Stadt im HRRdN gibt dieser Merian-Stich einen guten Eindruck:

    http://diathek.kunstgesch.uni-halle.de/dbview/diathek…pg/02t2779d.jpg
    Die Ulrichskirche ist dort mit der Nr. 14 bezeichnet.
    Die wichtigste Stadt im HRRdN hat es wegen des dezentralen Charakters des Reiches nicht gegeben. Im deutschen Königreich innerhalb des HRRdN waren Köln, [lexicon='Frankfurt am Main'][/lexicon], Straßburg, Nürnberg, Augsburg, Wien und Breslau doch nicht minder wichtig (für das hohe und späte Mittelalter gesehen) UU. koennte man noch Prag (wie Breslau zum Koenigreich Boehmen gehoerig) und Antwerpen, Bruessel und Gent nennen (Gent und Bruegge lagen aber im Hohen Mittelalter noch im Kgr. Frankreich)
    Magdeburg war aber mit Lübeck von alters her die Metropole des niedersächsischen Sprach- und Kulturkreises. Nach der Zerstörung im dreißigjährigen Krieg wurden die Vorstädte im Süden und Norden aufgegeben (Südenburg und Newestatt), die auf dem obigen Merian-Stich noch zu sehen sind. Nur die Kernstadt mit den sieben großen Pfarrkirchen wurde wieder aufgebaut.
    Es scheint immer wahrscheinlicher zu werden, dass die Ulrichskirche wieder aufgebaut wird. Dafür verdient die Arbeit des Kuratoriums größte Anerkennung.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Brandmauer:
    Zumindest hat es die beiden Vorstädte noch (oder wieder?) vor der Napoleonischen Invasion 1807 gegeben. Dann mussten sie - für ein freies Schussfeld - an dieser Stelle aufgegeben werden und wurden abgerissen. Sie wurden weiter draußen wiedererrichtet.
    Von dieser Geschichte kündet die Inschrift auf der Fassade der Nikolaikirche in der (heutigen) Neustadt:
    "IM KRIEGSDRANG ZERSTÖRT 1813 / MIT GOTT DURCH KÖNIGSHULD / IM FRIEDEN HERGESTELLT 1824" (der preussische Staat / König hatte den Bau finanziell unterstützt).

    Siehe hierzu auch
    http://de.wikipedia.org/wiki/Sankt-Nic…che_(Magdeburg)

    Immerhin handelt es sich um Karl Friedrich Schinkels ersten Kirchenbau. Außen eher unauffällig, ist er innen sehr prächtig - mit dem blauem Himmel (mit Sternen im Altarraum) - erinnert an sein Bühnenbild für Mozarts "Zauberflöte".

    In der (neuen) Sudenburg wurde ebenfalls - 1822 - eine Kirche errichtet, die wegen Schwammbefall 1877 durch das heutige Gebäude der Ambrosiuskirche ersetzt wurde.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Sankt-Amb…che_(Magdeburg)

    Während im letzten Weltkrieg die Nikolaikirche nur mittlere Schäden erlitt und bald wiederaufgebaut wurde, hatte die Ambrosiuskirche keine solchen zu vermelden, im Gegensatz zu den nach dem Krieg abgebrochenen zehn (!) Innenstadtkirchen.

    Der alte Standort der Sudenburg - das heutige Gelände südlich des Domes um den Hasselbachplatz herum ("südliches Stadtzentrum") - hat ebenfalls den letzten Krieg weitgehend unbeschadet überstanden. Ende des neunzehnten Jahrhunderts hatte der preussische Militärfiskus das in der Napoleonischen Tradition bis dahin als Befestigung genutze Gelände aufgegeben und an die Stadt verkauft.

    Zu den abgebrochenen Innenstadtkirchen siehe

    http://www.kirchensprengung.de/Magdeburg.htm

    Trotz der immensen Verluste allein an Kirchen-Dominanten ist die Elbfront der Stadt (der Blick vom gegenüberliegenden Ufer, wie er auch im Merian-Stich gezeigt wird) auch heute noch einzigartig beeindruckend.

  • Die Ulrichskirche im Jahr 1955

    Noch ein Jahr später - im Jahr des Abrisses

    Und schließlich das deprimierende unmittelbare Vergleichsbild 1945/1964

    Der Text dazu lautet: "15 Jahre Aufbau Magdeburgs - Magdeburg, dessen Stadtzentrum knapp vor Kriegsende durch anglo-amerikanische Bomben fast völlig zerstört worden war, bot vor 15 Jahren noch ein trauriges Bild. Auch an der Guericke-Straße gab es nur Trümmer. Heute erheben sich hier die beiden Punkthäuser (links) und das moderne Hotel "International" (rechts). Die Regierung der DDR hat gerade für den Neuaufbau der Elbestadt bedeutende Mittel zur Verfügung gestellt."

    Hier ein anschaulicher Videobeitrags des Kuratoriums für den Wiederaufbau.
    http://www.youtube.com/watch?v=nCXgxJUTdKw

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Interessante Bilder. Die Ulrichskirche scheint einen sehr ähnlichen (bzw. ähnlich geringen) Zerstörungsgrad aufzuweisen wie die Dresdner Sophienkirche. Was beiden nichts genutzt hat. War es eigentlich auch in Magdeburg Ulbricht persönlich, der für den Abriß gesorgt hat?

  • Zum Vergleichsbild 1945/1964: Wenn alle Bausubstanz benutzt worden wäre, die 1945 noch halbwegs stand, und die Kirchen wären repariert worden, dann würde Magdeburg heute ungefähr so aussehen wie Braunschweig. Das wäre zwar auch nicht großartig, aber immer noch um Meilen besser als diesen städtebaulichen Super-GAU, den wir auf dem 1964er Bild gerade fertiggestellt sehen. Der sieht wirklich aus wie einer sowjetischen, durch Zwangsarbeiter errichteten Urananreicherungsfabrik im Ural.

    Anders als manche andere Stalinbauten in der ehemaligen DDR an der Langen Straße in Rostock, am Altmarkt in Dresden oder in Neubrandenburg, haben die Magdeburger Stalinbauten kein bißchen Regionalbezug. Sie wirken einfach nur industriell und sowjetisch und sind schrecklich überdimensioniert.
    Eine wirkliche Verbesserung im Stadtbild Magdeburgs wäre nur möglich, wenn eine Anzahl von ihnen verschwinden könnte. Wenigstens der Blaue Block wird in kürze verschwinden, und wenn dort etwas anständiges gebaut würde, gäbe es mit der Ulrichskirche einen Ansatz zur Besserung.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Zitat von "Schloßgespenst"

    Interessante Bilder. Die Ulrichskirche scheint einen sehr ähnlichen (bzw. ähnlich geringen) Zerstörungsgrad aufzuweisen wie die Dresdner Sophienkirche. Was beiden nichts genutzt hat. War es eigentlich auch in Magdeburg Ulbricht persönlich, der für den Abriß gesorgt hat?

    Ja, jedenfalls behaupten das die Annalen.

    Magdeburg – Wikipedia

    siehe Quelle 3: Günter Kowa: "Die Kanzlei Gottes". Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.2.2009

  • den fehlenden ortsbezug mag man bei den fünfziger-jahre-bauten einklagen, die architektonische qualität ist aber immerhin noch sehr viel besser als alles, was danach im bereich der magdeburger altstadt gebaut worden ist - vor allem die in den neunziger jahren ins zentrum gewuchtete shopping-wüstenei zwischen bahnhof und elbe oder der fiese hundertwasserkitsch stünden bei mir ganz oben auf der sprengliste.
    zur kirchenreko: gibt es ein tragfähiges nutzungs- und finanzierungskonzept, oder ist das träumerei?

  • Ja Magdeburg hat auch nach der Wende fast alles falsch gemacht, was es falsch machen konnte. Annehmbar unter den Neubauten finde ich nur die Häuser direkt gegenüber vom Bahnhof und vom Dom (die blauen Blöcke am Domplatz)
    Manche bezichtigen den "Genius Loci" all dieser Fehlschläge. Aber ich denke, daß es vor allem an das zu grobe und große Maßstab liegt, das die 50er und 60er Bauten setzen. Deshalb sind sie m.E. auch ein so großes Problem.

    VBI DOLOR IBI VIGILES

  • Zitat von "amenophis"

    Um das Ausmass der tabula rasa Politik nochmals zu verdeutlichen :

    http://www.kirchensprengung.de

    :wuetenspringen::aufdenkopf:

    Links, das bin ich. Der Behaemmerte rechts soll Genosse Spitzbart darstellen...es ist nicht zu fassen. Auch, dass das die Bevoelkerung damals diese ganzen Sprengungen "einfach so" hingenommen zu haben scheint (die Anfuehrungszeichen deshalb, weil das etwas Spekulation von meiner Seite ist...um Aufklaerung wird gebeten!).

    CK

    „Groß ist die Erinnerung, die Orten innewohnt“ - Cicero

  • Die damalige Bevölkerung war durch 11 Jahre Adolf, den Krieg, dem terror der roten Armee und der SED, sowie durch den Existenzkammpf der Nachkriegszeit auf "Ruhe"gepolt.

  • Wenn man dem Staat in die Quere kam, konnten die Strafen drakonisch sein. Besonders in den ersten Jahren. Da wurde schnell ein Tatbestand aus staatsfeindlicher Hetze oder Sabotage konstruiert (Abrißverhinderung, Entzug von Baumaterial für die Volkswirtschaft).
    Die Trümmergebiete waren ja im Prinzip staatlich betriebene Steinbrüche.

    Es gab auch keine Plattformen, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen oder an unabhängige Informationen und Sichtweisen heranzukommen, wie es der heutigen Internetgeneration selbstverständlich ist.
    Es ist leicht, aus heutiger Sicht und mit dem heutigen Erfahrungshorizont ein Urteil zu fällen, aber schwierig, sich in die damalige Zeit hineinzuversetzen.