Potsdam - Garnisonkirche

  • Aber mir ist kein Kirchturm bekannt, der aufgrund von Krieg und Abrissbirne komplett von der Bildfläche verschwunden war und dann originalgetreu rekonstruiert, aber mit einem modernen Neubau verbunden wurde. Das wäre ein Novum.

    Ist denn in Deutschland überhaupt schon mal irgendwo eine Kirche aus dem Nichts rekonstruiert worden? Die Frauenkirche zählt nicht, da noch eine Ruine stand und unzählige verwendbare Trümmer vorhanden waren; in Moskau wäre die Erlöserkathedrale zu nennen - aber in Deutschland (obwohl es schon Totalrekonstruktionen mehrerer Schlösser und Palais gibt) ist das ganze Projekt doch bislang einmalig, oder?

    Zitat

    Es gibt auch Fälle, in denen nur der Kirchturm ohne Schiff erhalten ist, wie z.B. der Turm der Stadtkirche Gießen

    Nur am Rande: Hier gibt es sogar auch noch einen Kirchenneubau, aber der wurde laut Wikipedia extra ein Stück weiter errichtet, um - in der Hoffnung auf eine spätere Rekonstruktion - den Platz des historischen Kirchenschiffs freizulassen.

  • Magdeburg, Ulrichskirche. Ist aber gescheitert.
    Man muss dazu sagen, dass man bedeutsame Kirchenruinen idR auch nicht gesprengt hat. Das blieb der DDR vorbehalten. Von der GK nicht mal den Turm übrig zu lassen, war denn auch ein zu arges Stück.

    Was die Hl.Geist-Kirche in Markgröningen betrifft, so hab ich meine Zweifel ob man sich drüber wirklich freuen soll:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Heilig-Ge…LA_60er_Web.jpg

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

    Einmal editiert, zuletzt von ursus carpaticus (16. November 2017 um 10:33)

  • Gescheiterte rechne ich natürlich auch nicht mit, sonst hätte man auch "Paulinerkirche Leipzig" nennen können - in Potsdam geht es ja nun, wenn auch zunächst nur mit dem Turm und Anbauten, wirklich los. Aber dennoch: Nicht mal eine konkrete (wenn auch gescheiterte) Initiative zur Rekonstruktion einer verschwundenen Kirche gab es außer in Leipzig und Magdeburg bislang irgendwo in Deutschland. Dass es in allen drei Städten ausgerechnet bei einer auf SED-Anordnung gesprengten Kirche solchen (in MD bis auf weiteres und in L endgültig erfolgreichen) Widerstand gibt, bei Schlössern weitaus weniger und bei Palais scheinbar fast gar nicht, macht mich immer wieder fassungslos. Was die DDR-Führung in dieser Hinsicht mit den Gehirnen der Menschen angestellt hat, dass haben Polen und Russen nicht geschafft.

  • haben sie die Plane mit dem Aufdruck “Eine Kultur des Friedens schaffen“ zerschnitten.

    Man sollte den angebotenen Kompromiss auch zerschneiden und mit einem neuen Plakat verkünden, daß nun die Garnisonkirche als Militärkirche für das Bundeswehrführungskommando in Potsdam aufgebaut wird. Dann würden die selbsternannten Antifaschisten wohl stundenlang Regentänze aufführen..... :biggrin:

    " Dem Wahren, Schönen, Guten "

  • Letztlich sind das alles Zukunfstdiskussionen, niemand weiß, was in 5 oder 10 Jahren ist. Vielleicht kommt gar kein Schiff mehr, vielleicht eine moderne Interpretation, villeeicht eine Rekonstruktion, wer weiß das heute schon.
    Vieles wird davon abhängen, wie man in Potsdam die Reko aufnehmen wird, ob es gelingt, die fehlenden Millionen jetzt schnell einzuwerben, so dass der Turm in seiner Schönheit und Anmut erlebbar wird und man sieht, welche positiven Effekte die Reko für das Stadtbild hat.
    Und dann wird es auch darauf ankommen, wie die Kirche bespielt wird, ob es eine Nutzung nah am Menschen gibt, oder ob es wieder so eine typisch deutsche Kopfgeburt wird, so wie die Paulskirche in Frankfurt, die mit dem Leben der Menschen nichts zu tun hat.
    Es liegt also in der Hand derer, die jetzt etwas aus dem Projekt machen müssen und auch an den Potsdamern, wie sie den Bau annehmen. Und erst dann wird man diskutieren können, wie es weiter geht.

    Fern ab dieser Diskussion verweise ich auf die Webcam. Es wurde schon gesagt, das Banner wurde zerschnitten (ich wundere mich eher, dass es jetzt 2 Wochen oder so hing, dachte, man reißt es schon am ersten Abend weg). Viel wichtiger ist aber, dass die Bohranlagen die Baustelle erreicht haben so dass der Bau jetzt sichtbar startet. Somit kann man diese Woche als faktischen Baustart im Kalender anstreichen. Nachdem sich in Berlin ja nur noch wenig tut, gibt es ab jetzt also eine neue Baustelle, wo man sich über Veränderungen freuen kann :D

    http://garnisonkirche-potsdam.de/nc/webcam/webc…kirche-potsdam/

    APH - am Puls der Zeit

  • Zitat

    Was die DDR-Führung in dieser Hinsicht mit den Gehirnen der Menschen angestellt hat, dass haben Polen und Russen nicht geschafft.

    das hat einen ganz einfachen Grund: PL und RU sind keine protestantischen Länder. Nirgendwo wirkte die atheistische Propaganda so tief wie in der DDR und CSSR.
    Man darf nicht übersehen, dass die Wiederaufbaudiskussion hinsichtlich der GK AUSSCHLIESSLICH ästhetischen-kulturhistorischen Überlegungen geschuldet ist. Geistlich-philosophische Gesichtspunkte sind weitestgehend negativer Natur, dh werden überwiegend zur Ablehnung der Reko herangezogen. das war schon im historisch völlig unproblematisch erscheinenden Magdeburger Fall nicht anders. "Kirche nein danke, wer braucht so was" hat über den Gedanken der Stadtbildreparatur haushoch gesiegt.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Es kommt ein Schiff, geladen
    (Es kommt ein Schiff)
    Daniel Sudermann (1626)
    Volksweise (1608)

    Es kommt ein Schiff,
    geladen bis an sein' höchsten Bord,
    trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
    des Vaters ewig's Wort.

    Das Schiff geht still im Triebe,
    es trägt ein’ teure Last;
    das Segel ist die Liebe,
    der Heilig’ Geist der Mast.

    Der Anker haft' auf Erden,
    da ist das Schiff am Land.
    Das Wort tut Fleisch uns werden,
    der Sohn ist uns gesandt.

    Zu Bethlehem geboren
    im Stall ein Kindelein,
    gibt sich für uns verloren;
    gelobet muß es sein.

    Und wer dies Kind mit Freuden
    umfangen, küssen will,
    muß vorher mit ihm leiden
    groß’ Pein und Marter viel,

    danach mit ihm auch sterben
    und geistlich aufersteh’n,
    ewig’s Leben zu erben,
    wie an ihm ist gescheh’n.

    Maria, Gottes Mutter,
    gelobet musst du sein.
    Jesus ist unser Bruder,
    das liebe Kindelein.

    Oder doch besser dieses:


    Ein feste Burg ist unser Gott
    Martin Luther (1528)

    Ein feste Burg ist unser Gott,
    ein gute Wehr und Waffen.
    Er hilft uns frei aus aller Not,
    die uns jetzt hat betroffen.
    Der alt böse Feind mit Ernst
    ers jetzt meint;
    groß Macht und viel List
    sein grausam Rüstung ist,
    auf Erd ist nicht seinsgleichen.

    Mit unsrer Macht ist nichts getan,
    wir sind gar bald verloren;
    es streit' für uns der rechte Mann,
    den Gott hat selbst erkoren.
    Fragst du, wer der ist?
    Er heißt Jesus Christ,
    der Herr Zebaoth,
    und ist kein andrer Gott,
    das Feld muß er behalten.

    Und wenn die Welt voll Teufel wär,
    und wollt uns gar verschlingen,
    so fürchten wir und nicht so sehr,
    es soll uns doch gelingen.
    Der Fürst dieser Welt,
    wie saur er sich stellt,
    tut er uns doch nicht;
    das macht, er ist gericht':
    Ein Wörtlein kann ihn fällen.

    Das Wort sie sollen lassen stahn
    und kein' Dank dazu haben;
    er ist bei uns wohl auf dem Plan
    mit seinem Geist und Gaben.
    Nehmen sie den Leib,
    Gut, Ehr, Kind und Weib:
    Laß fahren dahin,
    sie habens kein' Gewinn,
    das Reich muß uns doch bleiben.


    Na ja, vielleicht dann doch lieber das hier:

    Der Wächter auf dem Turme saß
    Volkslied (18. Jh.)
    Volksweise (18. Jh.)

    Der Wächter auf dem Turme saß,
    sein Hörnlein tat er blasen:
    Wer noch bei seinem Schätzlein liegt,
    der steh nun auf und mach sich fort,
    der Tag fängt an zu strahlen,
    zu malen.

    Das Mädchen aus dem Bette sprang,
    den Tag wollt sie anschauen:
    Bleib liegen nur, herztausender Schatz,
    es ist fürwahr noch lang nicht Tag,
    der Wächter hat uns belogen,
    betrogen!
    ...


  • das hat einen ganz einfachen Grund: PL und RU sind keine protestantischen Länder. Nirgendwo wirkte die atheistische Propaganda so tief wie in der DDR und CSSR.

    Die Tschechei ist doch auch nicht protestantisch. In Magdeburg wurde äußerst erfolgreiche Gegenpropaganda betrieben. Von der angeblichen Zupflasterung der letzten Grünfläche (in Magdeburg!) über drohende Unkosten für die Stadt von denen noch gar keine Rede sein konnte und die Stadt an keiner Stelle zu Kostenübernahme verpflichtet werden sollte. So hat man die Bemühungen zum Wiederaufbau mit dem Entscheid abgewürgt, bevor vom Kuratorium überhaupt ein tragfähiges Konzept erstellt werden konnte.
    Aber offenbar wird von den Magdeburgern der sozialistische Zustand ihrer Innenstadt schon als Normalität empfunden. Klagen über die riesigen Verkehrsschneißen gibt es nicht. Ich glaube die meisten Magdeburger wissen auch gar nicht mehr, dass die Gegend nördlich der Ernst-Reuter-Allee auch mal Altstadt war. Traurig, aber so ist es. Gibt ja auch kaum etwas was sie daran erinnern könnte.

  • Na ja, die Tschechei war hussitisch (sozusagen protoprotestantisch) und antikatholisch geprägt und ist in weiterer Folge sehr früh vom Glauben abgefallen, vor allem in den Städten und in Böhmen. So gesehen eine starke Parallelität zum Schicksal des Glaubens in der DDR. In Mähren, vor allem gegen Osten zu, wird es besser. Im Vergleich dazu blieb die katholische Slowakei bis heute christlich.
    In Mähren gibt es immerhin große Kirchenneubauten, wenngleich keine Rekonstruktionen.

    Die größte komm. Sünde war diese:
    https://www.google.at/search?q=Auspi…f=1510856682377


    Hie handelt es sich auch um eine Sprengung eines beschädigten Baues, so gesehen am ehesten um eine Parallele zur GK.
    Der Neubau ist nicht schlecht, aber...

    https://de.wikipedia.org/wiki/Stadtpfar…1clava_obr1.jpg

    Lundenburgs Kirche wurde im 2. WK zerstört:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Wenzelskirche_(B%C5%99eclav)

    und ebenfalls neu erbaut.

    Die völlig zerstörte Stadt Hotzenplotz hat mW bis heute keine Kirche.

    Bei der Sprengung der GK war weniger die religiöse Frage als der grundsätzliche Hass der Kommunisten gegen ihre Geschichte und nationale Identität maßgeblich. Dafür gab es in der CSSR interessanter keine Entsprechung, obwohl viele Kunstdenkmäler eigentlich deutscher Provenienz waren.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Ursus These wird durch die Tatsache gestützt, dass das Eichsfeld, die einzig bedeutende katholische Region in der ehemaligen DDR, noch heute auch im Bundesvergleich überdurchschnittlich religiös ist.

    Einmal editiert, zuletzt von Suebicus (17. November 2017 um 10:30)

  • Ich finde es auch schade das in Magdeburg das Projekt Ullrichskirche gescheitert ist .Nicht einmal ein Reko des Kirchenportals ist dort erwünscht.
    Naja bei so einer Stadtregierung rot,rot ist auch keine Unterstützung für ein Kirchenbau zu erwarten und dazu noch mitten im Zentrum einer ehemaligen DDR Bezirksstadt ,das geht ja nun wirklich nicht. nono:)
    In MD wurde 2011 ein Bürgerentscheit natürlich von den linken Kräften der Stadt initiert,zwar mit geringer Beteiligung aber leider Erfolgreich.Auch ein großteil von Stadtverantwortlichen stand dahinter.
    Ich denke gerade in den neuen Bundesländern wo die meisten Bürger auf Grund der Politischen Vergangenheit(DDR)mit Kirche und Glauben nichts am Hut haben,sind heute Kirchenneubauten gerade in Innenstädten nur sehr schwer umsetzbar.
    Der Geist der DDR wirkt noch lange nach.

  • aber eben auch ein katholischer.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Dresden gemießt ja auch mythischen Sonderstatus, die Frauenkirche ist DAS Symbol für Wiederaufbau und der Versöhnung von Ost und West! In dieser verklärten Aura, so kurz nach der Wende konnte bürgerschaftliches Engagement schnell Fuß fassen und Unterstützung weit über Dresdens Grenzen hinaus herausfordern, eben der "Ruf aus Dresden" schallte weit und fand hilfsbereiten Widerhall.

    Einmal editiert, zuletzt von SchortschiBähr (17. November 2017 um 11:20)

  • Absolut. Im Rückblick denkt man sich heute, in den 90ern wäre noch so viel mehr möglich gewesen. Da wurde die Gunst der Stunde nicht überall genutzt. Es hätte in jeder Stadt größere Rekonstruktionen geben können. Auch eine Magdeburger Ulrichskirche oder Potsdamer Garnisonkirche wäre wohl leichter durchsetzbar gewesen als in den 2010ern.

  • Nein, so war das absolut nicht. Die Widerstände des Triumvirats aus westdeutscher Denkmalpflege und Feuilletonisten sowie der Architektenschaft waren enorm. Nur in Dresden mit der Vorarbeit der sächsischen Denkmalpfleger um Hans Nadler und Heinrich Magirius zur DDR-Zeit war die Frauenkirche möglich. Ihre archäologische Rekonstruktion war eine nationale Kraftanstrengung und ein enormes Gemeinschaftswerk. Die Schlösser in Potsdam und Berlin waren damals ganz ferne Ziele. Alles folgte erst in den 2000ern sehr langsam dem großen Erfolg Frauenkirche - selbst der Dresdner Neumarkt. Deswegen war der Widerstand aus der westdeutschen "Expertenschaft" auch zunächst so groß. Die wußten um die Symbol- und Folgewirkungen.

    2 Mal editiert, zuletzt von Philipp (17. November 2017 um 12:54)

  • Zitat von Philipp

    Die Widerstände des Triumvirats aus westdeutscher Denkmalpflege und Feuilletonisten sowie der Architektenschaft waren enorm. […]
    Deswegen war der Widerstand aus der westdeutschen "Expertenschaft" auch zunächst so groß. Die wußten um die Symbol- und Folgewirkungen.


    Volle Zustimmung, Philipp. Nachfolgend einige Zitate aus einem Artikel in unserem Jahrbuch von 2014 – „Der Wiederaufbau des Dresdner Schlosses“:

    Zitat von BautzenFan

    Zum Zeitpunkt seiner Erstellung hatten die Autoren des zielsetzenden Dokumentes von 1983 [Anm.: gemeint ist die denkmalpflegerische Rahmenzielstellung der sächsischen Denkmalpfleger für den Aufbau des Residenzschlosses] keine ernsthaften „ideologischen“ Widerstände mehr zu erwarten [Anm.: keine Abrissgefahr mehr wie in den 1950er und 1960er Jahren], wohl aber Riesenprobleme hinsichtlich der ökonomischen Realisierbarkeit. Reichlich 10 Jahre später sollte das genau umgekehrt sein. […]

    Die deutsche Wiedervereinigung und die damit verbundenen politischen und wirtschaftlichen Veränderungen bedeuteten auch für die Schlossbaustelle eine drastische Zäsur, das Bautempo gewann rasant an Fahrt. Der nunmehrige Bauherr, die Regierung des 1990 neu gebildeten Freistaates Sachsen, hatte frühzeitig eine sehr wohlwollende Haltung zum Schlossprojekt erkennen lassen. Vom 1. Juli 1990 (Beginn der Währungsunion zwischen der BRD und der DDR) bis zum 31. Dezember 1991 wurde die enorme Summe von 40 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Erster Höhepunkt des fulminanten Baugeschehens war die Komplettierung des Hausmannsturmes im Oktober 1991. Tausende Dresdner verfolgten das Geschehen vor Ort, sahen ergriffen zu, wie der eigens für diesen Zweck aufgestellte Spezialkran Laterne und Turmspitze nach oben beförderte. Weiter ging es mit dem Nordostflügel, dem Südflügel vom Großen Schlosshof, dem Bärengartenflügel, dem Südflügel gegenüber dem Taschenbergpalais - und dies Schritt für Schritt nach den alten DDR-Planungen. Eine durch den nunmehrigen Bauherren bestätigte Gesamtkonzeption fehlte nach wie vor.

    In dieser Phase trat nun eine ganz neue Gefahr auf, die Rekonstruktionskritiker, wortführend vertreten durch westdeutsche Gralshüter der reinen Denkmalpflege-Lehre, verschafften sich lautstark Gehör. Es war die Zeit kurz nach der Grundsteinlegung an der Dresdner Frauenkirche (27. Mai 1994). Die Position, den Wiederaufbau dieses barocken Meisterwerks streng rekonstruktiv, ohne „Neuinterpretationen“ wesentlicher Architekturteile zu realisieren, hatte sich gegen große Widerstände durchsetzen können. Nun also geriet das Schloss in den Fokus. Auslöser für die nachfolgenden Kontroversen war ein Autorenbeitrag in der *Frankfurter Allgemeinen Zeitung*, der die im Text geballt aufgefahrene Kritik pointiert schon im Titel formulierte: Die Erfindung der Geschichte.[6]. Die Polemik führte vom Vorwurf des historischen Disneylands hin zu der Schlussfolgerung, dass nur ein unbefangener, auswärtiger Architekt die Inspiration, den großen Geist für das Schlossbauvorhaben aufbringen könne. Nicht zuletzt diese Aussage stieg den Dresdner Fachleuten verständlicherweise sehr bitter auf.

    Hans Nadler sprach in diesem Zusammenhang von „unverschämten Schmähschriften“ (in der Sächsischen Zeitung vom 15. Februar 1995). So eine Wortwahl von jemandem wie Nadler – ein distinguierter Bildungsbürger der besten alten Schule – sagt alles.