Der werte Leser möge gewarnt sein: Groß Karben, zwar seit 1971 Teil der "Stadt" Karben und im Dunstkreis des Rhein-Main-Gebiets gelegen, ist in seinem Kern letztenendes doch nur ein Dorf geblieben. Prächtige Gründerzeitvillen und ornamentbeladene Sandsteinfassaden wird man in diesem Beitrag vergeblich suchen. Schwerpunkt dieser Dokumentation ist jedoch die alltägliche historische Architektur, die man mangels entsprechender Präparation und Präsentation im Vorbeigehen oder -fahren meist nicht wahrnimmt, die von den Schwerpunkten des dörflich-städtischen Lebens meist nicht zu sehen sind und die der Laie schlicht als altes Zeug abtut, das beseitigt werden sollte. In gewisser Weise ist dieser Rundgang durch ein unscheinbares Wetteraudorf auch eine Reise in die Vergangenheit. Nein, nicht in die Vorvorkriegszeit und die damit assoziierte "heile Welt" - eher in die 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts, als das Auto noch Vorrang vor dem Menschen hatte und das gemeine Fachwerkhaus zuweilen hinter dickem Putz verborgen lag.
Ich will aber nicht alles mies machen: Groß Karben hat auch seine schönen Ecken - zwei oder drei. Diese werde ich hier ebenfalls zeigen. Allen, die der obige Disclaimer noch nicht vergrault hat, wünsche ich nun viel Vergnügen bei der Reise in eine ziemlich unbedeutende Ecke der Welt... :gg:
Zwecks besserer Orientierung zunächst eine Karte, in den Bildbeschreibungen werde ich mich auf die Nummern beziehen. Alle Rechte am Bild liegen bei Google Maps. Mein Rundgang entspricht in Etwa der Abfolge der Ziffern.
Ausgangspunkt der Reise ist die Karbener Bahnhofsstraße, welche - wer hätte es gedacht - vom alten Ortskern zum Bahnhof führt. Jenseits von Haus Nr. 33 (Nr. 1 auf der Karte) beginnt der jüngere Teil des Ortes, welcher die gewohnt grauenhafte architektonische Qualität der 50er bis 80er beinhaltet. Das Haus selbst ist typisch für eine Bauphase, die um die vorletzte Jahrhundertwende begonnen haben dürfte - Fachwerk war aus der Mode, statt dessen kamen preußisch anmutende Backsteine zur Verwendung. Jenes Haus hier ist allerdings schon lange verputzt.
Besagte Bahnhofsstraße, von Punkt 2 aus in nördlicher Richtung fotografiert. Die Bebauung setzt sich recht heterogen aus Nachkriegsbauten einerseits und Vorkriegsbauten verschiedener Epochen andererseits zusammen. In Anbetracht der Tatsache, dass Karben im letzten Krieg keinerlei Zerstörungen erfahren hat, muss hier die Abrissbirne am häufigsten gewütet haben. Die erhaltenen Vorkriegsbauten sind jedoch weitestgehend in den letzten Jahrzehnten massiv verändert worden. Die meisten als Fachwerkbauten zu erkennenden Gebäude sind nach wie vor verputzt, das gleiche gilt für die Bauten aus der oben genannten Backsteinära.
Jüngstes Beispiel dafür, dass langsam der historische Wert des Viertels erkannt wurde, ist dieses Fachwerkhaus (Karte Nr. 3), dessen Balken bei einer vor kurzem durchgeführten Renovierung freigelegt wurden. Gleichzeitig wurde das Gefache neu ausgemauert. Die südliche Fassade folgt hoffentlich zeitnah der Straßenfront, auch wenn man über den Farbton streiten kann. Das überstehende Dach irritiert mich allerdings etwas...
Auf Punkt 4 der Karte folgt einer der für Groß Karben typischen großen Dreiseiten-Bauernhöfe. Leider ist auch hier der Putz noch an den Wänden, während die Nebengebäude zunehmend verfallen. Es bleibt zu hoffen, dass sie nicht wie an anderer Stelle neuen Wohnhäusern weichen müssen.
Das gleiche wie beim vorherigen Haus gilt auch bei diesem Gebäude (Nr. 5). Brunnen und Botanik sind erste zaghafte Versuche, den alten Ortskern angenehmer zu gestalten Ein nahegelegenes Eiscafe versucht, so etwas ähnliches wie Urbanität zu schaffen, scheitert aber am vorbeidonnernden Durchgangsverkehr. Der sogenannte Kreuzgass'-Platz (weil hier vier Straßen kreuzförmig aufeinander treffen. Originell, gelle? ) wird allerdings von einem wesentlich auffälligeren Gebäudekomplex dominiert, dieser darf allerdings noch ein wenig warten...
Auf der anderen Straßenseite (Nr. 6) eine originelle Komposition aus kleinbäuerlichen Häusern mit Dach und großkapitalem Haus ohne Dach (der Klotz beherbergte einst eine nun wegrationalisierte Sparkasse). Immerhin ist der Briefkasten noch da...
Nein, dieses von Punkt 7 aus aufgenommene Bild ist nicht aus der Zeit der Ölkrisen der 70er Jahre. Kein Autoverkehr ist an dieser Stelle allerdings noch eher die Ausnahme als die Regel. Der Blick richtet sich in die Heldenberger Straße, die in östliche Richtung vom Kreuzgassenplatz wegführt. Hinter dem 2. Haus auf der linken Seite stand einst die Karbener Synagoge, die 1938 niedergebrannt und bis heute nicht wieder aufgebaut wurde. Die Anwohner dürften sich vor allem über das hinzugekommene Stück Garten gefreut haben...
Der oben zu erahnende Brückmann'sche Hof (Nr. 8 ) ist vermutlich das größte freigelegte Fachwerkhaus in Groß Karben. Der Denkmalschutz datiert es auf das späte 18. Jahrhundert, was es allerdings nicht vor einer dauerhaften und einer temporären Verhunzung bewahrt hat. Die Nebengebäude sind allesamt monotoner Reihenhausbebauung gewichen.
In direkter Nachbarschaft befindet sich ein vollständig erhaltener und in ursprünglicher Nutzung befindlicher Dreieinhalbseithof (Nr. 9). In Ermangelung eines offiziellen Häusernamens wird es umgangssprachlich nach der dort befindlichen Kellerkneipe schlicht "Zum Bück Dich" genannt.... Das Wohnhaus stammt aus dem 18. Jahrhundert, die restlichen Gebäude dürften etwas jüngeren Datums sein.
Gehen wir zurück zum Kreuzgassplatz. Nicht besonders dekorativ, aber durch mindestens sechs verschiedene Sorten Backstein doch eher außergewöhnlich ist dieses kleine Wohnhaus (Nr. 10):
Nun endlich zum angekündigten architektonischen Höhepunkt Groß Karbens: Das Anwesen der Adelsfamilie Leonhardi, welches in seinen Ursprüngen aus dem frühen 17. Jahrhundert stammt. Die älteste bekannte Inschrift zeigt das Jahr 1614. Das Hauptgebäude stammt aus dem Jahr 1775 und wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts neugotisch umgebaut und erweitert (Nr. 11).
Familienwappen am Fuß des Erkers mit Jahreszahl 1804:
Südfassade:
Die zum Hof hingewandte Nordfassade mit Haupteingang und großem Wappen von 1802:
Das neogotische Kutscherhaus aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mit einem angeblich aus der Renaissancezeit stammenden Ziehbrunnen (Nr. 12).
Weiter nördlich liegen die in teilweiser Fachwerkbauweise errichteten Wirtschaftsgebäude des Schlosskomplexes, eine Inschrift verkündet das Baujahr 1667 (Nr. 13). Der Gebäudekomplex rechts kommt später noch zu Ehren.
Gegenüber (Nr. 15) liegt die evangelische Pfarrkirche Groß Karbens, im Kern wohl gotisch, aber im 18. Jahrhundert mehrfach umgebaut. Das katholische Equivalent enthalte ich der versammelten Gemeinde zur Vermeidung von Übelkeit und Ohnmacht besser.... :gg:
Wir folgen weiter der Burg-Gräfenröder Straße in nördliche Richtung und kommen zunächst zum zur Kirche zugehörigen Pfarrhaus aus dem Jahr 1883 (Nr. 16).
Der weitere Verlauf der Burg-Gräfenröder Straße ist durch niedrige Wohnhäuser geprägt, die mehrheitlich wohl älteren Datums sind. Eine genauere Datierung wird durch die äußerliche Angleichung an 50er-Jahre-Neubauten ziemlich erschwert.
Im in besagter Straße finden sich jedoch noch zwei bemerkenswerte Bauten. Der erste ist dieses reichhaltig bemalte Wohnhaus (Nr. 17), das allerdings schon bessere Tage gesehen hat. Die Bemalung entstammt, so die Signatur des Künstlers, aus dem Jahr 1971. Vielleicht nicht gerade die Sixtinische Kapelle, aber immernoch besser als das omnipräsente Einheitsweiß...
Das andere Gebäude ist dieses schräg gegenüber liegende und kürzlich renovierte Fachwerkhaus (Nr. 18 ). Über den Anbau und die Verkleidung des Erdgeschosses mag man geteilter Meinung sein, aber immernoch besser als völlig verputzt oder gar abgerissen. Immerhin hat es sogar für Kunst am Bau gereicht...
Zurück vorbei an der Kirche zum oben angesprochenen Objekt Nr. 14. Es handelt sich hier, wie unschwer zu erkennen ist, um eine gekonnte Fusion von Tradition und Moderne. Unterschiedlichste Materialien fließen hier zu einem harmonischen Gesamtensemble ein, dessen durch die roh belassenen Materialien verstärkt Spannung erzeugenden Kontraste auf einmalige Weise mit der historischen Umgebung verschmelzen und den wahren Genius des Architekten in die Öffentlichkeit tragen. Unbestätigten Angaben zu Folge haben sich auch Coop Himmelb(l)au hier Anregungen für den Umbau der Frankfurter Großmarkthalle geholt!
Kommen wir zu Punkt 19 der Tagesordnung, das Degenfeldsche Schloss. Erbaut 1728 durch Anna Maria von Hutten-Stolzenberg, wobei ein Vorgängerbau aus dem Jahr 1674 mit integriert wurde. Ab 1800 wurde das Ganze um ein Stockwerk erhöht, seit 1868 ist es in Gemeindebesitz und beherbergt heute das Dorfmuseum. Ein besseres Foto war wegen der ungünstig stehenden Sonne leider nicht möglich. Das Dach wurde vor kurzem grunderneuert, dann reichte das Geld aber nicht mehr für einen neuen Anstrich...
Die andere Seite des Komplexes, links schließt sich der zum Leonhardi'schen Anwesen gehörende Schlosspark an.
Gegenüber dem Degenfeldschen Schloss liegt dieses Wohngebäude (Nr. 20), wohl ein Ergebnis des späten 19. Jahrunderts:
Zum Schlosspark gehört dieses reizende kleine Fachwerkhaus aus dem späten 18. Jahrhundert (Nr. 21), das einst den Gärtner beherbergte. Laut Denkmalschutz ist es denkbar, dass das Haus ursprünglich an anderer Stelle stand und irgendwann hierher transloziert wurde.
Weiter südlich, an der Parkstraße, liegt dieses herrlich schräge, einer Renovierung noch harrende Fachwerkhaus (Nr. 22). Der Blick geht durch die Löwengasse zum Haus Nr. 4. Der Knick im Dach lässt auf eine spätere Ergänzung des rechten Gebäudeteils schließen.
Unter Nr. 23 findet man dieses Gebäude. Das Fachwerk kommt mir verdächtig einfach vor - ist es am Ende nur Dekoration?
Sehr überrascht hat mich dieses Haus (Nr. 24). Zum einen ist die Holzverkleidung für die Wetterau sehr unüblich. Zum anderen stellt sich die Frage nach dem Alter - das Krüppelwalmdach und das historisch wirkende Gebälk des Wintergartens lassen auf ein umgebautes und modernisiertes Fachwerkhaus schließen. Allerdings dürfte die Garage wohl kaum in bestehende Strukturen eingefügt worden sein. Vielleicht wurde es auch einfach demontiert und später auf die fertig betonierte Garage aufgesetzt. Wenn es tatsächlich ein altes Gebäude ist, dann ist dies zwar kein denkmalpflegerisch vertretbarer, aber ästhetisch sehr überzeugender Umbau.
Kommen wir zum letzten Punkt des Rundganges, mit dem sich auch der Kreis zum Anfangs gezeigten Backsteinbau wieder schließt. Dieser representative Bau verwundert mich ein wenig durch seine Lage - das Haus war zur Bauzeit gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch allein auf weiter Flur, die umgebende Bebauung ist erst in den 50er und 60er Jahren entstanden. Auch die ursprüngliche Verwendung ist mir ein Rätsel - für ein Gehöft dieser Größe sind die noch erhaltenen Nebengebäude viel zu klein...
Ich hoffe, mein kleiner Bilderbogen hat ein wenig gefallen - wenn Interesse besteht, bin ich gerne bereit, auch in anderen Dörfern der Region die noch vorhandene historische Bausubstanz zu dokumentieren.