Wiesbaden - Sanierungsprojekt Kleine Schwalbacher Straße

  • Die Kleine Schwalbacher Straße - ein ehemaliger Rotlichtbezirk, der ursprünglich ein Handwerksquartier war und in dem später auch mal Studentenwohnungen waren. Seit etlichen Jahren stehen die heruntergekommenen Häuser überwiegend leer, es stinkt nach Pisse, überall Taubendreck, und man wird in der menschenleeren Gasse das Gefühl nicht los, um die Ecke lauert jemand, der einem gleich eins überbrät.

    Diese Straße, die an eine ostdeutsche Kleinstadt mit hoher Arbeitslosenquote denken läßt, liegt im schicken Wiesbaden. Und zwar kurioserweise nicht etwa in irgendeinem Vorort - sondern mitten im Zentrum, direkt an der belebten Fußgängerzone.

    Nur wenige Meter weiter, wenn man sich umdreht, ist der Mauritiusplatz...

    Seit Jahren hieß es, da müßte man was draus machen, aber nichts geschah, und die baufälligen Häuser aus dem 19. Jahrhundert waren der Abrißbirne näher als der Sanierung. Bei näherem Hinsehen merkt man: Es wäre wirklich schade, hinter der versifften Bruchbudenzeile verbirgt sich eine potentielle altstadt-mäßige Gasse mit Flair.

    Seit Anfang des Jahres passiert endlich etwas. Leider geht es auch in dieser Stadt nicht ganz ohne Abrisse. :augenrollen: Aber nur zwei der Häuser müssen dran glauben, das eine, um eine Verbindung zu einer nahegelegenen Einkaufspassage zu schaffen, ein weiteres, um Platz für Außenbewirtschaftung zu schaffen.

    Alle anderen Häsuer werden saniert und mit Gewerbe, insbsondee Gastronomie genutzt werden. :) In das auf dem ersten Bild im Hintergrund in der Mitte zu sehende Haus wird eine Kaffeerösterei mit Café ziehen. Für das auf dem vierten Bild zu sehende Eckhaus (das schönste der Straße) interessiert sich ein Gastronom, der dort eine Art kulinarisches Kaufhaus mit Restaurant nach Wiener Vorbildern einrichten will.

    Die auf dem ersten Bild zu sehende Kriegslücke wird mit dieser Neubebauung gefüllt, die - sagen wir - erträglich zu werden scheint.

    Ich hätte es zwar bevorzugt, wenn auf Abrisse komplett verzichtet würde und die bereits vorhandene Baulücke mit ein paar Bäumen bepflanzt und für Tische und Stühle der anzusiedelnden Lokale genutzt würde; dadurch wäre auch mehr Tageslicht in die Gasse gefallen, aber insgesamt ist es sehr erfreulich, daß aus diesem Dreckloch endlich etwas wird und die meisten der teilweise recht ansehnlichen Häuser gerettet werden.

    In Wiesbaden werden zwar gottlob sehr selten alte Häuser wegen Baufälligkeit abgerissen, um die es schade ist, aber es kommt leider auch vor. Umso besser, wenn die Geschichte auch mal gut ausgeht. 8)

  • Schön, daß dieses heruntergekommene Gebiet wieder neu belebt wird. :daumenoben:
    Was mich allerdings auch hier wieder stört, ist der üble Standardkarstadt, der sich überall hineinzwengen will. Kann dieser blöde Konzern nicht endlich mal Pleite gehen ! Einfach schrecklich, diese Architektur. :schreckgrau:

  • Sehr erfreulich, daß hier etwas getan wird. Die Häuser sind sehr schön und erhaltenswert. Mir ist die Sache unlängst bei einem Gang durch Wiesbaden ebenfalls aufgefallen.

    Nebenan, in der parallel verlaufenden Mauritiusstraße, existiert das Theater Walhalla. Die oberen Räume stehen offenbar weitgehend leer. Ich habe nur das obere Foyer gesehen, einen prächtigen großen Raum mit ausladenden Stuckarbeiten. Der Theatersaal soll noch weitaus größer und beeindruckender sein. Doch offenbar findet sich für das Theater kein geeigneter Investor, und so gammelt alles vor sich hin und verfällt langsam.

    Im Keller gibt es immerhin ein Kino:
    http://www.walhalla-studio.de

    Weiß jemand näheres zu Plänen für das Gebäude? Kann jemand Fotos des Theatersaals auftreiben?

    Einmal editiert, zuletzt von Heimdall (5. März 2011 um 00:58)

  • Trotzdem traurig. Ein Original muß weichen, um einen Durchgang zu einem Konsumtempel zu schaffen. Bei uns in Goslar hatten wir vor ca. 2 Jahren beinahe ein ähnliches Problem. Ein Investor wollte seine Passage in der Innenstadt vergrößern und auch noch eine Anbindung an das Karstadt-Kaufhaus (grauenhafter Kasten) per gläsernem Übergang durchsetzen. Ferner hätten eine Gründerzeit-Villa und zwei weitere Altbauten aus dem 19.Jhdt. abgerissen werden sollen. Die starken Proteste der Bürgerschaft und wohl auch der Weltkulturerbestatus der Altstadt haben dieses letztlich verhindert. Jetzt, da das Schloß-Kaufhaus in Braunschweig eröffnet wurde und viele Goslarer dorthin zum Einkaufen fahren, werden die damaligen Verhinderer hier durch bestimmte Kreise als Bremser für die Stadtentwicklung dargestellt. Die Planer des Investors sitzen momentan übrigens wieder über neuen Plänen......es gibt aber von dieser Seite vorerst keine Auskünfte.

    "Willst du eine Stadt vernichten, baue Kisten, Kisten, Kisten!"

  • Es geht langsam voran: Zustand 2007


    ...und April 2008 mit neu gedecktem Dach, neuen Fenstern und renovierter Fassade...

    und auch an meinem Lieblingshaus geht es endlich los:



    Bin mal gespannt, wie das einstige Dreckloch 2009 aussehen wird... 8)

  • Ja, find ich auch. Endlich endeckt eine Kommune ihre verborgenen Potentiale und macht was daraus. Abreissen und mit neuen Häusern bebauen kann jeder. Die alten "gewachsenen" Viertelchen erhalten und entwickeln ist ja immerhin schwieriger.
    An dieser Stelle scheint Wiesbaden ja die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
    Mein Glückwunsch! :daumenoben:

    Labor omnia vincit
    (Vergil)

  • Danke für das Update. Man beachte vor allem die schönen neuen Fenster mit Holzsprossen. Auf solche Details wird in Frankfurt leider nicht geachtet (siehe Kaiserstraße & Co).

  • Seit ein paar Wochen ist das Eckhaus (Kleine Schwalbacher Straße 14) aus dem Jahr 1841 fertig. Die hellbeige Farbe entspricht übrigens dem Ursprungszustand und ist mit dem Denkmalschutz abgestimmt.

    In dem Haus hat inzwischen eine im Stil der 50er Jahre eingerichtete Kaffeerösterei mit Café eröffnet.

    Eine bauliche Schönheit, die gut riecht

    Zitat

    Wir haben sie so aufgebaut, als ob Hepa, 1951 noch in der Schwalbacher Straße, schon immer hier gewesen wäre", erklärte der Wiesbadener Designer Michael Müller sein Werk. Zu den vielen ausgefallenen Details zählen die (von Müller anlässlich eines Bauprojektes in Afrika mitgebrachte) Wandfarbe im Ton einer Kaffeerohbohne, Pendelleuchten aus den 50er Jahren, die sich noch originalverpackt im Hepa-Lager gefunden hatten, die in Rauten gehefteten Leder-Polsterungen an der Theke, der Original-Stuck an der "Heiz-Decke" über den Köpfen der Gäste oder der Wandspruch aus alten (Werbe-)Zeiten "Der Hepa-Kaffee macht´s, ist die Meinung der Wiesbadener Hausfrauen!"

    Rösterei und Museumsraum sind verklinkert und atmen ein wenig die Atmosphäre der Hamburger Speicherstadt, und in der laut Müller einzigen rollstuhlgerechten Toilette Wiesbadens findet sich die Kochbrunnenseife. "Hier haben alle Dinge eine Seele, hier gilt ,no design´ oder Alltagsdesign!", so der Innenraumgestaltungskünstler. Selbst diejenigen, die ihren milden, weil schlitzhäutchenfreien Kaffee an der frischen Luft genießen wollen, finden unvermutet eine kleine grüne Oase auf Rollrasen hinter dem Haus.


    Ein bißchen von der 50er-Jahre-Einrichtung sieht man im Schaufenster:



    Dreht man sich um, sieht's allerdings noch verdammt wüst aus...


    Aber:

    Zitat

    Umso größer die Bewunderung für das wunderschön restaurierte Bauwerk in der einstigen "Bronx". So bezeichnete Oberbürgermeister Helmut Müller den früheren Zustand dieser Straße, die übrigens vor ihrer Rotlichtzeit jahrzehntelang eine renommierte Handwerkerstraße war, in den letzten Jahren jedoch, wie so treffend von Stadtentwicklungsdezernent Joachim Pös beschrieben, von Tauben, Taxen und Uringeruch beherrscht wurde.

  • Seit Ende Oktober ist der erste Abschnitt der Sanierung und Wiederbelebung der Kleinen Schwalbacher abgeschlossen.
    Das Eckhaus:

    Zum Vergleich noch einmal der Zustand bis 2007...

    ...und kurz nach der Eröffnung


    [URL=http://g.imageshack.us/img261/d

    Die Häuser auf der anderen Straßenseite warten noch auf ihre Sanierung, während diese Neubebauung die vorhandene Baulücke füllt:

    [url=http://imageshack.us][/url]

    Das abgerissene Gebäude rechts wird jetzt durch diese neue Fassade ersetzt, die man an die Brandwand des auf dem obersten Bild zu sehenden Hauses gesetzt hat.
    Sehr erfreulich: Kein "spannender Kontrast" oder ähnliche Experimente, sondern eine neu erfundende Fassade, die aussieht, als sei sie schon immer da gewesen - Hut ab vor den Bauherren (Stadtentwicklungsgesellschaft Wiesbaden). :)

    Ach, warum nicht auch noch ein abendlicher Blick...


    Die restliche Neubebauung ist etwas gleichförmig geraten, aber für Wiesbadener Verhältnisse auf jeden Fall in Ordnung - auch hier hat man uns vor modernistischen Exzessen verschont (die ansonsten in WI an der Tagesordnung sind).


    [URL=http://g.imageshack.us/img166/dsc00

    Und diese Brache wird vorerst bleiben, denn hier soll die Verbindung zur benachbarten City-Passage gebaut werden. Die aber wird erst abgerissen und neu gebaut - das kann also noch dauern.

    [url=http://imageshack.us][/url]

    Der Blick hinter die Plane lohnt dann auch nicht wirklich. Hier muß er gestanden haben, der Puff, in dem - so liest man - 1981 der Rotlicht-Boss Mustafa Schikane erschossen wurde. Eine üble Gegend eben....


    [URL=http://g.imageshack.us/img230/

  • Danke an dieser Stelle nochmal für die regelmäßigen Updates, Schloßgespenst. Gut zu sehen, dass ein solches Projekt auch im mit schöner Architektur gesegneten Wiesbaden wirklich erfreulich über die Bühne gehen kann. Oder liegt's vielleicht gerade daran, dass man dort offenbar Geschmack bei Neubauten beweist? ;)

  • Zitat von "Schloßgespenst"

    Das abgerissene Gebäude rechts wird jetzt durch diese neue Fassade ersetzt, die man an die Brandwand des auf dem obersten Bild zu sehenden Hauses gesetzt hat.
    Sehr erfreulich: Kein "spannender Kontrast" oder ähnliche Experimente, sondern eine neu erfundende Fassade, die aussieht, als sei sie schon immer da gewesen - Hut ab vor den Bauherren (Stadtentwicklungsgesellschaft Wiesbaden). :)


    Das einfache Rezept für schönes modernes Bauen ist hier m.E. wirklich gut umgesetzt worden:
    Die richtigen Fenster, Sprossen, Flügelfenster o.ä. in Holz (und nicht zu groß), traditionelle Baustoffe wie z.B. Naturschiefer und ortsüblicher Putz oder Fassadenauftrag. Schon hat man ein schönes modernes und zugleich traitionelles Gebäude!

    Labor omnia vincit
    (Vergil)

  • Sone Gegenüberstellungen finde ich immer besonders interessant, wie z.Zt. vor allem zum Thema [lexicon='Leipzig'][/lexicon]. Klasse, was man dort geschafft hat. Mit diesen moderneren Neubaute finde ich absolut akzeptabel, wo dem klass. ganz zu schweigen. Vielleicht farblich etwas mehr Abwechslung hätte nicht geschadet. Auch die neuen Geschäft scheinen ganz nett.

  • Sieht aus wie Aufbau Ost.


    Zitat von "Benni"

    Sone Gegenüberstellungen

    Dafür hasse ich Berlin. 8) Immer gerne gehört! Bin schon wieder weg... :harfe:

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!

  • Bei allem Jubel sollte man allerdings auch die weniger erfreulichen Seiten beleuchten. Die Ansätze, die Kleine Schwalbacher Straße endlich wieder zu einer guten Gegend zu machen, sind zwar sehr vielversprechend - aber die unmittelbare Umgebung ist nicht leider nicht unproblematisch und könnte das Projekt gefährden.

    Das das auf dem abendlichen Foto rechts angeschnittene Haus in der Mauritiusstraße...

    ...hat zwar eine zweifellos schöne Fassade...


    ...die genau die falschen Leute anlockt - und womöglich Leute, die sich für die neu entstandenen stilvollen Cafés, Brasserie, Feinkostladen und die Geschäfte interessieren würden, eher abschreckt. Ich hatte schon leichte Bedenken, daß, wenn ich hier zu lange mit der Handykamera rumfuchtele, einer rauskommt und mir auf die Fresse haut. :zwinkern:

    So richtig eklig wird es in diesem Haus: Die Fassade ist auch hier nicht das Problem, aber..



    [URL=http://g.imageshack.us/img152/dsc00190

    Ich bin vor ein paar Jahren auch mehrfach von den Knilchen mit Handzetteln auf der Straße angequatscht worden. Schlimm genug, daß immer mehr Hauseigentümer ihre Läden in bester Altstadtlage an Inhaber von Ramschläden vermieten, die mit ihrem pupillenkrebserregenden, blinkenden Kitsch die Unterschichten-Shopper anlocken und normale Leute in Einkaufszentren vertreiben - dieser Vermieter hier hat allerdings meine geballte Verachtung.

  • Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist. Und da die Häuser auf der (vom Mauritiusplatz aus gesehen) linken Straßenseite noch immer nicht saniert worden sind und daher in baulicher Hinsicht noch immer dem Zustand auf dem folgenden Bild entsprechen...


    ...hat man nun mit kleinen, aber wirkungsvollen Mitteln dafür gesorgt, daß wenigstens die Erdgeschoßzone einen etwas freundlicheren und einladenderen Eindruck erhält.

    Was doch ein bißchen Farbe und etwas Grünzeug bewirken können:


    Und wenn die Sanierung dann irgendwann doch noch kommt, dann bleiben hoffentlich Details wie diese Tür erhalten.

  • Wunderbar! Liebe zum Detail - wie oft wird das in deutschen Städten vernachlässigt. Architektur als Abstraktum? Nicht mit mir (und anscheinend auch nicht mit Wiesbaden). :daumenoben:

    Ich entschuldige mich von Herzen für meine früheren arroganten, provokanten, aggressiven und unfreundlichen Beiträge!
    Jesus ist mein Herr und Retter!