Geschmacksfragen

  • Grundsätzlich ist es meiner Meinung nach natürlich schon so, dass die Geschmäcker eben verschieden sind: Die einen mögen das Moderinistische, die anderen das Traditionelle. Damit habe ich kein Problem. Bloß sollte es irgendwie auch eine zahlenmäßige Entsprechung geben zwischen modernistischen Gebäuden und ihren Anhängern einerseits und traditionialistischen Gebäuden und deren Fans andererseits. Momentan ist es aber genau anders herum: Die Minderheit sitzt in Schlüsselpositionen, um die Mehrheit der Gebäude nach ihren Vorstellungen zu gestalten, die Mehrheit der Bevölkerung hingegen ist ohnmächtig und kann nur wenige Gebäude durchsetzen, die ihren Wünschen entspricht.

    Die Architekten müssen sich ganz einfach von dem Gedanken verabschieden, so etwas wie Volkspädagogen sein zu wollen. Wir sind erwachsene und mündige Menschen, wir können selbst denken und entscheiden, wir wissen selbst was uns gefällt. Die Versuche der selbsternannten Geschmackspolizisten, die Bevölkerungsmehrheit in Gestaltungsfragen für entmündigt erklären zu wollen, sind einer demokratischen Gesellschaft einfach unangemessen.

  • tolle frauen, viel geld, gesunder menschenverstand.
    zumindest wenn man etwas geld hat.
    aber das ist bei uns ja auch nicht anders...

    http://www.aktuell.ru/russland/kommentar/architektur_welt_verpasst_moskau_den_anschluss_239.html\r
    http://www.aktuell.ru/russland/kommenta ... s_239.html

    http://www.kaliningrad.aktuell.ru/kaliningrad/stadtnews/kaliningrad_am_pregel_waechst_das_fischdorf_235.html\r
    http://www.kaliningrad.aktuell.ru/kalin ... f_235.html

    hallo moderatoren, koennt ihr die diskussion verschieben, das ist mir hier etwas aus dem ruder gelaufen und hat nichts mehr mit dem thema zu tun...

    aber wir waren halt gerade so spannend am diskutieren 8)

  • Zitat von "Restitutor Orbis"

    Grundsätzlich ist es meiner Meinung nach natürlich schon so, dass die Geschmäcker eben verschieden sind: Die einen mögen das Moderinistische, die anderen das Traditionelle. Damit habe ich kein Problem. Bloß sollte es irgendwie auch eine zahlenmäßige Entsprechung geben zwischen modernistischen Gebäuden und ihren Anhängern einerseits und traditionialistischen Gebäuden und deren Fans andererseits. Momentan ist es aber genau anders herum: Die Minderheit sitzt in Schlüsselpositionen, um die Mehrheit der Gebäude nach ihren Vorstellungen zu gestalten, die Mehrheit der Bevölkerung hingegen ist ohnmächtig und kann nur wenige Gebäude durchsetzen, die ihren Wünschen entspricht.

    Die Architekten müssen sich ganz einfach von dem Gedanken verabschieden, so etwas wie Volkspädagogen sein zu wollen. Wir sind erwachsene und mündige Menschen, wir können selbst denken und entscheiden, wir wissen selbst was uns gefällt. Die Versuche der selbsternannten Geschmackspolizisten, die Bevölkerungsmehrheit in Gestaltungsfragen für entmündigt erklären zu wollen, sind einer demokratischen Gesellschaft einfach unangemessen.

    Das seh ich grundsätzlich auch so, bin aber trotzdem der Meinung, dass die meisten Leute die Moderne mögen. Und wer historisierende Häuser bauen will, soll eben Architekt werden und etwas ändern.

  • Womit wir auch wieder beim Thema wären, das wir neulich schon hatten - alleine die Geschichte der Architektur und des Ornaments zeigt, dass der Mensch letzteres braucht. Sonst hätte man es vor der Zeit abgeschafft, als man es schlicht abschaffte, um kostengünstig bauen zu können. Und dieses kostengünstige Billigstbauen, das die meisten unfähigen Architekten unter dem Deckmantel Moderne und intellektuellem Geschwafel verstecken, ist, was mich aufregt.

    Ist allerdings genau das Gleiche wie mit vielen Sachen in der sogenannten Kunst (ja, das war Architektur tatsächlich mal!) heute. In unserer pseudopluralistischen Gesellschaft lässt sich ja im wahrsten Sinne des Wortes selbst Sch*iße als Kunst zelebrieren, wenn man nur in die richtige Kerbe schlägt.

  • Zitat

    Ist allerdings genau das Gleiche wie mit vielen Sachen in der sogenannten Kunst (ja, das war Architektur tatsächlich mal!) heute. In unserer pseudopluralistischen Gesellschaft lässt sich ja im wahrsten Sinne des Wortes selbst Sch*iße als Kunst zelebrieren, wenn man nur in die richtige Kerbe schlägt.

    Oder du heisst Marcel Duchamp nimmst ein Urinal nennst es Fountain und stellst die Kunstwelt auf den Kopf:

    http://www.beatmuseum.org/duchamp/fountain.html\r
    http://www.beatmuseum.org/duchamp/fountain.html

    Wenn du ein Haus baust, denke an die Stadt (Luigi Snozzi)

  • Ich wär auch fürs verschieben. Hat mit dem eigentlichen Thema ja so gut wir gar nichts zu tun, sondern ist eher eine Grundsatzdiskussion.
    Aber solange das hier noch steht, hake ich mich auch mal ein:

    Also ich persönlich kenne Niemanden der einen modernistischen Glaskubus einem Gründerzeitler vorziehen würde. Die einzigen denen das zuzutrauen ist sind die altlinken 68er.
    Man braucht sich doch nur mal anzuschauen wo die modernistischen Architekten wohnen... :augenrollen:
    Und @ studi:
    das was du hier gepostet hast sind gerade die Beispiele die die Moderne in Verruf bringen. Paradebeispiele wie man es eben NICHT machen sollte. Durch die Bank grauenvolle, der Umgebung überhaupt nicht angepasste Kisten die an Hässlichkeit kaum zu überbieten sind.
    Positive Beispiele für moderne Architektur sehe ich eher bei Projekten von Mäckler oder Kollhoff (zumindest wissen die beiden an welchen Stellen sie modern bauen können, und wo sie eher der traditionellen Bauweise den Vorzug geben sollten). An Stadien/Sportarenen und Hochhäusern gibt es ebenfalls viele gelungene Exemplare, der EKZ-Teil von Frankfurt Hoch 4, das leider nicht realisierte Stadtwerkprojekt und überhaupt viele der Backsteingebäude an der Hanauer Landstraße. Oder der letzte Entwurf fürs UEC (man glaubt es kaum dass sich mal was Positives über einen Jourdan-Entwurf sagen lässt - aber zumindest aus der Luftbild-Perspektive sah der Entwurf genial aus) oder die Neubebauung des Rundschauareals.
    Aber wenn es um Wohngebäude oder Altstadtbebauung geht, dann zieh ich die traditionelle Architektur der modernen tausendfach vor. Wie ergab damals diese Umfrage vor 2 Jahren? Für 70% der Deutschen gehört eine historische Altstadt zu den wichtigsten Stadtqualitäten. Man kann durchaus davon ausgehen, dass der Großteil dieser Leute sich auch sonst eher von traditioneller Architektur angesprochen fühlen.
    Vor allem solltest du dir mal eines bewusst machen:
    Beim Entwurf für ein Gebäude sollte man sich weniger am Zeitgeist orientieren sondern vielmehr am Ortsgeist (das Wort hab ich vom Krier ;) aber es drückt es einfach perfekt aus, was ich sagen will). Das fängt an bei den verwendeten Materialien, und geht bis zu einer den klimatischen Bedingungen angepassten Fassadengestaltung und Dachform ("form follows funtion" - hierzulande kann das nunmal nur bedeuten, auf Flachdächer in den allermeisten Fällen zu verzichten). Das ist schonmal das Grundlegendste, was Modernisten aber durch die Bank weg falsch machen. Der sinnlose Einfall der Bauhausler, sich von der Geschichte komplett abzuwenden, und das Rad neu erfinden zu wollen, hat kaum Positives aber dafür umsomehr Negatives bewirkt:
    Unausgegorene Gebäude, an Banalität kaum zu überbieten, städtebaulich sowie klimatisch und energetisch komplette Katastrophen. Wenn man das Rad neu erfinden will braucht man sich über diese Folgen nicht zu wundern, aber dann sollte man doch wenigstens die Intelligenz besitzen und aus den Fehlern zu lernen, und vor allem mal in der Geschichte zu schauen, ob es da nicht Beispiele gibt wie man es besser machen kann.

    Ach ja, und hier spricht wirklich die Verzweiflung. Verzweiflung darüber, dass die ehemals schönsten Städte der Welt (sollte nicht genau die Wiederherstellung dieses Status das Ziel sein?) nicht nur in den Bombennächten und vor Allem während dem sogenannten Wiederaufbau grässlich entstellt wurden, und viel zu viele Architekten nichts Besseres zu tun haben, als auch noch die letzten einigermaßen heilen Ecken mit Architektur die heute schon kaum jemand noch sehen mag, in spätestens 20 Jahren aber wirklich allen sauer aufstößt, zu verschandeln. Schämt euch!
    Euer Job ist es für die Bürger zu bauen. Nicht euch soll es gefallen, sondern denen die diese Gebäude nutzen, in ihnen wohnen und arbeiten.

  • Zitat von "Rohne"


    Euer Job ist es für die Bürger zu bauen. Nicht euch soll es gefallen, sondern denen die diese Gebäude nutzen, in ihnen wohnen und arbeiten.

    In der Regel bauen wir immer für die Bürger, bzw. den Bauherren. Und was an modernen Bauten in den Städten steht ist ja nicht vom Himmel gefallen sondern nach monatelangen Planungen mit allen Beteiligten entstanden. Und wenn es nicht auch außerhalb der Architekten- und Künstlerschaft Leute gäbe, denen modernes gefällt, wäre das gar nicht möglich.

  • Zitat von "Studi"

    Und wenn es nicht auch außerhalb der Architekten- und Künstlerschaft Leute gäbe, denen modernes gefällt, wäre das gar nicht möglich.


    Stimmt. Aber was nicht stimmt, ist die Gewichtung.
    Es gibt in der Bevölkerung viel weniger Anhänger der Moderne als der historischen bzw. historisierenden Architektur.
    Letztere sind die "schweigende (bzw. mundtot gemachte) Mehrheit".

    Der Wind gedreht
    Albtraum verweht
    Zum Schluss jetzt das Glück
    Das Schloss kommt zurück!

  • Zitat von "Rohne"


    Euer Job ist es für die Bürger zu bauen. Nicht euch soll es gefallen, sondern denen die diese Gebäude nutzen, in ihnen wohnen und arbeiten.


    Danke, Rohne, für diesen Beitrag.
    Er spricht mir aus dem Herzen! :)

    Der Wind gedreht
    Albtraum verweht
    Zum Schluss jetzt das Glück
    Das Schloss kommt zurück!

  • erstmal: ich bin auch für´s verschieben ...

    Zitat

    In der Regel bauen wir immer für die Bürger, bzw. den Bauherren. Und was an modernen Bauten in den Städten steht ist ja nicht vom Himmel gefallen sondern nach monatelangen Planungen mit allen Beteiligten entstanden. Und wenn es nicht auch außerhalb der Architekten- und Künstlerschaft Leute gäbe, denen modernes gefällt, wäre das gar nicht möglich.

    Studi
    Ein paar gibt´s ganz gewiss ... :zwinkern:

    Du darfst nicht vergessen, dass in den Fachgremien, die Politiker in puncto Architektur beraten, eigentlich nur Architekten sitzen.

    Falls Du´s noch nicht weisst: Bürger haben bei der Vergabe von Bauprojekten der öffentlichen Hand i.d.R. keinerlei Möglichkeiten, sich bei gestalterischen Fragen einzubringen! Die Beratungsfunktion haben hier ausgebildete Architekten und da die alle die gleiche Gehirnwäsche hinter sich haben, kommt natürlich nahezu ein immer gleiches Votum pro Moderne... Die obige Argumentation von Dir ist also eine Art Gewissensberuhigung für Dich, mehr aber nicht ... 8)


    Den Politikern (z.B. Bürgermeister, Bundespolitiker) mache ich bei diesem Spiel übrigens den geringsten Vorwurf: Beratung durch Fachgremien ist auch in anderen Bereichen bei Entscheidungen ganz normal und notwendig!
    Unterschied bei diesen Beratungen abseits von Architektur und Bau-Ästhetik ist aber, dass dort viel ausgewogenere Meinungen der Experten vorherrschen. Bei Beratung hinsichtlich Architektur ist wirklich "Gleichschaltung" angesagt, leider ... Traurig ist halt, dass nicht einmal unter den Studenten ein Hinterfragen der offiziellen Lehrmeinung stattfindet. :weinen:

    ein paar Beispiele, die man hinterfragen könnte:

      -respektiert der "International Style" den Ort, die Geschichte?
      -wie sieht´s mit der CO2-Bilanz bei Verwendung von künstlichen Materialien wie Stahl/Glas/Kunststoff im Vergleich zu natürlichen, lokal vorhandenen Rohstoffen aus? (Transportkosten, Energieeinsatz beim Bau, Energiebilanz von Vollverglasten "Würfeln" usw.)
      -was muten wir den Stadtbewohnern der Zukunft zu, wenn wir Gebäude entwerfen, die nicht in Würde altern können, sondern im Alter nur schäbig und billig aussehen (kennst du die "Broken-Windows-Theorie" ...?)
      -stellt die moderne Architektur den Menschen in den Mittelpunkt/bietet sie ihm Orte, an denen er sich wohl fühlt?
      -reflektiert die zeitgen. Architektur in Deutschland die besondere Situation? (nahezu vollständige Zerstörung der Großstädte eines Landes und damit einhergehender Verlust von gebauten Zeugnissen aus bis zu 30 Generationen/Verlust der geschichtlichen Tiefe)-usw.usw....

    Aber irgendwie schlafen die meisten Architektur-Studenten doch auf diesem Gebiet, oder? Traut ihr euch jetzt schon nicht mehr?
    Ich war ja während meines Studiums auch nicht der Revoluzzer (bin jetzt 35 und also kein 68er) aber das die Profs manchmal etwas "verkrustet" sind, war uns allen bewusst - bei euch ist das anscheinend anders: die Architektur-Opis müssen ja richtige Big-Massas für euch sein ... so ne Art Götter, oder?

  • Zitat von "Studi"


    Was habt ihr immer mit eurer Gleichschaltung der Studenten? Mein Interesse für Architektur war da bevor ich zu Studieren anfing. Es geht doch niemand zur Uni und sagt "ich habe keine Ahnung von Architektur, studiere jetzt damit mir gesagt wird was richtig ist und was nicht".
    Was ich sagen will ist, wer sich für moderne Kunst, Design und Architektur interessiert und sich Gedanken macht, mag auch den modernen Architekturstil

    Ich kenne mehrere Fälle von Architekturstudenten, die klassische Architektur deutlich bevorzugen und an der Uni nur benachteiligt und mit Läuterungsversuchen bedacht wurden. Es ist, soweit ich informiert bin, Usus, dass man Arbeiten einreichen muss, die dem Prof halbwegs zusagen. Ich kenne Fälle, wo Studenten auch nur halbwegs traditionelle Entwürfe eingereicht haben. Diese wurden in den meisten Fällen gar nicht akzeptiert oder in wenigen Fällen akzeptiert, aber dann aus Geschmacksgründen sehr schlecht bewertet.
    Das eben ist die Gleichschaltung. Wenn du an einer deutschen Uni im Architekturstudium vorankommen willst, _musst_ du Entwürfe einreichen, die dem Modernisten-Prof gefallen. So etwas kennt man sonst aus totalitären Systemen.
    Für einen Architekturstudenten in Deutschland, der klassisch bauen will, gibt es genau drei Möglichkeiten:
    - mit dem Studium aufhören (kenne ich Fälle)
    - auch modernistisch bauen (dito)
    - ins Ausland gehen (dito)
    In den ersten beiden Fällen, das sind die meisten, führt das zur Gleichschaltung. Der dritte Fall ist eben nicht für jeden einfach zu machen.

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Die Grundproblematik aufgreifend: Alles nur Geschmackssache und was macht gute Architektur aus?

    «Qualität ist nicht Geschmackssache» (Politik, Schweiz, NZZ Online)

    Zitat

    "Das Hauptanliegen des BSA ist die Förderung architektonischer
    Qualität: Wer entscheidet letztlich über Qualität? Oder anders gefragt:
    Ist diese hochwertige Architektur auch eine Architektur, die dem
    Volksgeschmack entspricht?


    >>>Den Volksgeschmack kann niemand genau kennen, auch beschäftigt er mich nicht."

    Schnieper Architekten Home I Blog » Blog Archiv » Ist doch Geschmacksache…

    Freiburg: Geschmackssache: Ärger um Hausfassade in Freiburg - Ein Nachbar sieht rot - badische-zeitung.de

    Jeder, der sich die Fähigkeit erhält Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.
    http://www.archicultura.ch

    Einmal editiert, zuletzt von zeitlos (1. November 2011 um 17:30)

  • Wenn man den Artikel liest, dann hat man den Eindruck "Alles nur Filz". Es scheint sehr starke Zwänge zu geben für den einzelnen Architekten. Man muss sich einfügen. Nicht die Gemeinschaft, oder die Gesellschaft, wie in der Theorie, sondern der Filz der Verbände und ihre Glaubenssysteme, eine Welt für sich, mit eigenen Regeln und Befindlichkeiten und Sanktionen. Fragt sich nur, warum die Bauherren das mit sich machen lassen. Letzten Endes ist die Infizierung ihrer Instinkte durch die globale Architektur-Oligarchie das Problem.

    Der "herrschende Geschmack" ist bekanntlich der Geschmack der Herrschenden :koenig: :

    Zitat

    So ging der Kaiser unter dem prächtigen Thronhimmel, und alle Menschen auf der Straße und in den Fenstern sprachen: »Wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich! Welche Schleppe er am Kleide hat! Wie schön sie sitzt!« Keiner wollte es sich merken lassen, daß er nichts sah; denn dann hätte er ja nicht zu seinem Amte getaugt, oder wäre sehr dumm gewesen. Keine Kleider des Kaisers hatten solches Glück gemacht als diese.

    »Aber er hat ja gar nichts an!« sagte endlich ein kleines Kind. »Hört die Stimme der Unschuld!« sagte der Vater; und der eine zischelte dem andern zu, was das Kind gesagt hatte.

    »Aber er hat ja gar nichts an!« rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn das Volk schien ihm recht zu haben, aber er dachte bei sich: »Nun muß ich aushalten.« Und die Kammerherren gingen und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.

    Im Regietheater sieht es ja ähnlich aus. Werktreue ist mittlerweile ein revolutionärer Akt. Früher gab es immer Theaterskandala. Heute hat der Skandal Bart weil es gar nichts anderes mehr gibt. :lehrer:

  • Früher ist man durchaus davon ausgegangen, daß die Architektur einen erzieherischen Einfluß auf den Menschen hat - mittlerweile wage ich das zu bezweifeln. Beispielsweise sitzt der Bundeswulf in einem der schönsten, ausgewogendsten Gebäude unseres Landes, im Schloß Bellevue und was hängt hinter seinem Schreibtisch an der Wand:
    ein modernes Wischi - Waschi - Farben - Dingsbumms, demgegenüber sich ein Bild von Miro wie hohe Kunst ausnehmen.
    Wir verzeichnen ein eigenartiges Phänomen, d.h. bis noch vor einigen Jahrzehnten haben sich die Menschen in Geschmackssachen nach "oben" orientiert und selbst der Hilfsarbeiter ging wenigstens Sonntags nicht ohne Anzug und Hut in den Tiergarten.
    Heute ist der Prolet Kultsache, bis weit hinein ins (ehemals) gehobene Bürgertum orientieren sich die Leute nach "unten" und wer Jargon spricht, nur Popmusik hört, dem Fast-Food fröhnt und FazzBuck fürs richtige Leben hält, der verliert auch das Maß für Harmonie im sozialen Umgang bis hin zur Architektur - alles ist "irgendwie" gleichwertig, das sind die "Sekt/Selters"-Typen, die mit Jeans und T-Shirt aus ihrem Porsche - Carrera fallen und sich nicht daran stören, ja es wahrscheinlich sogar noch goutieren, wenn die Frau Gemahlin tätowiert ist (wie beim Bundespräsel).

    Die Ursachen haben sich tief in den Volkskörper eingefressen und mal ehrlich:

    wer von den Forumsmitgliedern kann mit Fug und Recht von sich behaupten, daß er auf einer Abendgesellschaft oder im barocken Empfangssaal eines Stadtpalais eine untadelige Figur abgäbe?

  • Alles Hässliche ist schön und alles Schöne gilt als hässlich. Die disharmonischen und unästhetischen Dinge ohne Qualität sind in fast jeder Lebenslage unserer heutigen Gesellschaft zu finden. Angefangen mit Kindersendungen, Gebrauchsgegenständen oder dem Erscheinungsbild der Menschen bis zum Baustil, alles ist auf disharmonischem Kurs. Wer soll denn da noch ein Gefühl für schönen Geschmack entwickeln oder beibehalten und wer den schönen "alten" Dingen fröhnt, gilt als Sonderling oder ist rückwärtsgewandt.

    Labor omnia vincit
    (Vergil)

  • Aedificium

    Tja, Henne oder Ei? Anscheinend ist dem Menschen (Frei nach Kästner: "Der Mensch ist gut, nur die Leute sind schlecht"), weder der Drang zum Guten, noch zum Schönen angeboren, sondern eine Frage der Erziehung und der Sozialisation.
    Wobei das Beunruhigende darin liegt, daß es durchaus Menschen gibt, die sich schon als Kind vor Nachkriegsimprovisorien, Glasbausteinen und Gartenzwergen geekelt und gefürchtet haben (ich zum Beispiel), obwohl sie keinerlei äußere Anregungen in Bezug auf ästethische Urteile erhalten haben, eher im Gegenteil.
    Daraus ziehe ich den beunruhigenden Schluß, daß die Menschen anscheinend doch nicht "gleich" sind (sonst hätte ich auch schon sicher längst die nähere Bekanntschaft eines ICE auf Gleisbetthöhe gesucht), sondern das eher das Gegenteil zutrifft.

    Was auch immer man für beunruhigende Folgerungen daraus ziehen möchte...

    ..........................................................................................................................................................


    Zur zwanglosen Verdeutlichung folgende Anekdote, die den Vorzug genießt wahr zu sein:

    Mitte der 90ger Schloß Sans.Souci in Potsdam per Führung besucht, gestaunt, gefreut, gejubelt, als mich die Stimme der jungen, deutlich DDR-sozialisierten Führerin aus meinen Zwiegesprächen mit`m alten Fritze riß:
    "Alles frisch renoviert und doch machen wir uns schon wieder große Sorgen aufgrund der vielen Besucher, deren Körpertemperatur, Schweiß, etc. die Inneneinrichtung leiden läßt."
    Darauf unsereins aus der Geborgenheit der Gruppe heraus replizierend:
    "Dann wäre es sinnvoll, die Eintrittspreise zu verzehnfachen, damit weniger Besucher kommen und wem das die hohen Preise wert ist, der hat wohl auch ein echtes Interesse, das über das rein touristische hinausgeht."
    Sie mich eiskalt anblickend, denn nun hatte sie den Klassenfeind 1:1 erkannt:
    "Dann könnte ja nicht mehr jeder rein, das wäre ja zutiefst undemokratisch."

    Daraufhin habe ich nur tief Luft geholt und das innere Gespräch mit`m ollen Fritz wieder aufgenommen.

  • Gute Architektur ist auch eine kulturelle Verpflichtung
    Schwarzwälder-Bote vom 28.10.2011

    Zitat

    Die Kriterien für gute Bauten sind bis heute nachhaltig: Der Identität dient das Verstehen und die Berücksichtigung regionaler Architekturtradition. Was mitnichten Provinzialität fördert. Wesentliches Merkmal guter Architektur seien "Einfachheit und Klarheit eines Konzeptes". Architektur, die einzige Kunst, der sich der Mensch in seinem Alltag nicht entziehen kann, verlangt schon deshalb verantwortungsvolle Arbeit.

    Ausgezeichnete Architektur, darauf hatte Maria Kollmann, die Vorsitzende der Kreisgruppe hingewiesen, eben "Bauherren, für die Bauen nicht bloße Zweckerfüllung, sondern kulturelle Leistung ist", und Architekten mit künstlerischem Anspruch.

    Quelle: Rottweil: Gute Architektur ist auch eine kulturelle Verpflichtung - Rottweil - Schwarzwälder Bote

    Der Bund Deutscher Architekten (BDA) in Baden-Württemberg veranstaltet seit vier Jahrzehnten ein Preisverfahren, in dem Bauherren wie Architekten ausgezeichnet werden. Ausgezeichnet wurden u.a. auch diese Vertreter "regionaler Architekturtradition":

    Schülermensa, Rottweil
    Rottweiler Bilder - Schlermensa im November 2009

    Stadthalle, Rottweil
    Rottweiler Bilder - Rottweiler Stadthalle

  • Der Schlüsselbau für die Widersprüchlichkeit der Architektenzunft, die sich selektiv eines Diskurses aus dem Denkmalschutz bedient, ist ein Gebäude in Dresden.

    Sekundogenitur. Errichtet im Jahre des Rokoko 1897, zerstört 1945, keine 50 Jahre später. Wiederaufbau 1964.

    Doch im Jahre 2011 verunglimpft man als guter Modernist die Wiederherstellung von barocken Fassadenansichten des Neumarktes als Disneyland. Diese Polemik des Disneylands, die man mal gelernt hat, funktioniert nur, weil man im Geiste eines elitären Antiamerikanismus denkt, für den die erfolgreichen amerkanischen Familienparks des Disneykonzerns kulturlos sind. Die gleichen Modernisten, die gegen das Disneyland agitierten verachteten den Jazz. Keine echte Kunst eben, sondern "pandering to the masses", Hottentottenmucke und Mickey Mouse Kitsch.

    Aber ist denn alles nur "Kulisse"? Wenn man 1897 prominent im Rokoko bauen konnte, dann mag es doch wohl nichts wildes sein, Bauten des zerstörten Dresdens wiedererstehen zu lassen. Das historische Dresden war nämlich ein Disneyland, dafür ist Sekundogenitur der Zeuge. Den Rathausmann gibt es übrigens auch erst seit 1908.

    Es ist auch nicht ersichtlich, warum es keinen Barock des 21. Jahrhunderts geben darf. In der Science Fiction Bewegung hat sich zum Beispiel die interessante Richtung des Steampunk gebildet. Eine utopische Moderne, die Stilelemente des viktorianischen Zeitalters (Messingapparaturen, Mahagoni) kreativ und ironisch fortschreibt.

    Das könnte man auch mit dem Dresdner Barock machen, gerade die amerikanische Bach-Rezeption geht sehr kreativ mit dem Meister um. Warum z.B. keine Raffaelstilgemälde mit Smartphones und Laptopengeln? Apparaturen mit Porzellan und Silber. Beatlessongs im Barockorchester? Warum keine modernen Bauten in einem utopischen Barockstil.

    2 Mal editiert, zuletzt von Agon (8. November 2011 um 04:22)

  • Agon

    Ich vermute, daß man keines der Argumente dieser Leute ernst nehmen darf, weil man sich sonst ewig mit ihnen streiten würde und doch zu keinem Ergebnis käme. Denn was heißt "Disneyland"? Das ist ja nur eine vorgeschobene Wortkulisse und hat ja mit Disney überhaupt nichts zu tun, denn dieser hat ein verkitschtes Neuschwanstein nach Orlando/Florida (oder: ins amerikanische Orlanda, wie es heutzutage in Schwurbeldeutsch eigentlich heißt) verpflanzt, mit Geisterbahnen und Hot-Dog-Buden umgeben und läßt Schauspieler in M.-Maus-Figuren drumherumlaufen.
    In Minden an der Weser steht beispielsweise ein ensembleprägendes Haus am Marktplatz, das vor rund 100 Jahren erbaut wurde und das Knochenhaueramtshaus in Hildesheim zitiert und gleichzeitig mit vielen Hinweisen auf die Geschichte des Deutschen Reiches bzw. auf die der Stadt Minden verweist. Es wirkt leicht bizarr und sehr heimattümlich zugleich, jedem Modernisten wäre es ein Graus, nicht nur wegen des norddeutschen Bezuges, sondern auch wegen der ausgefeilten handwerklichen Bauweise.
    Es ist zu vermuten, daß "Disney" voll übersetzt bedeutet "wir hassen qualitätvolles Bauen, weil wir dann von unseren Computer-Reißbrett-Schemata abrücken müßten, den Bau nicht mit unsern Mietkolonnen aus Polen unter Verwendung standardisierter Allerweltsmaterialien hochziehen könnten". Angst um Futternäpfe, gemischt mit Bequemlichkeit.
    So wie K(r)ampf gegen Rechts in Wirklichkeit "Kampf gegen die bürgerliche Gesellschaft" bedeutet, um überflüssige linke Positionen machtvoll zu verankern.
    Wenn man noch eine Schicht tiefer graben würde (aber dann hätte man, frei nach Goethe, wirklich die Hände voller Regenwürmer), ja, dann würde man feststellen, daß es sich um die fette, homogene, farblose Schicht an "Lumpenintelligentsia" handelt, die vielen Abiturienten und anschließenden Soziologie/Jura/Psychologie und Artverwandte studiert gehabt habende, die mit einem Abi so dünn wie eine Briefmarke durch die Unreifeprüfung geschlüpft sind und nun mit dicken Ansprüchen an die Gesellschaft sich entsprechende "Arbeitsplätze" schaffen müssen, wo sie ihre eigentlich nutzlosen und überflüssigen Existenzen absichern und hysterisch verteidigen müssen.
    Falls mich jetzt jemand fragt, wo sie sonst hätten landen sollen, so wäre das leicht zu beantworten :
    viele von ihnen hätten als Handwerker beispielsweise ein weitaus erfüllteres Leben geführt und der Gesellschaft einen besseren Dienst erwiesen und der Beruf hätte ihnen einen klaren Kopf bewahrt.
    Die Zeiten werden diesbezüglich aber eher noch schlimmer werden, weil immer mehr Schüler auf die Gymnasien drängen. Diese Schülermassen haben zum größten Teil kein Interesse an Mathe, Latein oder Naturwissenschaften, die "glänzen" oft nur in Politik und Gesellschaftkunde und beim Schulstreik; gleichzeitig werden die Leistungsanforderungen drastisch abgesenkt, um auch noch jeden Dödel "mitzunehmen":
    ich könnte davon erzählen, daß es noch mit einem halben dutzend Fehlern ein "Sehr gut - plus!" in der Klassenarbeit gibt oder über Schüler, die 100 Euro bekommen, weil sie nicht sitzengebliebebn sind oder über andere, die einen nagelneuen Mini-Cooper zum Geburtstag erhalten, weil sie in Mathe eine "drei" im Zeugnis haben.

    Die wollen alle später mal aus steuerfinanzierten Geldern ernährt werden; da gefallen mir die Morlocks noch wesentlich besser, die haben zwar die Eloy gefressen, aber wenigstens noch dafür gearbeitet.