Hamburg - südliche Innenstadt - Rödingsmarkt, Nikolaifleet

  • Gut dass der Turm der Nikolaikirche endlich in Stand gesetzt wird!
    Der Abriss dieser herrlichen neugotischen, wiederaufbaufähigen Kirche ist nur aus der Geringschätzung und Verachtung des Historismus in der Nachkriegszeit heraus zu verstehen. Naja, was sollte man auch von Architekten und Stadtplanern, die vorher Adolf und seiner Mannschaft gedient haben, anderes erwarten. :boese:
    St. Nikolai war gewiss eine der schönsten Hamburger Innenstadt-Kirchen, der Verlust des Kirchenschiffs ist nach wie vor schmerzlich räumlich spürbar.

    INFOS hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Ehemalige…kolai_(Hamburg)
    zudem: http://www.mahnmal-st-nikolai.de
    und Bilder des Abrisses: http://www.mahnmal-st-nikolai.de/?page_id=344 :weinen:

  • Die Nachricht klingt erst einmal erfreulich, doch will ich aus meiner Überzeugung keinen Hehl machen, dass eine tatsächliche Nutzung als Kirchengebäude - und sei es durch ein eingefügtes gläsernes Kirchenschiff, das den Mahnmal-Charakter bleibend gewahrt hätte - lieber gewesen wäre.

    Durch die jetzt in die Hand genommenen Gelder bekommt dieser Ort gewiss wieder mehr Aufmerksamkeit, als durch herab fallende Gesteinsbrocken in die Schlagzeilen zu geraten. Für wichtig halte ich, diesen verloren, zerschnitten, geradezu wüst empfundenen Ort zu einem lebendigen werden zu lassen. Die erwähnte Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin kann da ebenso Pate stehen wie die Dresdner Frauenkirche. Im einen wie im anderen.

  • Die gute Nachricht: das 12-geschossige Allianz-Hochhaus im Altstadtbereich am "Großen Burstah" soll abgerissen werden und dafür ein neues Quartier mit der Wiedererstehung der Bohnenstraße entstehen. Die schlechte Nachricht: Die Entwürfe des internationalen Architekturbüros Caruso St. John für das neue Quartier sind zum großen Teil eine städtebauliche Zumutung.

    Hintergrundinfos sind zu finden in einem Artikel "Die WELT", vom 11.04.14: http://www.welt.de/regionales/ham…tah-schick.html Zitat: "...Was die Hamburger dort künftig erwartet, beschreibt der Oberbaudirektor so: "Die Architekten haben ein Gebäude ganz eigenständiger Architektur für diese prominente Lage entworfen. So etwas gibt es in Hamburg noch nicht, wenngleich Hamburger Architekturthemen aufgegriffen werden."

    Bilder auf der Architektenseite - bitte das 2. Bild beachten - Blick vom Nikolaifleet - grausame Neubebauung: http://www.carusostjohn.com/

    In unmittelbarer Umgebung steht die übrigens bis heute unverständlicherweise nicht wiederaufgebaute Hauptkirche St. Nikolai. Wikipedia-Artikel: http://de.wikipedia.org/wiki/Ehemalige…i_%28Hamburg%29

    ...

    Einmal editiert, zuletzt von Wikos (15. April 2014 um 12:31)

  • Hm, na ja. Schön ist das sicherlich nicht, aber es hätte auch wesentlich schlimmer kommen können. Die Pilotis und die Streben lassen immerhin eine dezente Bereitschaft zum Ornament erkennen, und gerade die für mich recht ansprechend wirkende Ecksituation an der Straßengabelung erinnert mich latent an den Hamburger Backsteinexpressionismus (so einen Akzent hätte man auch zum Ufer setzen sollen). Wenn man bedenkt, was sonst hätte hinkommen können - oder gar eben nicht, oder wir hätten noch immer das Allianz-Hochhaus! Allerdings hätte man die Pfeiler besser in stärkeren Bezug zum Rest gesetzt, diese ungelenk über schlichten Pseudo-Arkaden "schwebenden" Großbauten wirken auf mich immer etwas ominös. Klassischer Fall von "hätte besser werden, aber auch schlimmer kommen können." Angesichts des heutigen Kanons solides Mittelfeld.

    Form is Function.

    "Fürchte nicht, unmodern gescholten zu werden. Veränderungen der alten Bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim Alten. Denn die Wahrheit, und sei sie hunderte von Jahren alt, hat mit uns mehr Zusammenhang als die Lüge, die neben uns schreitet."

    Adolf Loos (Ja, genau der.)

  • Ein Loblieb möchte ich darauf beim besten Willen nicht abgeben. Wie sagt man so schön "Chance vertan". Vielleicht hätte man besser ein regionales Architekturbüro befragt, statt ein internationales Büro mit einem Entwurf für eine bezuglose Investorenarchitektur. Was dort als Abschluss zum Nikolaifleet steht ist schlicht eine Frechheit. Hier hätte man mit behutsamer Stadtreparatur und einem historisierenden Bau einen stimmigen Ort am Wasser schaffen können. Stattdessen baut man im historischen Stadtkern eine anonyme Kiste hin, die so Dutzendweise bereits in der neuen Hafencity gebaut wird.

    ...

  • Ich sehne den Abgang von Hamburgs Oberbaudirektor Joern Walter ebenso herbei wie den von Berlins Bausenatorin Regula Luescher. Was unter der Aegide dieser beiden in HH und B gepriesen, gefoerdert und durchgewunken wird ist zum Weinen. Ich wuenschte, sie begaeben sich in den Fruehruhestand. Dann wuerden sie wohl immer noch dauernd auf Wettbewerbsjuries sitzen, aber zwei anders denkende Koepfe in diesen wichtigen Positionen saehe ich gern.

  • Ich find das Gebäude auch nicht schlecht, allerdings ist es am Nikolaifleet allzu unmotiviert hingeklotzt. Da bestünde dringend Verbesserungsbedarf! Auch wären Klinker schöner, gerade in Hamburg gibt es wunderbare Beispiele moderner Klinkerarchitektur und da muss man noch nicht mal das Chilehaus bemühen. Die Ecklösung Großer Burstah/Bohnenstraße ist recht gelungen, wenn man sie natürlich nicht mit der "Vorabriss"-Situation in den 60er Jahren vergleichen darf. Der Abriss des unversehrten Gertighauses damals war ein Verbrechen an der Stadtbaukunst.
    so sah die Ecke im wesentlichen bis in die unseligen 60er aus:
    http://www.ak-ansichtskarten.de/shop/ak/33/333…trassenbahn.jpg

    Der deutsche Pfad der Tugend ist immer noch der Dienstweg.

  • Ich erinnere mich noch gut an das Eckgebäude vor dem Abriss, ein besonders kostbares Exemplar eines innerstädtischen Geschäftshauses aus der Epoche vor dem ersten Weltkrieg, auffällig durch seinen rötlichen Farbton (war es Buntsandstein oder Backstein?) und seine erlesenen für Hamburg typischen Jugendstilformen. Aber das alles galt in den sechziger Jahren nichts.

  • So sieht es dort heute aus:

    https://binged.it/2QIieVC

    Das ist eine ältere Ansicht. Einiges davon ist ja schon weg. Aber um den Platz zu rekonstruieren, müsste da fast alles abgerissen werden. Vor allem die fette Straße ist ein Ärgernis. Der Wiederaufbau der Kirche wäre aber ein super Anfang. ;)
    Auf dem Photo des Zeitungsartikels sieht man, was für eine atemberaubend schöne städtebauliche Situation sich bot. Hamburg muss wunderschön gewesen sein. Heute ist der Bereich um die Nikolaikirche ein echter Unort.

    Daß man jetzt aber auch in anderen Städten ein Rekonstruktionsprojekt ins Spiel bringt, zeigt die tolle Wirkung des DomRömer Projektes. Vielleicht ziehen jetzt tatsächlich andere Städte mit.

  • Hatte mich auch schon gefragt, warum Herr Hirschbiegel - so sehr ich den Vorschlag auch unterstütze - ausgerechnet einen Platz vorschlägt, wo die meisten Hindernisse zu erwarten sind. Den Rest der Kirche wieder aufbauen? Völlig unwahrscheinlich (der Turm ist ja zudem ein Mahnmal). Die Straße verlegen oder einen Tunnel bauen? Kaum vorstellbar.

    Die Eigentümersituation der Häuser entlang der ehemaligen Parzellen müsste ja auch berücksichtigt werden . . .

    Ich möchte beinah sagen: ein völlig illusorisches Ansinnen. Leider.

    "Mens agitat molem!" "Der Geist bewegt die Materie!"

  • Bei Google im Panorama kann man sehr gut die heutige Platzsituation erkennen, >> Link
    Die Architektur ist überwiegend grauenhaft, eine breite Verkehrsachse zerschneidet das Areal. Dazwischen ein neugotischer Kirchturm ohne Kirchenschiff. Null Aufenthaltsqualität. Hier wäre ein Stadtumbau dringend geboten!

  • Bei Google im Panorama kann man sehr gut die heutige Platzsituation erkennen, >> Link
    Die Architektur ist überwiegend grauenhaft, eine breite Verkehrsachse zerschneidet das Areal. Dazwischen ein neugotischer Kirchturm ohne Kirchenschiff. Null Aufenthaltsqualität. Hier wäre ein Stadtumbau dringend geboten!

    Immerhin: Das Allianz Hochhaus am Großen Burstah im Hintergrund ist mittlerweile fast weg, der grausame Klotz hinter der Kirche schon komplett. Neu bebaut wird natürlich modern, aber zumindest kommt eine Straße, die seit Kriegsende weg war, wieder.

  • Der Vorschlag kommt um Jahre zu spät. Die Neubauten für das Allianz-Areal sind längst beauftragt bzw. die Realisierung hat bereits begonnen.

    Aber ein schönes Beispiel, dass Frankfurt zum Nachdenken anregt. Nicht-Architekten beginnen sich zu fragen, weshalb "neu" eigentlich immer gleich "gesichtslos, austauschbar und hässlich" sein muss.

  • Ich meine auch, da ist - Achtung Wortspiel ;) - Hopfen und Malz verloren. Insbesondere die sechsspurige Willy-Brandt-Straße (vormals Ost-West-Straße) wird man nicht rückbauen können, ohne die Stadt in einen Verkehrskollaps zu stürzen.

    Hier übrigens ein Bild vom Hopfenmarkt vor dem großen Stadtbrand 1842:

    Zeichnung von Friedrich Carl Alexander Lill, 1836. Quelle: Wikipedia, gemeinfrei
    Links zu sehen die mittelalterliche, außergewöhnlich geformte backsteinerne Nikolaikirche, die leider ebenfalls dem Brand zum Opfer fiel und durch die ortsuntypische Sandsteinkirche ersetzt wurde, deren Turm und Schiffsreste heute noch stehen.

    Lûbeke, aller Stêden schône, van rîken Êren dragestu de Krône. (Johann Broling, Lübecker Kaufmann und Ratsherr, um 1450)

  • Wenn man mal einen Blick auf die städtebauliche Struktur der Hamburger Innenstadt wirft, ist auf dem ersten Blick zu sehen, dass die Nachkriegsschneise der "Ost-West Straße" wie eine klaffende Wunde wirkt, die die Stadt in einen größeren nördlichen und kleineren südlichen Teil zerreisst. Die Straße trägt heute ja eigentlich die Namen von Ludwig Erhardt im westlichen, und Willy Brandt im östlichen Teil - bei den Hamburgern haben sich diese Bezeichnungn aber nicht durchgesetzt. Bis heute sind beidseits der Straße keine Strukturen enstanden, die dem weiten Verkehrsraum eine Fassung geben könnten:

    Neben dem Hopfenmarkt wurden 3 weitere innerstädtische Marktplätze durch den Bau der Straße zerstört. Die weitgehend intakten Vorkriegquartiere rund um die Binnenalster, in der Speicherstadt und an den Landungsbrücken bilden jeweils "Inseln" mit einem autogefluteten "Nichts" dazwischen. Bevor diese städtebauliche Fehlentscheidung nicht behoben und der Verkehr z. B. auf eine neue "Hafenquerspange" verlagert wird, sind entscheidene Verbesserungen meiner Meinung nach leider nicht möglich.

  • Die Ost-West-Schneise Willy-Brandt-Straße ist in der Tat das städtebauliche Geschwür in der Stadt. In Odense/Dänemark hat man eine solche Verkehrsschneise jetzt nach einer Bevölkerungsabstimmung stillgelegt. Wo ein Wille - da ein Weg... aber vielleicht ist Dänemark in diesem Punkt einfach fortschrittlicher wie Deutschland.

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