Werden wir das schöne Bauen noch erleben?

  • Kann man von der Natur eines Menschen auf sein Werk schließen? Die Entzauberung des Adolf Loos...wer will sie?

    http://diepresse.com/home/zeitgesch…okolle-verraten


    Wenn du jetzt auf die Architektur anspielst, hat das glaube ich nichts mit der Natur eines Menschen zu tun. Verbrecher oder sogar
    Massenmörder können den gleichen Geschmack haben, wie Friedensnobelpreisträger.

    Ich z.B. liebe auch Musik von Beethoven, Wagner und Brahms. Doch Hitler hat auch
    diese Musik geliebt. Bin ich jetzt ein potentieller Verbrecher? Ich hoffe nicht;-) Auch viele Gebäude die Speer entworfen hat, finde ich erschreckenderweise gar nicht so schlecht.
    Ich denke, dass die Architektur eher was mit dem Zeitgeist und der Mode zu tun
    hat.

    Ein Beispiel. Nehmen wir mal einen Architekten, der ca. 1880 geboren
    wurde und das Glück hatte ca. 90 Jahre alt zu werden und bis zum Schluss kein
    Zeichen von Demenz hatte.

    Im Alter von 25 Jahren (1905) baute er die üppigsten Historismus Fassaden. Nach
    der Kaiserzeit, in der Weimarer Republik war es damit vorbei. Der Bauhausstil
    setzte sich durch. Er schwenkte also um in eine sachliche und völlig schmucklose
    Architektursprache. Dann kamen die 30er mit der klassizistisch angehauchten
    monumentalen Architektursprache. Für den Architekten bedeutete das wieder ein
    Umschwenken.

    Dann, nach dem Krieg in Alter von 70 Jahren, entwarf er Gebäude im typischen
    50er Jahre Stil.

    Seine Natur, ob er jetzt vom Wesen her eher ein Pazifist,
    Militarist, Antisemit ist, hatte auf seine Entwürfe sicher keinen Einfluss.

  • So ganz unaufgeregt würde ich das nicht sehen... tatsächlich wird bei einem Kreativen, mithin wohl auch einem Architekten, immer Persönliches in die Arbeit miteinfließen und das Werk bestimmen. Außerdem ist ja Loos nicht nur Architekt gewesen, sondern auch Theoretiker und Architekturreformer. Dass seine Träume von der Ausmerzung des Ornaments und dessen Gleichsetzung mit Geisteskrankheit und Verbrechertum aus seiner eigenen pathologischen Verfassung herrühren, wäre eine gewagte, aber sicherlich argumentierbare These.

    Dass Loos überdies angetreten ist, das neue Bauen zu propagieren, weil es das menschenwürdigere und gesündere ist, nimmt sich angesichts der Gerichtsprotokolle als fragwürdig aus. Mir scheint Hr. Loos an nichts weniger interessiert gewesen zu sein, als an menschlicher Würde und Gesundheit.

    Jedenfalls zeigt sich, dass der große Bruch, die große [lexicon='Zäsur'][/lexicon] in der abendländischen Bautradition schon wurzelhaft einen krankhaften Zug hat...

    „Im Werk der Kunst hat sich die Wahrheit des Seienden ins Werk gesetzt.“, Martin Heidegger

  • Ich weiß nicht, wo ich das Bild sonst hineinpacken sollte. Ich habe es aus einer Zeitungsbeilage mit dem Titel "Immobilien für Kapitalanleger" abfotografiert. Die Referenzprojekte zeigen die ganze Vielfalt und Ortsbezogenheit der aktuellen deutschen Baukultur. Obwohl anhand der Bilder landschaftlich rasch zuordenbar gebe ich (falls schlecht lesbar) die Ortsnamen der waagerechten Reihe nach von links nach rechts preis:
    Nürnberg, Heidelberg, Köln
    Heilbronn, Berlin I, Aalen I
    Hamburg, Rosenheim, Graz (Österreich)...

    Wie es ausschaut, müssen wir auf das schöne Bauen noch ein Weilchen warten...

  • Da wundert es einen nicht, daß der Berufsstand des Architekten heute ähnlich angesehen ist wie der von Politikern und Journalisten.
    Aber sie sind selber schuld, denn sie sind einer längst gescheiterten Ideologie verhaftet und scheinen nicht zur Einsicht zu kommen. Sie produzieren Ärgernisse ohne Unterlass und scheinen Genugtuung darin zu finden, daß sich ihre Arbeit dem Normalbürger nicht erschließt, die Entfremdung immer größer wird.

    In dubio pro reko

  • Die Referenzprojekte zeigen die ganze Vielfalt und Ortsbezogenheit der aktuellen deutschen Baukultur.


    Da kann man doch mal sehen, wie man mit einfachen (billigen?) Mitteln die Bautradition der Standorte der Gebäude auch in attraktiven und komfortablen Neubauten zitieren und damit fortleben lassen kann.

    Wenn überall so gebaut würde, bräuchten wir gar keine Rekonstruktionen, geschweige denn Altbauten mit ihren schlechten Zuschnitten der Wohnungen mehr, um an das kulturelle Erbe unserer Städte zu erinnern. Wäre diese Beilage schon im Jahr 2007 in der FAZ gewesen, hätte es der Rekonstuktion der Frankfurter Altstadt nicht bedurft.

    Da kann man nur hoffen, dass die Beilage von vielen gelesen wird und dann den Weg geht, den auch die Prospekte von Discountern, Baumärkten und Parteien gehen, den direkt vom Briefkasten in den Altpapiercontainer.

  • Die Referenzprojekte zeigen die ganze Vielfalt und Ortsbezogenheit der aktuellen deutschen Baukultur.

    Ja. An Hamburg oder Berlin hab ich da schon gedacht. biggrin:) Besonders die "Viefalt", mit der diese Städte sich so gerne schmücken, sollte man an der Stelle betonen.

    Heidelberg, Heilbronn, Berlin I und Graz rufen bei mir sehr vielfältige Erinnerungen hervor. Berlin I scheint sogar schon zu stehen, wenn auch in leicht abgeänderter Form.

    Es gibt eine Architektur, die zur Landschaft gehört, sowie eine andere, die sie zerstört.

  • Im Schloss gibt's sogar ein neugemaltes Bergl Zimmer und einen im josefinischen Klassizismus stuckierten Festsaal, auch die Reitschule deren Portale sich an der biedermeierlichen Kornhäuselarchitektur orientieren gibt es!

  • Und nun der versprochene Querschnitt des "Innenlebens" Für die Festsaaldecke gab's sogar eine Anregung, ein Schloss im Osten Österreichs

    Cour d'honneur

    Steinernes Stiegenhaus in Bau


    Saal Stuckdecke; Vielleicht kennt jemand das Vorbild :)

    Saal Eckausbildung

    Bergl Zimmer; Parabet


    Bergl Zimmer; Übergang zum Plafond

    Und zuguterletzt die Reithalle

  • Rinascente

    Unbeschreiblich schön! Hast Du diese Fotos selbst gemacht?

    Es ist unglaublich, ja ein gebauter Traum! Alles sieht so aus, als wäre es im 18. Jahrhundert gebaut worden! Die Architekten Rau und Decker sind unschlagbar. Diese Architekten sind eine rühmliche Ausnahme, da sie den Geist unserer Vorfahren noch verstehen und in diesem Bauwerk zur Aufführung bringen.

    Kennst Du noch weitere Meisterwerke dieses Duos? Wenn ich etwas mehr Geld hätte, würde ich mir mein Landhaus von ihnen bauen lassen! Weltklasse!

  • Die Fotos habe ich gemacht, damals habe ich die beiden Planer über einen gemeinsamen Freund auch kennengelernt. Da ich mich seit meinem 13 Lebensjahr in die architektonische Formenlehre eingesehen, und eingezeichnet habe, arbeite ich im Moment gemeinsam mit ihnen an einem Projekt - einem Wiener Palais wo wir hochbarocke Stilräume nachschöpfen, da mit Ausnahme des Bandlwerkstucks im Stiegenhaus in der bel étage keine Substanz mehr da war. Im Biedermeier wurde der Stuck abgeschlagen, im Historismus - im Zuge einer teilweisen Hotelnutzung - wiederrum das Biedermeier domestiziert und mit der Übernahme durch eine Versicherung 1924 die historischen Oberflächen weitgehend beseitigt. Die Fassade ist allerdings bis auf vergrößerte Fenster im EG - die wir wieder rückbauten - in allen Details seit Salomon Kleiner unverändert. Die Architekten haben keine Website und einer von ihnen arbeitet auch ohne Computer. Übrigens ist der Umbau und die Restaurierung des Hofschumachers Scheer in Wien ein Werk Otto Raus.

  • Vielen Dank für die Antwort! Sooo interessant!

    Hast Du eventuell auch Fotos von der jetzigen Baustelle bzw. hat das grandiose Architektenduo noch ähnliche Werke geschaffen? Wiener Palais...das kann doch nur das Palais B. in der B. sein! Diese Versicherungen...verunsichern die Kultur immerwegs. Wenigstens jetzt wieder in privaten und sicheren Händen.

  • Grüß
    dich Exilwiener, gut getroffen es ist das Palais B, dessen Fassade bis auf die
    unschönen bis aufs Sockelgesims verlängerten Historismusfenster sowie die
    vermauerten Balusterzwischenräume des Balkons unverändert geblieben ist. Die
    meisten Fassaden der hochbaorocken Wiener Palais wurden um 1800 bzw. im
    Biedermeier ab 1815 zumindest im Detail verändert. Auf meinem Vorschlag hin wurden
    nicht nur die Fenster wieder Rückgebaut, sondern alle Maschinengläser gegen
    Lamberts Restaurationsglas ausgetauscht. Dieses Glas kann auch für
    Isolierglasfenster verwendet werden. Die handwerklich im Detail leicht
    unregelmäßige Fassade setzt sich in den Fensterflächen schlüssig und ungestört
    fort. Dieses wichtige Detail wird immer wieder vergessen leider auch an den
    Fenstern der Rekonstruktionsbauten der Rampschen Gasse in Dresden, die dadurch
    wie billiges Fake wirken. Ursprünglich gab es nur eine Fensterebene die als
    Kreuzstock ausgeführt war und aus geölter Eiche bestand. Bereits um 1800 wurde
    das unter des Kämpfers befindliche Setzholz herausgeschnitten und an einen
    Flügel appliziert, um bei geöffneten unteren Flügeln keinen vertikalen Steher
    zu haben. Mit diesem Umbau um 1800 kam ein permanenter Blendrahmen für die Fassadenbündigen
    Winterfenster die anstatt aus geölter Eiche aus Lärche ausgeführt wurden. Sie wurden
    der Zeit entsprechend in Lichtgrau gefasst. Nach einer historistischen
    Eichenimitation wurden die Fenster in dem noch weitverbreiteten Weiß gestrichen
    wodurch, einer Unart die die Eleganz des Gebäudes erheblich schmälert. Weiße Fenster
    versprühen eben den Charme eines oiden Sanatoriums :)

    Nach entfernen der Farbe wurden die Anstückelungen des Historismus die in
    Romancement ausgeführt wurden sichtbar. Es wurde wieder ein in der Laibung liegendes barockes Kreuzstockfenster eingebaut,
    die Winkelbänder, die Scheinwinkel sowie der Zuzieknopf wurden nach erhaltenen
    Beständen nachgegossen. Auf die ursprüngliche Verzinnung wurde verzichtet da
    sie in Grau der Fassung von 1801 überfasst werden. Um das, nach einen
    erhaltenen Exemplar im ehemals dazugehörigen Nachbarhaus in der Schenkengasse nachgefertigten,
    Fenstergitter nicht mit Fassadenbündigen Winterfenstern zu verstellen wurde
    eine biedermeierliche Aufdopplung zum Kastenfenster im Inneren vorgenommen.
    Neben biedermeierlichen Profilen zeichen Fitschenbänder die „Aufrüstung“ des
    einscheibigen Barockfensters aus.


    Salomon Kleiner Stich 1730er

    EG Fenster mit historistischen Fensteranlegen, Gitter 1924

    EG Gitter demontiert Anstückelungen gut sichtbar

    EG Anstückelung an Stelle der herausgerissenen Sohlbank
    http://www.aph-bilder.de/images/2015/10…79verkl..md.jpg

    EG Rückbau Einrichten Sohlbankrekonstruktion

    EG Rückbau + Gitter

    EG Fertig allerdings noch ohne Farbfassung

    EG Fensteranlage innen

    EG Fensteranlage innen, Beschläge

  • Rinascente
    Ein außergewöhnliches und meines Wissens einzigartiges Proket in Österreich diese "Neuschaffung" des Gestüts Lindhofs!
    Wirklich sensationell und es wirkt eben nicht wie auf dem Reißbrett entworfen, sondern als wäre es mit Wissen und der Handwerkskunst der damaligen Zeit entstanden. Die Gebäude atmen Geschichte, obwohl sie erst 2005 - 2007 geschaffen wurden.

    Die Anspielung auf die Inspiration durch ein Schloss aus dem Osten für die Festsaaldecke kann meiner Meinung nur die klassizistische Adaption durch Maria Theresia von Schloss Hof betreffen!

    Das Projekt in Wien erweist sich auch als großartig, wenn ich deinen Bericht zu den Ergeschossfenstern betrachte - ich gehe oft vorbei, um mich über den Fortschritt zu vergewissern.
    Weißt du, sind die Halterung zwischen den Erdgeschossfenstern für historisch inspirierte Kandelaber vorgesehen, ähnlich wie beim benachbarten Palais Liechtenstein?

    Es darf nie vergessen werden, dass die Kunst eines Landes der Wertmesser nicht allein seines Wohlstandes, sondern vor allem auch seiner Intelligenz ist