Werden wir das schöne Bauen noch erleben?

  • Werden wir das schöne Bauen noch erleben ? 32

    1. Das wird noch sehr lange dauern. Ich werde Rentner sein. (19) 59%
    2. Schon bald. Wenige Jahre noch. (13) 41%

    Ich möchte diese provozierende Fragen hier stellen, weil sich derzeit
    kaum eine Veränderung bei den Neubauten feststellen lässt.
    Weiterhin wird dem hundertjährigen Bauhausstandard gefrönt und
    kaum wirklich ästhetisch schöne Architektur produziert. Wie
    Kollhoff sich in einem kürzlichen Interview äußerte, ist derzeitige
    Architektur meist nur die Optimierung von Einzelaspekten des
    Hausbaues (beste Toilettenversorgung, größte Fensterfläche, geringste
    Aufenthaltsqualität etc.). Was meint Ihr, wann kommt die Wende ?
    Werden wir sie noch erleben oder müssen wir uns damit abfinden,
    daß wir ewig mit den Vierkantbolzen aus Beton, Stahl und Glas
    klarkommen müssen. Besteht noch eine Chance für uns Menschen ?

  • Gute Frage, Oliver! :)

    Wie ich sehe haben viele Leute gewaehlt ohne einen Kommentar zu hinterlassen.

    Also ich bin jetzt schon Rentner und ich habe wenig Hoffnung auf eine baldige Umkehr. Zwar hoffe ich darauf, diesen und jenen Lichtblick erleben zu koennen (hoffentlich viele! :) ) aber eine baldige und totale Aenderung des augenblicklich vorherrschenden Architekturstils wage ich nicht zu erhoffen. :(

  • Was ich für wahrscheinlich halte, ist die Beibehaltung der derzeitigen Strömungen, die auch nicht aus der Luft heraus entstanden sind und ihre Gründe haben. Es ist aber möglich, daß sich die Nischen emanzipieren und dadurch stärkeren Einfluß auf die gesamte Architektur haben. Ferner geben häufig prägnante Architekten-/Künstlerpersönlichkeiten Impulse.
    Vielleicht gibt es irgendwann eine Welle der neuen Lust am Gestalten, bei der unverkrampft Funktion und Gestaltungsbedürfnisse in bislang ungekannter Form vereinbart werden. :zwinkern:

  • Ich kann mir schon vorstellen, dass die breite Architektur im Laufe meines Lebens auch die Schönheit eines Gebäudes wieder als maßgebliches Kriterium entdeckt, momentan sehe ich aber noch nicht, wann das sein sollte.

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Ich bin da für die nähere und mittelfristige Zukunft pessimistisch. In der deutschen Architektenszene ist kein Umdenken erkennbar. Hier mal ein Statement im Zentralorgan der Modernisten:

    Meldung in BauNetz vom 22.12.2005
    Titel: Ein Rückblick auf das Architekturjahr 2005
    Von Benedikt Hotze, BauNetz-Redaktion

    Das ist die Tendenz: In der Architektenschaft ist die in den achtziger Jahren noch mehrheitliche Ablehnung von Rekonstruktionen inzwischen einer Indifferenz gewichen. Alles scheint möglich, alles scheint machbar. Während am Ostflügel des Dresdener Schlosses Peter Kulka verlorene Säle glücklicherweise in moderner Form nachschöpfen darf (BauNetz-Meldung vom 12. 1. 2005), wird in Potsdam die barocke Garnisonkirche aus dem Nichts wieder aufgebaut (BauNetz-Meldung vom 14. 4. 2005), und in Berlin schafft man Fakten für einen Neubau in der Kubatur und mit den Fassaden des Stadtschlosses.

    Kehrseite der Medaille Wiederaufbau ist der Abriss. Trotz der vollkommen ungesicherten Finanzierung und inzwischen schwer wiegenden Zweifeln an der Unterbringungsmöglichkeit der dafür vorgesehenen Funktionen im [lexicon='Berliner Schloss'][/lexicon]-Neubau (BauNetz-Meldung vom 28. 10. 2005) wird der Abrissbeschluss für den Palast der Republik nicht widerrufen. Die kulturelle Zwischennutzung des Palast-Rohbaus, durch junge, politisch denkende Architekten durchgesetzt und von 2003 bis 2005 erfolgreich bespielt, hat nicht einmal einen Abriss-Aufschub erreichen können: Der Kulturausschuss der neuen Bundesregierung bestätigte den Abriss-Beschluss des Bundestags. Im Januar 2006 beginnt die sinnlose Zerstörung eines Rohbaus, der einen materiellen Wert von 110 Millionen Euro repräsentiert.

    Während sich kanonische Bauten der klassischen Moderne inzwischen breiterer Beliebtheit erfreuen (A: na das ist jetzt aber übertrieben und ziemlicher Zweckoptimismus) – 2005 wurde beispielsweise das Corbusier-Haus in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart denkmalgerecht saniert, siehe BauNetz-Meldung vom 28. 11. 2005, – haben Bauten der Nachkriegs-Spätmoderne außerhalb esoterischer Architekten- und Künstlerzirkel keine Lobby in Politik und Bevölkerung. Wenn es dennoch gelingt, die Werke zu erhalten, dann oft nur im „Huckepack“ einer Neubaulösung.


    Liebe Modernisten-Architekten, ihr solltet euch endlich einmal die Frage stellen, warum die Bauten der Moderne keine Lobby, vor allem keine Lobby in der Bevölkerung haben. Die breite Zustimmung zu Rekonstruktionsprojekten eigentlich in ganz Deutschland erklärt sich ja letztlich auch aus dem Wissen, dass Architektur in der Formensprache „unserer Zeit“ nicht in der Lage ist, etwas auch nur annähernd Gleichwertiges zu schaffen.

    Der ganze Artikel:

    http://www.bda-architekten.de/db/news/?news_id=81353http://<br>


    Oder hier der sehr bezeichnende Kommentar in BauNetz zur Frauenkirche:

    Meldung in BauNetz vom 25.10.2005
    Kommentar der Redaktion

    Aber auch hier wäre eine selbstbewusste moderne Nachschöpfung, zum Beispiel mit einer modernen Stahlkonstruktion für die Kuppel, wünschenswert gewesen. Eine Zeitlang geisterten entsprechende Pläne von Günter Behnisch durch die Szene. Die Dresdener Bürger haben das nicht gewollt, sie entschieden sich für die „archäologische Rekonstruktion“, die mit moderner Computertechnik möglich wurde, und die sogar im Inneren mit pseudobarocker Bauzier beklebt und bemalt wurde. Als wäre die nach Kriegszerstörung im Inneren karge, lediglich verputzte Kreuzkirche gleich nebenan nicht der wesentlich eindrücklichere Innenraum!
    Man muss die Aufbau-Entscheidung der Dresdener respektieren; lieben muss man die neue Frauenkirche jedoch nicht.

  • Zitat von "BautzenFan"

    Während sich kanonische Bauten der klassischen Moderne inzwischen breiterer Beliebtheit erfreuen (A: na das ist jetzt aber übertrieben und ziemlicher Zweckoptimismus)

    Ich denke schon, daß generell die schon in jedem Reiseführer als Sehenswürdigkeit vertretenen, gewisse Besonderheiten aufweisenden (und daher "kanonischen") Bauten der Zwanziger Jahre, nicht zuletzt wegen ihres selteneren Vorkommens, beliebt sind. Wer geschmacklich überhaupt nichts mit modernen Bauten anfangen kann, der muß sich natürlich davon distanzieren.

    Bei den Fünfziger Jahren ist es schon etwas anderes, aber dort herrschte auch eine andere Situation; hier wurde viel mehr gebaut, auch viel mehr von mäßiger Qualität, daneben oft auf Kosten von Wiederaufbauhoffnungen. Zudem fällt es vielen leichter, einem Gebäude einen Wert zuzumessen, je älter es ist.
    Die Aussage, daß "Bauten der Nachkriegs-Spätmoderne außerhalb esoterischer Architekten- und Künstlerzirkel keine Lobby in Politik und Bevölkerung" hätten, halte ich aber für propagandistisch übertrieben. Als Bausünden der Nachkriegszeit und der Gegenwart empfinde ich vor allem die anmaßende und oft einfallslose, brutale, selbstherrliche Behandlung historischer Bauplätze und Umgebungen.

    Ich bin der Meinung, daß unabhängig von Geschmacksfragen innovatives Bauen im Sinne der Architektenschaft durchaus seinen Platz hat, mal die Probleme heutiger Baumethoden ausgeblendet, allerdings im historischen Zusammenhang nur unter allergrößter Vorsicht. Im Sinne einer Gauß'schen Verteilung kommt allerdings auch hier zwangsläufig hauptsächlich Mittelmaß heraus.

    Was ich allerdings für absolut deplaziert halte, ist der hybride und teils unverschämt wirkende Anspruch der Architektenverbände, apodiktisch vorgeben zu können, was richtig und falsch ist. Doch das ist nicht verwunderlich, denn die Architektenschaft hat eben das ureigene Interesse, im Bauwesen überall entscheiden zu können und tätig zu werden, um Macht und wirtschaftliche Vorteile zu sichern. Das ist ja typisch bei Interessenverbänden.

  • Die grundlegende Frage ist schon in der Überschrift enthalten, was ist das 'schöne Bauen'? Wenn damit lediglich eine gefällige Verpackung gemeint ist, in Architekturgeschichtlerkreisen wird inzwischen davon ausgegangen, daß der Traditionalismus die nächste große Entwicklung sein wird. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Investoren und Architekten auch zu dieser Erkenntnis gelangen. Die Entwicklung hat schon begonnen, siehe etwa Braunschweig oder Potsdamer Tor. Leider bedeutet das nicht, daß in Zukunft menschenwürdiger gebaut würde, eher werden dieselben Investorenabschreibobjekte in neuer Verpackung angeboten werden, Traditionalismus als Vermarktungsstrategie, aber kein Verständnis für oder ernsthafte Auseinandersetzung mit traditioneller Architektur. Also mittelmäßige bis schlechte traditionalistische Massenware, genauso wie seit den Fünfzigern mittelmäßige bis schlechte moderne und postmoderne Massenware produziert wird. An der 'Optimierung von Einzelaspekten des Hausbaues (beste Toilettenversorgung, größte Fensterfläche, geringste Aufenthaltsqualität etc.)' wird sich unter den gegenwärtigen sozioökonomischen Bedingungen nichts ändern, dafür wird es 'Vierkantbolzen aus Beton, Stahl und Glas' mit klassizistischer Fassade geben.

  • Dem ist realistischerweise (leider) zuzustimmen. Wir werden wohl kaum erleben, daß plötzlich darauf geachtet wird, daß Neubauten ein paar hundert Jahre halten. Dazu ist der Investitionsdruck der Menschen zu hoch.

    Übel ist auch der Denkmal-Sanierungsbereich. Dort wird in der Regel folgendes gemacht: Altbau entkernt, mit Wohnungen vollgestopft, aufs gleiche Grundstück noch 2 billig gestaltete Wohnblocks gestaltet, um die Sanierung wieder reinzuverdienen. Dann gibt's 80% des teuren Kaufpreises als Sonder-Afa. Was ist daran Denkmalpflege?

  • Zitat von "baukunst-nbg"

    Ich denke schon, daß generell die schon in jedem Reiseführer als Sehenswürdigkeit vertretenen, gewisse Besonderheiten aufweisenden (und daher "kanonischen") Bauten der Zwanziger Jahre, nicht zuletzt wegen ihres selteneren Vorkommens, beliebt sind. Wer geschmacklich überhaupt nichts mit modernen Bauten anfangen kann, der muß sich natürlich davon distanzieren.
    Als Bausünden der Nachkriegszeit und der Gegenwart empfinde ich vor allem die anmaßende und oft einfallslose, brutale, selbstherrliche Behandlung historischer Bauplätze und Umgebungen.

    Warum ich der Architektur-Moderne sehr reserviert gegenüber stehe, hat vor allem folgende Ursache: Es ist die mit den Stilmitteln der Moderne erreichte - oder bitte, eigentlich denke ich noch drastischer - die erreichbare Wirkung im Stadtraum. Irgendwie sagst du es doch selbst:
    Als Bausünden der Nachkriegszeit und der Gegenwart empfinde ich vor allem die anmaßende und oft einfallslose, brutale, selbstherrliche Behandlung historischer Bauplätze und Umgebungen.
    Dort muss sich diese Architektur nämlich mit einem Zustand messen, der vorher dort bestand oder in Teilen noch besteht.
    Jeder (fast jeder) empfindet die Prisco-Bebauung der Töpferstraße am Dresdner Neumarkt im Vergleich mit der „Schokoladenseite“ dieses Areals als zweitklassig, als Hinterhof, wie das jemand im Forum ausgedrückt hat. Warum ist das wohl so? Per se (innerhalb der „Grundgesamtheit“ modernistischer Architektur) kann man solche Bauten durchaus als gelungen einstufen, Oktavian-Hertzog verwendete das Wort manierlich, aber im Vergleich mit historischen Bauten ihrer jeweiligen Kategorieklasse?
    Dass die "kanonischen" Bauten der Zwanziger Jahre eine gewisse Akzeptanz erreicht haben, liegt meiner Meinung nach daran, dass sie im Vergleich mit dem, was „danach“ kam, eben schon wieder ganz erträglich sind (mehr oder weniger).

  • Zitat

    Die grundlegende Frage ist schon in der Überschrift enthalten, was ist das 'schöne Bauen'?

    Das ist nur eine Seite der Medaille. Die andere ist, ob wenigstens versucht wird, schön zu bauen.
    Das es so viele Geschmäcker wie Menschen gibt, darf nicht darf führen, dass die Dichotomie schön/hässlich aus der Architektur ausgeschlossen wird - denn das, was dann übrigbleibt, ist, wie auch in dem Kollhoff-Artikel zu lesen, keine wirkliche Architektur mehr, sondern nur noch Ingenieursleistung.
    Nicht wenige wollen das: Abschaffen der ästhetischen Kategorie, Reduktion auf Zweck, Funktion, Geometrie, Tektonik. Und das führt dann zu den bekannten Bauten, die 99% hier im Forum am liebsten einreißen würden.
    Die Sache bleibt also zweigestaltig:
    1. Diskussion darüber, ob Ästhetik maßgeblich für Architektur sein soll.
    2. Diskussion darüber, was, wenn man Ästhetik will, diese ist.

    Würde das Gros der Architkten und Bauherren ersteres mit Ja beantworten (was nicht so ist), wäre schon viel gewonnen.

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Form follows function. Das ist das Credo der modernen Architektur und auch der modernen Designs und das wird auf sehr lange Zeit auch noch so bleiben denn das ist inzwischen ein großer Teil unserer ganzen Alltagskultur geworden. Es wird alles auf das wesentliche Reduziert und was darüber hinausgeht ist nur sinnlose Schnörkelei und Kitsch. Und unser Wirtschaftssystem untermauert das Ganze dann noch und betoniert es auf Ewigkeit ein.

    Und dieser ganze Neo-Historismus und Traditionalismus den manche architekten neuerdings aufgreifen ist meiner Meinung nach auch nichts als Augenauswischerei für Wahrnehmungskonservative. Dieses Zeugs kann sich nie mit wirklich historischem messen. Meiner Meinung nach sollte man sich auf Die archäologische Rekonstruktion der Sadtkerne und der Innenstadtbezirke konzentrieren und ansonsten den Architekten und Investoren in den Aussenbezirken ihren freien Raum für advantgardistische und wirklich moderne Bauten lassen, denn was da oft ansonsten an Investitionsruinen und Arbeiter/Ausländerpferchen herumsteht, könnte man mit moderner aber trotzdem menschenfreundlicher Arch. wirlich sehr verbessern.

  • Zitat von "niko"

    Form follows function. Das ist das Credo der modernen Architektur und auch der modernen Designs und das wird auf sehr lange Zeit auch noch so bleiben denn das ist ...

    Waren Sie schon einmal in Pforzheim? Hier wurde Ihr Geschwätz von einer unfähigen Architektenzunft schon in den Nachkriegsjahren 1: 1 umgesetzt. Die Stadt und ihre Bevölkerung leiden heute noch darunter!!!!

    Der Tiefpunkt der Baukultur wurde in den 60er und 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts erreicht...

  • Zitat

    Und dieser ganze Neo-Historismus und Traditionalismus den manche architekten neuerdings aufgreifen ist meiner Meinung nach auch nichts als Augenauswischerei für Wahrnehmungskonservative. Dieses Zeugs kann sich nie mit wirklich historischem messen. Meiner Meinung nach sollte man sich auf Die archäologische Rekonstruktion der Sadtkerne und der Innenstadtbezirke konzentrieren

    Das sehe ich allerdings genauso, jedefalls solange die Traditionalisten von Los Angeles über Berlin bis Wladiwostok nicht mehr zustande bringen als den immer selben zigsten Aufguß eines moderne-kompatiblen Neoklassizismus.
    Wenn sich allerdings mal jemand daran versuchen würde, an Ansätze anzuknüpfen, die es zwischen 1900 und 1920 gab, bevor dann alles in Bauhaus oder Fascho-Klassizismus einmündete, wäre das was anderes. Also eine Anknüpfung z.B. an den "organischen Stil" Gaudìs oder an den Expressionismus (von letzterem gibt es in Berlin noch einige sehr gelungene Beispiele). Das könnte durchaus interessant werden.

  • Ich würde es so sagen: Wenn ein zeitgemäßes Bauen an die Qualität und die Prächtigkeit des Hochhistorismus anknüpfen würde, dann fände ich das hervorragend.
    Das, was wir jetzt sehen, ist auch nicht Historismus oder Traditionalismus, sondern irgendeine Klassizismusform, die, wie Philon anmerkte, eher aus der Linie des Bauhausklassiszimus der NS-Zeit entstammt.

    Wobei ich mal wieder anmerken muss: Beim Besuch im Büro Patzschke habe ich entwürfe gesehen, die man beinahe als Neobarock einstufen kann, die sie aber aufgrund städtebaulicher Geschmacksvorschriften nie bauen durften.

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • In Österreich haben in der Nachkriegszeit einige Künstler versucht and die Hinterlassenschaften Gaudis und des Expressionismus anzuknüpfen und eine Spielart moderner Architektur zu etablieren, die sich der menschenverachtenden und tristen Form der Postmoderne entgegenstellen sollte. Sie nannten das den phantastischen Realismus, beeinflusst vom Surrealismus und haben einige Gebäude vor allem in Wien errichtet. Die wichtigsten Vertreter waren Hundertwasser und Ernst Fuchs (Hundertwasserhaus). Aber bis auf einige Gebäude in diesem Stil, die natürlich zu Touristenattraktionen wurden, hat sich das ganze absolut nicht durchsetzen können. Das ganze wurde von der etablierten Architektenszene meist als gewaltiger Kitsch bezeichnet von den Bürgern aber zum Teil sehr gut angenommen.

    Ich selbst finde es auch ziemlich kitschig, aber da es nur bei Einzelbauten blieb doch irgendwie angenehm und eine interessante Abwechslung in der Stadtlandschaft.

  • Zitat von "Frankfurter"

    Wer weiß eigentlich noch von wem der Ausspruch 'form follows function' stammt und was konkret damit gemeint war? (selbst die meisten Architekten nicht)

    Genauso ist es ja mit Adolf Loos' "Ornament und Verbrechen", das meist fälschlich "Ornament ist Verbrechen" zitiert wird. Und seine Argumentation ist aus heutiger Sicht schlicht hirnrissig (z.B.: wenn man auf Ornament in Architektur und Gebrauchsgegenständen verzichten würde, müssten die Menschen statt 8 nur noch 6 Stunden arbeiten).

    Die Amerikaner haben sicher ein besonderes Verhältnis zum Klassizismus, da sie den Stil mit ihren Grundwerten von Freiheit und Demokratie verbinden. Wir Deutschen denken dann schon eher an Speer und Stalin.

    Wir stecken im Dilemma, dass uns schmerzlich bewusst ist, keinen Stil zu haben. Selbst unter Kunsthistorikern ist der Stilbegriff höchst umstritten. Wie da einen "besseren" Stil finden. Als einzige Alternative zum Modernismus bleibt eigentlich die Rekonstruktion. Leider beschränkt die sich aber in den allermeisten Fällen auf die FAssade.

  • Zitat von "niko"

    Form follows function. Das ist das Credo der modernen Architektur und auch der modernen Designs und das wird auf sehr lange Zeit auch noch so bleiben denn das ist inzwischen ein großer Teil unserer ganzen Alltagskultur geworden. Es wird alles auf das wesentliche Reduziert und was darüber hinausgeht ist nur sinnlose Schnörkelei und Kitsch. Und unser Wirtschaftssystem untermauert das Ganze dann noch und betoniert es auf Ewigkeit ein.

    ...

    Modern ist das nicht. Wenn der Opi von meinem Opi vor 100 Jahren Form Follows Function gesagt hat, dann ist das nicht mehr modern. Es ist einfach ein PR-Gag ! :gutenacht: Deutschland.

  • Wobei das auch nicht mehr auf alle Bauten zutrifft - bei den schiefen Libeskind oder Coop-Himmelb(l)au-Kreationen läßt sich die Form beim besten Willen nicht mehr aus der Funktion ableiten. Es sei denn, 4 m lange und 50 cm breite Räume wie beim Anbau der Münchner Kunstakademie wären ausdrücklich gewünscht :augenrollen:

    So ganz leuchtet mir der Sinn dieses Spruchs auch nicht ein - wenn nur noch die Funktion entscheidet, müssen dann alle 2 Millionen Bürogebäude in Deutschland identisch aussehen, nur weil die Gebäudefunktion in jedem Fall dieselbe ist? Klingt alles nach einer ziemlich absurden und praxisfernen Ideologie.

  • Der Ausspruch 'form follows function' stammt von Louis Sullivan, und es ging ihm gerade nicht um reine Zweckmäßigkeit sondern um eine neue Ornamenttheorie und eine daraus entstehende neue Ornamentik. Ihm zufolge entsteht Architektur erst durch das Gleichgewicht von Zweckmäßigkeit und Schönheit, Technik und Kunst, Rationalem und Irrationalem.

    . Louis Sullivan, Getty-Mausoleum, 1890 (wikipedia)

    Wieder ein schönes Beispiel, wie Begriffe oder Zitate ein Eigenleben entwickeln.