Bericht eines Studenten

  • Es ist also tatsächlich zu guten Teilen ein Zuviel an Staat und ein Zuviel an Verordnungen, dem man einen großen Teil der Schuld an der heutigen minderwertigen ästhetischen Qualität geben muss

    Ich bestreite ja auch gar nicht, dass dies ein wichtiger Faktor ist. Nur würde es, wenn es keine anderen, wichtigeren Einflussfaktoren gäbe, ja im Umkehrschluss bedeuten, dass in Ländern, wo es vergleichsweise wenig Druck durch Vorschriften gibt, auch deutlich schöner gebaut wird. Dies ist jedoch keineswegs der Fall, wie man zum Beispiel erst kürzlich in der Galerie südamerikanischer Städte von Spreetunnel sehen konnte. Dort ist es ja eigentlich noch schlimmer als bei uns, was die Schönheit der neueren Bauten betrifft.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • Man könnte fast meinen, es liege am zu großen Staate? ;)

    Im Grunde genommen finde ich diese Situation sogar gut, da jedes BL individuell seine Regeln festlegen kann und somit eben einer Standardiesierung entgegenwirken kann. Als Bauträger ist man generell bestrebt einen Haustypen zu entwerfen, der in jedem Bundesland gebaut werden kann. Das wird so auch gerne von der Bauwirtschaft gefordert, dass ein einmal genehmigter Haustyp immer wieder gebaut werden kann. Unterschiedliche Bebauungspläne und Landesbauordnungen verhindern das aber, was ganz im Sinne der Forengemeinschaft sein dürfte. Allerdings reagiert der Bauträger dann eben mit einer kleinen Abweichung vom Standard (z.b ein größerer Rücksprung im Staffelgeschoss) und dann passt es. Wirklich etwas gewonnen ist damit nicht. Im Grunde wirken beide Interessen gegeneinander. Der Bebauungsplan und die Landesbauordnung möchte Individualität und der Bauträger möchte seinen Standardhaustypen bauen. Das Ergebnis kann dann eben nur ein fauler Kompromiss sein.

    Jedenfalls führt dieser Zustand dazu, dass man die gleichen Themen immer wieder besprechen muss. Als Beispiel: Ein Reihenhaus was in Brandenburg 2-geschossig ist, ist in Berlin schon 3-geschossig. Teilweise haben auch unterschiedliche Ämter innerhalb eines BL unterschiedliche Auffassungen. Das soll alles keine Rechtfertigung für schlechte Architektur sein, sondern nur Aufzeigen mit welchen Fragestellungen man sich bei der Arbeit auseinandersetzen muss.

  • Korrekt, Snork. Ein Blick auf weitere Kulturbereiche zeigt den Verfall und den dahinfließenden Anspruch der Menschen, Schönes zu schätzen und auch zu schaffen. Es gab andernorts schon eine Diskussion über die Entwicklung von Ästhetik und es wurde als Beispiel der Minimalismus von Apple genannt, als Produkt einhergehend mit der Vermarktung. Formlos, ein Stil für alle. Globalistisch gedacht. Je klarer die Formen, desto "nicht ausgrenzender" das Ergebnis. Kultur findet man hier allenfalls in dem Nutzerhandbuch wenn man seine Muttersprache wiederfindet.

    Aber ich komme gerade vom Thema ab. Wobei der Kern des Strangs die Beantwortung der Frage sein sollte: Können wir etwas ändern und wenn ja: Wie? Im Bestfall wird eine Sogwirkung in der Bevölkerung geschaffen die dazu führt, dass die Menschen sich a) ihrer Umgebung b) ihren Ansprüchen und c) ihrer Möglichkeit bewusst werden, diese auch zu artikulieren.

    Wenn jeder auf alles scheißt, würde ich als Geldgeber auch den Gürtel enger schnallen. Die klassische Szene steht also vor der Herausforderung, ihre Belange mit dem aktuellen National- und Weltgeschehen zu vereinen.

    Die Stiftung Denkmalschutz hat es mit ihrer aktuellen Kampagne auf den Punkt getroffen (Stichwort: Fridays for Future)

  • Danke für Deine interessanten Einblicke, Hansolol! Die zunehmende Komplexität jedweden Agierens infolge von Vorschriften, Normen, Rechtsrisiken etc. betrifft natürlich auch viele andere Berufe, wo allerdings deswegen auch keine schlechte oder unansehnliche Leistung abgeliefert wird. Es gibt ja zum Glück auch heute noch Architekturbüros, die trotz der Berücksichtigung aller Vorschriften recht schöne Entwürfe realisieren, und damit meine ich nicht nur die im "klassischen" Stil.

    Was ich Dich als recht frischgebackenen Architekten aber gerne fragen möchte: wird denn heutzutage im Architekturstudium klassische Schönheit und Proportionslehre überhaupt noch angemessen vermittelt und wertgeschätzt? Mein Eindruck ist, dass es bei den Architekten heutzutage eher Zufall und quasi die Ausnahme ist, wenn einer es gut macht, im Sinne von dem, was landläufig als schön empfunden wird. Früher, also vor ca. 1960, war es hingegen anscheinend quasi die Regel, dass Architekten schöne, gut proportionierte Häuser bauten - heute ist es alles andere als selbstverständlich. Was ist da aus Deiner Sicht bzw Erfahrung schiefgelaufen?

    Um es mal grob zu sagen: Mir hat mein Studium gefallen und ich denke, dass ich viel gelernt habe. Man hat sich auch viel mit historischen Vorbildern beschäftigt und hatte im Grunde genommen auch viele gestalterische Freiheiten. Klar gab es bei den Dozenten präferenzen, die eher zur Moderne tendierten, aber schlecht gemacht wurde das Alte nie. Was schiefgelaufen ist... das kann ich dir ehrlich gesagt nicht beantworten. Nach meiner Erfahrung sind die Architekten aber nur ein kleines Rädchen im ganzen System der Immobilienwirtschaft.

    Ein Punkt der mir immer wieder in den Sinn kommt, wenn ich mich mit anderen Leuten über Architektur unterhalte: Es ist vielen einfach egal. Man hat andere Präferenzen, als die Gestaltung seines Wohnumfeldes. Hauptsache es gibt einen Parkplatz für das Auto und es ist genügend Platz in der Wohnung. Als ich mir für unseren Garten ein Gartenhaus kaufen wollte, hat mir ein Kumpel geraten in den Baumarkt zu fahren. Ich habe das zum Glück nicht getan und stattdessen einen Tischler beauftragt. Das Ergebnis war natürlich teurer, aber ich bin jeden Tag froh über dieses schönes Gartenhaus.

  • Ich bestreite ja auch gar nicht, dass dies ein wichtiger Faktor ist. Nur würde es, wenn es keine anderen, wichtigeren Einflussfaktoren gäbe, ja im Umkehrschluss bedeuten, dass in Ländern, wo es vergleichsweise wenig Druck durch Vorschriften gibt, auch deutlich schöner gebaut wird. Dies ist jedoch keineswegs der Fall, wie man zum Beispiel erst kürzlich in der Galerie südamerikanischer Städte von Spreetunnel sehen konnte. Dort ist es ja eigentlich noch schlimmer als bei uns, was die Schönheit der neueren Bauten betrifft.

    Guter Einwand. Dann wäre aber auch die Frage, wo es denn heute gut läuft in architektonischer und städtebaulicher Sicht?

  • Die These, dass es bei einer Ausdünnung von Bauvorschriften zu besserer Architektur käme überzeugt mich nicht. Denn das würde erstens bedeuten, dass es aktuell keine "bessere Architektur" geben kann. Aber der jährlich von Stadtbild Deutschland vergebene Preis für einen Neubau demonstriert genau das Gegenteil, es ist möglich schön zu bauen, und man muss dafür nichteinmal Pleite gehen oder die Baukostenschätzung massiv überschreiten. Und ein Blick in die Geschichte lehrt auch, dass es gestalterisch durchaus immer besser wurde, es einen Höhepunkt in der späten Gründerzeit gegeben hat, trotz steigender Ansprüche und Vorschriften, und danach eine Zäsur einsetzte. Zuletzt impliziert die These aber auch, dass ausgedünnte Bauvorschriften Anforderungen und Baukosten senken, die dann in die Gestaltung gesteckt würden. Ist das so? Würde dann nicht einfach nur mehr gebaut, oder schneller, oder billiger oder mit mehr Rendite?

    Sollten wir uns das Bestreben zu eigen machen, die Bauvorschriften auszudünnen würde das am Ende nicht zwingend hilfreich sein für bessere Baukultur, denn Schritt zwei fehlt. Sozusagen "Lieber Bauherr, wenn du schon nicht mehr so krass Wärmedämmen brauchst, so viel Fluchtweg und Brandschutz beachten musst usw. dann gib halt ein bisserl Geld aus für mehr Stuck." Ich glaube nicht dass das funktioniert.

  • Ich gebe dir Recht nothor, man ist dann froh Geld gespart zu haben und das übrige Geld fließt dann in ein neues Auto, in die Inneneinrichtung, oder eben einfach auf das Sparbuch. Es ist ein Dilemma.

  • Liegt es nicht eher an der gewandelten Gesellschaftssicht auf die eigene Geschichte (kritisch statt stolz), auf die Zukunft (pessimistisch statt optimistisch) und den eigenen Lebensstil (egozentrisch statt exzentrisch), dass kaum jemand mehr einen betont positiven Eindruck in der Gesellschaft hinterlassen will? Warum gibt es denn keinen Hermann Ilgen mehr, der sich als fachfremder (Apotheker) unbedingt bildlich, in Form von Architektur in seiner Stadt ein Denkmal setzen will, das gleichzeitig zu einem opulenten aber harmonischen Stadtbild beiträgt? Wie sehen denn solche "Denkmale" heutzutage aus? Es sind doch überwiegend die "Star"-Architekten, die möglichst provokante Skulpturen in gewachsene aber geschundene Stadtbilder platzieren und nicht die Bauherren. Ein Mäzenatentum im Sinne von "Ich habe Geld, das zeige ich und tue dabei allen etwas Gutes" gibt es kaum noch. Wer Geld hat, will nur noch mehr und möglichst nicht dabei auffallen, oder eben ganz besonders auffallen, z.B. so.

    Die Frage ist, wie sich so eine Gesellschaftssicht ändern lässt, denn für alle drei Beispiele (Geschichte, Zukunft, eigener Lebensstil) gibt es ja rationale Gründe, warum diese heute anders sind als früher. Es braucht also wohl einen anderen Ansatzpunkt. Die so oft gepriesene Gemeinwohlökonomie, "Sharing Economy", Nachbarschaft, Nachhaltigkeit - alle diese Begriffe müssten sich doch in schönem Bauen widerspiegeln können.

  • Guten Tag zusammen,


    den Strang habe ich bis hierher interessiert verfolgt und würde gerne nun die Erfahrungen aus meinem Architekturstudium schildern, ohne irgendwelche Namen zu nennen.


    Vor meinem Studium, welches ich 2009 angefangen habe, hatte ich schon sehr großes Interesse an der Architektur des 19. Jahrhunderts. Denkmäler wie Schlösser, Kirchen u.a. zählten zu meinen Hobbys. Ein besonderes Schloss, in einem oberschlesischen kleinen Ort, hat mein Interesse zur Architektur schon in der Jugend geweckt und über Jahre begleitet. Als ich mich dann entschlossen habe Architektur zu studieren, bin ich stark davon ausgegangen dieses Interesse einbringen und vertiefen zu können. Denn ich war überzeugt, die historische Architektur ist auch Teil der Architektur - ernstgenommen sogar die Grundlage!
    So habe ich im ersten Semester in der ersten Aufgabe „Glockenturm - Holzbau Konstruktionen“ einen Glockenturm in historischen Formen (angelehnt an Barock, mit Oktogon und Laterne und damaligen Konstruktionen) entworfen und als Modell gebaut. Das Feedback der Lehrenden und Mitstudenten war ... begrenzt - es kam nicht so gut an.
    Bei der zweiten Aufgabe wagte ich wieder einen historisch angelehnten Entwurf eines Einfamilienhauses, mit Walmdach, Bossen, rundbögigen Fenstern und geklinkerten Fensterumrandungen. Da wurde ich schon in der ersten Korrektur gebremst und mir wurde gesagt: „sowas wird heute nicht mehr gebaut, machen Sie doch mal was modernes“.

    An diesem Tag begann dann für mich der moderne Weg, welchen ich wohl gehen musste, um mein Studium erfolgreich abschließen zu können. So folgten viele Semester der heutigen Architektur, mein Interesse am Historismus drang in den Hintergrund. Nur noch zuhause, für mich, habe ich mich damit beschäftigt.
    Historisches wurde nur in 1-2 Semestern Baugeschichte und Architekturtheorie angeschnitten. Die gewissen Begriffe und Elemente wurden erwähnt. Wie man sie aber deuten und anwenden soll wurde nicht erklärt. Somit auch nicht wie eine Fassade proportioniert und gegliedert werden soll. Fassaden entstanden oft „von selbst“ durch den Grundriss. Nur manchmal hat man dann da noch Hand angelegt. Diese waren dann oft trotzdem „platt“, ohne großartigen Vor- und Rücksprünge, Dachüberstände (wenn es mal kein Flachdach war) oder ganz zu schweigen von Gesimsen oder Sockeln. Mit Kunst, im Vergleich zu vor 150 Jahren, hat Architektur m.E. heute so gut wie nichts mehr zu tun.

    Das Studium habe ich dann 2013 erfolgreich absolviert, mit einem modernen, schlichten Entwurf als Thesisarbeit.
    Grundsätzlich habe ich während dieser Zeit mein Studium genossen, es war eine tolle Zeit. Doch habe ich mir vieles anders vorgestellt und erhofft. Im Nachhinein wäre da sicherlich vieles anpassungsfähig.


    Daraufhin habe ich in einem Architekturbüro angefangen meine ersten Berufserfahrungen zu sammeln. Auch weiterhin im modernen Stil. Nach dem Studium war man da irgendwie leider einfach drin .... man hat ja jahrelang nichts anderes gemacht.
    Erst im Sommer letzten Jahres hat es klick gemacht, wo ich angefangen habe zu begreifen was heutzutage eigentlich zu 90% gebaut wird. Der Schlüsselmoment war während meiner Bauleitung auf dem Gerüst, wo ich einen Termin mit einem großen Hersteller für Fassadenprodukte hatte. Im Gespräch habe ich mich gefragt was wir hier eigentlich besprechen und tun? Es wurde darüber diskutiert wie man im WDVS welche Anschlüsse und welche Produkte verbauen muss, um alles richtig zu machen. Das hat nichts mit Architektur zu tun! Da werden nur Produkte der Industrie verkauft, an welche man heutzutage meistens noch gebunden ist, weil es oft nicht mehr anders geht. Über das Thema Industrie, Gesetze, Verordnungen und Umwelt könnte ich noch einiges schreiben, aber das überspannt das Thema hier ....

    Nach diesem Erlebnis auf der Baustelle folgten viele (negative) Artikel in mehreren Zeitungen über die heutige Architektur. Wörter wie „Würfelhusten, Investorenarchitektur“ oder „Architekten können heute nur Kisten bauen“ habe ich gelesen. Da wurde mir klar, es muss doch anders gehen. Beispiele findet man in der Geschichte und auch heute vereinzelt.

    Leider ist die moderne Architektur, die oft Bauhaus sein möchte, meistens es aber nicht schafft, so sehr in den Köpfen aller eingebrannt, dass alles andere abgelehnt oder für Unsinn erklärt wird.

    Grundsätzlich möchte ich das Bauhaus nicht verurteilen, es gibt viele gute Beispiele. Doch das meiste ist unbefriedigend. Das Bauhaus war nur eine Epoche, die historische Architektur in den Grundlagen jedoch schon mehrere tausend Jahre alt, der Ursprung der eigentlichen Architektur - das sollte man nicht vergessen.


    Als Architekt möchte ich nun versuchen selber die historische Architektur zu lernen, anzuwenden und damit einen Beitrag zu leisten. In den letzten Wochen ist mir klar geworden, dass das, was mich zur Architektur geführt hat, die historische Architektur war, nicht die moderne! Hierzu habe ich den Strang Lehre für historische Architektur angelegt.


    Beste Grüße

    Martin89

  • Ein sehr interessanter Beitrag, danke.

    Es sind eigentlich schon universitäre Missstände, die da beschrieben werden.

    Ich bezeichne mich in musikalischer Hinsicht durchaus als Modernist:

    https://www.google.at/search?sxsrf=A…f=1591015202847

    Das etwa mag ich (ist aber nicht von mir, Xenakis ist ja leider schon tot).

    Was ich sagen will: auch in der Musik stellt sich das Problem, dass die Moderne nicht sehr geliebt wird. Im Kompositionsunterricht kommt es auch auf den Lehrer an. Mein Lehrer duldete das Komponieren im traditionellen Stil, stellte aber dabei so hohe Anforderungen, dass man es praktisch besser sein lassen konnte. Ich hab nie erlebt, dass ein Schüler damit bei ihm durchgekommen ist. mE ist das auch richtig. Wenn schon traditionell, dann sich bitte an den alten Meistern messen. Es geht nicht, 200 Jahre nach Beethoven wie ein müder Abklatsch zu komponieren. Manche Lehrer duldeten das nicht, andere wiederum förderten konservative Schüler. Heute überwiegt wohl ersteres. Aber die Achtung vor alten Meistern wurde uns sehr wohl beigebracht. Das war schon zu Schönbergs Zeiten so. Wenn jemand was gegen Beethoven gesagt hätte, wäre er von Schönberg, der das sogar persönlich nahm ,rausgeworfen worden.

    Das sind mE sehr grundlegende Unterschiede zur universitäreren Architekturszene.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • So habe ich im ersten Semester in der ersten Aufgabe „Glockenturm - Holzbau Konstruktionen“ einen Glockenturm in historischen Formen (angelehnt an Barock, mit Oktogon und Laterne und damaligen Konstruktionen) entworfen und als Modell gebaut. Das Feedback der Lehrenden und Mitstudenten war ... begrenzt - es kam nicht so gut an.
    Bei der zweiten Aufgabe wagte ich wieder einen historisch angelehnten Entwurf eines Einfamilienhauses, mit Walmdach, Bossen, rundbögigen Fenstern und geklinkerten Fensterumrandungen. Da wurde ich schon in der ersten Korrektur gebremst und mir wurde gesagt: „sowas wird heute nicht mehr gebaut, machen Sie doch mal was modernes“.

    An diesem Tag begann dann für mich der moderne Weg, welchen ich wohl gehen musste, um mein Studium erfolgreich abschließen zu können.

    Herzlichen Dank für Deinen Bericht aus erster Hand, Martin89!

    Ja, man kann es sich lebhaft vorstellen, selbst als interessierter Laie. Niemand lässt sich gerne lächerlich machen oder beschämen - aber das muss man wohl ernsthaft befürchten, wenn man heutzutage für "klassische" Architektur oder Rekonstruktionen eintritt, und das in der Höhle des Löwen. Und man muss zugeben, dass die Begriffe, mit denen die Ablehnung des Nichtmodernistischen begründet wird, recht scharfe Waffen sind, gegen die schwer anzukommen ist:

    "Rückwärtsgewandt", "nostalgisch", "Fake", "Disneyland", "Schnörkel", "falsche Idylle, die es so nie gab" ...

    oder auch: "in der Barockzeit wäre man auch nicht auf die Idee gekommen, gotische Bauwerke zu rekonstruieren oder wieder im gotischen Stil zu bauen" ...

    oder: "Schönheit liegt nun mal im Auge des Betrachters - du findest das schön, ein anderer vielleicht überhaupt nicht"...

    Mehr noch als früher leben wir heute in einer Welt, in der vieles über Begrifflichkeiten und Sprache ausgefochten wird. Man könnte fast verzweifeln, wüsste man nicht die "schweigende Mehrheit" der Bevölkerung eigentlich auf seiner Seite. Bei moderner klassischer Musik schmerzt das kaum, denn die muss sich fast niemand gegen seinen Willen antun. Bei Bauwerken und Städtebau ist dies jedoch nicht so.

    Immerhin liegt für Dich doch eine Möglichkeit darin, dass Du Dir die nicht gelernte Kunst in Deiner freiberuflichen Tätigkeit nachträglich aneignen kannst. Ich denke ohnehin, dass schon das aufmerksame und vorurteilsfreie Betrachten dessen, was die früheren Meister geschaffen haben, einen das meiste lehren kann. Kommt dann noch Fleiß und etwas Begabung hinzu, kann nicht mehr viel schiefgehen. Auch die Patzschkes sind durch ihre privaten Auftraggeber doch wohl gut im Geschäft und werden ihre Anerkennung erhalten - auch wenn sie gefestigt genug sein müssen, die verächtlichen Kommentare vieler Kollegen und des Feuilletons zu ertragen.

    Eingestellte Bilder sind, falls nicht anders angegeben, von mir

  • oder: "Schönheit liegt nun mal im Auge des Betrachters - du findest das schön, ein anderer vielleicht überhaupt nicht"...

    So sieht's aus. Heute: Berlin, Bülowstraße

    Wer könnte hier nicht - innerlich zerrissen - die Qual der Wahl haben? Alles ist relativ. Diversity rulez. Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke.

    Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt.
    (Immanuel Kant)

  • Bei moderner klassischer Musik schmerzt das kaum, denn die muss sich fast niemand gegen seinen Willen antun.

    Ich glaube nicht, dass hier tatsächlich so etwas wie eine Analogie besteht. Ich denke, dass in der Musik ehrlicher und verantwortungsvoller gearbeitet wird. Neue Musik ist wild und komplex (sofern sie über US-Minimalismus hinausgeht). Das findet innerhalb der Architektur, die in der Regel öde und leer wirkt, keine Entsprechung. Man nehme die von Mantikor letztgezeigten Bilder. Die Fassade des alten Baus ist ungleich komplexer, schwerer aufzulösen.

    das kann man wohl auch von diesem behaupten:

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    Die angebliche "Hässlichkeit" der neuen Musik, die viele als Analogie zur Baukunst sehen, löst sich bei eingehender Einlassung auf. Ich glaube, dass solche moderne Fassaden nicht durch eingehendes Betrachten schöner werden.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Komplexität =/= Schönheit. Es gibt tatsächlich sowas wie schöne moderne Musik, keine Frage, aber es gibt eben auch sehr viele eher weniger schöne “moderne” Stücke, die mir rein von der Atmosphäre her irgendwie an leerstehenden, heruntergekommen Plattenbauten erinnern...

  • Es gibt tatsächlich auch schöne moderne Musik

    Natürlich gibt es das. Aber dies zu Erfassen erfordert doch eine gewisse Befassung.

    Komplexität versus Schönheit... ein schwieriges Thema. Letztlich ist Schönheit in der gesamten (Kunst)Musikgeschichte nicht ohne einen gewissen Komplexitätsgrad möglich, davon bin ich überzeugt.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Zitat

    Und man muss zugeben, dass die Begriffe, mit denen die Ablehnung des Nichtmodernistischen begründet wird, recht scharfe Waffen sind, gegen die schwer anzukommen ist

    Ich denke, hier kann man nur schrittweise versuchen den Diskurs zu verschieben, indem man Nachhaltigkeit ins Zentrum stellt. Der Klimawandel wird uns noch lange beschäftigen und somit auch Diskussionen über nachhaltiges Konsumieren, sich fortbewegen und eben auch Bauen. Die aktuelle Kampagne der Stiftung Denkmalschutz (s.o.) geht da schon in die richtige Richtung.
    Konkret heißt das, dass wir versuchen sollten, traditionelles Bauen als "fortschrittlich" und "nachhaltig" zu framen.

    Verkürzt: Klassische Architektur = Nachhaltig; "Moderne" Architektur = nicht nachhaltig

    aus "Disneyland" "rückwärts gewandt" "falsche Idylle" wird "regional " nachhaltig" "Formen aus der Natur" "Proportionen, auf den Mensch bezogen" "fußgängerfreundlich"

    ich habe das schon bei Diskussionen in meinem Freundeskreis versucht und siehe da, auf einmal werden dahin gesagte modernistische Positionen revidiert.