China, deutsche Architekten und die Demokratie

  • Im Sonderheft der ZEIT, "Geschichte", Nr. 3 von 2005 mit dem Titel "Triumph der Stadt" gibt es ein lesenswertes Interview mit Meinrad von Gerkan und Volkwin Marg. Diesen bauen mit ihrem Büro GMP zur Zeit u. a. den neuen Lehrter Bahnhof in Berlin. In China bauen sie mit Lingang eine Stadt für fast eine Million Menschen.

    Marg:...Und die Stadt ist ihrem Wesen etwas Evolutionäres. Die Revolutionen im Städtebau haben immer zu einem Desaster geführt.

    ZEIT: Warum wirken sie dann in China mit an einer Revolution und bauen aus dem Nichts heraus nahe Shanghai eine Stadt für 800 000 Menschen?

    Marg: Da ist ja nichts zu entwickeln, da ist ja eine Tabula rasa.

    von Gerkan: Ich sitze gerade an den Gestaltungsregeln für Lingang. Parzellengröße, Gebäudehöhe, Materialien, all das wird dort festgelegt, um so etwas wie eine Vielfalt in Einheit zu ermöglichen. Gleichzeitig merke ich natürlich auch, dass das ein bisschen Theaterinszenierung ist, was man da macht. Doch historische Bezüge gibt es nicht, die traditionellen Gartenhofhäuser stehen noch in chinesischen Favelas oder in den Bezirken der reichen Parteibonzen. In Lingang gibt es nichts, woran sich anknüpfen ließe.
    .....
    Marg: Man muss aufhören mit diesem mystischen Qualm der Gemütlichkeit, auch das Rationale und Gerasterte ist nicht unmenschlich. Ich sage das vor allem deshalb, weil im Moment besonders in Deutschland eine panische Angst besteht, in großen Dimensionen zu denken und zu bauen.

    von Gerkan. China ist für uns jedenfalls ein Glücksfall. Das ist mit Europa nicht zu vergleichen. Wir stoßen dort nicht auf Wände, sondern auf ein Vakuum. Das ist wunderbar....
    ...
    von Gerkan: Neulich lernte ich einen Inder kennen, der sehr neidvoll auf die Chinesen blickte, weil die ihre Städte viel schneller hinbekommen. Ich habe ihn gefragt, woran das liege. Wir haben halt eine Demokratie, hat er gesagt. Das zentralstaatliche China kann bestimmen, wo ein Transrapid reingeklatscht wird. Es braucht auf niemanden Rücksicht zu nehmen.

    ZEIT: Ihr Bauherr ist also ein absolutistischer Bauherr. Sie leben in China wie im 18. Jahrhundert?

    von Gerkan: Es war wohl doch keine so schlechte Zeit damals.

  • Deutsche Architekten kämpfen um Großprojekte in China

    http://www.wams.de/data/2006/03/12/858193.html?s=1


    Auszug:

    Zitat

    Den Grundriß einer mitteleuropäischen Stadt legte zum Beispiel der Architekt Albert Speer seinem Masterplan von Anting German Town zugrunde. "Eine typisch deutsche Stadt" wünschten sich die Stadtoberen von Shanghai neben der internationalen Autocity. Zunächst hatten sie damit Gebäude im Fachwerkstil im Sinn.

    "Glücklicherweise konnten wir sie vom Bauhausstil überzeugen", so Speer.


    Und passend dazu noch ein Interview mit Rem Koolhaas:

    http://www.wams.de/data/2006/03/12/858401.html

  • Ich habe schon vor längerer Zeit eine Reportage gesehen, in der Speer seine Projekte in Shanghai vorgestellt hat. Die Reporterin war wenigstens so gut und hat in gefragt, was er davon halte, dass für seine Baumaßnahmen die Shanghaier Innenstadt in Schutt und Asche gelegt wird. Die genaue Antwort kenne ich nicht mehr, aber eine richtige Antwort konnte er auch nicht geben.

    Es ist doch traurig, dass in China Häuser in Fachwerk und im Weimarer Stil gebaut werden und hier in Deutschland "futuristische" Beton- und Glasmonster. :augenrollen:

  • Zitat

    Es ist doch traurig, dass in China Häuser in Fachwerk und im Weimarer Stil gebaut werden und hier in Deutschland "futuristische" Beton- und Glasmonster.

    Wie ich die Sache sehe, ist es nicht so. Weimar steht in diesem Fall für Bauhaus, wobei ich anmerken muss, dass durch die Vertreibung der Bauhäusler seinerzeit durch die Nazis aus Weimar nur ein einziges Musterhaus im Bauhausstil gebaut wurde.

  • Achso, danke für die Richtigstellung, ich dachte da nämlich eher an Gründerzeitbauten etc. Wann ist das Bauhaus von Weimar nach Dessau gezogen?

  • Immer wenn nicht genug neue Artikel zur Verfügung greift der Spiegel auf Uraltmaterial zurück. Den chinesischen Milliardär und sein Schloß habe ich vor ein paar Monaten nämlich schon hier eingestellt.

    Wenn du ein Haus baust, denke an die Stadt (Luigi Snozzi)

  • Zitat

    Weimar steht in diesem Fall für Bauhaus, wobei ich anmerken muss, dass durch die Vertreibung der Bauhäusler seinerzeit durch die Nazis aus Weimar nur ein einziges Musterhaus im Bauhausstil gebaut wurde.

    Ein Musterhaus, welches schon in der zeitgenössischen Presse als "Klohäuschen" durchfiel.

    "Nichts zeichnet eine Regierung mehr aus als die Künste, die unter ihrem Schutze gedeihen."
    Friedrich der Große

  • Ganz ehrlich: Hier in Deutschland stört sich Herr Speer an den Bauten seines Vaters Albert für den deutschen Diktator und in China baut er genau die gleichen Klötze für die chinesischen Diktatoren. Wie heisst es doch so schön: Wie der Vater, so der Sohne.

  • Neulich hatten sie im Fernsehen einen Bericht über einen sehr reichen chinesischen Geschäftsmann, der bei Neubauprojekten in den Städten die historischen Gebäude aufkauft, zerlegen und außerhalb der Städte wieder aufbauen lässt, um diese Werte zu wahren. Leider weiß ich weder, wo das kam, noch wieder Mann hieß.

  • RMA

    Du meinst sicher Jeffrey Wong, den Retter von jetzt schon fast zweihundert wertvollen Baudenkmälern in Shanghai. 1994 hat er sich von seinem Textilkonzern mit 15000 Mitarbeitern getrennt und kämpft jetzt in Eigeninitatiative gegen die gigantischen Flächenabrisse und Zerstörungen wertvoller Baukultur in Shanghai. Er lässt die Baudenkmäler sorgfältig abbauen und in einer Art Freilichtmuseum wiederaufbauen.

  • Zitat von "Mathias"

    RMA

    Du meinst sicher Jeffrey Wong, den Retter von jetzt schon fast zweihundert wertvollen Baudenkmälern in Shanghai. 1994 hat er sich von seinem Textilkonzern mit 15000 Mitarbeitern getrennt und kämpft jetzt in Eigeninitatiative gegen die gigantischen Flächenabrisse und Zerstörungen wertvoller Baukultur in Shanghai. Er lässt die Baudenkmäler sorgfältig abbauen und in einer Art Freilichtmuseum wiederaufbauen.

    Jupp, der war's, danke. Ein Glück, dass es solche Menschen gibt - ich bin mir sicher, in einigen Jahrzehnten, wenn alles zubetoniert und der letzte chinesische Altstadtkern zerstört ist, wird man die Leistung dieses Mannes auch in seinem eigenen Land würdigen. Die Duplizität der Ereignisse in China mit dem, was bei uns insbesondere in den 50ern passiert ist, ist schon interessant - vor allem, weil dem Bauboom kein Krieg zugrunde liegt. Vielleicht kann man, mal als kühne These in den Raum gestellt, daran ablesen, was in Deutschland selbst ohne Zweiten Weltkrieg schlicht im Sinne eines anderen Zeitgeschmacks noch an Kulturgut zerschlagen worden wäre.

  • RMA

    Ich finde auch, dass die radikalen Stadtabrisse und -neuplanungen wie so vieles andere im heutigen China keineswegs typisch chinesisch sind, sondern direkte Kopien westlicher Vorbilder. Charakteristisch für die chinesische Kultur ist dagegen eine große Kontinuität über Jahrhunderte, teilweise sogar über Jahrtausende. Architektur oder Tuschzeichnungen der Tang-, Ming und Mandschudynastie kann man oft kaum unterscheiden. In Europa gab es dagegen neben Kontinuität immer wieder auch heftige Brüche zwischen den Epochen. Aber China hat es anders als alle westlichen Hochkulturen geschafft, gerade mit seinem starken Traditionsbewusstsein über 2000 Jahre lang zu bestehen!

    Was heute in Shanghai, Peking, Chongquing passiert, ist das, was westliche Modernisten am liebsten auch hier mit unseren Städten machen würden, wenn die Bürger sich nicht dagegen wehrten. In China dürfen sie dagegen ihre größenwahnsinnigen Phantasien voll ausleben. Deshalb fühlen sie sich dort auch so wohl! Behutsamere Stadtumbauten mit Altstadtsanierungen und Neubauten, die der chinesischen Tadition angepasst sind, werden von ihnen ausdrücklich abgelehnt. Die Stadt Anting New Town, die Albert Speer zur Zeit bei Shanghai baut, hat z. B. keinerlei Anknüpfungen an chinesische Tradition und könnte genauso gut in Deutschland liegen. Positiv sind immerhin Speers Bemühungen um umweltgerechtes Bauen, was in China heute leider eine seltene Ausnahme ist. Aber auch da war Europa bis vor kurzem ein schlechtes Vorbild.
    Radikale westliche Stadtumbauphantasien im Stil des verhängnisvollen "Plan Voisin" von Le Corbusier, dem bis heute angesehensten Vorbild westlicher Architekten, lassen sich eigentlich nur unter den Bedingungen eines autoritären Staates verwirklichen, der großräumige Flächenabrisse, Enteignungen, Zwangsumsiedlungen und Neuplanungen in kürzester Zeit ermöglicht. Genau das passiert heute in China. Eigentlich passt das doch gut zur chinesischen Tradition: Jahrhundertelang hat man immer wieder kopiert, früher die eigenen Kulturleistungen, heute den Westen.

  • Eine Korrektur: Die Speerstadt bei Shanghai könnte keineswegs in Deutschland stehen; nicht in dieser Form und "Vollendung". Einzig sein Väterchen bekam mal den Auftrag hierzu - ansonsten gab und gibt es in Deutschland keine "Städte aus einem Guß" - höchstens Stalin...ähm Eisenhüttenstadt.

    Ansonsten kann ich euch sagen, daß die Chinesen bzw. ihre Architekturstudenten im Ausland, bereits jetzt um die Fehler wissen und die Folgen bedenken, ebenso wie viele Millionen Chinesen, die die Macht des Faktischen bereits zu spüren bekamen.
    Baut aber die "Große Politik", so geht es letzterdings um allgemeine Bedürfnisse einer Einwohnerschaft oder der Nachfahren. Die sollen nur staunen über den politischen Willen der Führungsspitzen vergangener Generationen - daß denen eher mit Wut gedacht wird, interessiert in der Cite la Contemporaire niemanden.

    Nein, die werden gedünstet

  • Es hat zwar nichts mit deutschen Architekten zu tun, verdeutlicht aber was alles in China an Baukultur vernichtet wird. Folgende Bildergalerie wurde in Shantou aufgenommen. http://forum.skyscraperpage.com/showthread.php?t=118767\r
    forum.skyscraperpage.com/showthread.php?t=118767 Das Stadtviertel aus dem 19. Jahrhundert welches ihr seht wird in ein paar jahren nicht mehr stehen. Alles in sehr schlechtem Zustand und scheinbar zum Teil unbewohnt und verlassen wartet das Viertel auf seine "Modernisierung".

    Wenn du ein Haus baust, denke an die Stadt (Luigi Snozzi)

  • > Die Stadt Anting New Town, die Albert Speer zur Zeit bei Shanghai baut, hat z. B. keinerlei Anknüpfungen an chinesische Tradition und könnte genauso gut in Deutschland liegen.
    Da mein Bruder mit dem Sohn eines Architekten bei Speer befreudet ist kenne ich die Geschichte folgendermaßen:
    zuerst hat das Böro Speer versucht, an chinesische Traditionen anzuknüpfen, als die Auftraggeber die Entwürfe gesehen haben war ihre Reaktion aber 'Was soll der Unsinn? Wir wollen eine deutsche Stadt'.
    Ich war letztes Jahr in China und es scheint inzwischen eine regelrechte Altertümermode zu geben, viele Chinesen sind zunehmend von alten Häusern und Tempeln und Städten begeistert. Fragt sich nur ob sich das noch rechtzeitig auswirkt um das schlimmste zu verhindern. Im einzelnen sieht das zwar oft so aus daß die Altbauten abgerissen und anschließend mehr oder weniger traditionell wiederaufgebaut werden, da die meisten hier Authentizität eh für irrelevant halten gibt es keinen Grund sich zu beschweren.

  • Bzgl: Shantou: Es ist ja nicht gerade besonders hübsch da unsaniert, aber bei den unteren Bildern sieht man ein paar Gebäude aus der Nähe - und das sind wahre Schmuckstücke, viel besser als die ganzen häßlichen Hochhäuser. Das ist China, wie ich es mir immer vorgestellt habe.. und saniert wäre es richtig toll.
    Leider werden die Chinesen es wohl erst viel zu spät merken. Heute in der VWL-Vorlesung haben wir Bilder von Shanghai gesehen als es um Wirtschaftswachstum und so ging... in einer solchen Stadt wohnen zu müssen wäre für mich der absolute Horror.

    @ Frankfurter: Ich hab mal irgendwo gelesen, dass die Chinesen sich eine Fachwerkstadt gewünscht hatten und Speer meinte, dass sie sie zum Glück noch von Bauhaus überzeugen konnten...

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • > Ich hab mal irgendwo gelesen, dass die Chinesen sich eine Fachwerkstadt gewünscht hatten und Speer meinte, dass sie sie zum Glück noch von Bauhaus überzeugen konnten...
    schon richtig, wobei sie allerdings eine deutsche Fachwerkstadt wollten, also genausosehr einen Kulturimport. Wobei man Anting kaum als Bauhaus bezeichnen kann, der Stadtgrundriß ist eher dem malerischen Städtebau der vorigen Jahrhundertwende verpflichtet und die einzelnen Bauten der üblichen Spät-Post-Neomoderne.
    Warum die Chinesen eine deutsche Altstadt wollen während sie gleichzeitig ihre eigenen Altstädte abreißen erscheint merkwürdig, allerdings fallen mir da einige kreative Vorschläge ein, man könnte ihnen doch zum Beispiel die maroden ostdeutschen Altstädte verkaufen, sie in China wiederaufzubauen wäre immer noch besser als sie auf die Bauschuttdeponie zu kippen.

  • Zitat

    ...allerdings fallen mir da einige kreative Vorschläge ein, man könnte ihnen doch zum Beispiel die maroden ostdeutschen Altstädte verkaufen, sie in China wiederaufzubauen wäre immer noch besser als sie auf die Bauschuttdeponie zu kippen.


    Deinen Zynismus finde ich reichlich unangebracht.