Hamburg - Kriegszerstörungen und Wiederaufbau

  • Noch ein paar variable Szenen aus dem östlichen Teil der Hamburger Innenstadt, zunächst ein sehr kleines Stück Altstadt mit Blick auf die Elbphilharmonie:

    Das Gegenstück zu dem großen Kontorhaus oben auf der Ostseite des Deichstraßenfleets wurde erst kürzlich fertiggestellt und stellt ein mäßig gelungenes Stück Stadtreparatur dar:

    Noch ein etwas unvermittelt inmitten von 80er-Tristesse erscheinendes Ensemble alter Häuser an der Reimerstwiete:

    Ensemble historistischer Wohnhäuser an der Brandstwiete, auf der anderen Seite befinden sich 60er-Bürohochhäuser:

    Besserer Blick auf den kürzlich hochwertig sanierten Block westlich des Hamburger Rathauses:

    Auch in den Straßen östlich des Rathausmarkts lässt sich einiges an Schönem entdecken:

    Sogar nördlich und trotz der teilweise abschreckend hässlichen "Shoppingarchitektur" linksseitig der Mönckebergstraße lassen sich in der Ferdinandstraße und Umgebung noch zwar gemischte, aber doch reizvolle Ecken finden:

    Das sind Straßen, in die man als normaler Tourist kaum kommt. Interessant ist auch das weiterhin sehr verbreitete Wohnen in der Hamburger Innenstadt, es gibt richtige Wohnquartiere mitten in der Innenstadt, oft gründerzeitlich geprägt. Ich glaube, manche der abseitigeren Ecken hier werden fast nie "entdeckt" von Auswärtigen, weil der Weg dahin unweigerlich über irgendeine kaum überquerbare Verkehrsschneise führt, die von einem unattraktiven Potpourri überdimensionierter Bürobauten aus den 60-80er Jahren gesäumt wird:

    Die Innenstadt hat etwas Inselartiges. Überall sind wirklich schöne, fast lauschige Ecken nur einmal Abbiegen von einem goldbraunen Alufassadenmonster von 1969 entfernt. Trotzdem dürfte der Bestand an ganz eigentümlicher, großstädtischer Geschäfts- und Kontorhausarchitektur aus dem frühen 20. Jahrhundert in Hamburg fast unübertroffen sein in Deutschland.

    Ich hoffe es hat gefallen. Ich jedenfalls habe Lust, mal nach Hamburg zu fahren, und mir die Ecken anzuschauen, die ich hier per AppleMaps entdeckt habe. Ich kannte bestimmt die Hälfte der abgebildeten Szenen hier selbst gar nicht.

  • Mit ein bisschen Vorplanung wäre ich gerne dabei. Falls gewünscht, auch als Tourguide für das Blankeneser Treppenviertel, das wir hier im Forum meines Wissens nur oberflächlich angekratzt haben.

  • Ich habe Hamburg zum zweiten Mal ab den 2010er Jahren kennengelernt. Ich war als Kind bis Ende der 1980er Jahre wirklich oft in Hamburg, aber eben immer im weitgehend kriegszerstörten Osten bei meiner Oma in Wandsbek. Für mich war Hamburg immer "rot", entweder mit den Zwischenkriegssiedlungen in Barmbek und im nördlichen Wandsbek, oder eben mit diesen massenhaften 50er Zeilensiedlungen weiter südlich. "Straßburger Straße", "Friedrichsberg", "Dehnhaide", das waren so die S- und U-Bahnstationen, an denen wir um- oder eingestiegen sind.

    Wir waren zwar manchmal auch in der Innenstadt, aber da kann ich mich nur an ausgerechnet die hässlichsten Bereiche um Karstadt und Kaufhof im Osten erinnern, und irgendein Mövenpickrestaurant, das über die Straße gespannt war und das als Gipfel des "Chic" galt 1987. Sonst waren wir oft am Hafen und sind mit den Hafenfähren rumgefahren, aber man erkannte an den offensichtlichen Präferenzen meiner Großmutter (Jahrgang 1912) auch, dass alles das, was ich jetzt interessant und schön an Hamburg finde, ihr egal war oder nicht zeigenswert.

    Der ganze Hamburger Westen, praktisch nie gewesen, Innenstadt um Rathausmarkt und Jungfernstieg, mal beim Umsteigen vielleicht, dieses ganze kaiserzeitliche Geschäftszentrum, das ich oben gezeigt habe - nie bewusst gesehen. Kontorhausviertel - weiß nicht, vielleicht mal am Chilehaus vorbeigefahren. Speicherstadt ja, da waren wir auch mal gewesen, allerdings war das damals gar nicht frei zugänglich, sondern so eine Art Zollbezirk.

    Was ich sagen will: Die Haltung meiner Großmutter, die weiß Gott nicht "progressiv" war oder irgendwie "links", im Gegenteil, streng lutheranisch erzogen, Pastorentochter, Kriegswitwe, fühlte sich bei Musik im Auto wie ein "Halbstarker"), zeigt gut die Haltung dieser Generation (die genau die vielbeschworene Wiederaufbaugeneration war) gegenüber historistischer Architektur. Ich erinnere mich sogar noch an ein von mir geäußertes Erstaunen über die Schönheit des Hamburger Rathauses aus dem Bus heraus - ausgestiegen wären wir dort niemals (mit vielleicht 12 Jahren), von ihr kam nur ein verächtliches "das sei ja nicht alt" (Subtext: "nicht echt"). Genau diese Haltung war wohl ziemlich repräsentativ für diese Generation und erklärt sicherlich in Teilen, warum unsere Städte so aussehen, wie sie aussehen.

    Das zweite Mal habe ich die Stadt erst als Erwachsener entdeckt, meist durch Besuche bei Freunden. Ich kannte diese ganzen cafégesäumten Straßen links und rechts vom Rathausmarkt gar nicht, nicht die Ausdehnung der von Vorkriegsarchitektur zumindest dominierten Bereiche. Nicht den herrlichen Hamburger Westen an der Elbe entlang und um die Alster herum. Nur die windigen Durchgangsstraßen, "Shoppingtempel" am Hauptbahnhof, und hässlichen Verlags- und Bürohochhäuser im Zentrum und den von Zwischen- und Nachkriegsarchitektur dominierten Hamburger Osten.

  • Heinzer

    Die Hamburger Innenstadt hat vergleichsweise wenige Bewohner (um die 15.000). In Kopenhagen ist es auf etwa gleicher Fläche 57.000.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Der Wiederaufbau Hamburgs und die Kriegszerstörungen in einem kleinen Film

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  • Genau diese Haltung war wohl ziemlich repräsentativ für diese Generation

    Da würde ich nur von Teilen dieser Generation sprechen. Mir sind andere Beispiele, auch aus der Familie, bekannt. Aber natürlich war das eine Generation, die Altbauten oft als unsaniert, teils ruinös und in schlechtem technischen Zustand stehend erlebte. Insofern war der Wunsch, in modernen, sauberen Verhältnissen mit Heizkörpern, Dusche und WC in der Wohnung leben zu können, verständlich.

    Pastorentochter

    Da scheint mir eher ein Schlüssel zur Erklärung zu liegen.

  • "das sei ja nicht alt" (Subtext: "nicht echt").

    Ja, genau das ist es. Die Retro-Stile des Historismus standen einfach nicht hoch im Kurs. So richtig zu schätzen gelernt ham wir diese eh erst aufgrund der Minderwertigkeit des Wiederaufbaus. Damals aber hat man in diesen noch ästhetische Hoffnungen gesetzt, die man heute angesichts der Offensichtlichkeit dieser Minderwertigkeit als "des Kaisers neue Kleider-Gehabe" empfindet.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Da würde ich nur von Teilen dieser Generation sprechen. Mir sind andere Beispiele, auch aus der Familie, bekannt. Aber natürlich war das eine Generation, die Altbauten oft als unsaniert, teils ruinös und in schlechtem technischen Zustand stehend erlebte. Insofern war der Wunsch, in modernen, sauberen Verhältnissen mit Heizkörpern, Dusche und WC in der Wohnung leben zu können, verständlich.

    Klar, dass es diese ganz praktische Sicht auf Altbauten gab, die mit Enge, Dunkelheit, schlechter Heizbarkeit, Klo auf halber Treppe in Verbindung gebracht wurden, hatten wir ja schon öfter und, dass sich die Menschen nach der sehr dichten Urbanität der Kaiserzeit nach Luft und einem Blick ins Grüne sehnten.

    Bei meiner Oma, und ich glaube schon, dass diese Haltung zumindest für einen großen Teil der Generation der Jahrgänge 1900-1920 repräsentativ war, ging es hauptsächlich um den Historismus als Stil. Sie hatte also die "talking points" der letztlich noch kaiserzeitlichen Kritik an diesem Baustil aufgenommen. Gegen ein ordentliches Jugendstilhaus hatte sie nichts, auch nicht gegen den Backsteinexpressionismus, über den besaß sie sogar Bücher. Am allerwenigsten hatte sie etwas gegen (von ihr als) genuin alt empfundene Architektur. Sie war ein großer Fan der Fachwerkstädte Südniedersachsens, sie hat uns durch ihre alte Heimat an der Westküste Schleswig-Holsteins geschleppt und jeden halbwegs erhaltenen Bauernhof und jede Kirche besuchen lassen, auch Friedrichstadt haben wir mehrfach besucht.

    Ich glaube, zumindest in Bezug auf meine Großmutter ist Ursus auf der richtigeren Spur: Es war explizit der Historismus (später auch oft abschätzig "Wilhelminismus" genannt), der als geschmacklos und überladen galt und an dem sie sich störte. Man kann sich das wahrscheinlich heute gar nicht mehr vorstellen, aber für jemanden, der 1912 geboren war, war das eben der ihr Umfeld (zumindest wenn sie in Städten lebten) dominierende Stil, alles andere eine Normabweichung. Und die Gebäude waren dann in der für sie prägenden Phase der 1920er und 1930er auch in die Jahre gekommen, wirkten so wie heute vielleicht ein unrenoviertes Gebäude aus den 1970ern einfach hoffnungslos "veraltet".

    Ich unterstütze diese Sichtweise überhaupt nicht, für uns ist auch der Historismus nur eine Epoche und unsere Kinder werden sogar kaum noch den Unterschied von echtem Barock und Neobarock erkennen, er wird -außerhalb eines explizit architekturhistorischen Kontexts natürlich- auch immer unwichtiger, da zwischen Neobarock und heute mittlerweile fast mehr Zeit vergangen ist als zwischen Barock und Neobarock und erst Recht in 50 Jahren. Der Historismus wird immer mehr die Verbindung zum "rückwärts gewandten" 19. Jahrhundert verlieren, weil sich heute keine Sau mehr für die Gefühle von Menschen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegenüber "ihrem" Vorgängerjahrhundert interessiert, und das ist auch normal und gut so.

    All der Ballast, die Befindlichlichkeiten, der bei der Einstellung gegenüber dem Historismus noch bei meiner Elterngeneration irgendwie mitschwangen, die seltsame Mischung aus Gefühlen nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, die diese Menschen zumindest aus zweiter Hand noch kannten, auch der seltsame Furor der frühen Modernisten, all das verwischt immer mehr und spielt keine Rolle mehr. Und damit kann auch der Umgang mit der Architektur aus dieser Epoche entkrampft werden.

    Kurz gesagt: Für mich ist das Hamburger Rathaus schön. Nichts weiter. Ich verbinde mit der Epoche der Erbauungszeit nichts Emotionales mehr, weder Gutes noch Schlechtes. Die Debatten der Eliten zur letzten Jahrhundertwende um den Wert dieser Architektur, die weit ins 20. Jahrhundert hineinstrahlten, berühren mich nicht mehr, sie sind egal.

    All das ist nun einfach nur noch: Geschichte.

  • Bei uns in Dänemark wurden viele Gründerzeitbauten bis weit in den 80er Jahren abgerissen (Nørrebro in Kopenhagen) und nicht sehr geschätzt. Der Traum für viele Dänen war und ist immer noch das Haus mit Garten. Es hat sich vor allem mit der Sanierung des Bahnhofsviertels (Vesterbro) in Kopenhagen Anfang der 90er Jahren geändert. Noch immer werden die Bauhausbauten von Jacobsen und die "Bedre byggeskik/besseres Bauen"-Bauten aus den 20er Jahren höher bewertet (eine Art Heimatstil, die wirklich schön ist. Persönlich sagt mir der Reformstil- und Backsteinbauten des Expressionismus (Chili-Haus usw.) mehr zu als manche Bauten der Gründerzeit. Der Historismus in Berlin war für mich zu viel des Guten - witzigerweise wurde er schon um 1910 so bewertet (mein Lexikon aus 1912 ist gar nicht begeistert). Der Historismus in Hamburg (und Paris) gefällt mir deutlich besser, aber das ist natürlich subjektiv.

    Auffallend ist der Unterschied zwischen Grunderzeitbauten in Hamburg in Kopenhagen. Unsere bauten haben mit denen in Hannover viel mehr gemeinsam (schlichter, mehr Backstein) als mit Hamburg.

    Unsere große Aufmerksamkeit für die Belange des Denkmalschutzes ist bekannt, aber weder ökonomisch noch kulturhistorisch lässt es sich vertreten, aus jedem alten Gebäude ein Museum zu machen. E. Honecker

  • Noch immer werden die Bauhausbauten von Jacobsen und die "Bedre byggeskik/besseres Bauen"-Bauten aus den 20er Jahren höher bewertet (eine Art Heimatstil, die wirklich schön ist.

    "Meine" Schule in Hamburg wurde von Arne Jacobsen errichtet - das Christianeum ist meines Wissens sein letztes Werk.

    Während meiner dortigen Schulzeit (1976-1985) war Arne Jacobsen eine unantastbare Ikone, und auch heute noch wird sein Werk sehr geschätzt.

    Bei nüchterner Betrachtung hatte der Bau aber viele Mängel. Rein technisch ist es die ganze Zeit über nicht gelungen, das Flachdach mit seinen zahlreichen durchdringenden Betonträgern 100%ig dicht zu bekommen. Die Temperaturregelung war eine Herausforderung, da das ursprüngliche Konzept mit Vollklimatisierung nicht umgesetzt wurde. Es gab nur eine Heizungseinstellung, die für das ganz Gebäude galt - mit der Konsequenz, dass aus den südseitigen Räumen bei sonnigen Winterwetter eine Unmenge von Heizungswärme weggelüftet wurde.

    Die zahlreichen Innenhöfe durften wir als Schüler im Obergeschoss nie wie gedacht nutzen, da die Balustraden, die die Abgrenzung zu den tiefer gelegenen Bereichen im Untergeschoß bildeten, zu niedrig waren, um die Anforderungen an Absturzsicherheit zu erfüllen. Erhöht werden durften sie nicht, da Arne Jacobsen zum Zeitpunkt der Eröffnung der Schule bereits nicht mehr am Leben war, und demzufolge seine Zustimmung nicht geben konnte (- die Innenhöfe, das eigentliche architektonische Highlight der Schule, können deshalb bis heute nicht genutzt werden).

    Sehr schön waren/sind die Aula (- u. a. mit den Portrait des Schulgründers Christian des VI. von Dänemark), die Sporthalle, die Bibliothek mit ihrem riesigen Bestand an historischen Büchern und die Fachräume. Im meinem persönlichen Rückblick bin ich in einem sehr interessanten Gebäude zur Schule gegangen, das ich bis heute sehr schätze. Einen Vergleich mit dem Aufenhalts- und Gebrauchswert der kaiserzeitlichen Schulbauten in Hamburg hält es aber nicht stand.

    Das Christianeum musste neu errichtet werden, da der Vorgängerbau der Nordeinfahrt des Neuen Elbtunnels weichen musste.

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  • Hier ein Buchtipp:

    Hamburg in Luftaufnahmen und Karten: 1964 bis 2012 vom Landesbetrieb für Geoinformation und Vermessung

    Es gab auch noch (und wenn überhaupt, dann heute nur noch teuer antiquarisch erhältlich):

    Hamburg in Luftaufnahmen und Bildern: 1933 bis 1963

    Hamburg in frühen Luftaufnahmen 1921 bis 1932

    Das aktuellste Buch gibt es auch als Kindle-Ausgabe für nur 5 Euro. Da sieht man, daß das Umfeld der Michaeliskirche selbst Ende der 60er Jahre noch ziemlich unbebaut war, speziell der lange Streifen zur Elbe hin, wo heute das Verlagsgebäude von Gruner und Jahr steht.

    Nachtrag: Von Joachim Paschen gibt es einige Bücher mit Luftaufnahmen zu Hamburg, aus Vorkriegszeit und der Wiederaufbauphase (auch zu Hannover gibt es Vorkriegsaufnahmen). Habe ich mal bestellt, auch Hannover interessiert mich sehr, vor allem auch, was anstelle der heutigen "Altstadt" dort wirklich einmal stand.

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