Nürnberg - Rekonstruktion des Pellerhauses

  • Ich halte diese Argumentation mit dem Residenzort eines Büros für nicht haltbar oder sogar kontraproduktiv. Als ob man sich nur für Architektur jener Epochen einsetzen dürfte, in denen man selbst seinen Arbeits- oder Wohnsitz genommen hat! Wer von uns wohnt denn in einem historischen Gebäude? Das dürften doch die wenigstens sein. Insofern kann man dieses Pseudoargument gegen fast jeden wenden, auch gegen uns selbst.

    Da gibt es doch sicher überzeugendere Einwände in Nürnberg, mit denen man punkten kann.

    Kunsthistoriker, Historiker, Webdesigner und Fachreferent für Kulturtourismus und Kulturmarketing

    Mein Bezug zu Stadtbild Deutschland: Habe die Website des Vereins erstellt und war zeitweise als Webmaster für Forum und Website verantwortlich. Meine Artikel zu den Themen des Vereins: Rekonstruktion / Denkmalschutz / Architektur / Kulturreisen

  • Nachdem nun die Denkmalpflege auch Gebäude der 70'er Jahre in den Fokus nimmt, könnte man dann nicht sagen das alles was aus den 1970'ern und älter ist, auch historisch ist? tegula Du hast bei deinem Einwand völlig Recht, die Gründe für die Residenz können vielfältig sein, z.B. Verfügbarkeit und Preis. Ich halte auch nichts davon Architekten zu unterstellen, sie bauen hässlich und modern, residieren aber lieber in Gründerzeithäusern: Sowohl das eine, die Unterstellung man sichere sich den "Platz an der Sonne" und baue für die Menschen nur Unorte, als auch das Andere, dass man Gründerzeitbauten ja eigentlich liebe, es nur nicht laut sagen dürfe, ist daneben. Tatsächlich setzen sich die Personen, die sich in "Pro Pellerhaus" engagieren auch massiv für Gründerzeitsubstanz ein. Nur dazu braucht es keinen extra Club, denn hier besteht meistens breiter Konsens.

    Vielmehr ist es so, dass man die Denkmaleigenschaft verteidigt, weil es nunmal ein Denkmal ist, und entweder daraus folgend, oder auch grundsätzlich Rekonstruktionen ablehnt. Wenn man so will kann man es so auf die Spitze treiben: Lieber ein hässliches, ungeliebtes Original, als eine leuchtend schöne Kopie.

    Das interessante daran ist nur dass diese Personen auch Kopien sehr schätzen, wenn sie denn erstmal da sind. Niemand zweifelt heute die Bedeutung von Burg, Stadtmauer, Neptunbrunnen (eine 100%ige Kopie) und sonstigen wiederaufgebauten Wahrzeichen an. Bei den Projekten der Altstadtfreunde herrscht ebenso wiederkehrendes Staunen. Das ist m.E. die eigentliche Sünde, die ich diesen Leuten vorwerfe. Die Kopie zu verteufeln und sie gleichzeitig zu bewundern.

  • Das Wort Kopie ist schon falsch. Kopie setzt voraus, dass ein Original vorhanden ist. Man kann zB das Fembohaus oder den Kölner Dom in China kopieren. Eine Rekonstruktion hingegen ist die Neuerschaffung eines untergegangenen Originals. Die derzeit bestehende Frauenkirche ist das Original. Wir haben keine andere FK. Mit dem Ausdruck "Kopie" kommen wir den Rekogegnern einen höchst unnötigen Schritt entgegen.


    Damit müsste der letzte Satz:

    Lieber ein hässliches, ungeliebtes Original, als eine leuchtend schöne Kopie.

    so lauten:

    Lieber ein hässlicher, ungeliebter Bau in modernem Stil als ein leuchtend schöner Bau im alten Stil.

    Dieser Widersinn ist natürlich viel offensichtlicher, weshalb wir uns dieser Formulierung nicht begeben sollten.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.

  • Im konkreten Fall mögt ihr Recht haben, aber es sagt durchaus etwas aus, wenn Rechtsanwälte, selbständige Ärzte, Architekten, und Andere mit einer gewissen Repräsentationsintention überwiegend solche älteren Repräsentationsbauten wählen. Die modernen Bauten sind nun auch schon bis zu 100 Jahre alt, sollte es dabei also "nur" darum gehen durch Alter z.B. Beständigkeit auszustrahlen, müsste es mittlerweile ja Alternativen geben. Komisch, dass man dann auf quasi aristokratische Repräsentationsmittel zurückgreift, scheinbar in Ermangelung ähnlich wirksamer anders gestalteter Gebäude.

  • Majorhantines Ich bleibe dabei, ich kann da nicht zustimmen. Es ist nunmal so dass in den Innenstädten oft noch herrschaftliche Gründerzeitwohnungen mit hohen Räumen, großer Fläche und eben guter Lage existieren, dass die dann eben in eine gewerbliche Nutzung gehen und nicht an die Großfamilie vermietet werden, ist nachvollziehbar. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich auch sagen, dass sich Ärzte, Rechtsanwälte und Architekten auch in anderen Büroräumen niederlassen. Vielleicht bin ich naiv, aber wenn ich eine Liegenschaft für meine Firma/Büro suche, dann ist Lage/Fläche/Preis/Stellplätze sicherlich interessanter als das Baujahr und der Erhaltungsgrad des Gebäudes.

    ursus carpaticus Das Wort "Kopie" ist zumindest bezogen auf den Neptunbrunnen im Stadtpark korrekt, denn das Original befindet sich in St. Petersburg. Dasselbe gilt für den "Schönen Erker" am Sebalder Platz, das Original befindet sich im GNM. Da gibt es noch weitere Details, die ich jetzt nicht alle aufzählen kann. Ich verstehe zwar deinen Punkt, aber sehe es eben genau umgekehrt: Die Rekonstruktionen sind schon deshalb weil es kein "Original" mehr gibt selbst ein Original. Ich persönlich erkenne auch keinen Unterschied zwischen einer Rekonstruktion und einem Original.

    Die Argumentation, die immer wieder kommt, dass eine Reko nie so gut sein kann wie das Original läuft m.E. ins Leere, denn alle Originale werden durch ständiges Instandhalten und Anpassen an aktuelle Bedürfnisse soweit verändert, dass es sie von einem Ursprungszustand ebenso weit entfernt sind wie es ein saniertes "Original" wäre. Mein Satz "Lieber ein hässliches, ungeliebtes Original, als eine leuchtend schöne Kopie." trifft das, wie ich die Pellerhausdiskussion betrachte, sehr genau. Die Rekonstruktion wäre sicherlich nicht weiter weg vom damaligen Original wie ein sanierter Mayerbau, bei dem die Decken durchbrochen, ein Treppenhaus eingestemmt, die Dachlandschaft mit Technik vollgestellt und sonstige Veränderungen vorzunehmen wären. Aber da drücken die Denkmalpfleger immer ein Auge zu, Hauptsache die Fassade bleibt stehen und man hat gewonnen.

  • Ich finde ihr habt beide recht.

    Ob leuchtende Kopie oder alter Stil, beides ist meist besser!

    tegula Du hast bei deinem Einwand völlig Recht, die Gründe für die Residenz können vielfältig sein, z.B. Verfügbarkeit und Preis. Ich halte auch nichts davon Architekten zu unterstellen, sie bauen hässlich und modern, residieren aber lieber in Gründerzeithäusern: Sowohl das eine, die Unterstellung man sichere sich den "Platz an der Sonne" und baue für die Menschen nur Unorte, als auch das Andere, dass man Gründerzeitbauten ja eigentlich liebe, es nur nicht laut sagen dürfe, ist daneben. Tatsächlich setzen sich die Personen, die sich in "Pro Pellerhaus" engagieren auch massiv für Gründerzeitsubstanz ein. Nur dazu braucht es keinen extra Club, denn hier besteht meistens breiter Konsens.

    Pro Pellerhaus setzt sich auch massiv für die Gründerzeitstubstanz ein? Das wäre mir neu. Oder missverstehe ich Dich?

    By the way, ich unterstell Architekten auch nicht, dass sie absichtlich hässlich bauen, nach dem Motto: „Picassos süße Rache“. Ich kenne modernistische Architekten persönlich, die nie einen Zugang zur vergangenen Architektur fanden. Es wird auch nicht gefordert. Wie sollen sie da etwas Neues erfinden? Die Moderne funktioniert leider immer. Man verliert nie. (außer hier)

    Mit 19 wollte ich meinem Vater eine Freude bereiten und fing an das Pellerhaus/Schwarzes Pellerhaus + Statue abzuzeichnen. Das Bild wurde nie fertig. Ich verzweifelte an diesen Fassaden. Es war einfach kein Ende abzusehen. Das Toplerhaus war einfacher, aber im Nachhinein sehe ich es als Fehler an, mich von Anfang an auf die Prunkfassaden zu stürzen. Es ist eine architektonische Entwicklung, die am Ende stand. Vermutlich sind da viele überfordert. Deswegen bin ich der Ansicht, dass man „einfach“ wieder anfangen muss. Da gäbe es in Nürnberg ganz viele und tolle Beispiele. Vielleicht würde man damit mehr Leute außerhalb des eigenen Milieus erreichen? Aber diese Beispiele leben vom Ensemble und dafür ist kein Platz (mehr).

    Beauty matters!

  • Letztlich läuft das auf Definitions- oder Schubladisierungsfragen hinaus, die, geht es um die Sache selbst, höchst müßig sind. Schließlich wissen wir ja, was gemeint ist. Natürlich ist eine Reko gleichermaßen eine Kopie eines untergegangenen Zustandes und ein neugeschaffenes Original. Ich wollte nur sagen, dass wir uns aus rein taktischen Gründen auf zweitgenannte Diktion einigen sollten. Damit tut man sich leichter, zumal "Kopie" stets negativ konnotiert ist.

    Augustinus (354-430) - Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat
    14. Buch 9. Kapitel
    Der Staat oder die Genossenschaft der nicht gottgemäß, sondern nach dem Menschen wandelnden Gottlosen dagegen, die eben infolge der Verehrung einer falschen und der Verachtung der wahren Gottheit Menschenlehren anhangen oder Lehren der Dämonen, er wird von den bezeichneten verkehrten Gemütserregungen geschüttelt wie von Fieberschauern und Stürmen.