Stuttgart - Auch Stuttgart denkt um: Rahmenplan zur Stadtreparatur

  • Aus der StZ vom 10.01.07

    "...Vier Jahre lang hat das Stadtplanungsamt das Kerngebiet innerhalb des Cityrings und die angrenzenden Quartiere unter die Lupe genommen, den Istzustand mit historischer Rückblende analysiert und für die Zukunft Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt. Herausgekommen ist ein 164 Seiten dicker, bunt bebilderter und mit Planungsstudien gespickter Rahmenplan für die künftige Stadtentwicklung und Stadtreparatur. Tenor der darin formulierten zehn Leitziele: Stuttgarts Zentrum soll sich nachhaltig als attraktiver Geschäfts-, Kultur- und auch Wohnraum profilieren, die vor allem autogerechte Stadt der Vergangenheit angehören.

    "Die Stuttgarter Bürger und ihre Besucher aus aller Welt sollen die Innenstadt als unterscheidbaren Ort erleben, sich im öffentlichen Raum begegnen und wohl fühlen und darin die Angebote vorfinden, die den Wert des Lebens in der Großstadt ausmachen", schreibt Baubürgermeister Matthias Hahn im Vorwort der Broschüre. Das Konzept "Stadtkernziele" sei dazu "ein Orientierungsrahmen und eine Entscheidungshilfe, ein breites Planungsfundament für eine ganzheitliche und nachhaltige Entwicklung", sagt der Chef des Amtes für Stadtplanung und Stadterneuerung, Detlef Kron.

    Der Gemeinderat soll demnächst darüber entscheiden, ob er die weitere Entwicklung der Innenstadt kurz- und langfristig zehn Leitzielen unterstellen will. Diese sollen eine nachhaltige Entwicklung aus einem Guss ermöglichen und dem Stadtzentrum sein eigenes Profil sichern.

    Detlef Kron spricht im Zusammenhang mit dem Rahmenplan von einer "zweiten Chance im Sinne der Stadtreparatur". Sprich: die städtebaulichen Sünden der Wiederaufbaujahre nach dem Krieg, in denen meist mehr pragmatisch gehandelt denn nachhaltig geplant wurde, sollen nach und nach getilgt werden. Autoschneisen wie die Hauptstätter Straße sollen auf ein funktionales Maß zurückgenommen, reine Verkehrsknotenpunkte wie der Charlottenplatz aufgewertet und "Unorte" wie das Quartier um die Rathausgarage neu gestaltet und belebt werden. Mit den neuen Fußgängerüberwegen über die Stadtautobahn sei erst ein Anfang gemacht, sagt der oberste Stadtplaner.
    ..."


    Die zehn Leitlinien:
    > Sicherung der städtebaulichen Qualitäten des historischen Stadtgrundrisses und der Stadtidentität

    > Entwicklung von Vielfalt und Multifunktionalität; eine ausgewogene Mischung von Wohnen, Einzelhandel, Gastronomie, Kultur

    > Stärkung der Einzelhandels- und Dienstleistungsbetriebe bei der Entwicklung und Erweiterung von Verkaufsflächen

    > Schaffung neuer Baumöglichkeiten für urbanes Wohnen in der City, Schaffung von Ersatzwohnraum bei Wegfall von Wohneinheiten, Festsetzung eines Mindestwohnanteils von 20 Prozent bei Neubauprojekten, Förderung von Stadthäusern und Baugemeinschaften, Rückbau von Büroflächen in Wohnungen, Aktivierung von leer stehenden Wohnungen

    > Grünvernetzung, Ausbau und Aufwertung von Park- und Grünanlagen > Aufwertung und attraktive Gestaltung des öffentlichen Raums, Verbesserung der Aufenthaltsqualität im Wohn- und Arbeitsplatzumfeld

    > Verknüpfung von Einkaufen, Gastronomie und Freizeit, Aktivierung weiterer Veranstaltungsflächen in den Haupt- und Nebenlagen, zum Beispiel Nutzung des Marktplatzes für Open-Air-Konzerte

    > Förderung einer Planungs- und Baukultur, die sich durch eine qualitätsvolle Architektur und Stadtgestaltung auszeichnet, im Rahmen von Wettbewerben, Gestaltungsbeiräten, Städtebauausschuss und Gremien

    > Umweltgerechte und innenstadtverträgliche Mobilität, also mehr Radwege und bessere Gehwegverbindungen

    > Beseitigung von Barrieren, Integration des Cityrings in das Stadtgefüge


    Quelle:http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/1332196

    In dubio pro reko

  • Ich wuensche Stuttgart das Allerbeste!

    Es scheint, die Stadt hat erkannt, dass im Laufe der Zeit einiges verkehrt gemacht worden ist.

    Das Wort Unort ist grossartig! :lachen:

    Leider wissen wir nur zu gut, was fuer neue Unorte Wettbewerbe fuer "qualitätsvolle Architektur" hervorbringen koennen. :(

  • Das hört sich doch positiv an. Nicht dass das wieder sone Aktion wird: grauen Kasten aus den 70ern wegreißen. "Moderen" Glas-Stahlkasten hinsetzen.

  • Hmm, ich kann den Optimismus hinsichtlich dieser Leitlinien nicht unbedingt teilen. Wer Stuttgart und die Stuttgarter kennt, weiß, dass mit "Sicherung der städtebaulichen Qualitäten des historischen Stadtgrundrisses und der Stadtidentität " und "Aufwertung und attraktive Gestaltung des öffentlichen Raums" mit Sicherheit keine Konzepte und Ideen im Sinne des APH-Gedankens zu verstehen sind.
    Gebaut wird hier, was (vermeintlich) dem Standort nutzt, ergo, was der Investor will. Und als ästhetisches Maß aller Dinge gilt der Glaskubus des Kunstmuseums am Schlossplatz (siehe: http://www.kunstmuseum-stuttgart.de/de/index2.php) und das neue Mercedessmuseum(was allerdings von allen modernistischen Bauten hier noch das originellste ist)
    Derweil wird weiter munter abgerissen, zur Zeit eines der letzten Vorkriegsgebäude (ich glaub' 30er Jahre) im oberen Teil der Fußgängerzone Königstraße. Ich glaube Stuttgart ist in jeder Hinsicht hoffnungslos.[/url]

  • Da stimme ich zu - ich bin auch recht skeptisch, was Stuttgart anlangt. Wobei ja häufig auch Nachkriegsbauten abgerissen werden, nur kommt dann halt eine "zeitgemäße" Betonkiste hin (wie jetzt in der Kronprinzenstraße).

    Das Mercedes-Museum ist gar nicht so schlecht, nur die Lage mitten in einem riesigen Industriegebiet und etwa 20 Meter neben einer vierspurigen Bundesstraße auf Betonstelzen ist nicht gerade toll, wenn auch irgendwie passend für einen Automobilhersteller :D

    Wie dem auch sei, in Stuttgart ist meines Erachtens einfach nichts mehr zu machen...

  • Die Kategorie "zeitgemäße Architektur" macht das ganze Dilemma deutlich. Da sich der "moderne" Zeitgeschmack inzwischen alle 15-20 Jahre ändert, ist man gezwungen ständig abzureißen und neu zu bauen.
    Die Stuttgarter Innenstadt ist geprägt von einer regelrechten Wegwerfarchitektur. Vielen Bauten, die derzeit neu entstehen, ist bereits jetzt schon anzusehen, dass sie in allerspätestens 20 Jahren wieder abgerissen werden.

  • Zitat von "klingentor"

    Die Stuttgarter Innenstadt ist geprägt von einer regelrechten Wegwerfarchitektur. Vielen Bauten, die derzeit neu entstehen, ist bereits jetzt schon anzusehen, dass sie in allerspätestens 20 Jahren wieder abgerissen werden.

    Ein Grund mehr, auch dort für einen traditionellen Stadtgrundriss und Rekonstruktionen einzutreten. Die Bürger dürften das goutieren, dann sie sind doch der Wegwerfarchitektur längst überdrüssig.
    Sicher ist es in Stuttgart schwierig, aber man sollte keine Stadt aufgeben und ihren Vernichtern einfach so überlassen. Statt dessen muß man kleine Inseln der Schönheit schaffen, von denen aus dann weiter vorgedrungen wird.

  • Leider sehe ich für bürgerliches Engagement in Richtung Bewahrung des baulichen Erbes oder gar Rekonstruktionen überhaupt keine Grundlage. Das Stuttgarter Selbstverständnis ist sehr technokratisch, in erster Linie vom ökonomischen Effizienzgedanken geprägt. Technischer und wirtschaftlicher Erfolg sind die Quellen des hiesigen Bürgerstolzes. Kulturelle Traditionen spielen für das Selbestwusstsein der Stuttgarter praktisch keine Rolle. Beim Thema Rekos würde der Stuttgarter nur einen einzigen Satz von sich geben: Was das kostet!

  • grundsätzlich gute aspekte, wenn auch nicht im sinne des forums.
    man darf sich angesichts der ökonomischen entwicklung aber durchaus
    fragen, woher die millionen für den stadtumbau fließen sollen.
    kommen die gedanken nicht einfach viel zu spät?
    mit kommunalen mitteln wird sich solch ein projekt nicht schultern lassen.
    stuttgart muss also verstärkt um investoren werben. wozu diese allerdings
    tendieren, lässt sich an den neuen königsbaupassagen bereits ablesen.
    ich spüre in der euphorie der planenden noch die erfahrungen mit
    der umgewandelten theodor-heuß-strasse, die neugestaltung der unteren
    königstraße und die fragwürdige überdeckelung am charlottenplatz im sog
    der weltmeisterschaft. wenn das konzept allerdings tatsächlich greift und
    das stadtparlament sich dazu durchringt, kann strukturell im grunde nur
    eine verbesserung eintreten, wenn man von architekonischen erwartungen absieht.

  • Ein paar gute Aspekte sind darunter. Wie ich aber Stuttgart kenne, wird zumindest bei den architektonischen Maßnahmen wenig Gutes dabei rauskommen.

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Was den Abriss des Gebäudes in der Königstrasse angeht, bin ich ausnahmsweise mal der Meinung, daß der Nachfolgerbau eine qualitative Verbesserung darstellt:

    http://www.antonummenhofer.com/photo2.jpg

    Zwar kann ich klingentors Kommentar zum Stuttgarter Selbstverständnis sehr gut nachvollziehen, ich würde es jedoch nicht ganz so fatalistisch sehen. Ich denke, auch hier kommt langsam ein Umdenken in Gang. Viele Beiträge von Stuttgarter Bürgern in diversen Foren zum Thema Städtebau/Architektur/Stuttgart 21 usw. bestätigen, daß es eine stärker ausgeprägte Sensibilität und kritische Wahrnehmung gibt, als man gemeinhin denkt. Was definitiv noch fehlt ist eine Art Sprachrohr z.B. in Form eines Vereines.


    Beispiele für bürgerschaftliches Engagement bzw. den kritischen Blick auf Stuttgart:

    http://www.stuttgart-fotos.de/

    http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detai…7758/feedback13

    http://www.stiftung-stuttgarter-bruennele.de/home.html

    http://www.stuttgart-wohin.de/

    http://www.forum-hospitalviertel.de/

    http://www.stadtplanungsforum.de/

    In dubio pro reko

  • Wäre nicht ein konkretes Projekt, auf das sich die bürgerschaftlich Engagierten stürzen könnten, als Initialzündung besser geeignet als eine schnöde Vereinsgründung? Gibt es etwas, was sich hier anbieten würde?

  • Zitat von "Henk Frost"

    Wäre nicht ein konkretes Projekt, auf das sich die bürgerschaftlich Engagierten stürzen könnten, als Initialzündung besser geeignet als eine schnöde Vereinsgründung? Gibt es etwas, was sich hier anbieten würde?

    Für überschaubare Rekonstruktionsprojekte würde sich m. E. am ehesten die Villa Berg anbieten.
    Das Gebäude wurde Mitte des 19. Jhdts. im röm. Villenstil errichtet und in der Nachkriegszeit innen wie außen stark vereinfacht wieder aufgebaut. Die dazugehörige Gartenanlage wurde praktisch ruiniert( ich sag nur: Waschbeton!). Die Villa gehört dem SWR und die ganze Anlage gammelt vor sich hin.

    Villa Berg einst:

    http://www.vvs.de/download/freiz…_villa_berg.jpg

    Villa Berg heute:

    http://www.stuttgart.de/sde/global/ima…-villa-berg.jpg

    Ein weiterer, für den Anfang nicht übertriebener (m. E. auch finanzierbarer) Rekowunsch wäre die Rekonstruktion der Kuppel des Maurischen Landhauses in der Wilhelma.
    http://i.goruma.de/S_S_Wilhelma_k.jpg

  • Na, das ist doch mal ein guter Anfang. Zwar noch enorm ausbaufähig,
    aber nach dieser langen kulturellen Durststrecke doch ein Lichtblick. Freut
    mich für Stuttgart, wenn den großen Worten auch dann einmal die Tatsachen folgen werden. :D

  • Da wir zuletzt eine recht intensive Diskussion über das Stuttgarter Stadtbild führten, schien mir dieser Strang wie gemacht, um die Gedanken weiter zu vertiefen.

    Ich frage mich: Wie viele dieser sogenannten Leitlinien wurden bislang umgesetzt? Und wie ist hier der Term "qualitätvolle Architektur" zu verstehen? Wo hält sich die angekündigte "Stadtidentität" versteckt?

    Meines Erachtens entfernt sich Stuttgart zusehends von diesen Idealen.
    Oder etwa nicht?

  • Kann ein Stuttgarter/Schwabe/mit der Materie Vertrauter einmal berichten, inwiefern sich nun die Umsetzung dieser Leitlinien äußert? Was sind konkrete Ergebnisse des Rahmenplanes? Ist der Phönixbau an der Kö als ein Ergebnis zu sehen?

    Ansonsten fiel mir die außerordentliche Ereignislosigkeit hinsichtlich baulicher Aktivitäten in Stuttgart auf, als ich das letzte Mal im Februar dort war. Einige Bilder werden übrigens noch folgen.

  • Zitat von "erbsenzaehler"

    Kann ein Stuttgarter/Schwabe/mit der Materie Vertrauter einmal berichten, inwiefern sich nun die Umsetzung dieser Leitlinien äußert? Was sind konkrete Ergebnisse des Rahmenplanes? Ist der Phönixbau an der Kö als ein Ergebnis zu sehen?

    Ansonsten fiel mir die außerordentliche Ereignislosigkeit hinsichtlich baulicher Aktivitäten in Stuttgart auf, als ich das letzte Mal im Februar dort war. Einige Bilder werden übrigens noch folgen.

    Die Leitlinien formulieren heere Zielsetzungen, denen sich kein Planer oder Architekt verschließen wird und die allen ein gutes Gewissen verschaffen: Seht welch großartigen Absichten unser Planen verpflichtet ist.

    In der gebauten Realität der Stadt Stuttgart und selbst in den aktuellen Planungen findet sich davon so gut wie nichts wieder, erst recht nicht unter den derzeitigen Einsparzwängen. Es ist nicht abzusehen, dass in den kommenden dreißig Jahren an den Stadtautobahnschneisen mit ihrer jämmerlichen Randbebauung nennenswerte Stadtreparatur stattfinden wird. Es ist nicht abzusehen, dass die Areale nordwestlich der Innenstadt (Stadtgarten/ Hegelplatz) für urbanes Stadterleben zurückgewonnen werden. Es ist nicht abzusehen, dass Unorte wie der "Boulevard" Theodor-Heuss-Straße oder das abstoßende Hospitalviertel auch nur in ersten Ansätzen eine Aufwertung erfahren würden.

    Dabei fehlte es nicht an Mahnern, die umfassende Alternativpläne zur Gesundung der Stadt vorgelegt haben: in den siebziger Jahren Rob Krier mit seinem Umbauplan der Innenstadt, heute Roland Ostertag mit radikalen Vorschlägen, die Verkehrswüstenei der Stadtautobahnen mit Innenstadtstrukturen aufzufüllen. Selbst im Stadtplanungsamt schien eine Zeit lang, wie ausgehängte Pläne vermuten ließen, der Geist der Kritischen Rekonstruktion nach Berliner Vorbild sich eingeschlichen zu haben. Aber der hat sich längst wieder davogemacht; denn es gibt in dieser Stadt kein Bewusstsein eines Defizits!