Leipzig - Friedrich-Ebert-Straße 81, vulgo Märchenhaus

  • Zitat von "spacecowboy"

    Die Friedrich-Ebert-Straße 81 ist (war) kein Haus mit vorgeblendeter Fassade, sondern ein durchgehender Mauerbau, bei dem sogar die Ziergegenstände überwiegend Teil der tragenden Konstruktion sind. Eine Rettung der Fassade wäre technisch nur möglich gewesen, wenn man das Gebäude Stockwerk für Stockwerk abgetragen hätte.

    Ich nehme an, mit "Stockwerk für Stockwerk abtragen" meinst Du, daß dann die Fassadenteile auch einzeln geborgen werden. Und wäre es nicht möglich gewesen, die Fassade abzustützen und den Rest dahinter abzureißen (also wie etwa beim Volksbildungsheim/Metropolis in Ffm)? Oder hätte das die Fassade zum Einsturz gebracht, weil tragende Teile dabei sind?

    Ich weiß, wir reden über bereits verschüttete Milch, aber mich würde es trotzdem interessieren (Fachleute im Forum!). Denn eine solche Vorgehensweise wäre - wir klammern diverse Stuckdecken, Bodenmosaike etc. mal aus - ja definitiv das weitaus kleinere Übel zur jetzt erfolgten vorllständigen Vernichtung gewesen.

    Wenn allerdings die Stadt [lexicon='Leipzig'][/lexicon] unbedingt darauf aus ist, den Standort eines Hauses für andere Zwecke frei zu bekommen, dann nützt eine solche Option natürlich in Zukunft auch nichts.

  • Zitat von "Friederich"

    Du kannst ja mal Deine Augen bei Ebay offenhalten. wenn man wirklich jemandem nachweisen könnte, daß da was illegal verhökert wird, wäre das ja wenigstens ein Teilerfolg.

    Warum sollte das schlimm sein? Immerhin würden dann Liebhaber diese Stücke erwerben, die sie dann bestimmt mit mehr Respekt behandeln als die vorherigen Eigentümer...

    Der Tiefpunkt der Baukultur wurde in den 60er und 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts erreicht...

  • Hier kommen noch ein paar Bilder von letzter Nacht – auch wenn es Euch vielleicht die Tränen in die Augen treibt.

    Wenn sowas demnächst bei Ebay auftaucht, sollte man mal Kontakt zur Staatsanwaltschaft aufnehmen.

    »»memet: Willst Du wirklich, daß sich das Pack auch noch an dem Abriß bereichert? Denn als Verkäufer würden ja sicher nicht die rechtmäßigen Eigentümer auftreten, sondern sicher Leute, die andere Leute gut kennen, die mit dem Abriß in irgendeiner Art befaßt sind. Wenn Fam. Fein verkaufen würde, hätte ich auch nichts dagegen und würde mich freuen, daß die Teile nicht ganz verlorengehen. Aber wenn (Achtung, Rechtsanwälte, ich spreche im Konjunktiv, also vergeßt das, woran Ihr gerade gedacht habt!), wenn also irgendein Caruso-Fuzzi die Hand dafür aufhielte, daß ein guter Freund aus Delitzsch die Teile abtransportiert und verhökert, die dann gegenüber dem Eigentümer als zerstört behandelt würden, dann würde ich schon gern mit der Stahlrute auf diese aufgehaltene Hand schlagen – bildlich gesprochen.

  • ...beim Anblick dieser Bilder verschlägt es mir den Atem. Ich weiß echt nicht, was ich sagen soll. So ungefähr muss es ausgesehen haben, als die Vandalen Rom plünderten...

    Der Tiefpunkt der Baukultur wurde in den 60er und 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts erreicht...

  • Danke für die Bilder.
    Ich würde auch zugern wissen, was mit dem Schmuck geschieht. Es ist wohl nicht anzunehmen, dass er breit weitere Verwendung finden soll, sonst hätte man in ausgebaut und nicht weggebaggert. Sehr, sehr schade.
    Ich hätte für viele der Stücke sehr wohl Verwendung in meiner Wohnung und auch in einem Garten würde sich so eine Säule ganz hervorragend machen.
    Wahrscheinlich werden diese Kunstobjekte wohl kleingeschreddert und zu Platten gepresst (da hat man im Osten ja eine 60 Jahre zurückreichende Erfahrung).
    Ein Akt sinnloser Zerstörung im Eiltempo ... und von der Hoffnung begleitet, dass aus dem Auge, aus dem Sinn bedeutet - ein Kalkül, das oft genug aufgeht.

    Eine der vorzüglichsten Eigenschaften von Gebäuden ist historische Tiefe.
    Die Quelle aller Geschichte ist Tradition. (Schiller)
    Eine Stadt muss ihren Bürgern gefallen, nicht den Architekten.

  • Zitat von "Schloßgespenst"

    Und, Booni, Hut ab vor Deinem Nicht-so-leicht-aufgeben, aber ich halte es auch für ausgeschlossen, daß ein soeben abgerissenens Gebäude wieder rekonstruiert wird. Erstens wird es niemanden geben, der diese einzigartige Fassade komplett nachbilden kann, und selbst wenn, dann wird es niemanden geben, der das bezahlen kann/und oder will.

    Also ersteres halte ich für möglich, vielleicht muss man ein paar Abstriche machen (z.B. die Köpfe entweder durch Stereotypen oder durch die Fratzköpfe der Leipziger Stadtverwaltung ersetzen) aber wenn Baupläne und viele Fotos erhalten sind müsste das drinsitzen. Ich hoffe nur dass die Baupläne dann nicht im Gebäude aufbewahrt wurden. (Wo stecken die überhaupt? Mein Großvater hat alle Bauzeichnungen seit Beginn des 20 Jh. zuhause, wir haben gar nichts aus der Erbauungszeit).
    Und Geldgeber... klar, das ist ein Problem. Da muss jemand sein der viel Herzblut in so eine Sache hereinsteckt. Ich würde es machen... bin aber auch erst 21, mal sehen wie reich ist später sein werde...).
    ... vielleicht muss man einfach mal solche Mäzen sammeln, gibt sicher auch genug Leute die nie ein Gebäude restaurieren würden aber für einen Neubau - auch eine Reko - wohl zu haben sind. Nur - wenn man jetzt nichts archiviert kann später auch nichts wiederaufbauen.


    ... und sonst... ich bin immer noch total fassungslos. Ist der Abriß heute komplett vollzogen worden oder hat man ihn überraschenderweißse gestoppt?
    Ich werde morgen auch mal dem Bauordnungsamt schreiben... das wird denen vermutlich am A**** vorbeigehen aber die sollen trotzdem mal hören was wir ca 500 km weiter westlich von denen denken.

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • Schade... jetzt ist das Türmchen auch noch weg. Es ist doch einfach nicht zu glauben....

    Wo die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten
    Karl Kraus (1874-1936)

  • »»Schloßgespenst: Das Frankfurter Beispiel von Seite 14 halte ich als Laie für einen gelungenen Kompromiß zwischen Denkmalschutz und Funktionalität. So ähnlich macht das Karstadt gerade in [lexicon='Leipzig'][/lexicon].

  • Wenn [lexicon='Leipzig'][/lexicon] nicht so weit weg wäre, würde ich da selbst mit 15 kg Fotoausrüstung aufkreuzen und u.a. noch einige Detailaufnahmen vom Fassadenschmuck mit Supertele machen.
    Alleine schon, um zu zeigen, daß es gewisse Hilfsmittel gegen das Vergessen gibt.

    Wichtig ist, daß sowas nicht irgendwo in Forumsthreads verschimmelt (so ein Forum ist nun mal nicht geeignet für Informationsarchivierung), sondern noch mal anderweitig aufbereitet wird.

  • So, Booni, jetzt ist auch noch der Erker weg.
    Stand 19.30 Uhr: Es wir munter weitergebaggert. Der Wachdienst hat letzte Nacht angeblich 53 Leute davon abgehalten, Teile abzuschleppen. Tagsüber machen das die Jungs von Caruso. Es muß alles in den Shredder, damit die weiße Weste von Caruso nicht mit dem Vorwurf bekleckert wird, sie würden was verschieben. Das sind also hochmoralische, integre Leute.
    Es könnte sein, daß das Fahrzeug, das heute morgen einige Teile geholt hat, zum Bergezentrum des Schlosses Trebsen gehört, dann wüden die Teile zu hohen Preisen wieder in Umlauf kommen.

    http://www.bergezentrum-trebsen.de\r
    http://www.bergezentrum-trebsen.de

    Das kann aber nur ein ganz kleiner Teil der infragekommenden Teile sein. Es ist auch nicht ganz ersichtlich, was in den Shredder kommt und was nach Trebsen – wenn das mit Trebsen überhaupt stimmt.

    Neue Horrorbilder vom Abriß später.

  • »»haussmann: Du brauchst kein Tele mehr, das liegt jetzt alles zu Deinen Füßen, wenn es nicht unterm Schutt begraben ist, und dann hilft auch kein Teleobjektiv mehr.

    Ansonsten: [lexicon='Leipzig'][/lexicon] ist gar nicht so weit weg, Hamburg ist weit weg!

    Wenn Du Bilder brauchst, schick eine Nachricht.

  • Zitat von "Friederich"

    Es muß alles in den Shredder, damit die weiße Weste von Caruso nicht mit dem Vorwurf bekleckert wird, sie würden was verschieben. Das sind also hochmoralische, integre Leute.

    Ist das berechtigte Mutmaßung oder Aussage seitens der Abbruchgesellschaft?

    Möchte gleich die Gelegenheit nutzen, meinen Dank für die Vor-Ort-Berichterstattung auszusprechen. Trotz der gegenwärtigen Trauer begrüße ich jedes neue Photo.

  • Schredder? Ich wäre sofort bereit für einesd ieser Teile wie z. B. den Ritterkopf 200 EURO zu zahlen. Das wärs mir wert!!!!

    Der Tiefpunkt der Baukultur wurde in den 60er und 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts erreicht...

  • Da bist Du nicht der einzige, kannst Dich hinter den 53 anderen anstellen, die letzte Nacht erfolglos dawaren.

    »»Jürgen und Sauerländer:
    Habt Ihr meine Nachrichten erhalten?

  • Auch wenn die Frage vielleicht schonmal gestellt und beantwortet wurde, was geschieht eigentlich mit dem direkt angrenzenden Gebäude? Ist das als nächstes dran?

    In dubio pro reko

  • Also jetzt muß ich auch mal meinen Senf dazugeben. Für mich sind die Hauptschuldigen für diese Barbarei nicht bei der Stadt [lexicon='Leipzig'][/lexicon] zu suchen, sondern bei den Besitzern des Gebäudes (wir erinnern uns, Eigentum verpflichtet). Besitzer der FE81 ist/war vermutlich eine Erbengemeinschaft aus Südamerika/Kanada/Neuseeland/Südafrika, die untereinander spinnefeind ist, wie bei vielen vergammelnden Gebäuden (Großvater war doch ein dermaßenes Ar5ch1och, was kümmert mich da dieses blöde Haus in [lexicon='Leipzig'][/lexicon], wo liegt das überhaupt, jetzt mach ich mir erstmal noch ein Miller-Bier auf, außerdem hab ich eh kein Geld). Zu DDR-Zeiten wurden solche Gebäude von der Treuhand verwaltet, die aufgrund der niedrigen Mieten wenig Geld in die Erhaltung der Gebäude stecken konnte. Aber nach der Wiedervereinigung hätten die Besitzer hier aktiv werden können, einen Kredit aufnehmen und sanieren (und damals noch fette Fördergelder abfassen) können. Aber jetzt ist es dafür zu spät. Bei der gegenwärtig völlig gesättigten Wohnraumsituation dürfte man von keiner Bank mehr einen Kredit bekommen.

    Die Stadt [lexicon='Leipzig'][/lexicon] hat offensichtlich seit nunmehr 15 (!) Jahren die Eigentümer aufgefordert, sich um ihren Besitz zu kümmern und irgendwann so kurz vor der WM hat man dann die Nase voll.

    Nach gegenwärtiger Gesetzeslage muß ein Gebäude abgerissen werden, wenn es die Allgemeinheit gefährdet (sprich einsturzgefährdet ist und beim Zusammenbruch Menschen verletzt oder getötet werden könnten), selbst wenn es unter Denkmalschutz steht (Gefahr im Verzuge).

    So betrüblich der Verlust dieses Gebäudes ist - und da sind unbedeutendere Häuser saniert worden -, aber die Hauptschuldigen sind nicht bei der Stadt zu suchen.

    Als Verantwortlicher im Rathaus hätte ich allerdings das Gebäude sichern lassen (Abstützungen im Inneren) und davor ein Gerüst mit Plane gestellt, und vielleicht noch ein großes Plakat drangehängt "[lexicon='Leipzig'][/lexicon] erhält seine Schätze". Stattdessen präsentiert sich die Stadt den WM-Besuchern als Welthauptstadt der Baulücken und macht damit jedem potentiellen Investor klar: Finger weg von dieser schrumpfenden Stadt, hier zu investieren ist weggeworfenes Geld. Was ne schlechte Strategie.

    Seltsam: Dresden baut auf, [lexicon='Leipzig'][/lexicon] reißt ab. Irgendwas läuft in L. falsch.

  • »»Dirk: FES 83 / 85 ist im Moment leer und verplankt. Es hängen Schilder dran:

    Ob das ein Wachdienst oder ein Makler ist, weiß ich nicht, Du kannst ja mal anrufen, ob die was wissen. Wahrscheinlich ist der Eigentümer insolvent, aber ich bin nicht hundertprozentig sicher. Jedenfalls stehen die Häuser leer, es gehört noch ein schönes Gartengebäude dazu, das aber auch ziemlich hinüber ist. Vor ca. 15 Jahren sind da schon mal Denkmalschutzmittel in die Façade geflossen, dann gab es eine Veränderungssperre, weil die Stadt die Straße verbreitern wollte. Auch da weiß ich nicht, was Stand der Dinge ist, könnte mir aber schon vorstellen, daß jetzt ein paar Leute im Rathaus ganz scharf drauf sind, das Haus auch noch wegzubekommen.

    Das Haus hat ein Herr Hensel oder Hänsel gebaut, es ist nach der »Wende« an einen Enkel gleichen Namens rückübertragen worden, der aber noch andere Erben auszahlen mußte und dann – nicht zuletzt wegen der erwähnten Veränderungssperre – finanziell ins Trudeln gekommen ist. Außerdem hatte er auch mit den Mondmieten der Neunziger kalkuliert, die ja schon lange nicht mehr zu erzielen sind.

  • »»Iktinos: Kleine Geschichtsstunde: Die Treuhand gab es in der DDR noch gar nicht, sie ist eine Institution der Bundesrepublik, die die volkswirtschaftlichen Hinterlassenschaften der DDR verwalten und veräußern soll und untersteht, soviel ich weiß, dem Bundesfinanzministerium.

    Den Fall FES81 kenne ich nicht so genau, aber viele Alteigentümer mußten jahrelang teure Prozesse gegen die Treuhand oder gegen Kommunen, auch gegen die LWB führen, um ihr rechtmäßiges Eigentum zurückzuerhalten. Vielen – besonders in der Landwirtschaft – wird es bis heute vorenthalten, einige sind darüber gestorben, viele werden es nie wiedererlangen. Jedenfalls sind bis heute noch offene Vermögensfragen anhängig. Es wird den Alteigentümern in Deutschland verdammt schwer gemacht, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Ich kenne einige, die ihre ganzen Ersparnisse im Osten versenkt haben, nur um an die Vorkriegs-Familiengeschichte anzuknüpfen und »das Erbe der Väter« zu bewahren. Sicher gibt es auch Subventionsjäger, aber für Pauschalschelte ist da kein Platz.

    Möchte die Gelegenheit nutzen, hier mal denen zu danken, die vor 15 Jahren aus teilweise recht gesicherten Biographien im Westen ausgebrochen und hergekommen sind, weil sie hier helfen wollten, etwas aufzubauen, auch wenn ich weiß, daß einige auch andere Motive hatten. Trotzdem, ohne diesen Transfer an Wissen, Motivation und Geld würden wir heute hier noch deutlich schlechter dastehen.